Anreise

Freitag 20.09.2019

Ab ins Blaue! Bei sonnig-warmem Wetter starten wir am Nachmittag. Unterhalb unserer alten Heimat Köln nehmen wir die A61. Es wird noch eine ganze Zeit lang sehr seltsam sein, von irgendwo anders als Köln eine Reise zu beginnen. Ein komisches Gefühl, immer leicht, als hätte man sich verfahren. Vorbei geht es am Braunkohlerevier an den riesigen Baggern, vorbei an gespenstig wirkenden Wassersprühanlagen, die alles in ein dubioses Grau hüllen. Erstaunlich leer ist die AB, aber unendlich viele Wohnmobile sind auf Tour. Ja, die Tausende, die jedes Jahr verkauft werden, wollen ja bewegt werden. Und bei der Wettervorhersage für das vor uns liegende Wochenende ist es kein Wunder, dass man raus möchte. 

Unterhalb Apeldoorn fahren wir ins nahe liegende Eerbeek mit kostenlosem SP an einem Lokal, in dem wir speisen und übernachten wollen, bevor es morgen zur Familienfeier ein paar Kilometer weiter geht. Schön und ruhig steht man hier. Das Lokal ist gut besucht. Und, entgegen unseren häufig enttäuschenden Restaurantbesuchen in Holland, schmeckt es uns hier wirklich sehr gut. 

Samstag 21.09.2019

Der frühmorgendliche Blick fällt nach einer sehr ruhigen Nacht auf ein am Ende einer leicht mit Raureif überzogenen großen Weide drohnendes sonnengeflutetes Landhaus. Holland kann so schön sein, einen mit seiner Weite, seinem dichten fetten Grün und seiner Backsteinromantik wirklich verzaubern. Schätzte ich früher eigentlich nur die Küste, die Strände und die brausende See, so vollzieht sich seit Jahren ein Wandel in uns. Viel mehr liegt der Reiz in der Vielfältigkeit der anderen Naturschönheiten, der anders geprägten Landstriche, dem weniger „Spektakulären“. Abseits der Küsten kann man wirklich Schätze heben, es ist wie ein Herumkramen in einer alten Schatztruhe, manchmal muss man entstauben, um den wahren Wert einstiger Schönheit aufzuspüren, man muss sich eben aufhalten lassen. Meer ist viel, aber nicht alles. Mit diesen Gedanken sind wir unterwegs zum Familienfest Richtung Zwolle, durch die landwirtschaftlich geprägte Provinz Gelderland. 

Sonntag 22.09.2019

Familienfrühstück, und weiter geht es mit Ziel Urk ins Noordoostpolderland am Ijsselmeer nach einem kurzen Stopp in Schokland, ein Weltkulturerbe. Einstmals war Schokland, ebenso wie Urk, eine vom Meer umtoste Insel, ein Torfstreifen in der See. Um 1940 wurde die Trockenlegung abgeschlossen und das ehemalige Fischerdorf Urk und Schokland wurden Bestandteil des Festlands. Es braucht einiges an Vorstellungskraft, sich die weitläufigen Wiesen und Weiden wegzudenken und stattdessen Meeresbrandung zu sehen. Hilfreich ist da der Blick in den Schiffsbauch, der einem via Animation mit passender Geräuschkulisse von Wellenrauschen und Möwengeschrei auf die Sprünge hilft. Erstaunlich ist es immer wieder, wie die Holländer Land gewinnen und sicherstellen, dass nicht plötzlich jemand den Stöpsel zieht und „Land unter“ rufen muss. 

Urk, man sagt „auf Urk“, immer noch in Erinnerung an die Zeit, als das Fischerdorf eine Insel war. Nun stehen wir hier im Hafen auf Urk auf einer für Womos abgeteilten Parkfläche mit schönem Blick auf viele kleine Jachten, Fischerboote und schwere Schiffe mit Arbeitsplattformen. Pro Nacht mit Strom, Wlan, Duschen, V+E kassiert der Hafenmeister 15€. Heute ist Sonntag, das merkt man überdeutlich, hier, wo fast 100 Prozent der Bevölkerung strengst religiös und der Sonntag noch heilig ist, man den Gottesdienst besucht und Lokale und Geschäfte geschlossen haben. Die Urker Bevölkerung spendet für wohltätige Zwecke mehr als jede andere in Westeuropa und hat mit über 3 Kindern die höchste Geburtenrate in Holland. Aber alle sind nicht so sittsam und brav, denn Urk gilt als Brutstätte der organisierten Kriminalität, hier wird ausgiebig Geld gewaschen und mit Drogen gehandelt. Das erklärt vielleicht den Umstand, dass am Abend scheinbar jeder aufgemotzte Kleinstwagen der Umgebung das Hochgeschwindigkeitswenden mit Handbremse in maximal zwei Zügen auf der Hafenkante trainiert und der Polizeiwagen vermutlich nur pro forma mal kurz im Schritttempo eine Runde dreht. 

