Heimreise

Montag 16.03.2020

Tja, ab heute geht es auch hier bei meinen Aufzeichnungen im Tagebuch sehr viel spärlicher als gewohnt zu. Die Zeiten haben sich geändert, manches muss eben rasanter als geplant - und als es schön wäre - abgehandelt werden. So jetzt unser Ritt früh morgens losgehend, dem geliebten Städtchen Tiznit den Rücken kehrend, Richtung Küste. Wir holen im Galopp unsere Polster bei Momos staunendem Mitarbeiter ab und begeben uns über „Los“, ziehen keine 4000 € ein, sondern sehen zu, die „Schlossallee“ zu erreichen Höhe Agadir, die mautpflichtige AB, auf der wir zunächst Marrakech anpeilen, das wir aber natürlich keineswegs besuchen, sondern vielmehr weit umfahren werden. Die schöne gebirgige Landschaft, die wir auf dieser Strecke noch nicht durchfahren haben, wird natürlich auf einigen Fotos festgehalten. Ich lasse sie einfach für sich sprechen. 

Sehr leer und einsam ist es, oft tief dunkelgrau, innen und außen, selbst die Hunde haben kein Interesse, einen Mucks von sich zu geben.

Gegen Abend fahren wir ein Lokal in einem kleinen Waldgebiet Nähe Settat an, das ich bei Google erspäht habe. Es sieht so aus, als gäbe es einen Parkplatz, den wir hoffentlich nach Einkehr im Lokal für eine Nacht nutzen dürfen. Angekommen zeigt sich, dass es das private Clubhaus der Notarvereinigung ist. Ach du je. Ein junger Mann weist uns aber nach Schilderung unseres Anliegens ein, es sei doch gar kein Problem. Wir stehen. Zwei Minuten später kommt ein sehr gut gekleideter Mann, erkundigt sich nach unserem Befinden, natürlich dürfen wir stehen bleiben. Er macht ein Foto von unseren Pässen, das er den zwei Männern in dem inzwischen angesausten Kleinwagen weiterleitet. Die beiden prüfen, steigen aus, und noch ehe sie bei uns sind, kommt schon ein Wagen der Gendarmerie. Der Herr aus dem dunklen Kleinwagen wird uns als „le Minister“ vorgestellt, der Gendarm salutiert bei seinem Erscheinen, also ein „hohes Tier“, aber sehr freundlich. Sie peilen nochmals die Lage mit einem kurzen Zwischenbericht an uns, dass man „pour votre Securite“ noch nachdenke, ob das hier so gut sei. Ein paar Minuten später steht der Gendarm vorm Minister nochmals stramm, grüßt gebührend, der Herr Notar nickt wohlwollend, der Minister signalisiert uns per Gesichtsmimik, dass alles nun besprochen und geregelt sei, der Herr Notar bedauert alles etwas, der Gendarm bittet uns sehr zuvorkommend, fast väterlich, ihm zu folgen, man habe nun einen wesentlich sicheren Platz für die Nacht für uns. 

Was uns nun hier hätte zustoßen können, wissen wir nicht, aber natürlich folgen wir dem Tross aus Notar mit Auto, Minister mit Fahrer und Auto, Gendarm mit Kollege und Auto. Am Stadteingang lotsen sie uns auf einen Schotterparkplatz, ein paar LKW stehen dort, gegenüber der königliche Golfplatz, deren Bedienstete ganz offensichtlich auf dieser Straßenseite keine Arbeiten verrichten. Egal, es wird nur hier in dieser Ecke, die für uns absolut sicher sei, wie die uns eskortierende Schar nochmals zusichert, kurz etwas gegessen und nach sehr erschreckenden Nachrichten in TV und FB geschlafen. Sprechstunde für Sicherheitsdienste jeglicher Art, und seien sie noch so wohlwollend, gibt es heute nicht mehr. 

