Ab in den Süden Tiznit > Westsahara

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Bewegung kontra Stillstand


Montag 12.02.2018

Gestern Abend habe ich den CP bezahlt, nun waren wir tatsächlich 7 Nächte hier, Tage, die wie im Flug vergangen sind, so schöne Tage. Diese wunderschöne Stadt mit ihren Menschen gefällt uns sehr gut, ein herrlicher Fleck, groß genug, um Weitläufigkeit zu spüren, klein genug, um alles zu überschauen. Wir werden wiederkommen, das ist sehr sehr sicher. Aber für jetzt ist erstmal Abreise angesagt. Wir ver- und entsorgen, werden herzlich mit Handschlag an der Rezeption mit „ami“ verabschiedet, und verlassen die schöne Stadt etwas wehmütig, eigentlich wehmütiger als mir lieb ist. Aber das zeigt wohl, dass ich mich sehr wohlgefühlt habe. Unterwegs lasse ich meine Internetkarte nochmal aufladen, Brot wird auch noch eingekauft, ebenfalls Küchenrolle und ein paar Eier, die es in Marokko übrigens fast ausschließlich lose gibt, man daher einen Eierkarton mitnehmen sollte. 

Hinaus aus Tiznit, an prächtigen Häusern vorbei, schluckt uns auf der P1909 Richtung Atlantik wieder abrupt die Wüstenlandschaft. Hinter der in dieser Region über viele Kilometer sich erhebenden Hügelkette zum Atlantik hin liegt dichter Nebel, eine weiße, weite Masse, nicht wie Schwaden, eher wie eine Gardine, die noch schemenhaft etwas erahnen lässt, aber alles eintrübt, der Sonne keine Chance lässt, irgendwie gespenstig und sehr unschön. 

So bieten sich uns leider keine grandiosen Bilder der Küstenlinie und der blauen Atlantikfluten, wir tasten uns im Schleichgang auf der abschüssigen Straße nach Aglou Plage hinab, stehen kurz auf einem Parkplatz, fahren aber sofort wieder weiter. Der CP, den wir passieren, ist rammelvoll, und der Ort macht einen trostlosen Eindruck mit seinen vielen Baustellen und öden Ferienhausansammlungen. Puh, hier möchte ich nicht abgemalt sein.

In die immer wieder aufblühende weiß-graue Wehmut über das Wegfahren aus Tiznit und das fehlende Meeresblau mischen sich das zitronige Grün der unzähligen blühenden Euphorbien und die vielfältig grün schattierte Kakteenlandschaft. Ich verdränge die Gedanken, welch eine Aussicht das alles erstmal unter einem blauen Himmel und vor den weiß schäumenden blauen Meereswogen sein würde, und richte mich wacker auf am leuchtenden Euphorbien-Grün in dieser Milchsuppe.

Vor einer, wie ich las, kaum genutzten Ferienanlage auf den Klippen sehen wir von Ferne viele Womos stehen. Wir fahren hin und überlegen, uns hier für den Rest des Tages aufzuhalten, aber das Wetter ist zu trüb und der Tag noch zu früh. Es wird daher nur ein Fotostopp im tief unterhalb liegenden, vor sich hin verfallenden Fischernest. 

Kurz vor Mirleft stößt die gut zu fahrende Küstenstraße P1909 in einer Senke auf die schmale, aber neu ausgebaute R104, die wir letztes Jahr auch gefahren sind. Am Marabut in Mirleft und weitläufig drum herum wurden auf holprigem völlig unebenen Lehmboden Parklückeneinteilungen mit weißem Puder aufstreut, hier sorgt man wohl vor für die erwarteten vielen Besucher der kleinen sandigen Bucht. Unser Plan, hier vielleicht nächtigen zu können, wird ebenfalls wetterbedingt verworfen, auch wenn es in dieser Bucht sehr wild-romantisch aussieht, obwohl das angrenzende kleine Hotel sehr seltsam und wie ein Fremdkörper auf einem extrem grünen Hügel thront. 

In Legzira entscheiden wir uns, auf das Felsplateau mit den schon aus der Ferne sichtbaren Womos abzubiegen. Eine hohe Krempe muss überwunden werden, um der dorthin führenden zum Teil ausgewaschenen Piste zu folgen. Wir wägen ab, sind der Meinung, es klappt ohne Aufsetzen. Wim räumt ein paar dicke Steine aus dem Weg, setzt schräg an, und es gelingt. Wir rumpeln und schaukeln uns durch‘s Gelände, erkennen mehr und mehr, dass wir auf ein Aussteigernest zusteuern. Hier stehen etliche LKW- und Linienbus-Vehikel mit passender Besatzung, Hunde laufen herum, die umliegenden Ortschaften zeigen deutliche Spuren menschlicher Ansiedlungen, wir werden angeguckt, als  kämen wir vom Mond. Tja, zur falschen Zeit am falschen Ort, also Runde drehen und durch diese wie gärtnerisch gestaltete wunderschöne Naturlandschaft wieder zurück in die Zivilisation, die wir aber nur leicht geschockt erreichen, da wir beim nötigen schwungvollen Wechsel von Piste auf Asphalt aufsetzen und über die Krempe schrammen. Wims Prüfung ergibt aber, dass glücklicherweise nichts passiert ist, Tanks und Auspuff noch dran und dicht sind. Jetzt reicht es aber so allmählich für heute. 

Sidi Ifni wird angefahren, CP am Strand, viele Bilder schon davon gesehen, und schon ducken wir uns auf diesem CP hinter der halbhohen Mauer zum Strand und der hohen Klippe im Hintergrund. Die Sonne schafft es immer noch nicht, für klare Verhältnisse zu sorgen, es ist lau, windstill, bisschen blutleer alles. Ein Restaurant bietet Pizza an, die wir uns abends abholen, sehr lecker und preiswert für 40 Dirham. Allerdings sind die als Vorspeise georderten Tintenfischringe mit 70 Dirham sehr teuer und fast an zwei Händen leicht abzählbar. Passt zum Tag, der sich von uns aber wider Erwarten heute am Rosenmontag doch noch heiter verabschiedet, die Kölner Sitzung im Fernsehen ist nämlich toll, und wir singen die schönen Krätzjer und Lieder lautstark mit. Et hätt noch immer joht jejange ... 

