von Agdz Richtung Guelmim

Montag 09.03.2020

Reisetag, heute ziehen wir weiter. Nach einem Schwätzchen mit der sehr herzlichen Corinne setzen wir uns über die Rumpelpiste langsam in Bewegung und biegen nach rechts ab auf die R108, ein kleines weißes Sträßchen in der Landkarte, mit der Option, zu wenden, falls es im Verlauf zu abwegig werden sollte. 

Ein schönes Bild findet sich unterwegs, „das Tor zum Anti Atlas“ nennen wir es, ganz passend. Denn typisch fächern sich Bergmassive zur Rechten und zur Linken, mal dunkel schwarz, mal rotbraun. Wir fahren zwar nicht ganz so hoch, knapp 700 m, aber die Natur ist schroff, steinig und ungastlich. Außer die Oasenbänder lassen spüren, dass viele Familien - hoffentlich - ihr Auskommen haben. 

Nicht mal eine Hand voll Ortschaften liegen an der Route , meist angekündigt durch verfallene Ksare, denen quasi Neubaugebiete folgen. Ein paar Ziegen und Schafe, ein paar Dromedare, ein paar Menschen, äußerst selten ein anderes Fahrzeug, von allem sehr wenig. Gelegentlich sehen wir Ackerflächen, in denen Feldarbeiter im Erbsengrün hocken. 

Die immer noch gut fahrbare Straße steigt an. Oben liegt mit spektakulärer Aussicht der Bergbau-Ort Bou Azzer. Vieles scheint noch in Betrieb, auch wenn die Behausungen der Bergarbeiter auf der rechten Straßenseite verfallen sind, aber an etlichen anderen Stellen flattert Wäsche, Schafe werden gehütet, neue Fördertürme ragen in den Himmel und schweres Gerät ist in Betrieb.

Hier ändert sich auch der Straßenzustand. Aber es wird schon kräftig daran gearbeitet. Bagger hängen in den Bergflanken und brechen sich Bahnen, LKW stehen bereit im Flussbett. Vermutlich ist der Bergbau einträglich, sonst würde gewiss keine neue Straße im engen Tal gebaut.

Wir folgen dem Flussbett nach unten und biegen links ab auf die R111. Die Oasen werden breiter und üppiger. Am dörflichen Leben in den Örtchen ziehen wir vorbei, immer noch überbreiten Flussbetten folgend. Ganz selten kann man darin kleinere Pfützen Wasser sehen, meist total grün schimmernd, voller Algen. Flusswaten ist leider nicht möglich, aber auch, weil wir mit unserem Womo unmöglich die Straße verlassen können. 

Irgendwo hinter dem Nichts taucht wie aus dem Nichts eine moderne Tankstelle auf. Kommt wie gerufen, getankt wird unter bellender Beobachtung. Eine Hündin mit ihren beiden kläffenden Welpen ist sofort zur Stelle. 

Die weitere Reise geht immer noch vorbei an riesigen Flussrinnen. Man kann sich lebhaft vorstellen, wie sich, sollte es mal Regen geben, die Wassermassen die Hänge hinab in die Flussbetten stürzen. Die ganze Gegend, sofern flach, ist quasi ein einziges Flussbett. Sandige Hügel und Verwehungen tauchen auf, es staubt, ein wenig Wüste. 

Bald erreichen wir Foum-Zguid und unser Tagesziel für heute, Hotel Bab Rimal mit SP. Es ist noch früher Nachmittag, 30 Grad, und wir können den schönen, erfrischenden Pool noch nutzen. Eine kleine Foto- und Hunderunde, das war‘s für heute. Nicht zu vergessen: Wims Frikadellen zum Sonnenuntergang - passen wie Faust auf‘s Auge, sind aber sehr lecker. Was soll immer das ganze romantische Gedöns ... 

