Tarsus > Zentralanatolien > Acigöl > Sultanhani > Tuz Göl

18.05.2022 Mittwoch

Mersin und das Mittelmeer im Rücken, geht es ins Landesinnere und weg vom Mittelmeer. Tarsus empfängt uns freundlich. Durch ein paar mehr oder weniger enge Sträßchen mit lebendigem Verkehr finden wir ein verstecktes Schild „Karavan Park“. Wir passen, der Wächter nickt ab. Also rein, landen und Schluss für heute. Zwischen einigen türkischen Mitcampern ist noch eine Lücke, passend für uns, länger als 7 m geht auch nicht wirklich. Munteres Froschgequake aus dem angrenzenden Fluss läutet die Nacht ein.

19.05.2022 Donnerstag

Gelegen wie Brote im Ofen wachen wir zufrieden auf an dem schönen und dazu kostenlosen Plätzchen hier an den Wasserfällen des Tarsus-Bach. Heute geht Gustavo auf erste Reise im Fahrradanhänger. Ja, das kann was werden. Allerdings ist er ja wirklich allen Boxen und Kästen und Käfigen gegenüber aufgeschlossen und nutzt sie ohne Angst auffallend gern. Also verladen, rein ins Vergnügen und erst mal vorbei am Wasserfall.

Es ist doch immer wieder eine Überraschung mit ihm. Chianga lebt ihm zwar viel Gelassenheit vor, zeigt, dass man sich uns ohne Aufregung anschließen kann, aber er hat ja schon phasenweise ein wahnsinniges Temperament, dieser spanische Bursche, ist kaum ruhig zu stellen. Er straft uns Lügen. Völlig anstandslos ohne jedes Aufsehen fährt er, als habe er im ganzen Leben nix anderes gemacht, im Hänger mit. Keine Revolte, keine Attacke, lediglich bei 2 x Katze auf 3 Uhr. Und wir befahren nicht die Lustwandelradelstrecke zwischen Bad Hürlesbein und Hundshartzhausen, nein, wir befahren mittendrin die Hauptschlagader im dichten Verkehr, allen möglichen Vehikeln, vielen fragenden Menschen, schwadenweise neuen Gerüchen, Quietschen und Scheppern und orientalischer Beschallung. Muss man erwähnen, welch ein Stein uns vom Herz fällt ???

Die 3000 Jahre alte Stadt Tarsus, einst wichtige Station der faszinierenden Seidenstraße, Provinzhauptstadt der römischen Antike und wohlhabendes Handelszentrum, stand wegen ihrer geographischen Lage immer wieder im Blickpunkt verschiedener Nationen, Zivilisationen und Kulturen. Sind die Überreste auch spärlicher Natur, so macht es doch Spaß, sich staunend durch die uralten Gassen im orientalischen Stadtbild zu pirschen und ein klitzeklein wenig ins Leben der Bewohner einzutauchen. Wir lieben diese Bilder und Eindrücke, die Staub auf der Haut verursachen und Klarheit im Kopf schaffen.

Zeit lässt sich jedenfalls herrlich zwischen all den mit Besonderheiten gefüllten Lädchen und den für uns natürlich sehr zweifelhaften Behausungen der Menschen hier in Tarsus verbringen. 

Freundliches Staunen herrscht allerdings wechselseitig. Viele Männer, jung und alt, sprechen uns an, natürlich wie so oft, auf die Anhänger und die Räder, man saust aus den Läden raus, um ein Schwätzchen zu halten, kramt alles an Sprachkenntnissen vor, was man so hat, winkt zu, Daumen nach oben, bedient perfekt im Telefonladen, richtet für 300 TL Datenmenge 50 GB ein mit Kaffee und Stuhlrücken incl.. 

Ein wunderbares Erlebnis heute alles in allem. So kann es weitergehen, auch wenn die feinsten Konditoreierzeugnisse nach Genuss sofort einen Verdauungsschnaps nötig machen. Was soll‘s, könnte schlimmer kommen.