Dienstag 13.02.2018

Augen auf, zeigt sich meerseitig keine Veränderung am Himmel, außer dass es etwas heller ist, was nicht verwundert, denn es ist ja früher Morgen. Es fällt also  nicht schwer, diesen Ort zu verlassen, nachdem wir bezahlt haben und uns von einem netten holländischen Mitcamper, der um Köln herum früher mehrere Blumengeschäfte betrieben hat, erzählen ließen, dass er solch ein kühles Wetter bisher niemals im Winter in Marokko erlebt habe, und er käme seit 10 Jahren. Tja, also weiter Richtung Süden, irgendwo werden wir es schon antreffen, das Mit-ohne-Arme-Wetter. In Sidi Ifni kehren und schaufeln sich die Männer wieder mal den Wolf. Wenn es hier regnet, muss das Wasser wohl die Gassen derart herunter schießen und Lehm und Dreck und Müll mit sich reißen. Die Anblicke der sehr maroden feucht-faulen Baulichkeiten gefallen mir nicht, da hilft auch das vorherrschende Blau-Weiß als Relikt der spanischen Kolonialzeit nicht. Die Bilder ähneln exakt denen vom letzten Jahr. Ich mag Sidi Ifni nicht, tue dem 20.000-Einwohner-Nest evtl. Unrecht, denn wirklich besucht habe ich es nicht. Aber sowas hat man schon mal, auch grundlos. 

Nach dem Ortsende geht es über die N12 hinauf und hinunter auf schmaler Straße mit wechselhaft gutem und schlechtem Asphalt durch wunderschöne Natur, steinige überdimensionale Gärten mit von der Natur so harmonisch arrangierter Bepflanzung begeistern uns total. Die Euphorbien sind noch nicht ganz so zitronig leuchtend aufgeblüht wie an der Küste entlang, stattdessen breiten sich in Senken und Mulden auf dem rostroten Lehmboden große gelbe Blütenteppiche aus. Alles wirkt saftig, fast wie Almen, und wir freuen uns für Mensch und Tier über die fetten Weiden, auch wenn das sicher ein kurzes Vergnügen sein wird. 

Wir passieren den Abzweig nach Sbouya, den wir letztes Jahr genommen hatten auf unserem Weg zur Kooperative, die Opuntien anbaut und verarbeitet. Dieses Jahr freue ich mich auf die im Ort Mesti befindliche Frauen-Kooperative Tafyoucht, die die Früchte der Arganien verarbeitet. Wir fahren in das kleine Straßendorf ein, halten an einem geschlossenen Laden für Arganöl, sehen dann glücklicherweise ein Hinweisschild zur Kooperative Tafyoucht. Wim parkt am belebten Straßenrand, ein beruhigendes Bild vermitteln die Menschen, die in Gesprächen miteinander gehen, stehen, sitzen oder an den Auslagen der kleinen Lädchen mit den Händlern plauschen. Über einen Platz hinter der Moschee erreiche ich einen ummauerten Hof und höre Frauengeplapper. In einem kleinen Arkadengang sitzen auf dem Boden fünf Frauen auf und zwischen bunten Kissen, Eimern, Säcken, Körbchen, in bunte Tücher gehüllt, mit Strumpfhosen, dicken Socken und ausgelatschten Tretern. Manche sitzen im Schneidersitz, andere strecken die Beine aus. Alle halten aber zwischen ihren Beinen einen Holzklotz, und knacken darauf mit einem Stein die Arganiennuss, deren Schale in zwei oder drei Teilen abplatzt und den flachen hellen Kern, das Wertvollste, freigibt, der in ein Körbchen wandert. Im letzten Jahr haben wir im Tal der Ammeln beim Besuch eines alten, wieder hergerichteten Maison Traditionell in Oumesnat gelernt, dass alles von der Arganiennuss verwendet wird, die äußere Hülle dient als Viehfutter, die harten holzigen Schalen feuern Öfen, und aus dem Kern wird das wertvolle Arganöl gewonnen. Die Frauen begrüßen mich freundlich, wir finden zwar keine gemeinsame Sprache, nicht einmal ansatzweise, aber es gibt keine Verständnisprobleme. Lustig und lachend tauschen wir uns aus. Sie zeigen mir an, dass ich auch um die Ecke schauen soll, was ich tue und mich in einem hohen Raum mit noch mehr auf dem Boden sitzenden Frauen in einem Farbenwirrwarr wiederfinde. Ich staune nicht schlecht, und alle lachen wir zusammen über mein Staunen. Eine Frau zeigt mir anschließend die Produktionsmaschinen und den Raum, wo alles Nichtverwendbare der Arganienfrucht geschreddert wird, sowie den Verkaufsraum, der sehr edel ausstaffiert ist. Überall ist es blitzsauer, kein Stäubchen zu finden, man kann vom Boden essen. Ich kaufe zwei Fläschchen Öl mit Orange zum Eincremen der Haut und zwei Gläser Honig. Per Handschlag, wie zur Begrüßung, verabschiede ich mich von jeder Frau und winke dem lustigen Frauengrüppchen zu, das sich während alledem wie automatisch weiter mit dem Herausknacken des Kerns beschäftigt.

Kurz vor Guelmim steigen wir hinab aus der hügeligen grünen Landschaft und erreichen eine tellerflache, riesig weite, sandige, reizlose Wüstenebene. Hinter dem Torbogen Guelmim umfahren wir den Ortskern, und es geht auf der N1 der Wüste entgegen.

Ja, endlich der Wüste entgegen, Sahara. Nach dem ersten Straßenschild „Kamele“ blicken wir auf hohe Wüstenberge, Stein- und Sandflächen, aber auch auf unzählige betonierte Wasserstellen am Straßenrand, riesige Wasserpfützen und Grün, richtiges saftiges Grün. Und Blümchen, richtige Blumen, Blütenteppiche in der Wüste. Deutlich erkennt man, dass die Erde an manchen Stellen noch dunkel von der Nässe durchzogen ist, auch hier hat es ja in den vergangenen Wochen stark geregnet.

Wir ziehen weiter mit Ziel Atlantik und Küste Richtung Tan-Tan über die weiten Hochebenen der Tafelberge. Es sind Aussichten und Bilder, deren beeindruckende Schönheit und Fremdheit sich kaum beschreiben lässt. Hellgoldene Bänder aus Sand ziehen sich zur Rechten an den Berghängen hinauf, zur Linken reihen sich mit kleinen Büscheln bewachsene Hügel an Hügel, in den Tälern erkennt man schmale Grünstreifen, der wohl oft knappen Feuchtigkeit folgend. Es herrscht reger Verkehr auf der schmalen, nicht immer guten und häufig stark ausgefransten Asphaltstraße. Karawanen moderner Art, aus Blech, kommen entgegen, sehr viele LKW sichern über diese einzige Route die Versorgung der Saharaprovinzen. 