Dienstag 10.03.2020

Hinein ins Vergnügen, erstmal ins sehr frische Poolwasser, dann ins rollende Wohnklo mit Essecke. Diese Herberge war gar nicht schlecht, Hundeauslauf prima, aber eine Nacht reicht auch, wir sind eben nicht so die Pool-Lieger. Und die einzigen Mitcamper hier, ein kleines Feuerwehrauto aus der Heimat, sind äußerst zugeknöpft, um nicht zu sagen unsympathisch, erwidern nicht mal einen Gruß. Abends rollte noch eine belgische Geländewagen-Karawane ein, an die 20 Stück. Die Besatzungen amüsierten sich noch lange im Pool. Da mussten sicher mal einige Ritzen gründlich gewässert werden. Solche Hotels, darüber hatten wir bisher gar nicht nachgedacht, sind natürlich auch ausgerichtet für solche Gruppen. Man denkt doch oft nur über den eigenen Wirkungskreis nach, muss sich ändern. Das kann auf der N12, die wir nun befahren, mal vertieft bearbeitet werden. Irgendwie hoffend, mal einen normal beeindruckenden Reisetag vor uns zu haben, durchfahren wir Foum-Zguid. Wunderschön bunt sind die Frauen gekleidet, vermutlich muss man sich Farbe greifen, wo es nur geht, hier in dieser sandigen, steinigen Welt. Neben den üblichen maroden Arkadengängenshops sehen wir flammneue Militäranlagen, tadellos in Schuss. 

Durch den breiten Torbogen rollen wir den steinigen Weiten entgegen, eingerahmt von Bergen und Hügeln in allen denkbaren Brauntönen. Schilder warnen vor Eseln, Ziegen, Dromedaren. Na ja, so das Übliche eben. Breite Furten, von denen die flutenden Wassermassen nur noch Schrott übrig gelassen haben, wurden schon provisorisch instand gesetzt. Wenn es hier, wie wir gestern schon gesehen haben, mal richtig vom Himmel gießt, dann ist man flott abgeschnitten von der Umwelt und erstmal gefangen. 

Die Gegend wird sandiger, damit lieblicher. Goldener Sandüberzug nimmt den Steinen, Felsen und Brocken das Schroffe. Das Land wirkt wie gepudert. Schilder warnen mit „Attention“ und „Danger“. Hier wird der Wind also auch schon mal richtig blästern und fegen, und unerwartete Sandverwehungen können einem schon einen richtigen Crash bescheren. 

Da, wo es noch pudriger wird, stehen plötzlich Dromedare. Lauern wir auch immer irgendwie, sind wir doch immer wieder begeistert, wenn wir welche erblicken. Und diese hier stehen direkt an der Straße unter ein paar jämmerlichen blassgrünen Zweigen und versuchen, sich etwas heranzuangeln. Mein Flehen, zu stoppen, wird von meinem Fahrer erhört. Auf ewig zu Dank verpflichtet mit dem Versprechen, es ihm am Körper wieder gut zu machen, entsteige ich mit einem Tütchen altem Brot und der Kamera dem Womo. Es ist schon anders, sich so direkt einem frei lebenden Tier, dazu noch einer Dromedar-Mama mit Baby, zu nähern. Sie wirken wie Bildchen, die man ausgeschnitten und in ein Landschaftsbild geklebt hat. Sie sind scheu, so schön anzusehen, lassen sich vom Brot nicht locken, schreiten gemächlich von mir weg in eine andere Richtung. „Komm, Kleines, wir wechseln besser die Straßenseite“, so muss die Mama zu ihrem Kleinen gesagt haben, denn als wir abfahren, schreiten sie Richtung schwarze Berge. 

Mit dem schönen Erlebnis im Herzen geht unsere Fahrt leicht hinab, ein Oued liegt vor uns. Neben der Fahrbahn blitzt es plötzlich schillernd grün-blau. Endlich, Wasserwaten! Aussteigen! Die Hunde sind begeistert. Wir weniger, denn Chianga saut sich sofort im Modder und Schlamassel am Ufer ein und stinkt wie ein verwesender Frosch. Aber es gibt tatsächlich Stellen mit Fließwasser, wohin es auch immer fließt, denn etwas nach oben, etwas nach unten, da ist kein Wasser mehr im Flussbett, möglich, dass der Fluss irgendwo unterirdisch weiter fließt. Überirdisch jedenfalls haben unsere Zwei jetzt außerirdisch Spaß. Genussmomente für uns alle, auch was das anhaltende Froschkonzert anbelangt. 