20.05.2022 Freitag

Feuriger Freitag, so könnte man ihn nennen. Was sich heute so zuträgt, man kann nur den Kopf schütteln … und lachen, das hilft, denn Humor verhindert, dass uns der Kragen platzt. Aber vorher müssen wir ohnehin etwas anderes platzen lassen, nämlich ein Schloss. Startklar zum Anhängen und zur Abreise, bricht Wim doch der Schlüssel im Sicherheitsschloss des separat stehenden Hängers ab. Alle Versuche, den metallischen Rest mit grobem und feinstem Besteck herauszuziehen, scheitern. Der Stummel ist versenkt im Schloss, hat ewige Treue geschworen. Der Schlüsselrest baumelt grinsend in großer Nutzlosigkeit am Schlüsselbund. Tja, wenn sich was machen will, würde meine Mutter sagen. Zwei Arbeiter sind mit LKW in der Parkanlage zugange. Ggf. haben sie eine kräftige Zange oder besser Metallschneider dabei. Auf Bitte eilen sie sofort herbei und versuchen, mit Hammer und Meißel das Schloss zu demolieren, das Innenleben rein- oder raus zu schlagen, auseinander zu drücken, damit evtl. der Bügel aufgibt. Nichts. Dieses Schloss ist beinhart, Knacken ohne weiteres unmöglich. Unser junger türkischer Mitcamper kommt angeradelt. Lage peilen, Telefonate führen, Möglichkeiten checken, Feuerwehr rufen. Was ??!!?? Ja, sei kein Problem, die würden helfen, keine Frage, sei doch selbstverständlich. Gut, dann eben Feuerwehr. Und die rückt an, es dauert keine 10 Minuten, nicht mit ganzem Zug, aber zwei Mann, hochoffiziell, volle Ausrüstung, schweres Gerät, Lagebesprechung am Objekt, Werkzeug fassen am Feuerwehrauto, Flex marsch marsch, Funken sprühen und es kracht … das Schloss und die damit gesicherten Metallplatten fallen zu Boden, die Anhängerkupplung ist frei. Alle strahlen, die einen glücklich und dankbar, die anderen gönnerhaft, und wieder andere souverän. Und dieser Einsatz ist kostenfrei für uns. Absolut wird abgelehnt, auch nur eine müde Mark anzunehmen. Das sei ihre Aufgabe, zu helfen, und das hätten sie sehr gerne getan. Mit Stolz erzählt uns einer der Feuerwehrmänner, seine Großfamilie lebe in Hildesheim, er hätte sie mal besucht, alles sei so wunderbar in Deutschland. Selfie wird gemacht, Wohnmobil fotografiert, und die roten Engel sind so schnell verschwunden, wie sie gekommen sind. 

Wir spannen an. Meine Güte … ich denke an die, die beim Reisen die Sorge plagt, was wenn … wenn etwas passiert und man hinge irgendwo. Es gibt immer und überall „Engel“, egal in welcher Farbe, egal welchen Geschlechts. Und guter Dinge können wir Tarsus verlassen. Schön und erkenntnisreich war die Zeit.

Ein Stück befahren wir die schon bekannte D 400, bevor wir uns nach links in die Bergwelt schlagen. Der Landstrich ist wunderschön, ein bisschen Landwirtschaft, ein bisschen Viehhaltung, ein bisschen Plantagen, ein bisschen mannshoher voll erblühter Fingerhut überall und Störche, die über uns hinweg ziehen. Nach rechts und vorne raus strahlen die Schneefelder auf sehr hohen Bergrücken unter dem blauen Himmel.

Hatten wir in Tarsus 29 Grad, so fällt die Temperatur jetzt so nach und nach auf 23 Grad. Im Gegenzug steigt die Höhe. Mittlerweile durchfahren wir zum Teil neben der Trasse der von deutschen Ingenieuren vor dem Ersten Weltkrieg geplanten sog. Bagdad-Bahn eine immer schroffer werdende Bergwelt bis auf 1400 m Höhe, die ehemals schon von Alexander dem Großen und vom Heer des Ersten Kreuzzuges bewältigt wurde. Durch die Schluchten und über die Pässe rollte einst der Handelsverkehr zur Kilikischen Pforte, dem bedeutendsten Tor im Kulturaustausch zwischen Ost und West, zwischen Syrien und Kleinasien. Einzelne Orte liegen an der Strecke, kleben an den Hängen. Hier wird es sicher auch im Hochsommer für die türkische Bevölkerung erträglich sein.