Dienstag 17.03.2020

Im Frühtau zu Berge ... ja wir ziehn ... fallderaaa. Schon um 6 Uhr rollt es. Zu der für uns normalerweise unsäglich frühen Stunde hält uns nichts mehr. Was ist normal in diesen Zeiten ?! Die Meldungen überschlagen sich. Die Häfen sind geschlossen, die Fähren fahren nicht, die Grenzen sind zu, keine Durchreise möglich. Kurz danach doch wieder eine Meldung, dass Fähren gehen, nur Marokkaner oder Spanier, jeweils im Wechsel, keine Leute in den Hafen lassen. Dann wieder, das alles offen sei, der Cargo-Verkehr aber Vorrang habe. Plötzlich dürfen nur Spanier übersetzen, dann schaffen es doch wieder ein paar Camper anderer Nationen über die Grenze. Mit Fährticket ginge es wohl. Gut, das haben wir, aber von Tanger Med aus. Aber dieser Hafen ist wohl absolut dicht. Ceuta verspricht ein Fitzelchen Hoffnung, obwohl ich eine amtliche Auskunft der Botschaft in FB finde, wonach gerade heute um Mitternacht alle Grenzen geschlossen wurden, da man so viele Neuinfektionen habe. Meine Güte. Was machen wir nur? Meinem immer wieder in den FB-Gruppen wiederholten Rat, wirklich ernsthaft die Heimreise anzutreten, sind nicht sehr viele gefolgt. Aber wir sind zur Rückreise wild entschlossen, quasi verlassen wir Settat mit Blaulicht, erleben eine unbeeindruckt aufgehende Sonne über Casablanca und sind auf Höhe Asilah sowas von traurig, nun nicht hier einfach abfahren zu können, uns auf den Strandparkplatz zu stellen, durch Asilah zu radeln, einfach so, einfach das Viren-Programm drüberlaufen lassen, einfach so alles wie immer, einfach alle gesund. Aber einfach ist gar nix mehr! 

Vielleicht hätte uns eine etwas befahrenere AB mehr schlimme Gedanken genommen, aber jetzt so menschenleer greift die innerliche Panik doch mächtig Raum, da hilft auch nicht der kurze Blick auf den Atlantik, den wir erhaschen. Wäre die Grenze offen, müsste doch mehr Betrieb sein. Ginge die Fähre, müsste man doch andere Womos sehen. Alptraum. Nach knapp 1000 km erreichen wir gegen 12 Uhr die Bergkuppe mit Blick auf Ceuta. 

An der hinabführenden Straße zweigt links eine kleinere Straße nach Ceuta ab. Ein Womo steht unbemannt am Straßenrand. Marokkanische Polizisten haben eine Straßensperre errichtet. Die Zufahrt ist abgeriegelt. Man könne hier nicht passieren, evtl. weiter unten, wird uns freundlich bedauernd mitgeteilt. Wir rollen weiter bis zur Küstenstraße am Meer, dort nach links bis zu einem Kreisverkehr mit großem Polizeiaufgebot. Freundlich erklärt man uns, dass man nicht sagen könne, ob und wann eine Fähre ginge, man allerdings jetzt mit Fährticket die Grenze nach Spanien passieren dürfe, allerdings ohne die Möglichkeit der Rückkehr nach Marokko für den Fall, dass keine Fährverbindung mehr bestünde. Na prima. Was nun? Riskieren oder nicht? Haben wir Mut oder nicht? Haben wir keinen, gehen wir ohne ihn weiter? Ja, nach einer Ehrenrunde durch den Kreisverkehr, in dem noch ein französischer Kastenwagen steckt und quasi mitgesaugt wird, höre ich mich zu Wim rufen: „Raus, fahr raus, raus hier und rein nach Spanien!“. 

Schwupp, kurz und schmerzlos sind wir drin, freundliche spanische Gendarmerie erwartet uns, kontrolliert die Pässe, kontrolliert die Heimtierausweise und Papiere der Hunde extrem genau, verschwindet damit sogar noch in einem Büro, mehrmals wechseln die Ausweise die Hände, werden einige Male anderen Kollegen gezeigt, Titer-Bescheinigungen werden komplett auseinander gefaltet, Hunde gesichtet. Das ist das erste Mal, dass wir das so in der Art erleben. Ein Zollbeamte möchte das Womo von innen kontrollieren. Sehr brav ohne Gedöns lassen Bazou und Chianga sich anleinen und gehn mit mir nach draußen, obwohl die Stimmung in uns sehr angespannt ist und es sicher nach Angstschweiß riecht. Gegenüber in einer Box testet ein belgischer Schäferhund unter wüstem Gebelle deren Standfestigkeit, was Bazou und Chianga nicht im Geringsten irritiert. Auch das hätte ich niemals gedacht nach den ellenlangen Stunden im Womo mit quasi Null Auslauf in den letzten Tagen. Unser Womo wird genau untersucht, überall wird reingeguckt, auch in den Doppelboden. Der Zöllner entschuldigt sich quasi für die Umstände, aber es ist für uns total verständlich. 