In Richtung Tissint wird es gebirgiger, aber auch die Palmentäler werden deutlicher. Menschen schleppen Grünzeug heran, und im Ort herrscht die gewohnte Betriebsamkeit. 

Der Rückblick auf Tissint zeigt eine lange Häuserreihe, die am Fuß eines Berges, getrennt durch einen sehr breiten Graben voller Palmen, wie auf einer Klippe zu sitzen scheint. Noch ahnen wir nicht, welch ein Naturschauspiel uns erwartet. Niemals hätten wir mit solchen Formationen gerechnet. Die helle Erde ist über viele Kilometer mit tiefen Gräben durchzogen, Schluchten, die Flüsse geschwemmt haben. Ein Canyon schließt an an einen weiteren, eine vollkommen zerfurchte Erdoberfläche, soweit das Auge reicht. Tief in den Gräben sieht man den blau-grauen Kies, den Boden der Flüsse, auf dem auch einzelne Palmen und Büsche wachsen.

Irgendwann „beruhigt“ sich das Bild, die Erde schließt sich wieder, Berge und Ebenen sind wieder da, Menschen und Ziegen, so, wie es sich gehört. 

Aber doch, wie in Marokko häufig, ist nichts, wie es scheint. Auf den nächsten Kilometern wechseln die Farben. Die Berge schimmern in unterschiedlichen Grüntönen, in Blau-Violett und Braun. Die Fotos sind nicht farbverstärkt, geben das wieder, was hier geboten wird. 

Vor Tata begrüßt uns ein weißes Dromedar. Gut, vor Tantan tun das zwei. Aber dieses hier ist, im Gegensatz zu den zwei Plastikkameraden in Tantan, aus Fleisch und Blut. Leider darf es nicht so frei sein, wie die Artgenossen weiter im Land, es hat die Füße zusammen gebunden. In Tata müssen wir nach rechts zum CP Hayatt, hinüber ans andere Ufer. Grundsätzlich wäre das kein Problem, aber schwupp stecken wir in einer Haarnadelkurve oberhalb der Furt, die achsbrecherisch mit tiefen Schlaglöchern, kaum Asphalt und sandigen Partien aufwartet. Schneckentempo angesagt. Klappt. Rückweg-Gedanken: schweigt! In der Furt unten im Flussbett sind Männer mit der Autowäsche beschäftigt, denn es fließt Wasser. 

Dran vorbei, erspähen wir die Einfahrt zum CP und sind auch schon dahinter verschwunden. Schön angelegt ist es hier. Ein paar Terrassen, der Fluss in der Senke, der alte Ksar gegenüber, ein tolles Bild. Wir bleiben direkt oben stehen mit guter Aussicht und ohne Gefahr, auf Schotterzuwegung zu versacken, wobei es auf der unteren Etage am schönsten ist. Hundeauslauf ist gesichert, das Flussbett bietet genügend Möglichkeiten. Nun erstmal ankommen. Heiß ist es, dagegen hilft ein Gläschen lauwarmer Wein. Tatsächlich. 