Aber bald wird die Landschaft karger und sandiger. Zum Teil sieht man Anbauflächen für Gemüse und Getreide. Wir sind auf über 1500 m, und diese weite Hochebene ist gerahmt und quasi umzingelt von gigantischen schneebedeckten Bergen, die zum Greifen nahe scheinen.

Bewässerungskanäle laufen um die Felder, wassergefüllte Rinnen sichern die Versorgung, damit überhaupt etwas wachsen kann. Behelfsbaracken und Planenverschläge sehen wir einige. Etliche Kleinbusse stehen in den Feldern, aus denen - völlig überladen - große Menschengruppen quellen. Was sie anbauen, können wir nur ahnen. 

Unser Tagesziel ist nach 230 km bald erreicht. Wim prüft zunächst zu Fuß, ob uns ein Anfahren der ausgesuchten Stelle möglich ist. Hoffentlich … und da dieser Freitag ja im Zeichen des Feuers steht, schaffen wir es passend an den Rand des Kratersees in dieser etwas unwirklichen Umgebung aus flachen Büschen und dunklem Sand, eingekesselt im wulstigen Rahmen aus vulkanischem Gestein. Aber Feuer wird er nicht mehr spucken, zu hoch steht das Wasser in seinem Kessel, ein blaues Auge, auf das wir volle Aussicht genießen … und absolute Stille, hier auf 1000 m Höhe. 

Abends rollen noch mehrere Autos an. Gruppen von jungen Burschen tischen sich tütenweise Fressalien auf in den benachbarten Schattenlauben. Man grüßt, verspeist mit gutem Appetit und verschwindet schnell wieder. Fische scheinen im Kratersee nicht zu leben, kein Angler weit und breit. Nach Sonnenuntergang sind wir allein. 

21.05.2022 Samstag

Zu schön, um schon zu gehn. Wir bleiben, ein Ruhetag ist fällig, und das Plätzchen hier optimal dafür. Schnell entfaltet die Sonne ihre starke Kraft. Aber ein angenehm frisches Lüftchen weht, das auch einige Paragleiter mit und ohne Motor nutzen und uns zum Frühstück am See ebenfalls passt. Irgendwo in den Felsschichten über uns, die sich wie uralte Fundamente ehemaliger Bauwerke schnurgerade durch die Kraterhänge drücken, spektakeln irgendwelche Wasservögel. Aus weiter Ferne schwingt Ziegengemeckere herüber, während ein großer Greifvogel seine Runden dreht und sich später auf dem höchsten Punkt des Kraterrands positioniert. Mein Teleobjektiv kann ihn nur schlecht erwischen. Ob es nun ein Adlerbussard oder ein Schmutzgeier ist, die sollen nämlich hier leben, können wir Banausen nicht abschließend sagen. 

Ansonsten tut sich nichts, außer dass Wim zu den Wanderschuhen greift und zur Seeumrundung startet, nachdem die Hunde sich an langen Leinen schon etwas miteinander vergnügt und verwurschtelt haben, wobei Chianga sehr genau weiß, wie weit Gustavo an der Leine kommt, nämlich nicht so weit wie sie. Und diese kleine Zicke pflanzt sich exakt die paar Zentimeter über die Leinenlänge hinaus vor Gustavo, damit dieser sich mit gewagten Sprüngen und ausgefahrenem Hals sehr lang machen muss, um ihre Gunst zu erhalten. Weibliche List vom Feinsten. 

Später radele ich den Dreien hinterher. Stehen wir frei, lassen wir unser Hab und Gut nicht so gerne unbeaufsichtigt. Es gibt hier zwar rein gar nichts, was auf Feindseliges hindeuten würde, aber man soll auch nichts herausfordern, egal in welchem Land. Die Runde um den See braucht erstaunlich viel Zeit. Eine Stunde ist man zu Fuß unterwegs. Das kann man kaum glauben, wenn man so rund guckt. Aber steht man am anderen Ende, ist unser Concördchen nur als weißer Mini-Klecks auszumachen.

Über die teilweise sehr steinige Strecke laufen mein Klapprad und ich sehr gut. Mit den breiten Schlappen macht es echt großen Spaß. Aber auch die Blicke auf das felsige Ufer und das in der Sonne flirrende Wasser vor den kargen Wänden ringsum sind herrlich. 