Wir rollen Stückchen für Stückchen durch enge Spuren im Kontrollbereich der Grenze zur EU. Absperrblöcke sind so angeordnet, dass Wim den Arto nur mit Mühe durch die enge Kurvenstrecke jonglieren kann, ohne solch einen Klotz umzuschieben. 

Nach etlichen Kontrollposten läuft die enge Straße nun direkt am Meer entlang auf das Städtchen zu. Der Himmel lässt ahnen, dass sich wenig Gutes zusammen braut. Dicke schwarze Wolken über den vom starken Wind gebeutelten Palmen machen wenig Hoffnung, passen ins Bild. Wie leicht narkotisiert folgen wir schlafwandlerisch der Straße, verpassen glücklicherweise ein nach rechts weisendes Schild „Puerto“ nicht und stehen bald am Hinweisschild „Ferry Algeciras“. „Bitte lass diese Ferry fahren, lass sie irgendwie ablegen, möglichst mit uns drauf.“ Diesen „Funkspruch“ kann ich noch gerade so an einer schönen Kirche im Vorbeifahren nach oben senden. Lieber wäre mir jetzt hier ein Stau gewesen, irgendetwas, was darauf hindeuten könnte, dass hier verschifft wird. Aber nichts, nichts, leer, menschenleer, selbst der Kreisverkehr-Kastenwagen ist nicht mehr sichtbar, vom Erdboden verschluckt.

An einer langen hohen, mit Metallspitzen versehenen Mauer geht es vorbei, eine Lücke, eine Öffnung, ein Schild „Algeciras“, hinein mit uns. Polizisten mit Mundschutz weisen uns in eine Spur ein. Hier stehn etliche Wohnmobile und andere Fahrzeuge. Das muss doch bedeuten, dass Fähren fahren, sonst würde man uns doch hier nicht reinlassen. Es ist noch früh am Tag, gerade mal 13 Uhr, da kommen wir doch heute gewiss noch rüber über die Straße von Gibraltar. Kein Zweifel. Für uns jedenfalls nicht. Aber denkste. Die Warteschlange ist lang, wird länger, wenn auch zögerlich. An der Grenze lassen sie also welche hinein, kontrollieren auch, sonst würde ja keiner bis hierher vordringen. Im Netz überschlagen sich die Nachrichten, überwiegend mit dem Inhalt, dass alles geschlossen ist. Wir warten - mit uns unzählig viele aus allen möglichen Ländern. Irgendwann regt sich etwas. Vor uns werden Autos gestartet. Der überwiegend weiße Lindwurm setzt sich im Schneckentempo in Bewegung. Nächste Station: Fährticket-Kontrolle. Puls 180, Schweißperlen auf der Stirn. Was, wenn nun kein passendes ausgestellt wird, unseres geht ja ab Tanger Med? Die freundliche Spanierin greift nach den Unterlagen in Wims Hand, krakelt etwas herum, druckt etwas aus, und gibt uns alles genauso lächelnd wieder zurück, alles sei ok. Puuh, wenigstens etwas. Dann geht‘s jetzt wohl los! Um die Kurve herum tut sich ein riesiges Feld mit jede Menge Fahrspuren auf. Balearia ist unser Einfüllstutzen. Andere Gesellschaften haben andere Spuren, in denen sich jeweils sehr unterschiedlich lange Schlangen bilden. Unsere ist noch recht kurz. Also muss es ja bald losgehn. Ein Blick auf den am Ticketschalter erhaltenen Ausdruck verschafft Klarheit: Boarding morgen früh 6 Uhr. Wir sind enttäuscht, nutzen aber die Enttäuschungswut zur Befeuerung unserer Hoffnung, dass es nun Klarheit gibt, dass überhaupt etwas geht. Und der Wartespurenplatz füllt und füllt sich, ein Fahrzeug am anderen, all die vielen Spuren voll. Wim schätzt bei einem späteren kleinen Rundgang, dass an die 400 Fahrzeuge hier stehen. Also stellen wir uns auf eine Nacht im Hafen ein. Wim bereitet eine Häppchen-Platte vor, nichts essen ist auch keine Lösung. Der Wind zerrt und schüttelt an unserem Womo, obwohl wir zwischen einem ellenlangen Setra-Bus mit Surfern und einem irrsinnigen, alles überragenden Expeditionsfahrzeug in Mattdunkelgold eingekeilt stehen. Die Palmen biegen sich wie Schilfrohr. Es blästert und pfeift wie verrückt. Aufruhr plötzlich in den Reihen. Man hört schrille Pfiffe, Polizisten sausen mit Schlagstöcken herum, springen von einem Womo zum anderen, treiben sicher 10 dunkelhaarige jüngere Männer in ärmlichen Klamotten vor sich her, von denen einige doch tatsächlich fast senkrecht die sehr hohe Mauer, bewehrt mit Metallspitzen und Stacheldraht, erklimmen und sich irgendwo hin retten oder eben nicht. Migranten versuchen selbst hier im Hafenbereich, sich noch in irgendeinem Fahrzeug zu verstecken und mit überzusetzen. So schlimm alles, dieses Schicksal der Menschen und dieses Szenario hier. Was ist dagegen eine Ungewissheit, ob eine Fähre geht oder nicht, hier im komfortablen Womo. Aber unsere Unruhe und die riesigen Sorgen werden davon auch nicht erwähnenswert besser. Immer noch sind die FB Nachrichten niederschmetternd, Spanien wird keine Grenze öffnen, keine Fähre einlaufen lassen. Aber in diesem Moment bewegt sich plötzlich in einer der vielen Nachbarspuren etwas. Ordner winken, Fahrzeuge rollen, es heißt, eine Fähre wird geladen. Ich trommele diese positive Entwicklung rund im Netz und auch nochmal den dringenden Rat, möglichst sofort den Hafen Ceuta anzusteuern, denn wir haben ja immer noch den 6-Uhr-Start schwarz auf weiß hier stehn. Es muss also gefahren werden. Das reden wir uns ein, immer wieder, solange bis Nacht und Schlaf uns Gottseidank für kurze Zeit aus dem Verkehr ziehen.

