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Unser Arto 

ein Wüstenschiff


Oasen

Die grünen Perlen Marokkos


Sonntag 21.01.2018

Die Nacht war kurz, nicht nur, weil ich erst sehr sehr spät in die Koje gesprungen bin, sondern auch, weil ich nicht einschlafen konnte wegen einer Riesenparty in der Nachbarschaft. Bis in die früheren Morgenstunden wurden wir beschallt, die Musik war zwar sehr schön, aber brüllend laut. Bei derart vielen Bars und Clubs in der Nachbarschaft möchte ich in der Saison hier niemals abgemalt sein. Aber der Morgen ist sonnig, und es wird immer wärmer. Das extrem saubere und ordentliche Waschhaus am Platz wird aufgesucht. Und damit steht ein für alle Male fest, ich gehe in kein Waschhaus mehr. Es kommen 7 einhalb Tropfen Warmwasser, kaltes gab es genug. Also wieder anziehen, raus, und unter die eigene Dusche. Wir nutzen zwar ohnehin bis auf ganz wenige Ausnahmen immer unser eigenes Bad, da wir auch selten auf CP stehen, aber in einem ansonsten schönen Waschhaus konnte man ja nochmal einen Versuch starten. Nach dieser Erkenntnis und nach V+E reisen wir ab. Die Strandpromenade in Saidia ist schon gut besucht, auch der Souk, an dem wir wieder vorbei fahren, die Parkwächter winken und wünschen gute Reise. 

Es geht lange Zeit auf der N2 am gut bewachten Grenzzaun zu Algerien entlang, und drüben auf der anderen Seite sieht es auch nicht anders aus. Man denkt oft, man müsse doch einen Unterschied erkennen können, aber so grenznah gibt es sicher auf der ganzen Welt viele Ähnlichkeiten. Dennoch ist es ein kribbelig-schönes Gefühl, auf Algerien zu blicken. Vor Oujda wechseln wir auf die N17, mit dem Gleisbett der Eisenbahn zur Linken, an großen Oliven- und Apfelsinenplantagen vorbei, an vielen eingesäten Ackerflächen, an Händlern, die am Straßenrand ihr Gemüse und ihr Öl anbieten, durch nur wenige Orte mit großer Geschäftigkeit, in denen die Grillkohlen jetzt in der Mittagszeit schon heftig qualmen. Hier in dieser Gegend um Jerada befinden sich die bedeutendsten Kohlebergwerke. Wir versuchen, uns vorzustellen, in welcher Gluthitze hier die Männer ihrer schweren Arbeit in den Bergwerken nachzugehen haben. Wüste und Kohle, bei diesen Gedanken wird einem ja schon im Sitzen im klimatisierten Fahrzeug heiß. Hügeliger wird es bald, lichte Kiefernwälder erstrecken sich weit, ebenso neu angepflanzte Flächen mit jungen Kiefern. An einigen gut besuchten Picknickstellen fahren wir vorbei. Oft zeigen sich metertiefe Brüche in der Erde, tiefe Spalten vom Wasser ausgeschwemmt. Jedenfalls scheint es hier zu bestimmten Jahreszeiten viel zu regnen. 

Und dann beginnt sie wieder, diese unfassbar schöne Landschaft, dieses Sehnsuchtsbild Afrika, man sieht sie förmlich, die Herden der Springböcke, den Geparden, der im Baum hängt, während 3 Giraffen vorbei ziehen, und weit hinten in den höheren Gräsern könnte sich gerade der Löwe mit vielen Drehungen das Steppengras platt treten, um sich darauf genüßlich niederzulegen. Ach ja ... Gedanken an „Die Wüste lebt“ und „Ich hatte eine Farm in Afrika“ kommen unweigerlich und lassen sich zur unsagbaren Schönheit der Bilder weit austräumen. So ziehen wir auf meist schnurgeradem schmalen Asphalt dahin, mittlerweile auf 1600 m Höhe, rechter Hand rostrote Hamada, linker Hand sandfarben, die strahlende, schon recht brennende Sonne über uns. 