Mittwoch 11.03.2020

Hier liegt man nachts wie ein Brot. Nicht was Backofenhitze anbelangt, nein, die Hitze, die tagsüber herrscht, verflüchtigt sich gegen Abend, keine Schwüle, kein Schmoren im eigenen Saft, auch weil vom Flussbett immer ein leichtes kühles Windchen zu uns hinauf weht. Nach dem Morgengang mit den Hunden richtet Wim Räder und Anhänger. Einige Camper starten mit ihren Quads, andere reisen ab. Schöne Lagen werden frei, aber ein Umzug ist uns zu aufwändig. Die Kraft muss für‘s Radeln aufgespart werden, sonst „kacke ich ab“ am ersten Hubbel. Und der kommt rasch und unerbittlich. Aber erstmal Fotostopp in der Senke, da wo die Furt über den Oued führt. Im Licht der Morgensonne mit den verstreut stehenden Schafen und Ziegen und dem Eselchen mitten im Fluss kommen Kindheitserinnerungen auf. So stellte ich mir als Kind die biblische Gegend vor. Ein zauberhaftes Bild, unvorstellbar, dass jemand es nicht als solches empfinden könnte. 

Viele sind schon mit Rad unterwegs in Schule und in den Ortskern. Kaum jemand, der nicht freudestrahlend grüßt und winkt. Auch der Blick zurück auf den CP ist herrlich, die Lage einfach gigantisch. Die Steigung schaffen Chianga im Hänger und ich in den Pedalen spielend. Es ist supertoll, wie unsere neuen kleinen Räder zupacken können. Das macht tierisch Spaß, finden auch Bazou und Chianga. 

Über eine breite Zufahrtsstraße erreichen wir das Zentrum und durch einige Gässchen den Souk. Das Warenangebot ist überwältigend. Die Händler sind absolut unaufdringlich, man kann sich alles ungestört anschauen. Und, wie gesagt, da gibt es einiges. Außerdem sind die Stände gut besucht, viele oft ganz verschleierte Frauen kaufen ein. Typisch für diese Gegend sind blaue seidige Röcke und schwarze Tücher. Einige Frauen fallen uns auch auf, die so gekleidet sind. Viele tragen aber auch bunte Tücher und wehen um die Ecken. Auffällig ist auch, dass selbst verschleierte Frauen grüßen, winken, lachen, ein paar Worte wechseln, ganz offen und frei sind. So haben wir das auch noch nie erlebt. Ein schönes Gefühl jedenfalls. 

In einem kleinen Laden, in typischer Art extrem gut aufgeräumt und alles in Reih und Glied, besorgen wir Orangensaft, Campari pur schmeckt einfach nicht. Brot natürlich muss auch mit. 

Durch die vielen Sträßchen radeln wir, so viele Arkaden haben wir noch nie in einem Ort gesehen. Überall sind oder waren kleine Läden oder Werkstätten. Es wird gezimmert und gehämmert, alles bekommt man, ob eiserne Gitter oder Möbel und Matratzen. Man weiß gar nicht, wohin man zuerst gucken soll.

Stadtauswärts schauen wir uns noch etwas um. Neue Schul- und Militärgebäude stehen hier, aber bald wird es wieder ländlich und ärmlicher. 

An einer belebten Ecke lassen wir uns einen Minztee servieren, er kommt fertig im silbernen Kännchen, weil draußen ja nur Kännchen, scheinbar wie in Deutschland. Aber auf einem Tellerchen liegen neben zwei riesigen Zuckersteinen mehrere Zweige frische Minze. Nach Belieben fabrizieren wir nun unseren Tee und bezahlen nach tollen Beobachtungen um unsere Räder und Anhänger herum ganze 12 DH. 

Die Rückfahrt zum Womo ist schnell erledigt, nur die warme Nachmittagssonne hält ein wenig auf, sie taucht die ganze Umgebung in besonderes Licht.

Ein kleiner Abendspaziergang beschert uns noch den Heimtrieb der großen Ziegen- und Schafherde, den Bazou und Chianga sehr interessiert verfolgen, wenn nur nicht die Leine wäre ... 

Donnerstag 12.03.2020

Nachdem die Reihe unter uns geräumt wird und die zwei Sicht beeinträchtigenden Womos abfahren, bleiben wir heute noch hier und genießen den  prächtigen, außergewöhnlichen Talblick. 