Tan-Tan empfängt uns mit zwei riesigen weißen Kamelen am Stadtrand, unechte. Ich bin so begeistert, dass ich nicht mehr dazu komme, den Auslöser meiner Kamera zu betätigen. Beim Durchfahren der Kleinstadt staunen wir wieder einmal über das gepflegte Bild und die freundlich und einladend wirkenden Menschen und Straßenzüge. Wir besorgen Brot und passieren einen Laden, in dem man Avon Produkte kaufen kann, unglaublich. 

Und weiter geht es. Ich hoffe sehr, die Stelle, an die ich Wim jetzt lotsen werde, ist noch anzufahren und vor allem auch Übernachten erlaubt. Oft schaute ich mir zuhause Fotos davon an, wie oft habe ich diese Gegend per Google Earth überflogen. Kurz hinter Tan-Tan bzw. nach der Stelle, wo es links nach Es-Smara abgeht, biegen wir rechts ab, 25 km, immer geradeaus, Teerstraße, einsam, nichts, Steppe. Aber auch hier stehen gelegentlich tiefe Pfützen, die Straße ist gesäumt von gelben und blauen zarten Blümchen. Gelegentlich sieht man ein paar Schafe und Ziegen.

Man glaubt, alles rundum sei, so weit man sehen kann, platt und flach wie eine Flunder. Aber bei genauerem Gucken sieht man, dass es rechts nicht ganz stimmen kann, es scheint in eine Senke zu gehen, na ja, evtl. nur ein langgezogener Wulst parallel zur Straße, was sonst. Noch näher führt der Asphalt heran, und plötzlich blitzt etwas Blaues auf, tief unten, wird immer deutlicher, breiter und klarer, ein Canyon, das Mündungsdelta des Oued Draa. Ein umwerfend schönes Bild, Andacht, was ist das? Hier kann man das erspüren, was das ist! Blau in all seinen Schattierungen, wie eine Schnur aus Edelsteinen, gefasst in Sandgold, und ohne ein Ende. Unsagbar schön. Schemenhaft kann man ein paar wenige Wohnmobile auf dem Höhenzug erkennen. Ich bin sehr froh, zeigt es mir, dass es wohl gestattet ist, hier mehr als eine Stunde zu verweilen. Wir stellen uns dazu, sprachlos. Ja, das ist so ein wundervoller Moment, man erkennt, dass das Womoreisen genau die richtige, passende Art für einen ist. Hunde raus, Kamera raus, festere Schuhe an die Füße, Rundgang. 

Bauarbeiter sind zugange, ein großer Platz ist abgemauert, eine breite Rampe, eine Art Promenade, wird in den zum Atlantik auslaufenden Bergrücken betoniert. Darüber lässt sich gut die große Höhe von mehr als 100 m zum Strand überbrücken. Wir erfahren, dass hier ein Ort hergerichtet wird, der den Marokkanern als Festplatz für Ihre Pferde- und Kamelrennen dienen soll. Außerdem finden hier militärische Manöver statt. Sicher kann man dann mit dem Womo hier an der Abbruchkante nicht mehr stehen. Aber hier und heute sind wir glücklich, da zu sein. Ein junger sandfarbener kleiner Möpp mit schwarzen Ohren kommt gut gelaunt aus der menschenlosen Steppe zu Bazou und Chianga geschlendert, alle freuen sich. Abends verkriecht er sich in ein Bauarbeiterzelt. 

Immer mal wieder und blitzschnell drücken sich neblige Gischtschwaden über das Flussbett tief in den Bergeinschnitt hinein, so dass man keine Ufer mehr erkennen kann. Wir wärmen uns Kölner Braten auf, essen Gurkensalat und Kartoffeln dazu. Spät klopft es an unserem Fenster, ein freundlicher Soldat möchte Informationen, wie er sagt, von uns. Ich gebe ihm unsere Fiches, er bedankt sich brav und verschwindet wieder in der Dunkelheit. Es wird eine rauschende Nacht, ja, man kann die gewaltige Brandung sehr gut hören. 

Mittwoch 14.02.2018

Heute wird ein schöner Tag, so verspricht es jedenfalls der Himmel. Auf dem gegenüber liegenden flachen Küstenbergrücken erkennt man eine Dromedarherde. Die frei liegenden Sandflächen im Flussdelta werden von Vögeln bevölkert. Sie gleiten im Schwebeflug über das Wasser, unterhalb der Abbruchkante, wir haben Draufsicht, was man ja auch selten hat.

Nach dem Frühstück bewandern wir die Steppe, vorbei an einem Militärposten und einer aus dem Nichts auftauchenden Dromedarherde. Wir sehen, wie viele verschiedene Kakteenarten und Sukkulenten hier wachsen, wie sie winzige Blüten zeigen, neben gedrungenem extrem stacheligen Buschwerk auf dieser Sand- und Kiesfläche. Eine Ecke schöner als die andere. Zum Atlantik hinunter ziehen sich Wellen aus Sand, Dünen groß und klein, Sand bis zum Meer. Wasser und Wüste, gigantische Bilder. Große Muscheln liegen im Sand, wenige menschliche Müll-Hinterlassenschaften, vielleicht von den Anglern, die sich hier aufhalten. Seelenruhe überall. Ein paar Skelett-Knochen finde ich, ja, muss in der Wüste wohl so sein. 

Und die Hunde haben Spaß, Hunde lieben eben Sand. Sie rennen sich die Zunge aus dem Hals, balgen ohne Unterlass, pausiert mal einer eine Sekunde, fordert der andere ihn heraus. Es ist einfach, ich sage immer, der pure Luxus, unsere beiden so frei in solch einer Weite zu erleben, da geht Wim und mir das Herz auf und quillt über. 

Die Flut schiebt ihre Wogen immer stärker und weiter in das Delta hinein. Zurück am Womo ist das Flussbett fast ganz unter Wasser. Ein Gläschen Wein vor dieser Kulisse, in diesem Theater, in der Sonne, ein Gedicht. Mit weniger sollte man sich doch einfach nicht zufrieden geben, auch was das Abendessen anbelangt, es gibt heute mit Schinkenwürfeln und Käse überbackene kleine Zucchini, einfach lecker, dem Valentinstag angemessen. 