Einzelne Blütchen lassen sich sehen zwischen Strauchigem, Buschigem und Stacheligem. Etwas saftigere grüne Büschel sind voller Knospen, die sicher bald zu weißen Blüten aufspringen. Das muss dann toll aussehen, da diese Gewächse recht große Bereiche überwuchern. Ein paar Vögel zwitschern, nur gelegentlich fliegt ein Schmetterling, Käfer sind kaum unterwegs, aber viele riesige Ameisen, sicher Mutationen von Skorpionen, da sie mit aufgestelltem Hinterteil wild entschlossen herum flitzen. Die Eintönigkeit der Wüstenlandschaft lebt hier am in vulkanischer Asche eingebetteten Ringkratersee auf dem 1265 m hohen Meke Dagi.

Es ist so schade, dass sich auf recht ebenen Flächen am See so viel Müll findet, einfach nur erschreckend, und es macht wütend, wie man alles einfach so liegen lässt und hinwirft. Es wäre nicht korrekt, diesen Müllmissstand in solch einem Reisebericht zu verschweigen. Was denken sich die „Täter“ wohl? Will man in Jahren hier durch knöchelhohen Müll wandern oder fahren? Denkt man, Bierdosen, Flaschen, Plastik, Windeln, Kram lösen sich in Luft auf? Man versteht es nicht. Um unseren Platz herum ist, sieht man von unzähligen Glasscherben ab, kaum Müll. Große Tonnen stehen bereit. Die wurden heute morgen von einem LKW angefahren und geleert. Bezeichnend ist aber, dass der Müllmann ein Bonbon auspackte und tatsächlich das Bonbonpapier einfach wegschmiss.

Am Womo wieder angekommen, haben sich etliche Familien eingefunden, die picknicken, aber wie. Da wird gehörig aufgetischt mit Tischdecke und sogar Blümchen in der Vase. Man verweilt nicht sehr lange, isst quasi und packt wieder zusammen. Alle werfen brav ihren Müll in die Tonnen. Mehrfach wird uns Essen angeboten, das wir aber dankend ablehnen. Allerdings bei der letzten Schar gelingt es uns nicht, obwohl unser Essen schon fast gar ist. Nichts lassen sie gelten, bringen einen Teller mit Grillfleisch, Brot und 2 Becher Cola. Auweia … sie haben ein kleines Mädchen dabei, und ich habe in den Tiefen des Womos ein paar Sachen für Kinder dabei, kleine bunte Blocks mit süßen Hündchen drauf, bunte Stifte. Davon angeln wir etwas hervor, und geben es mit dem gespülten Teller zurück. Das hat zur Folge, dass der nächste Teller zu uns rüber wandert, gefüllt mit Chips, Kuchen, Kernen und Tee. Ja sag mal … wir erzählen etwas, ein Paar kommt aus Ankara, sind mit Cousine, die hier lebt, unterwegs zum Grillen am See. Mit guten Wünschen für uns fahren sie wieder ab, entsorgen in die Tonne, hinterlassen nichts, machen Platz für die nächsten. Und das sind z.B. die Burschen von gestern, sie hängen sich wieder eine Lampe in die Laube, laden sich den Tisch richtig voll, drehen die Mucke auf, sind fröhlich, winken und freuen sich, speisen, haben mächtig Spaß und quatschen lautstark die halbe Nacht, was uns nicht im Geringsten stört.

22.05.2022 Sonntag

Trotz ähnlicher Bilder um uns herum, verlockt uns der Ort, doch noch einen weiteren Tag zu bleiben und zu schauen, was er uns bringen mag. In der Nähe streckt ein Hund seinen Kopf aus dem struppigen Gebüsch. Es dauert nicht lange, Gustavo bemerkt ihn und bellt, wie üblich. Erst als sich der Hund wieder hinlegt, gibt auch unsere Knalltüte Ruhe. Die Hälfte der Wanderstrecke um den See herum hat Wim nach dieser Sichtung Mühe, ihn irgendwie zu kontrollieren, er wittert vermutlich jede Menge Neues. Ein schon mal angedachtes Freilaufen wird auf unbestimmte Zeit vertagt, muss vertagt werden, leider. Und ich mag keine „Hund-an-Leine“-Fotos. Aber was will ich machen? „Hund-um-Krater-suchen“-Fotos sind noch schlimmer. 