Mittwoch 18.03.2020

Der Wecker reißt uns in die Realität zurück. Halb 5 morgens. Alles schläft. Nein nein, der Hundegang um zwei Womo-Ecken zeigt überall erleuchtete Womo-Fenster, Menschen sitzen leicht versteinert, warten, alles parat. Aber es tut sich nichts. Der Sturm hält sich tapfer, scheint keinen Gedanken daran zu verschwenden, sich zu verziehen. Wie soll das nur weitergehen? Aber wir sind sicher, wir bleiben hier nicht stehen, nach einer Richtung wird sich diese Masse hier bewegen müssen, entweder Wasserstraße nach Gibraltar oder Asphaltstraße zurück nach Marokko. Ceuta wird uns wohl kaum alle hierhalten und begrüßen können. Dieser Landzipfel braucht im schlimmsten Fall der Fälle all seine Kapazitäten für die eigene Bevölkerung. Wie vergeht eigentlich Zeit, wenn man da hockt, ein Loch durch die Frontscheibe glotzt? Hinterher wird man es nicht mehr wissen. Jedenfalls nach einer ewigen Zeitspanne nimmt unser Hirn erst auf den zweiten Blick einen winkenden Mann wahr, der mit Warnweste den Ersten in unserer Reihe zum Anfahren auffordert. Es bewegt sich etwas, Motoren werden angelassen, Bremsleuchten vor uns erstrahlen, wie schön. Wie lahm vom Schlaf schleppt sich das erste Womo in die zugewiesene Spur. Die nächsten folgen. Stoßstange an Stoßstange, aus Angst zu spät zu kommen, lässt jeder sein Womo rollen. Eine Kontrollstelle wird noch passiert. Durchgewunken.

Und schon nähern wir uns der Hafenkante. Das Meer ist derart aufgewühlt, es schäumt und tobt gegen das Hafenbecken. Noch nichts begreifend fesselt uns der Blick in das aufgerissene Maul der Balearia.