Donnerstag 15.02.2018

Angesichts der heute morgen wieder seltsamen milchigen und kühlen Witterung packen wir auf und bleiben nicht, wie geplant, einen weiteren Tag an dieser herrlichen Stelle. Wir fahren vom Delta über die flache Steppe zurück bis zur Kreuzung und setzen die Fahrt über die N1 fort. El Ouatia ist schnell erreicht, wir kaufen Brot, Wasser und Gemüse ein und wechseln € in Dirham. Hier in dieser Stadt befindet sich das nationale Meeresforschungsinstitut, hier werden landesweit, neben Laâyoune, die größten Fischmengen gefangen. 

Ein paar CP liegen zum Strand hin, wir finden sie nicht ansprechend, aber benötigen auch noch keinen Platz für die Nacht, so dass wir weiterziehen. Die Straße führt direkt am Meer entlang, und einige Womos stehen im Küstenbereich herum. Im Nebel erkennt man eine größere Ansammlung. Wir biegen in diese Richtung ab und stellen uns irgendwo dazu, Motorhaube vom Meer abgewandt. Heute sind wir nicht weit gekommen, aber auch mal schön, obwohl die Sonne leider nicht mitspielt. So kann ich in Ruhe einen Nudelsalat für abends machen, meine Reiseberichte schreiben und auf die Website stellen, was mangels Netz am entlegenen Oued Draa nicht möglich war. 

Wim kommt von seinem üblichen Erkundungsgang zurück. Die Brandung zieht sich merklich zurück, es ist Ebbe, schroffe Felsplatten liegen nun frei im Sand, man erkennt haufenweise Muscheln. Also los zum Muscheln pflücken. Über eine kleine Anhöhe erreichen wir die Muschelbänke. Jetzt zeigt sich mal wieder, was mein Mann vom Meer so alles kann: zielsicher taucht er ab, drei Punkte am Fels, und mit der freien Hand wird gepflückt was das Zeug hält. Ich unterdessen stapfe knöchelhoch durch knirschende Muschelschalen, die von den Wellen zu riesigen Haufen aufgetürmt wurden und in einem schönen Blaugrau einen tollen Kontrast zum sandfarbenen Gestein bilden und das triste Wettergrau beleben. Wo Wim gerade voller Begeisterung auf den Knien herum weidet, lässt sich gut an seinem blauen Plastikbüggel erkennen. Die Hunde gehen ihm dabei gerne zur Hand, wobei Bazou ihm fast bei einem ganz engagierten Einsatz die Brille von der Nase gerissen hätte. Das wären teure Muscheln geworden, wenn die Brille auf Nimmerwiedersehen unter irgendwelchen Felsgesteinen im Meer versunken wäre. Richtig große Schneckenhausmuscheln liegen am Strand herum, groß wie eine Hand. Praktisch, dass ich eine Jacke mit Taschen trage, so werden die erstmal vollgestopft. 

Glücklich mit der Ausbeute latschen wir zurück zum Womo und ärgern uns sehr über den ganzen Müll, der hier in der Gegend verstreut liegt. Eine Schande ist das, einfach entsetzlich, dass keine anderen Lösungen gesucht werden. Wim bereitet dann die Muscheln zu, die lecker schmecken, wenn auch sehr klein sind. So muss noch ein Teller Nudelsalat herhalten. Draußen stürmt und pfeift es ganz ordentlich. Ich hoffe, dass es nicht noch regnet und der Boden aufweicht, dann könnten wir hier Probleme bekommen. 

Freitag 16.02.2018

Freundlicher als gestern und strichweise blau zeigt sich der Himmel heute morgen, aber nicht verlockend genug, unseren Plan, weiterzuziehen, umzuschmeißen. Irgendwie vermissen wir in diesen Wochen eine mal wenigstens 2 Tage kontinuierlich schöne Wetterlage. Das wochenlange Kölner Grau kommt dann schnell in Erinnerung, Wärme und Sonne würden uns sehr freuen. Sie ließen auch weniger schöne Ecken sympathischer erscheinen, wie diese hier, die durch den Müll eben an Reiz stark einbüßt. Leidvoll sind Gedanken, über wieviele Tausende von Küstenkilometern auf der ganzen Welt ähnliche Zustände herrschen. Was kann man selber tun? Tagtäglich fällt im Womo auch ein Haufen Müll an, obwohl man ja unterwegs den ganzen Werbepapiermüll nicht wie zuhause hat, man vieles lose in eigenem Einkaufsbeutel, eigenem Eierkarton einkauft, kaum etwas verpackt oder gar doppelt verpackt ist. Und dennoch, Mülltüte zack und voll. Also auf geht‘s, neues Ziel, neues Glück. Ganz dicht an der Küste entlang verläuft die N1 über ebenes Steppenland, das immer vegetationsärmer wird, und in Sicht- und Hörweite zum Atlantik hin hoch und steil abbricht. Auf dieser gewellten Küstenlinie stehen Angler hoch oben auf den Klippen mit riesig langen Angelruten und warten auf den Anbiss des Tages. Todesmutig müssen sie dabei in die Tiefe blicken, in die tosenden Fluten und die hoch aufschäumende Gischt, die immer wieder in wilden Schwaden hoch oben über die Straße gepeitscht wird. Einen Stopp können wir leider nicht einlegen, die Krempen am Straßenrand sind zu hoch, der Verkehr auf der schmalen Straße zu stark, als dass man einfach am Rand anhalten könnte, um mal zu sehen, was und wie die Fischer so fangen. 

So genießen wir die Natur, was trotz der vielen eintönigen Steppenkilometer gut gelingt, da in kurzen Abständen tiefe Einschnitte in Senken führen, in Oueds von atemraubender Schönheit. Dazu zählt ganz sicher der Mündungsbereich des Oued Foum Chbika, der rechtsseitig von Wellen aus Wüstensand begrenzt wird. Das wirklich Wahnsinnige ist, dass man wie auf einem Tablett dahin fährt, aus dem Nichts „oh, da vorn kommt ein Hubbel“ sagt, es abwärts rollt, und sich, sobald man aus dem Felseinschnitt heraus kommt, zur rechten Seite solch ein Bild auftut, Dünen, heller feiner Sand, etwas Gebüsch, blauer Horizont, Meer, schneeweiße Gischt, ein Flusslauf, tintenblau gefüllt, der nach links in der Unendlichkeit zu verschwinden scheint. So holpert man glotzend und staunend am Fuß der Senke durch eine oft rissig-löchrige Furt und schwingt wie von alleine an der anderen Seite wieder hinauf auf die Wüstenebene. Meinem, oben angekommen, herausgepressten „Ist ja Wahnsinn“ folgt meist das von Wim bestätigende „Ist ja nicht zu glauben“. Ach, sich einig sein, immer wieder eine Er-fahrung wert. 