Ich kümmere mich stattdessen um sich nicht bzw. kaum bewegende Objekte. Pflanzen sind ja da sehr dankbare Motive. Wasservögel, Felsen und stille Wasser auch. Und ein sonntägliches Stoßgebet in den Hundehimmel wird hoffentlich von unserem Bazou erhört, und er sendet eine ordentliche Portion „Gelassenheit“ hinab auf die Erde für seinen Nachfolger Gustavo. 

Im Himmel aber scheint man etwas durcheinander geworfen zu haben. Statt „Gelassenheit“ schickt man uns „Braut und Bräutigam“, ein wunderschönes glückliches Brautpaar. Aus einem Kleinwagen entfaltet sie sich in blutrotem Samt, das Geschmeide auf Ihrem Kopf und die goldenen Bordüren auf Ihrem Kleid funkeln und strahlen in der Sonne. Die beiden gehen locker miteinander um, albern, richten sich aus in für den Handyfotografen passenden Posen. Einfach ist das nicht an diesem sehr abschüssigen Hang zum See hin. Eine Brautjungfer kümmert sich um den tadellosen Fall des wallenden Gewandes, lässt den Schleier wehen für den besonderen Effekt. Es ist schön mit anzusehen. Und die nun folgende Fotostrecke ist entsprechend auch eher etwas für die Damen unter uns. 

Die Herren dürfen jetzt wieder zuschalten. Nämlich zur Imbisszeit am Nachmittag fährt Wim per Rad nochmal die Tanke am Kraterrand an. Er kommt zurück mit leckerer Hühnersuppe, Extra-Portion Zitronen, vier kleinen Broten und zwei mal Milchreis. Kostenpunkt: 80 TL = 6 €. 

Während der Nahrungsaufnahme finden sich immer mehr Picknicker ein. Komisch ist, dass die türkischen Familien wirklich nur zum Essen kommen, keinesfalls zum Spazieren. Autos fahren vor, meist steigen so viele Personen aus, dass man nicht weiß, wie die sich wohl im Wageninneren gefaltet haben müssen, man rennt sofort zum Ufer runter, schon mit Handy im Anschlag, Selfie, und ab zurück an den mit Decken oder Pappe gerichteten Essplatz, falls man nicht eine der begehrten Lauben ergattern konnte. Ein Kleinbus kommt an, aus dem gefühlt ein ganzes Dorf springt. Unglaublich, locker 30 Personen. Man feuert sofort einen mitgebrachten Grill mit Doppelfunktion: Rost für Fleisch und Öffnung für Teekessel. Und dann geht‘s ab, dann qualmt es. Schön, das so aus der Nachbarschaft zu beobachten und hier und da zu erzählen.

Als das Wetter plötzlich umschlägt, dunkle Wolken aufziehen und stark windet, ist der Platz schnell wie leer gefegt und wir sind wieder allein. Selbst ein ankommender tarnfarbener Pickup mit Aufsatzkabine verabschiedet sich wieder nach einer Runde um den See. Wenn solche Weißware wie das Concördchen hier klebt, ist es ihm wohl nicht abwegig genug. Schon sicher, dass sich in der leicht aufziehenden Dämmerung nichts mehr tut, braust ein weißer Pickup an und parkt neben uns. Auf der Pritsche hat er einen Sack Holz, mehrere Tüten, einen Grill, Wassertank, eine große Rolle klare Plastikfolie, einen Sack Zwiebeln und mehr. Drei Männer steigen aus, laden alles ab, grüßen freudig mit Hand aufs Herz. Und dann geht es ran an den Speck. Yussuf, wie er sich später vorstellt, offenbar der Gastgeber oder zumindest „Anführer“, richtet den Grill, aus dem bald hohe Flammen schlagen. Die anderen kümmern sich um Gemüse, schnibbeln und wickeln in Alufolie. Zwischen zwei Rosten eingeklemmt wird das Fleisch immer wieder gedreht über dem Feuer. Während man alle Hände voll zu tun hat, genehmigt man sich Löwenmilch … Raki gehört zur „blauen Stunde“ dazu, die heute eher grau ausfällt wegen dichter Bewölkung. Fladenbrot wird gefüllt und nochmal gegrillt, und es scheint allen gut zu munden. Aber wozu dient die Klarsichtfolie? Was wollen sie damit anstellen? Tja, zur Seeseite hin blästert es. Zur Vermeidung von Durchzug wickelt man in breiten Bahnen die Folie um die Pfosten der Laube hin und her, bis die Seite geschlossen ist. An alles wurde gedacht. Nun sind wir dran. Yussuf steuert auf uns zu, stellt sich vor und kündigt an, uns mit Essen zu versorgen. Nix da, keine Absage möglich, Wim kommt mit knusprigen Hähnchenteilen zurück, und einer der Männer reicht noch ein Brot nach. Meine Güte, müssen wir verhungert aussehen. Da ich den Männern nun ungern ein Blöckchen mit Welpenbildchen als Dank geben will, beschränken wir uns auf sehr herzliches Dankeschön und lassen uns die Hühnchenteile schmecken. Und der Tag verabschiedet sich für heute, das Feuer nebenan brennt noch lange, und immer wieder trudeln neue Männer ein. 