Wim dreht eine Fahrradrunde und bringt auf dem Rückweg Fettgebackenes mit: goldgelbe knusprige Kringel, noch warm, mit Zucker, mit einem Grashalm zusammengebunden, so welche, die wir schon in Tiznit kennen und lieben gelernt haben. Ein älterer Mann hat sie  im Ort auf seiner Karre am Straßenrand gebacken und verkauft. Das ist eine Überraschung, die blitzartig verschlungen ist. Einfach köstlich. 

Ansonsten tut sich heute nicht viel Bewegendes. Die Welt wird ohnehin gerade genug bewegt, das Corona-Virus. Was soll das noch werden. Die Fallzahlen steigen und steigen, alle möglichen Veranstaltungen sind abgesagt, Bezirke abgesperrt, Fährverbindungen erstmal storniert, ganz Italien macht dicht. Vorsorge und Schadensbegrenzung müssen sein. Keine Frage. Aber denkt man nur mal an die Reisenden. Wer weiß wieviele von denen, die wie wir unterwegs sind, darüber nachdenken müssen, wie und wann und wo sie wieder nach Hause gelangen. Das sind allerdings Luxusprobleme im Verhältnis zu dem Schicksal der Mitmenschen, die schon krank da liegen. Wir googeln und reden und schreiben mit unseren Lieben zuhause. Meine Schwester rät, so lange wie möglich „in der Walachei bei den Kamelen“ zu bleiben. Aber wir besprechen auch, wie wir bei längerer Dauer für den Fall, dass keine Fähren gehen sollten, an nötige Medikamente gelangen, die wären nämlich irgendwann  aufgebraucht. Mit vielem anderen wären wir hier ja gut versorgt, und jetzt muss erstmal eine noch im Vorrat befindliche importierte Blutwurst dran glauben. Nichts essen ist auch keine Lösung. 

Ein Fotoshooting im Flussbett ziehen wir noch durch. Bazou und Chianga spielen mit, Chianga eher gebremst, wie immer. Vor dem entscheidenden Act wälzt sie sich nochmal ausgiebig im Lehmstaub und wirkt, so Ganzkörper gepudert, wie ein hellweizen Ridgeback neben dem rotweizen Bazou. Aber wir lieben sie trotzdem. 

Ein Reiher in blütenweiß strahlt am anderen Ufer zu uns herüber. 

Eine richtig große Schrecke begegnet mir, die mich echt total erschreckt, als sie zwischen dürren Halmen plötzlich aufschreckt, scheint zu der Familie der Schreckschrauben zu gehören. 

Eine junge Frau kommt aus den Oasengärten zum Ufer, ihr Gesicht strahlt wie das Weiß des Reihers, obwohl ihre Haut schokoladenbraun ist. Die Nachkommen der Sklaven stellen hier in Tata einen Großteil der Bevölkerung dar, es gibt nur ganz wenige arabischen Ursprungs, ansonsten Berber. Sie ist traditionell gekleidet. Wenig später gesellt sich wohl der Grund ihres Lächelns dazu, ein junger Mann. Na ja, direkt dazu kommt er nicht, eine Etage tiefer im Flussbett liegt dazwischen, aber sie nehmen die gleiche Richtung. 

Und ich kann mich noch meinem Lensball widmen. Das sind schon Tage mit vielen Mußestunden, die prima vor- und zurückschauen lassen, auch wenn das Glas noch so dick sein mag. 