In diese Gedanken schiebt sich der nächste Hubbel, an dessen anderem Ende auf der Klippe Womos deutlich zu erkennen sind. Jetzt gilt‘s, bloss Zufahrt nicht verpassen und die Lücke im Fels nur ja nicht übersehen. Wir schaffen es, rechts ab, rein rumpeln. Wim betätigt unsere Niveauregulierungsvollluftfederausgleichsautomatik und pumpt unseren Dreiachser in den Modus „Offroad“, klingt gut, ist es auch. Jedoch haben wir die „Anlage“ noch nicht ganz im Griff, etliche Pumpversuche gehen auch ins Leere, lösen sich in Luft auf, üben ist angesagt. Hochhackig schleichen wir im Schritttempo über den Fels und finden unschwer eine gute Position auf dem fast leeren Parkstreifen. Herrlich, auch das Wetter reißt auf, Sonne pur, Naturgewalten um uns herum. Hier lässt sich der Tag genießen. 

Wir wandern die Klippen entlang, tosend und donnernd schlagen die hohen Wellen in das löchrige Gestein, meterhoch schießt die Gischt, als hätte man hier unterirdische Detonationen, tiefe Höhlen sind ausgewaschen, und der Küstenabbruch schlängelt sich wie ein urzeitliches Seeungeheuer dahin, fauchend und schäumend. Auch hier haben sich die Fischer Domizile errichtet, aber es ist keiner zuhause, mit dem wir kurz ein Schwätzchen halten könnten, um zu sehen, welch ein Mensch sich solch eine Bleibe geschaffen hat. 

Wim klettert später noch mit den Hunden durch das Klippengeröll vom SP hinab in die sandige Bucht. Ich schau meinen Lieben nach und folge ihnen mit meinem Teleobjektiv. Schön, dass wir hier einfach angehalten haben und verweilen.

Eine alleinstehende Orange dümpelt im Womo noch vor sich hin, die sich für eine neue Sangria opfert. Ach, man braucht ja so gar nicht viel, aber nach dem heutigen Rest Nudelsalat muss morgen unbedingt wieder mal was anderes her. Abends begrüßt uns der SP-Besitzer freundlich und kassiert 20 Dirham, währenddessen im Abendlicht eine kleine Schafherde unbeeindruckt an uns vorbei stolziert auf dem Weg zum heimatlichen Lager. 

Samstag 17.02.2018

Man könnte sich ja über das Wetter auslassen, und ich tue das auch. Heute morgen ist wieder alles zugezogen, die Sonne scheint verreist zu sein. Unser Blick geht, obwohl die Fensterscheiben im Womo nicht beschlagen sind, ins Lichtgraue, um es mal schmeichelhaft auszudrücken. Ach, das ist ein Elend. Komisch ist, dass ich nie „wetterfühlig“ war, dass mir die Wetterlage nicht viel ausmachte, mich nicht beeinträchtigte. Aber nach den wirklich fiesen grauen verregneten Monaten im Kölner Wetter scheint sich in mir eine Wendung vollzogen zu haben. So denke ich schon mal darüber nach, warum es derart nervend ist, so tief im Süden keinen Frühling sehen und fühlen zu können. Zu diesem Thema passt exakt, dass uns ein Mann erzählt, seit 60 Jahren habe es in Marokko keinen so kalten Winter gegeben. Klimawandel, ja, Trump sei Dank, seinem fundierten Wissen nach gibt es sowas nicht. Daher wünsche ich ihm in diesen Minuten einmal „Land unter“ mit Eiswind auf seinen Golfplätzen. Gerecht ist das zwar nicht ganz, was ich so wünsche, ich lache innerlich, freue mich, einen „Prügelknaben“ gefunden zu haben. Und tatsächlich geht es mir besser. Der Plan, nachmittags zu grillen, fällt flach; Strümpfe müssen über die Füße, und die Gemütlichkeit unseres Womos wird getestet, unterbrochen von ein paar kleineren Runden über die Klippen. Weiterfahren ist heute keine Option, man kann auch nicht immer davonlaufen, man muss sich auch mal Situationen stellen, die Stirn bieten, dem Himmelsgrau in die Augen schauen, David gegen Goliath. Oder ein Tag für das gute Buch, den guten Wein, das gute Gespräch, klappte aber auch nicht so recht. Dafür klappte die Bolognese bestens, versöhnte uns in tomatigem Frischrot mit diesem himmelsgrauen Tag. Gute Nacht.

Sonntag 18.02.2018

Die freundliche, gesprächige Wienerin von nebenan, die mit ihrem Gemahl schon weit runter bis zum Senegal war, ruft uns beim Motoranlassen zu, die Schüssel sei noch nicht eingefahren. Was ein Glück, also einfahren, und nicht mit „Pleiten, Pech und Pannen“ in den Tag starten. Wir holpern vom Sandplatz und mit Schwung über die Krempe auf die N1, der Linie der Steilküste folgend.

Nach kurzer Fahrt geht es hinunter ins nächste Oued, in die Senke des Oued El Ouaar, und siehe da, da stehen welche, wunderschön, hatte schon mehrfach darauf gelauert, auch weil die Wienerin erzählte, im Oued Ma Fatma könne man oft welche sehen, und wie herrlich sie sind, die Flamingos. Eine Schar frühstückt in der rechts von uns liegenden Lagune zum Meer hin. Wunderschön. 

An einer der drei direkt nebeneinander in der Einsamkeit liegenden Tankstellen tanken wir. Wasser müssten wir bunkern, es gibt aber nur das von zwei Kätzchen bewachte Wasser in Flaschen. Also dann eben eine Ladung davon, und weiter geht‘s bis zu der Stelle, unmittelbar an der Straße gelegen, an der wir in das „Auge des Teufels“ gucken wollen. Ja, eingezäunt liegt es da, das Teufelsauge, im flachen Klippenland, weit aufgerissen, riesengroß, dunkelgrün, schroff gerändert. Ein rundes tiefes großes Loch, ausgespült und geflutet von den atlantischen Wellen. Puh, da möchte man nicht reinfallen, grausig. Im bunten freundlichen Örtchen Sidi Akhfennir kaufen wir Brot und Gemüse und fassen an der Tankstelle Wasser, kanisterweise aus dem WC-Häuschen, sogar einen Gebetsraum gibt es hier. 