Sollte das nun wirklich so sein, dass wir hinein gelassen werden? Könnten hier am Wegesrand noch Umlenkpoller aus dem Boden schießen? Oder ein Warnwestenmann einen Umleitungsprozess einleiten? Wim ist unbeeindruckt. Entschlossen greift sich die Vorderachse gegen 7.30 Uhr die überbrückende schräge Metallklappe der Fähre, es rumpelt ein paar Mal, und mit leichtem Schwanken schaukelt der Arto mit uns ins Licht. Übersehen hatte ich dabei fast die schweren Ketten, mit denen die ganz am Rand des Schiffsbauch parkenden LKW am Schiffsboden verankert wurden. Blauäugig fallen mir dazu nur angekettete Sklaven an den Rudern hölzerner Schiffe ein. Im Moment nicht mehr, denn unser beider Herz müssen wir gerade in die Hände der einweisenden Männer legen, die wirklich auf den Zentimeter genaues Einparken wünschen. Mit lautem Reifen-Gequietsche bugsiert Wim das Womo dicht neben die ellenlange blaue Seitenwand des Setra-Surf-Busses, während sich rechts hautnah das mattdunkelgoldene Expeditionsmonster aufbläht. Umfallen kann hier nix mehr. 

Da wir alle Ein- und Ausreise-Formalitäten erledigt haben, ich irgendwie total erschöpft bin und mir im Moment der schützende Rahmen meines Womos sehr lieb ist, werde ich bei unseren Hündchen bleiben. Wim will mal rauf auf‘s Deck und erhält dazu von mir zum einen die Kamera und zum anderen einen Virenschutz-Verhaltensvorschriftenkatalog, mehrseitig, mündlich vorgetragen. Müssen Frauen eigentlich immer mal wieder Mutter ihres Ehemannes spielen? Spielt jetzt auch keine Rolle, wir haben den absoluten Ausnahmezustand. 

Sturm, so als Kind vom Land versteht man irgendwie nicht so direkt, dass sich ein solcher in der Regel einen feuchten Kehricht um eine Hafenkante schert, sich von dieser kaum bis gar nicht aufhalten lässt. Im ganzen Gefühlsgemenge der zweifelnden Fassungslosigkeit, ob es nun wahrhaftig mit der Fähre hinüber geht oder nicht, hatte ich total unbedacht gelassen, dass das stürmische Wetter auch auf See herrschen und die Überfahrt beeinträchtigen könnte. Während ich mich darauf verließ, dass ja nun nicht bei widrigsten Wetterbedingungen ausgelaufen würde, man hier sein Handwerk wohl verstehe und alles unter Kontrolle habe, wurden diese stützenden gedanklichen Interventionen jäh über den Haufen gefegt. Ich kann nicht mal sagen, ob und wieviele Minuten wir schon fahren, da legt sich das ganze Boot plötzlich derart schräg, es bollert von unten gewaltig, der Mattgoldene neben uns scheint auf Vollkörperkontakt gehen zu wollen, nachdem sich unser Arto auf den langen Setra zu schmeißen gedenkt. Ehe ich aus dem Entsetzen raus bin, schwappt die ganze Ladung rüber nach der anderen Seite. Ich seh uns schwankend in tosenden Meereswellen wie einen Spielball dahin treiben. „Fähre vor Gibraltar in Seenot“ - „Unglücksfähre sinkt vor Erreichen des Hafens“ - „... auch Hunde sind unter den Opfern“. Sich sofort einstellendes panisches Denken in Bild-Zeitung-Schlagzeilen reguliert meine wenn auch schwache Hoffnung, dass es vielleicht nur die Hafenausfahrt war, ist ja klar, das weiß ja jeder, dass es im Übergang vom Hafenbecken zum offenen Fahrwasser Turbulenzen geben kann. Plausibel klingt es, was ich mir so erzähle. Die Hunde neben mir sind erstaunlich ruhig, keine Regung. Die Plausibilität geht jedoch leider nicht auf. Alles rundum scheint sich aufzuplustern, es schaukelt und schwankt irrsinnig, nicht nur nach rechts und links, nein, auch nach vorne eintauchend und hinten wieder rausreißend. Wahnsinn, dagegen ist mein Kamelritt von vor 2 Jahren am Erg Chebbi eine Lachnummer. Wie lange dauert die Überfahrt überhaupt, wie lange sind wir schon unterwegs? Ich weiß keine Antwort, mein Magen schon. Mit Sicherheit mit extrem vornehmer Blässe im Gesicht und kaltem Schweiß bemühe ich mich, ruhig zu bleiben, klemme zwischen den immer noch ruhigen Hunden in der Sitzecke, den Tisch direkt vor uns, lege meine Arme lang ausgestreckt auf die Platte, spreize meine Finger wie Tentakel mit Saugnäpfen und warte sehnsüchtig, dass Wim endlich wieder nach unten kommt und bitte bitte mit der Meldung „Land in Sicht“. Ich starre gebannt auf einen Klappenbeschlag unserer Schränke, fixiere, halte die Augen ruhig, krame Atemtechniken für Geburtswehen in meinen Hirntiefen hervor. Also entweder ist den Hunden auch speiübel, und sie rühren deswegen kein Haar, oder ich beeindrucke sie extrem mit meiner ungewohnten Haltung und meinem Geatme, und es macht sie schläfrig. Da ich aber im Moment wirklich reichlich mit mir selber zu tun habe, vertiefe ich dieses Thema nicht. Gut, dass es ist wie es ist, müsste ich die Hunde trösten, liefen sie nervös herum, ich könnte nicht mal aufstehen. Gelegentlich schaut Chianga mich fast mütterlich an, Bazou mit einem Blick wie: „Egal was Du hast, ich bin bei Dir.“ Endlich kommt Wim zurück, wir sind gerade mal 15 Minuten unterwegs, 15 Minuten, unfassbar, niederschmetternd, es wird noch gut eine halbe Stunde dauern, die Decks oben wurden geschlossen, die Menschen sind auf ihren Stühlen quer über die Böden gerutscht. Kein Wunder. Ich mache weiter meine Atemübungen, hochkonzentriert, den Niesmann-Klappenbeschlag nicht aus den Augen lassend. Welch ein Glück, dass wir morgens nicht gefrühstückt haben. Du lieber Himmel, ich hätte gewiss Fische füttern müssen. So kann ich dank Klappenbeschlag wohl das Schlimmste verhindern, und es kommt nicht zum Äußersten.