Freitag 13.02.2020

Während ich das schreibe, denke ich darüber nach, ob am „Freitag dem 13.“ was dran sein könnte. Oft macht man Spaß damit. Gesellt sich zwar am Morgen bei unserer Abfahrt aus Tata keine schwarze Katze von links dazu, so reicht heute für einen wenig glücklich machenden Tag die Nachricht, dass alle Fährverbindungen ab und nach Marokko gestoppt sind, nichts geht mehr, die Marokkaner haben wohl in Abstimmung mit Spanien die Schotten dicht gemacht. Gut, planen wir auch erst Mitte April unsere Überfahrt, so erschreckt es uns doch gehörig, auch wenn es natürlich schon ein paar Tage einkalkuliert wurde. Im Wintersport im Schnalstal war ich mal vor gefühlt 100 Jahren nach Muren- und Lawinenabgängen tagelang von der Außenwelt abgeschlossen, aber das ist irgendwie nichts gegen den Grund, der aktuell zunehmend Länder, Regionen, Städte und Orte und vor allem die Menschen lahmlegt. Es kann unfassbare Dimensionen annehmen, daher halten wir jedes Mittel, das der Eindämmung der weiteren Verbreitung dienen könnte, für angemessen. Einen Testlauf gab es ja vorher nicht. Jeder hat nun sein Päckchen Angst zu tragen, auch für die, die einem nahe stehen, egal ob man es noch „Gelassenheit“ oder „Verunsicherung“ oder wie auch immer nennen mag. Panik ist natürlich nicht hilfreich, aber manche Menschen können nicht anders. Daher sind die, die geeignetere Mittel haben, gefordert. Wir wünschen uns für alle, dass sich bald wieder die Tore zur Freude und Unbeschwertheit öffnen, und wir gesund hindurch marschieren können, egal welcher Nationalität, dass uns diese Corona-Last und -angst genommen wird.

Ob nun die Landschaftsbilder, die wir tief im Süden Richtung Westen durchfahren, stimmig oder der Lage angemessen sind oder nicht, kümmert wenig, hier herrscht Stille und kilometerweit totale Einsamkeit. Nicht mal ein Esel ist zu sehen. Nachdem wir getankt haben, hier auf dieser Route über die N12 kommt nämlich erst in etlichen Kilometern eine Tankstelle, rollen wir über eine neue Avenue durch’s Stadttor von Tata. 

Unmittelbar tut sich wieder die Weite auf, Bergketten reihen sich aneinander, stapeln sich, man kann sehen, wie Urgewalten diese Massive zusammen geschoben haben. Nur ganz wenige Ortschaften oder eher Ansiedlungen liegen weit voneinander entfernt. Hin und wieder taucht ein Palmenband auf. Flussbetten sind allgegenwärtig. Ein paar Menschen begegnen wir. Ziegen werden gehütet und Lasten geschleppt. Sandig wird es. Die extrem stacheligen Akazien blühen und leuchten mit ihren kleinen gelben Bömmelchen. 

Dromedar-Warnschilder stehen berechtigterweise. Denn die erleben wir an einigen Stellen. Sie schreiten und fressen gleichmütig und scheinbar unbeschwert. Es sei ihnen gegönnt. Eine wahre Ausbeute ist der heutige Tag, was die Sichtung von Wildtieren angeht. Dazu zählen wir jetzt einfach mal die vielen Dromedare, so als psychologische Hilfestellung bei sich anbahnendem Verdruss. Und: es hilft. Sie machen Freude, immer wieder.

Vor Akka erscheinen weitere Herden. Es soll Glück bringen, ein weißes Dromedar zu streicheln. Aber die Gelegenheit gibt uns das Weiße nicht. 

Einen Ort durchfahren wir, in dem man deutlich die Spuren und Schäden von Hochwasser bzw. Überflutung sehen kann. Stürzen Regenwassermassen diese Berge hinab, dann gibt‘s kein Halten mehr. Aber die neue, palmengesäumte Ortsausfahrt ist schon fast fertig. 

Zwischen den braunen Faltenbergen liegen im Verlauf riesige Ackerflächen, grasgrün, als habe man Kunstrasen ausgelegt. Feldarbeiter sind gut beschäftigt.

Wir nähern uns Icht, müssen vorher noch durch eine große Baustelle in einem Dorf rumpeln und treffen später .. na was wohl ? 

Icht empfängt uns mit flammneuem Asphalt. Am imposanten Gendarmeriegebäude biegen wir rechts auf die R102 ab, werfen einen Blick auf das Örtchen und steuern am Ortsausgang die Auberge mit CP an, eine Station, die wir vor 2 Jahren schon einmal für eine Nacht besucht haben. 

Und ankommen ... vor Traumkulisse bei über 30 Grad.