Im Verlauf sehen wir viele Fischer, viele windzerzauste Zeltgebilde auf den Klippen, die Landschaft wird zunehmend sandiger, immer weniger Bewuchs ist zu sehen, stattdessen die wogenden riesigen Wehen aus Wüstensand im Parc National de Khenifiss. Die Straße verläuft nun in weitem Bogen viele Kilometer um die Lagunenlandschaft herum, Salinen glitzern in der Sonne, ja, sie ist da, die Wüste, und mit ihr das Himmelblau. Ein leicht surreales Bild auf jedem Meter, hier mit einem „normalen“ Wohnmobil unterwegs zu sein, geerdet durch den uns vorausfahrenden LKW. 

Trotz Sonntag herrscht reger Verkehr. Wim muss ständig in Hab-Acht-Stellung sein, die Fahrbahn ist immer eng, die entgegen kommenden LKW forsch und breit, der Belag wie häufig seitlich stark ausgefranst mit scharfer Kante. Die Route geht abwärts, von den Klippenhöhen hinab fahren wir nun direkt am Meer entlang, lassen Tarfaya rechts liegen und folgen mit Blick auf vielköpfige Dromedarherden der N1 ins Land, vorbei an Windradanlagen und unzähligen Strommasten und dem Grenzort zur Westsahara Tah. Rechts liegt der Sebkha Oum D‘ba, ein großflächiger, weiß glitzernder Salzsee, umrahmt von steilen sandfarbenen Felswänden. Viele Salinen und Salzhaufen kann man erkennen, hier wird Salz abgebaut. 

Nach dem Ort Daoura verlassen wir den Asphalt und folgen der rechts abgehenden Piste, die Vertrauen erweckend mit dem Ziel Le Camp Bedouin lockt. Es sind knapp 5 km, Sand, flach dahingehend, trocken und fest. Wir schaffen es leicht und rollen - leicht froh - souverän und Schwitzhände am Hosenbein abreibend zwischen die Beduinenhütten. Farblich passen wir ja gut hierher, aber außer uns steht da nur ein Allrad-Jeep. Nun gut. 

Die gigantische Landschaft rund um uns in diesem Nichts, dieser Weite, lässt den Hier-wollen-wir-nicht-mehr-weg-Gedanken zu. Genuss, die sandigen Hügel, mal wie Nordsee, irgendwie würde auch Atlantik passen, dann dieser Tafelberg, eindeutig nichts Holländisches, der Salzsee, die Quelle, salziges Wasser in einem Wasserfall, ja, da fehlen die Worte, die Vergleiche. Wunderwunderwunderschön. Mehr nicht.

Abends rollt auf dicken Schlappen noch ein schwarzer Jeep mit Dachzelt und marokkanischem Kennzeichen ein. Das leicht überrascht wirkende Grinsen der beiden Männer darin werten wir so, dass sie entweder von den Socken sind, dass hier solch ein Joghurtbecher steht, oder aber, dass es auch Kölner bzw. wenigstens Rheinländer sind. Und Letzteres trifft zu, aus Bonn ist einer, was für ein Zufall. Sie durchkreuzen offroad ab Marrakech das Land. Spannende Sache. Für abends nimmt der Strahlemann vom Camp, Murat, unsere Essensbestellung auf. Wir wählen die Tajine mit Dromedarfleisch. Muss ich erwähnen, dass auch die eine Erleuchtung war und unsere Gaumen restlos begeistert hat mit ihrem zarten köstlichen Fleisch, den geschmorten Datteln, dem Sesam und dem Hauch von Vanille und Zimt? Ein Tag, der keine Fragen offen lässt, geht zu Ende in dieser Abgeschiedenheit und Stille. Nur einen offenen Punkt nehme ich mit in die Nacht: „Hält das Wetter, hält der Untergrund?“ Lieber Himmel ... 

Montag 19.02.2018

Still, wie alles hier, geht die Sonne auf. Blau, warm, still. Frühstück findet draußen statt, was bisher in diesen Wochen nicht häufig vorkam. Die beiden im schwarzen Jeep räumen herum und falten ihr Schlafdach zusammen. Sie reisen heute weiter. Ein Schwätzchen ergibt, dass einer der beiden in Marokko lebt und für 4 Jahre als Botschaftsangestellter in Rabat ist. Wir kommen auf Gefährlichkeit des Reisens hier und Kriminalität zu sprechen. Es ist sehr interessant, welche Begebenheiten er zu erzählen weiß, dass z. B. die Angehörigen der Botschaft nur in absolut gesicherten Bereichen leben, alles verriegelt und verrammelt hinter Gittern sein muss, dass jeder einen Wächter im Schlepptau hat. Und dass ihn dann dieser Wächter nach und nach bestohlen habe, dass selbst der Botschafter auf offener Straße von einer Bande umstellt und mit Messern bedroht und ausgeraubt wurde. Die Polizei sei zwar sehr schnell mit ihren Ermittlungen. Er berichtet von einigen Fällen, in denen die Polizei die Täter und Hehler innerhalb Stunden geschnappt hätte und dass die Justiz in kürzester Zeit urteilen und zu hohen Gefängnisstrafen verurteilen würde. Man sei sehr bedacht darauf, alles, was den Tourismus beeinträchtigen könnte, abzustellen. Der sei nämlich, besonders was die französischen Reisenden angeht, extrem eingebrochen, erhole sich aber seit einem Jahr wieder etwas. Wir fragen uns, wieviele Franzosen denn dann wohl vorher hier waren; jetzt sind wir ja häufig nur die einzigen Deutschen irgendwo, allenfalls mal ein Holländer und ein paar Engländer. Aber im letzten Jahr hätten knapp 30 % mehr Deutsche Marokko besucht, Tendenz steigend. Ja, da können wir direkt an unsere Erfahrungen anknüpfen. Aufgrund unserer Reiseberichte in den Womo-Gruppen bei Facebook vom letzten Jahr haben sich gut und gerne 6 Paare für Marokko begeistert und sind gerade erstmals unterwegs, Tendenz ebenfalls steigend. Ein weiterer sehr interessanter Gesprächspunkt war das Beschenken. Nun gut, Wim und ich sind ja überzeugt davon, dass man den Menschen hier mehr hilft, wenn man eben nichts aus dem Womo lädt und verschenkt. Es ist für uns genau die falsche Richtung. Jetzt hatten wir ja aber trotzdem ein paar Kisten Kleidung und Schulkram dabei, weil wir von Thomas Friedrich gehört hatten und dessen Initiative gut fanden. Dabei war uns aber ein Aspekt, den uns der Bonner Mann, der jahrelang auch für Hilfsprojekt in der ganzen Welt zuständig war, gänzlich nicht bewusst, dass nämlich durch unsere Klamotten - und man wird schon ganz explizit wegen Markenware angebettelt - das Begehren nach solchen Dingen kräftig angeschoben und unterstützt wird; im Gegenzug sorgen wir quasi dafür, dass die Menschen hier - vor allem Kinder und Jugendliche - keine sogenannten No-name-Kleidung mehr tragen wollen mit der Folge, dass der Industriezweig, den es natürlich in Marokko auch gibt, total abstirbt, keine Menschen mehr beschäftigen und ernähren kann. Diese unsere falsch verstandene Hilfeleistung schadet ungemein, gefährdet Existenz und sollte wirklich überdacht und abgestellt werden. Eine weitere Auseinandersetzung an dieser Stelle führt zu weit, aber im Ansatz möchte ich es mir doch von der Seele schreiben und auf Einsicht der potenziell Schenkwilligen hoffen. Wir nehmen nichts mehr mit, aus Überzeugung. Manchmal muss man sich, um Einsichten zu gewinnen oder Ansichten bestätigt zu erhalten, in der Abgeschiedenheit eines Klosters aufhalten, uns reichte die der Sahara. 