Irgendwann wird es ruhiger, an Bord, im Schiffsbauch, im Womobauch, in meinem Bauch. So ganz trau ich der Sache nicht, aber es bessert sich tatsächlich. Wir sind offenbar hinter den Hafenmauern im sicheren Hafenbecken von Algeciras gelandet. Was ein Glück. Die Lebensgeister kommen schlagartig wieder, der Klabautermann verdrückt sich. Mein Gott, bin ich froh. Auch als vor uns endlich Bewegung spürbar wird, aber keine schwankende, nur rausrollende. Gehorsam und den Weisungen der Warnwestenmänner folgend fahren alle gegen 9.40 Uhr im Schneckentempo Richtung Freiheit. Die EU hat uns wieder. Und so ein wenig kann man leichtes Poltern hören. Schaut man in die strahlenden Gesichter der erleichterten Mitreisenden in den Wohnmobilen, weiß man auch Bescheid. Das was poltert, sind die Steine, die von den Herzen fallen. 

Die mich sonst so herrlich blau faszinierenden Hafengiraffen in Algeciras verrichten heute in großer nebliger Trostlosigkeit ihre Arbeit. Ihre Ausstrahlung versackt im gespenstisch dumpfen Licht dieses Morgens in Grau und wird noch untermauert mit dem Hinweis auf der AB: Coronavirus estado de alarma. Man versteht es, auch wenn man, wie wir, kaum ein Wort Spanisch können. Und „ol‘e“ hilft jetzt auch nichts mehr.

Außer wir nutzen es nun, um zur zügigen Reise über die fast völlig freie AB zu blasen. Das Wetter klart etwas auf, es wird heller, ein Regenbogen verheißt Glück. Nie sahen wir Sevilla leerer. Wir haben uns auch wieder, wie auf der Hinreise, für die Inlandroute entschieden, statt am Mittelmeer entlang. Hier hat man seine Ruhe, aber wirklich sehr ausgeprägt. Unterwegs sehen wir an einigen Auf- und Abfahrten Polizeiaufgebote. Man wird vermutlich so ohne Weiteres nicht die AB verlassen dürfen. In der Hoffnung, gegen Abend, wenn wir einen Übernachtungsplatz finden müssen, abfahren zu können, düsen wir dahin. Die Tankstellen sind geöffnet, verlangen Kartenzahlung, Bargeld funktioniert allerdings auch. Die Shops sind überwiegend geschlossen, Menschen sieht man kaum. 