Samstag 14.03.2020

Eigentlich, ja eigentlich hatten wir vor, heute noch zu bleiben, hier in der Einsamkeit. Zwei Engländer gesellten sich gestern noch dazu. Ansonsten herrscht Stille. Ich spüre viel Unruhe, die Nachrichten im TV und in FB lassen Ruhe nicht zu. Es ist schrecklich, das Virus leistet ganze Arbeit. So surreal es auch ist und wir oft denken, dass das alles nicht wahr sein kann, so überdeutlich zeigt die Realität eine hinterhältige Fratze. Sicher kann man sich nirgends fühlen. Zur Ansteckung braucht es ja nicht viel. Und Sorgen sind relativ, unsere und die unserer Familie zuhause. Wir brechen auf, Unruhe lässt sich leichter in Bewegung ertragen. Tiznit ist Ziel. Wir müssen hier bei unserem Polsterer Momo etwas nachbessern lassen. Und da die Möglichkeit einer Fährpassage momentan ausgeschlossen scheint, und wir zudem ca. 1000 km weit weg von den Häfen sind, können wir das noch in Tiznit erledigen, und danach ggf. über besseres Straßennetz in einem großen Rutsch Richtung Mittelmeerküste fahren. In Tiznit ist unsere Ausgangsposition für einen möglichen Rückzug in die Heimat besser, obwohl wir uns an solchen Gedanken eigentlich nicht abarbeiten wollen. Aber wir werden beobachten und handeln, das steht fest, da sind wir uns einig. Die Weiterreise tiefer in den Süden bis Laayoune ist jedenfalls mehr als fraglich. Ich leg schon mal das Zeug zum Abschminken bereit.

Also Fertigmachen zur Abreise. Duschen in den wirklich sehr perfekten Räumen, bezahlen, entsorgen, und ab durch das eiserne Tor. Der CP ist wirklich ausgesprochen schön, liegt herrlich mit riesigem Hundeauslauf in der unendlichen Weite, wird perfekt geführt von einem französischen Betreiber, mit 100 DH pro Nacht für marokkanische Verhältnisse nicht billig, aber absolut angemessen und im Rahmen. In einem anderen Jahr schaffen wir vielleicht mal einen etwas längeren Aufenthalt und den Besuch des Örtchens Icht hier in dieser wundervollen Landschaft. 

Das schmale Bändchen der R102, das schon bessere Jahre erlebt haben muss, nimmt uns auf und gibt die Richtung Bouizakarne vor. Es herrscht überraschend viel Verkehr, anstrengend auf dieser eigentlich einspurigen Straße. Höllisches Aufpassen ist wieder angesagt. Aber wir haben ja Zeit. So bleibt doch ein Auge für die in diesem Teilstück der unteren südlichen Marokko-Route fantastische Natur. Ein Dromedar oder gar mehrere werden uns zwar heute nicht beschert, aber wir hatten ja gestern den Dromedar mäßig sehr ertragreichen Tag. Wir passieren die Stelle, an der wir im letzten Jahr den Jungen mit seiner Herde getroffen haben, kurz hinter einem Brunnen, der heute von einer vielköpfigen Ziegen- und Eselherde mit winkenden Hüterinnen unter Beschlag genommen ist. 

Über eine weite Strecke führt die Straße wieder entlang an tiefen aufgebrochenen Lehmschichten. Metertief liegen die wasserführenden Rinnen. Ringsum ein steinernes Meer. 

Wir passieren eine kleine Ortschaft im sandigen Palmental. Der Sand ist sehr hell und fein in dieser Gegend, wodurch die Palmenstreifen noch malerischer wirken vor den dunklen Bergflanken. 

Timouley wird durchfahren, kurz danach Bouizakarne. Hier hat sich viel getan seit unserem letzten Besuch, die Baustellen sind fast weg. Wünschenswert wäre, dass auch für den überall rumfliegenden Müll eine Lösung gefunden würde. Vielleicht sollte sich der Bürgermeister mal mit dem aus Rissani unterhalten. 