Obwohl man ewig weiter miteinander hätte erzählen können, verabschieden wir uns herzlich voneinander, wünschen uns glückliche Weiterreise. Und dann sind wir allein, mutterseelenallein in diesem Camp, denn auch der nette Bursche vom Camp ist mit seinem Jeep weg, woran sich im Laufe des Tages auch nichts ändert. So haben wir hier alles für uns allein, so weit das Auge reicht, keine Menschenseele, nicht mal ein Kamel, das über den Bergrücken guckt. Wir spazieren herum, sitzen in der Sonne, mit dem Womo als Windschutz im Rücken ist es schon sehr warm. Ich lauere auf einen Besuch der herum zwitschernden Vögel, sehe zwei kleine Geccos vorbei huschen, verfolge die Salzwassertropfen des Wasserfalls und beobachte Fliegen. Welch eine Sinnlosigkeit, Luxus. 

Nach der Köstlichkeit von gestern muss die Womo-Küche heute mal was bieten. So kreiere ich Couscous mit Hühnchen-Paprika und Rosinen. Tja, Rosinen gehören nicht unbedingt in den Vorratsschrank eines Womos, aber in einem Päckchen Studentenfutter gab es welche, die ich einfach rausgefischt habe. Lecker war es, ich hätte ohne Weiteres auch noch ein paar zertrümmerte Erdnüsse darüber streuen können. Beim nächsten Mal dann eben. 

Dienstag 20.02.2018

Teils wolkig, so sagt der Wetterbericht. Und was zeigt sich am Himmelszelt? Aber eindeutig das, was wettertechnisch vorhergesagt wurde, nämlich hälftig blitzeblau, und die andere Hälfte wolkenweiß. Die weiße Hälfte verliert sich schnell in den Himmelsweiten, und das Blau, das verbleibt, lässt gut Pläne schmieden. 

Nach einem gelassenen Frühstück und Herumschlendern in der Sonne beschließen wir, eine hier im Camp, in dem wir immer noch die einzigen Gäste sind, angebotene 4x4-Wüstentour zu unternehmen, zu verlockend ist der Gedanke, dem in der Ferne flirrenden Salzsee und den Sahara-Dünen näher zu kommen. Da der Jeep unseres Campbetreibers, wie er uns begreiflich macht, einen Schaden hat, ruft er jemanden an, der die Tour mit uns machen wird. Kurze Zeit später braust Said heran mit seiner Toyota Allrad-Dampfwalze, die Hunde mitnehmen ist kein Problem für ihn, auf geht‘s zur 2-Stunden-Tour, aus der 4 werden. Er berichtet uns, wahlweise in Englisch, Französisch oder Spanisch, ganz stolz und zeigt auf ein Logo auf seiner Fleece-Jacke, dass er letztes Jahr den zweiten Platz in einem Motocross-Rennen gemacht habe, jede Ecke der Wüste kenne, sich so gerne in der Natur aufhalte, von Marrakech hierher der Freiheit der Sahara wegen mit seiner Frau und seinen 5 Kindern gezogen sei, zur Jagd und zum Fischen gehe und sehr sportlich auch mit dem Rennrad unterwegs und ernährungsbewusst sei, nicht rauche und keinen Alkohol trinke. Ohje, wäre diese Mischung aus Nahkämpfer, Joey Kelly, Krankenkassenernährungsberater und Marlboro-Man nicht so zugewandt und freundlich und sympathisch, ich hätte auf Von-ihm-chauffiert-Werden wenig Lust. Ein klein wenig huscht dann doch eine Ängstlichkeit über sein Gesicht, als er mit seinen untypisch und ungewohnt hellen Augen zunächst Chianga und einen Wimpernschlag später Bazou um die Womo-Schnauze im Sauseschritt herannahen sieht. Er schluckt, findet aber rasch die Coolness wieder dank der weit offen stehenden Fahrertür, hinter der er sich vorsichtshalber in Sicherheit bringt. So mit ausreichend Blech vor sich äußert er sich schwärmerisch zur Schönheit dieser Hunde und stellt Fragen über Fragen, was unserer Sympathie für ihn natürlich recht zuträglich ist. Der Laderaum ist groß genug, Hundekissen und Hunde rein, jetzt wird eingestiegen, sonst ist schon die Hälfte unserer Tourzeit futsch. Schnell gewöhnt meine Nase sich an den im Wagen wabernden Duft nach Sir Irish Moos mit starker orientalischer Note, während ich über die Sinnhaftigkeit der gestern Abend verschlungenen Chips nachdenke, nachdem ich waghalsig auf den hohen Türschweller geklettert bin und mich mittels Haltegriff am Fenster reichlich undamenhaft in den viel zu weit nach hinten eingestellten Beifahrersitz habe fallen lassen müssen. Ich versuche, mir ein abgeklärtes Lächeln zu entlocken, was ganz sicher nur bedingt gelingt, auch weil sich Gedanken an Bauch-Beine-Po-Training gnadenlos in mir breit zu machen versuchen.