23.05.2022 Montag

Neue Woche - neues Spiel. Weiter geht‘s. Genug Vulkan. Ein paar Blicke zurück auf dieses wunderschöne, dunkel geränderte blaue Auge und die Überlandstraße hat uns. 

Flach ist es hier oben, flach wie ein Teller. Eine riesige weite Ebene mit sehr spärlichem Bewuchs zieht sich, und uns gleich mit. Große Schafherden werden gehütet unter wachen Augen großer Hunde. Zu sehen sind auch wieder einige der schrecklichen Zeltunterkünfte. Menschen stehen teilnahmslos herum. Pures Elend. Ob sie auch Lohn und Brot finden in den sich anschließenden gigantisch riesigen Solarfeldern, die zur Rechten eine unübersehbare Fläche einnehmen, zum Teil fertig und zum Teil im Bau befindlich sind und kein Ende in Sicht, in denen haufenweise gelbe Punkte werkeln, nämlich Männer, die unter leuchtend gelben Schutzhelmen stecken. 

Zur linken Seite und auch irgendwann am Ende der für Solaranlagen geplanten Gebiete sind viele kleine bäuerliche Anwesen angesiedelt. Da, wo Wasser fließt, wo Bewässerungsanlagen laufen, da grünt es üppig in sattem Grün. Dazwischen liegen steppen- bis wüstenähnliche Böden, auf denen kaum etwas wächst. Eine Storchenschar stakst darin herum. Weiß der Geier, wonach sie suchen. Irgendwie haben wir in der Schule gelernt, dass ihr Lebensraum eher im sumpfigen Gelände liegt. 

Nur wenige Ortschaften liegen an der Strecke, die wir trotz widerspenstigem Weigern unseres Navis genommen haben. Als dünne weiße Linie wird diese Straße angezeigt, Grund genug wohl für Rüdiger, uns darüber nicht navigieren zu wollen und stattdessen wieder die Landstraße ein Stück zurück und über die Autobahn. Demnach leicht zweifelnd wählen wir aber trotzdem die schmale weiße Route und werden nicht enttäuscht, denn, anders als von den breiten Überlandstraßen aus, können wir in viele Höfe Blicke riskieren und Eindrücke vom dörflichen Leben mitnehmen. Hier geht es vordringlich um Viehhaltung und Rinderzucht. Man sieht große Stallungen und kleine „Höhlen“ für Kälber. Grün muss zur Sicherung der Verpflegung der Tiere angebaut werden. Schwere Traktoren sind im Einsatz, die größenmäßig oft die Größe der Häuser und Hütten übertreffen. 

Sinn der überall in der Gegend in den Orten und außenrum abgekippten Müll- und Bauschutthaufen erschließt sich uns nicht. Auch dieser Unrat wird sich niemals in Luft auflösen, kostet letztlich wertvolles Ackerland und sieht einfach zum Kotzen aus, anders wollen wir das bewusst nicht ausdrücken. Natürlich verkennen wir nicht, dass die Bevölkerung für solche „Überreste“ etwas finden muss. Aber in dieser Weite könnte es doch Sammelstellen geben, damit man nicht zwischen 27 und mehr Schutt- und Müllhaufen um einen herum leben muss. Es ist ein Problem unterwegs, zumindest für uns, das man nicht verniedlichen kann, das wir auch erwähnen möchten wie alles andere. Ob und inwieweit es den Reisenden belastet und Reisefreude beeinträchtigt, kann nur jeder für sich entscheiden.