Über die N1 und einen kleinen Pass mit ausgebesserter Straße geht es zunächst hinauf, dann hinab. Hier erinnert mich die Natur immer irgendwie an Südfrankreich, was die Farben der Felsenlandschaft anbelangt. Gut, dicke kugelig wachsende Kakteen sieht man dort eher nicht, aber hier wirken sie wie bewusst in einem riesigen Steingarten eingepflanzt. Mit irren hoch gestapelten Wagenladungen schleppen sich kleine LKW mühsam im Schneckentempo auf der Gegenfahrbahn über die Passstrecke mit ellenlangem Gefolge. Vermutlich war Einkaufstag in Tiznit, das wir nun bald in weiter Ebene erreichen. 

Hinter DEKRA und Gefängnis beginnt die breite Allee, hinter dem Kreisverkehr geht‘s hinter dem schönen Tor direkt scharf rechts zum Polsterer. Wiedererkennen keine Frage. Selbstverständlich kümmert er sich um das Ausbessern der gerissenen Naht an unserem Polster. Zwei Tage soll es dauern. 

Wir durchfahren die lebendige Ortsmitte bis zum direkt hinter der Stadtmauer liegenden neuen SP Tinbar. Ergattern können wir den letzten Platz, direkt vorne im Einfahrtsbereich, Abwasserentsorgung vor der Nase. Es spielt keine Rolle, es wird evtl. nicht für lange sein, und wir sind froh, gut unterzukommen. Die Sonne scheint, es ist richtig warm, Stühle raus, genießen.

Sonntag 15.03.2020

Nach wenig wirklicher Nachtruhe schnappen wir uns die Räder. Schön und traurig zugleich, wieder hier zu sein. Irgendwie rastlos und mit Gedanken, die wie ein Sack auf einem lasten, fügen wir uns ein in das Gewusel der kleinen Stadt. 

Teil werden wir diesmal nicht, obwohl uns der bekannte Tajine-Händler noch vom letzten Besuch kennt und die Geschäftigkeit in und um den Obst- und Gemüsehändler wieder so schön und lustig ist. Ein paar Souvenirs für zuhause kaufe ich ein, was ich hab, hab ich, wer weiß, wann wir aufbrechen ... müssen. Unsere Stimmung ist sehr gedrückt, wir pflaumen uns an, manchmal ist es eben nicht rosig, obwohl man im Grunde einer Meinung ist. 

Am Womo zurück beschäftigen wir uns mit irgendetwas. Mein Tagebuchtext ist dürftig. Die Lust, etwas tiefergehend zu beschreiben, Erlebtes für unsere Erinnerungsschatztruhe und die, die uns virtuell begleiten, festzuhalten, ist wenig vorhanden, ich kann meine trüben Gedanken an diese Pest selbst zur Ablenkung nicht umleiten. Dann bleibt es jetzt eben so und wird nicht ausführlich beschrieben. Wim radelt nochmal los, will gebackene Kringel besorgen, die es in Tiznit am späteren Nachmittag gibt. Er fährt auch noch beim Polsterer vorbei. Leider hat er noch nichts gemacht, muss morgen erstmal den Stoff in Agadir besorgen. Oh nein, oh nein, dann dauert es sicher bis Mittwoch, ehe wir hier wegkönnen. Ein Blick genügt, Frage geklärt, ob heimgereist wird oder nicht. Natürlich fahren wir, morgen früh werden wir die unfertigen Polster bei Momo abholen und auf direktem und schnellstem Weg über die AB Richtung Marrakech und weiter über Rabat und Asilah nach Ceuta fahren. Deutlicher können die Empfehlungen im TV, in FB, von der Botschaft und vom eigenen Verstand und Gewissen nicht werden. Jeder verschlingt zwei Kringel, und zusammen verspeisen wir noch die ganze Tüte mit kleinen Minikringeln, was in der Nacht zu Sodbrennen führt, das sich aber möglicherweise sowieso eingestellt hätte. Wurscht!