Auf geht‘s. Wim sitzt hinten, er überlässt mir die bessere Fotografierposition. Der Motor blubbert, die Reifen scharren quasi, wir haben noch keinen Meter zurückgelegt, schon schlägt Said uns vor, was er uns dann morgen alles zeigen wolle. Wir bremsen ihn in seinem Redefluss, es geht erstmal um heute, um jetzt. Und damit ist es auch gut. Wir erleben eine phantastische Natur, einen Salzsee unterhalb sandiger Verwehungen, begrenzt irgendwo in der Ferne von flachen langen Wüstenbergen. Das sich uns bietende Farbenspiel lässt sich kaum in Worten beschreiben. Dieses Blau, das tatsächlich nicht existiert, ist nur dem Schattenspiel der Wolken zu verdanken. Es gaukelt Wasser vor, ich seh das Bild des in der Wüste Kriechenden, all seine Hoffnungen zerschellen am krustigen harten flirrenden Salz. Gnadenlos diese Vorstellung, gnadenvoll dieser Augenblick hier. Mein Gott, was für eine Welt! Said beobachtet uns genau, stolz ist er, unsere Begeisterung über den von ihm angesteuerten Punkt mitzuverfolgen. 

Einerseits könnten wir hier ewig schauen, aber Said hat noch etwas Traumhaftes auf Lager, also wieder einsteigen. Zunächst geht es zügig durch wegloses Steppenland. Diese Allrad-Fahrwerke sind schon eine tolle Leistung deutscher Ingenieurskunst, na ja, wir sitzen zwar in einem Toyota, aber egal, wir Deutschen sind die Automacher, was mich schmunzeln und zwinkern lässt, aber, als könne Said Gedanken lesen, von ihm dadurch bestätigt wird, dass er sich übermäßig lobend über Mercedes auslässt. Das sei ein Auto für den armen Mann, zwar teuer, aber es ging niemals kaputt. Und hier in Marokko sind sicher viele der Meinung, es fahren ja Tausende Mercedes, Tausende und Abertausende. Hin und wieder schnappt sich Said die Ausläufer einer Sanddüne und mahlt sich in Schräglage mit Wonne durch den goldenen Sand. Das macht so einen Spaß. Ich liebe alles was fährt. Die Hunde geben keinen Pieps von sich, sie sind Kummer gewöhnt, wer mit will, muss auch schon mal leiden, gerade hier im Desert. Stachelige Gebüsche werden überrollt, über Stock und Stein geht es sehr zügig dahin, alles wird recht komfortabel und Wirbelsäulen freundlich geschluckt. Gelegentlich sehe ich ein Dromedar, aber Wim drängt und will erstmal weiter. 

Ein nächstes Dromedar taucht auf, das Licht ist hervorragend, zu diesem will ich jetzt aber hin. Kein Problem für Said, galant und elegant schlägt er ein, mit nur einer Hand am Lenker, den linken Arm im offenen Fenster, ja, so wird hier gefahren, vor allem wohl beim Anpirschen auf ein einzelnes Dromedar. Langsam rollt der Wagen auf das hochbeinige rehbraune Tier zu. „Look, look, look“ ruft Said plötzlich aufgeregt. Und siehe da, vor uns auf einem kleinen Sandhügelchen, kauert ein junges grau-weißes Dromedärchen mit der Mama an seiner Seite. Was für ein Bild, was für ein Glück. Das Kleine erhebt sich schwankend und kommt nach etwas Sortieren in einen wackeligen breitbeinigen Stand. Ausbalancierend und noch mit einem Stück Nabelschnur unter seinem Bäuchlein streckt es den Hals und schaut nach seiner Mama. Sie steht ganz gelassen mit gutmütigem Blick daneben, scheint zu grinsen, wendet sich dann ab und schreitet gemächlich in die Weite, das Junge sehr ungelenk hinterher. Said meint, es könne kaum älter als eine Stunde sein. Du lieber Himmel, wie süß es ist, so flauschig und staksig, weiß noch gar nicht recht wohin mit den langen Beinen unter dem schmalen Körper, was aber mit jedem Schritt besser wird. Said umkreist die beiden ein paar Mal. Es macht ihnen nichts aus, sehr entspannt blickt die Mutter drein. Auch hier hätte ich noch ewig zuschauen können. Gelernt haben wir, dass die Mütter sich vor der Geburt von der Herde absondern, um das Kleine allein auf die Welt zu bringen. Entsprechend gilt: Siehst Du nur ein Dromedar, könnte ein Baby nicht weit sein! 

Die Fahrt geht weiter, Steppe, Steppe, Steppe zwischen Unmengen Sanddünen, lieblich geschwungen, strahlend unter dem Himmelsblau. Friedlich und unglaublich gelassen schreiten Herden von Dromedaren und suchen sich die besten Futterbüschel. Sie sind nicht angepflockt, haben keine zusammengebundenen Knöchel, wie wir das häufig gesehen haben, nein, sie leben also frei hier. Said erzählt, sie gehen manchmal nur ein Mal pro Woche zu ihrem Stall, dort wartet dann Brot auf sie, ansonsten können sie gut und gerne eine Woche ohne Wasser sein, je nach dem, welche Pflanzen sie fressen, sogar noch länger. 

Allmählich bemerken wir Plastikflaschen, Plastikfetzen, menschliche Siedlungen können nicht mehr fern sein. Wir steuern auf Häuseransammlungen zu, es werden mehr und mehr, ein Tal scheint davor zu liegen, und stopp an der Abbruchkante. Der Toyota gehorcht auf‘s Wort. Aussteigen und genießen: vor uns breitet sich Laayoune aus, langgestreckt mit einem tief unten liegenden, breiten und sandigen Flussufer. In einigen blauen, wasserführenden Flussrinnen stehen Flamingos. Fangzäune sollen wohl die totale Versandung verhindern. Eine gigantische Draufsicht und Ansicht. Die Hunde flitzen und toben im Sand, es ist immer wieder herrlich, in den Sanddünen herum zu gehen. 

Dankbar auch für diesen schönen Moment denke ich wieder etwas wehmütig an den dieses Jahr leider entgangenen Wüsten-Stopp am Erg Chebbi. Jetzt geht es zurück zum Camp. Wir trinken noch Kaffee und Tee zusammen, tauschen Facebook-Adressen aus. Said will uns nächstes Jahr ein Essen, wie zum 60. Geburtstag seiner Schwester, die davon total begeistert war, an einem Abend „in the Desert“ bereiten; es soll frisch erlegten Hasenbraten geben. Sollten wir wiederkommen, so versichern wir beim herzlichen Abschied, werden wir uns das nicht entgehen lassen. Für heute Abend ist allerdings nichts Selbsterlegtes im Topf, es müssen ein paar Kölner Hähnchenkeulchen mit Zucchini und Kartoffeln reichen.