Gegen Abend fahren wir in La Granja einen vom Dorf abgelegenen PP an einem Fluss an. Ein kleines Lokal liegt verlassen da, die schöne Außenterrasse verwaist. Keine Menschenseele weit und breit. Wir parken auf einem kleinen Wiesenstück erhöht am Flussufer, liegen etwas versteckt, soweit das mit dem Arto überhaupt möglich ist. Sehr idyllisch ist es hier, entdecken möchte man einiges, aber das Schicksal der Welt lässt nichts zu. Eine kleine Hunderunde wird ums Womo gedreht, etwas Luft geschnappt, ein paar Fotos, ein paar Häppchen, ein bisschen TV und ab in die Kiste.

Donnerstag 19.03.2020

Nach sehr erholsamer Nacht sind wir früh unterwegs, schon vor 8 Uhr fahren wir ab. Heute muss Strecke gemacht werden, vielleicht erreichen wir unser Heimatdörfchen dann evtl. schon morgen, wenn‘s gut läuft. Heute sieht man auch mächtige Bergmassive der Extremadura gegenüber der AB, Schneefetzen schimmern durch die tiefe Wolkendecke. Bei gutem Wetter ist das sicher ein herrlicher Anblick.

Gähnende Leere wiederum auf der AB, entspanntes Fahren. Die sicher sehr reizvolle Landschaft verliert angesichts der trüben Stimmung und des trüben Wetters. Aber es regnet nicht, ist ja auch schon mal was. 

Gegen 15 Uhr erreichen wir die Grenze zu Frankreich. Auch hier nur kurzes freundliches Durchwinken der Gendarmerie. Etwas Sorge haben wir ja schon unterwegs. Man kann nicht wissen, ob und wie man die Durchreise fortsetzen kann. Aber es läuft alles problemlos. Auch in Frankreich herrscht kaum Verkehr. Die Rastplätze sind quasi leer, nur ganz selten sehen wir Womos. Unser Hinreise-Übernachtungsplatz kommt sehr passend. Gegen 19 Uhr fahren wir von der AB ab, erklären den wartenden Polizisten kurz, dass wir nur in 1 km nächtigen wollen, morgen weiterreisen. Kein Problem, Durchfahrt wird bewilligt. So fallen wir dann nach gut 900 km in Nonaville in uns zusammen und sind sehr glücklich, es heute bis hierher geschafft zu haben.

Freitag 20.03.2020

Der letzte Morgen im Wohnmobil. Vermutlich auch für eine sehr lange Zeit. Der Schrecken der Ungewissheit sitzt allerdings noch nicht sehr tief, im Inneren ist alles eher noch erfüllt von einer Art Schockstarre. Wie ferngesteuert packen wir auf, machen uns auf unseren restlichen Nachhauseweg. Eine lange Strecke ist es noch, mal sehn, was geht. Die Morgensonne taucht die Mairie in schönes Licht, als wir gegen 7.30 Uhr losfahren. 

Auch heute ist kaum Verkehr. Die Mautstellen sind frei wie Startlöcher auf einer Pferderennbahn, auf der gerade kein Rennen stattfindet. Die Grenze zu Luxemburg passieren wir ohne Kontrolle, ebenfalls wenig später die nach Deutschland. Allerdings werden wir ein paar Kilometer hinter der Grenze über einen Parkplatz geleitet, THW und großes Polizeiaufgebot, man erkennt in uns die Rückkehrer und winkt uns lächelnd durch.

12 Stunden und 950 km nach Abfahrt heute morgen stehen wir unter unserem Haustürlämpchen und in unserer Küche vor zwei Backblechen mit vorbereiteten Pizzen, zwei Fläschchen Bier und einer Flasche Wein, meine Schwester Merle war der gute Geist, und wird das auch immer bleiben, unbezahlbar. 

Die Quarantäne beginnt ...


... und noch ein paar Zahlen zum Schluss:

8.200 gefahrene Kilometer

     49 Reisetage

     25 Übernachtungsplätze 

5.600 virtuell Mitreisende auf unserer Website

1.000 mal danke dafür und für all die lieben eMails, PNs, Kommentare !

!! Es war uns ein Vergnügen !!