Die offensichtlich nicht so alten Häuser stehen zumeist inmitten eines Ensembles aus flachen Lehmbauten in unterschiedlichen Erhaltungszuständen. Überall finden sich auch Ruinen und Grundmauern auf den Grundstücken, die auf eine Vielzahl weiterer Lehmhäuschen hindeuten. Ich las, dass ein einmal gedecktes Haus nicht abgerissen werden dürfe, was erklären könnte, warum wackeligste Fragmente stehen gelassen werden, in denen Hühnerscharen gackernd herum picken, Esel treu und brav und stumm herum stehen, Katzen Bäuerinnen umschwänzeln und dicke Kangal-Brummer alles im Blick haben. Das sind Bilder, die erden. 

Die D 300 ist dank unserer Ignoranz der vorgegebenen Navi-Route letztlich auf schmalem Sträßchen mit passablem Belag gut und zügig erreichbar, so dass wir schnell auf unserem ausgewählten Lagerplatz auf dem CP Keravansalay in Sultanhani direkt neben Moschee und altehrwürdiger Karawanserei ankommen. 

Auf grüner Wiese lauschig unter Bäumen mit kleinen Sitzgruppen findet sich im von einer Mauer umschlossenen Areal ein schönes Plätzchen. Ein Mini-Restaurant gibt es, das wir abends testen werden. 

Tahir, der freundliche Besitzer, der den CP schon in dritter Generation betreibt, begrüßt uns herzlich, kredenzt uns Tee und lässt mich in einem großen Stapel Gästebücher von Mitte der 60er Jahre an blättern. Interessant, dass Gäste damals schon bis hierher zum Campen kamen und was sie so schrieben, Gesprächsstoff zum Abendessen, das lecker war. Schön und lustig war auch das Kennenlernen von Doris und Rüdiger, die mit ihrem selbst ausgebauten LKW sehr viel unterwegs sind. Wenn Wellenlänge stimmt, dann stimmt sie eben. Und stimmt sie nicht, hilft auch nicht der ausgeklügelteste Tropfen-Plan (für Insider). Falls Ihr es lest: nochmals allzeit gute Fahrt ! 

24.05.2022 Dienstag

Gestern bei Ankunft haben wir unseren kleinen Tjaffer sofort abgeladen. Und heute muss er ran. Besichtigung Tuz Gölü steht an. In ca. 30 km kann der südliche Bereich dieses immens großflächigen Salzsees erreicht werden. Bei 50 km Breite ist er 80 km lang und durchschnittlich nur 30 cm tief. Auch beim Salzgehalt legt er die Messlatte hoch, nämlich bis zu 36 % und damit 10 % höher als im Toten Meer. Unglaublich. Wir freuen uns auf den Ausflug, der über die D 300 hinweg ins Ländliche führt. Wirkte der Landstrich gestern schon total platt, heute umso mehr. Denn im Tjaffer hat man das Gefühl, im Vergleich zum Concördchen, mit der Nase über den Asphalt zu schieben. Und dadurch kommt einem alles noch flacher vor. Zwei Dörfer und eine Kleinstadt durchfahren wir. Gänse, Hunde, Rinder machen von ihren Rechten auf Vorrang Gebrauch. Die spärlich bewachsenen Ebenen sind bevölkert von vielköpfigen Schafherden. Hier leben Mensch und Tier von dem, was die Erde gibt. 

Bald geht es runter vom Asphalt und auf die Piste. Weites Land, schon leicht überzogen mit weißem, salzigem Puder, dem weißen Gold, das schon Römer und Byzantiner hier gewannen, und auf dem jetzt rechts an uns vorbei zur Freude von Gustavo, der kaum zu halten ist und den Tjaffer auseinander nimmt, eine stattliche Rinderherde galoppiert und reichlich Goldstaub aufwirbelt. 

Irgendein Sultan ließ schon 1639 im See einen Staudamm errichten, um die Salzgewinnung zu erleichtern. Heute wird das gewonnene Salz mit einer Schmalspurbahn zu großen Salzbergen befördert, in umliegenden Fabriken gereinigt und für den Versand fertig gemacht. Der Staudamm liegt allerdings zu weit entfernt für uns, wir steuern nach einem Spaziergang einen Aussichtspunkt an, von dem man auch Flamingos sehen könnte. 