Also ist der heimelige, unschuldige Anschein der Ginkies, wie man das Labyrinth der vielen Gassen auf Urk nennt, sehr trügerisch. Hinter malerischer Fassade hecken Ganoven ohne Unrechtsbewusstsein Strategien aus. Auf dem Rad spüren wir davon nichts, wundern uns nur. Vielleicht hätte Urk doch besser Insel bleiben sollen. Aber die schöne Maxima und ihr Prinz lächeln alle Bedenken weg. 

Am Ende des Dorfes auf einer Anhöhe beim Leuchtturm und der Kirche im Hintergrund liegt ein kleiner Platz mit Meerblick. Eine steinerne Frau blickt versonnen auf‘s Meer hinaus, den Wind im Rücken. Viele Gedenktafeln sind an der Brüstung angebracht, sehr viele Männernamen mit Altersangaben, Sterbejahren und Schiffsnummern eingraviert. Schicksalsjahre vieler Familien, die ihren Mann, einen Fischer, Vater und Ernährer der See überlassen mussten. Wir finden den Ort sehr beeindruckend. 

Und wir finden endlich ein geöffnetes Lokal, in dem wir uns Kibbeling auftischen lassen. Er ist wirklich sehr lecker, und das Bier zischt im Hals, denn die Sonne brennt ganz schön. Aber es wird noch heißer, denn gemeingefährliche Spatzenscharen fallen ein, sind aber eher an Kuchenresten auf dem Nachbartisch interessiert und machen sich ungeniert ohne jede Angst darüber her. Kriminell hier, wirklich. Alfred Hitchcock lässt grüßen ! 

Montag 23.09.2019

Nach und nach füllt sich der gestern noch recht leere SP. Die Nacht war ruhig, aber jetzt herrscht Getriebe. Etliche Womos kommen an, die „alten Hasen“ wissen schon, dass hier in Urk am Sonntag wahrhaftig nix gebacken ist, man daher lieber montags die Zelte aufschlägt. Gut, wir reisen ab, hatten ja unseren Backfisch, und nehmen die Route Richtung Den Oever in Nordholland ab Lelystad über den Markerwaarddijk. In einem Supermarkt werden noch die typischen Lebensmittel, nach denen Wim schmachtet, eingesackt: Leber, als Aufschnitt und im Darm, gefüllte Kuchen (für uns eher Plätzchen), Slavinkel, Happjes und Lappjes usw. usw., jedenfalls Wagen rammelvoll. Kurz hinter Lelystad lockt eine Fischbude und erzwingt quasi mit wehenden Fahnen einen Boxenstopp mit Nahrungsaufnahme, wobei ich am Nährwert des gebackenen Kibbeling mit Knoblauchsauce etwas zweifele und einen Schnaps brauche. Tja, die kurzen Freuden haben oft ein langes Nachspiel, aber die geordneten Verhältnisse hier mit „rechts Wasser und links Wasser“ tun gut. 

In einem Teil des Hafens Den Oever steuern wir eine Parkfläche für Womos direkt an der Hafenkante an. Alles scheint hier neu hergerichtet zu sein, man kann Strom nehmen und zahlt nichts, weder für‘s Parken noch für Strom. Das ist selten in Holland. Die vielgerühmte Fischbude hat heute „gesloten“. Da uns aber noch der Mittagsfisch im Magen schwimmt, verzehrt Wim nur zwei alleinstehende Matjes aus unserem Kühlschrank und ich wärme mir ein paar Poffertjes auf. Im Hafen wird bis in die Nacht, evtl. sogar die Nacht hindurch, gearbeitet, d. h. an den verschiedenen Dämmen und Deichen. Wie schon ab dem Deich ab Lelystad werden auch hier Instandsetzungsarbeiten mit riesigen Baggern, Kränen und Unmengen Schiffsladungen mit Steinbrocken ausgeführt, alles zum Schutz des Landes.