Angekommen entpuppt sich der Ausblick auf das flirrende Weiß und das trügerische Vorgaukeln einer blauen Wasserfläche als sehr schönes Erlebnis. Chianga nimmt sofort in einem Rinnsal ein Bad bis Unterkante Bauch, pudert sich anschließend im Sand, sie klebt und glibbert und ist total eingesaut. Eine Flasche Wasser ist nötig, um sie wieder einigermaßen salonfähig hinzubekommen. 

Gustavo bleibt vorsorglich auf Abstand zum Wasser. Flamingos sind nicht in Sicht, nie sind die da, wenn man sie braucht, aber die trotz ungastlicher Gegend blühenden Blümchen und eine Ansammlung von - na was wohl? - Müll sorgen für einzelne Farbkleckse in dieser unwirklichen Landschaft. Die Rückfahrt beschert uns dann doch noch einen großen Vogel, der sich plötzlich aus dem Nichts vor uns in die Lüfte schwingt und kurz darauf hat Sultanhani uns wieder.

Zeit genug, dem historischen Prunkstück an der alten Karawanenroute die Ehre eines Besuchs zu erweisen: Sultan Han, eine festungsartige Karawanserei, erbaut im 13. Jahrhundert. Als eine von damals 12 Karawansereien zwischen Konya und Kayseri galt sie aufgrund der Ausmaße und der zentralen Lage an der Seidenstraße und am Karawanenweg als größte Karawanserei in Kleinasien. Sie diente, wie alle anderen, als Herberge, um Mensch und Tier mit allem Nötigen zu versorgen, wofür die Kaufleute allerdings auch eine jährliche Steuer zu entrichten hatten. Durch ein Erdbeben im Jahr 1950 wurden viele Teile des Gebäudekomplexes zerstört, inzwischen aber restauriert. 

So können wir durch ein kunstvoll reich verziertes Portal aus Marmor in einen rechteckigen Hof, in dessen Mitte eine kleine Mescit (Gebetshaus) steht, über altehrwürdiges Pflaster schreiten. 

An den Hofplatz schließen sich die Stallungen mit gleichen Ausmaßen an unter einem gewaltigen Dachgewölbe, getragen von 32 Säulen. Hier lagerten einst die Tragtiere der Karawanen. Jetzt im Moment überrascht uns ein Orchester. Eine größere Gruppe von Kindern musiziert unter Leitung einer äußerst strengen Dirigentin oder Musiklehrerin. Es ist sehr eingängig, zu den, wenn auch noch ungelenken Klängen der Instrumente zwischen den Säulen der Halle zu wandeln und sich vorzustellen, hier liegen die Tiere und rasten. 

Damals in der kalten Jahreszeit schliefen die Begleiter bei ihren Tieren, während der wärmeren Monate allerdings luftiger auf dem Dach, das sie über Treppen an der Hofmauer erreichen konnten. Vom Hofplatz aus gelangte man auch in das Hamam, die Vorrats-, Küchen- und einige Wohnräume sowie die Lagerräume für Handelswaren. 

Draußen schreiten wir noch die Reihe der goldenen Büsten verschiedener Sultane und anderer Ehrenmänner ab. Verwegene Burschen sind dabei. Aber dann ist Schluss mit Kultur für heute. Einen Kebab von über 30 cm ziehen wir uns noch rein, der sage und schreibe 30 TL kostete (zum Vergleich gestern am CP-Kiosk geholt = 300 TL !!). Irgendwie ein sehr starkes Ungleichgewicht. Aber damit genug der Preis-/Leistungsvergleiche. 

25.05.2022 Mittwoch

Freudig steckt mir Tarhin einen Glücksbringer an, der „alte“ Charmeur, verabschiedet uns mit einem Gläschen Tee und geleitet uns zur Tür. Heute ziehen wir in Zentralanatolien weiter nach Osten rund 100 km. Sein schönes Camper-Plätzchen ist nun leer. Aber morgen käme eine holländische Gruppe mit 24 Womos. Wims Augen weiten sich. Unsere treuen virtuell Mitreisenden wissen, dass ihm am Zusammentreffen mit Gruppenreisenden aus seinem Heimatland so rein gar nix liegt. Wir lachen, winken, und es geht am Teppichhändler vorbei auf die D 300 Richtung Kappadokien.