Hin und wieder begegnen uns auf der Strecke von gut 240 km einige LKW oder der Überlandbus saust vorbei. Vielköpfige Schafherden werden gehütet in dieser endlosen Weite, wie Streichholzschachteln liegen verstreut sehr viele Behausungen der Halbnomanden, die den Winter über in ihren Wohnungen in Oujda oder Tendrara verbringen. Zu gerne würde ich eine Familie besuchen. Zu gerne würde ich auch eine Nacht dort verbringen. Wir denken darüber nach, letztlich werden wir es hier im doch nicht so uneingeschränkt „sicheren“ Grenzgebiet mal nicht tun, ich hoffe aber sehr auf eine baldige nächste Gelegenheit. 

Unser Plan, auf halber Strecke in Ain Benimathar die im Reiseführer erwähnten Quellen in einem angeblich schönen Park mit Stehmöglichkeit über Nacht zu besuchen, geht nicht auf; der Park ist total verdreckt, eine elend öde Ecke, nicht besuchenswert. Dafür ergibt sich die Möglichkeit, nach freundlichem Anfragen der Gendarmen am Ortseingang im 100 km weiter gelegenen Tendrara direkt an der Polizeistation zu nächtigen. Insgesamt 6 verschiedene Polizisten erkundigen sich abwechselnd nach unserem Befinden und sichern uns eine sichere Nacht zu, es gäbe aber auch keine unsicher machenden Vorkommnisse. Ich gucke den kleinen Dorfjungs, mit denen ich kurz ein Schwätzchen gehalten habe, beim Spielen mit einem Welpen zu und studiere sehr genau den Umgang miteinander. Ja, so etwas anders als bei uns zuhause gehen sie schon mit dem Welpen um, aber letztlich gewinnt der tapsige Winzling doch mit seinem Welpenwesen das Herz des etwas rüderen kleinen Jungen, so hoffe ich doch sehr. Es wird dunkel, es wird kühl, die Sonne verliert ihre Kraft. Der Abend bringt uns nicht nur Salat, Kartoffeln und was Kurzgebratenes vom eigenen Herd, sondern auch himmlische Ruhe, hier in der abgelegenen Gegend auf über 1500 m. 

Montag 22.01.2018

Nach herrlich friedlichem Schlaf weckt und lockt uns der Sonnenschein. Vier Gendarmen ziehen winkend am Womo vorbei, rufen, wir seien „every day“ willkommen. Sag das mal zuhause zu einem Marokkaner, der auf Deinem Hof nächtigen will ... ja, immer wieder sind Wim und ich derart berührt von der Zugewandtheit der Menschen hier. Sie macht einen großen Teil unserer Begeisterung für das Reisen in diesem Land aus. Bleibt man auf Distanz, hat man Probleme mit einem evtl. Zu-nahe-Kommen, ja, dann ist das einerseits sehr bedauerlich, und andererseits bedeutet es auch, man entbindet sich von solch großen Bewusstseinserweiterungen, Erfahrungen, die man nie und nimmer in unserer Heimat machen kann. Es sind eben auch diese Denkanstösse, die hier im Land beschäftigen und unsere Zeit füllen, während gerade die Morgensonne die glitzernde Nachtfrostdecke auf unserem großen Heki zum Schmelzen bringt und die Wäsche bei den Nachbarn schon auf der Leine hängt. Wir rüsten zur Weiterfahrt.

Entschieden haben wir uns für das nächste Ziel, die Oase Iche wird angesteuert. Es wäre zu schade, sie, im wahrsten Wortsinn, links liegen zu lassen. Auf der Strecke bis dorthin, etwa 200 km über die N17, liegt nur eine einzige Ortschaft, die Kleinstadt Bouarfa. Es geht auf der Hochebene hinweg bis auf 1400 m, immer in nächster Nähe zur Grenze zu Algerien. Die Sonne scheint sehr kräftig, richtig heiß mitunter. In der kaum zu beschreibenden schönen ursprünglichen einsamen Wüstenlandschaft mit ihren unzähligen Nomadenzelten, in der sich die riesigen Schafherden ausmachen wie kleine Champignonköpfe in braun und hell, mit ihren vielfarbigen Erdschichten, dem strahlend blauen Himmel, herrscht eine fast greifbare Stille. 

Nur wenige Fahrzeuge treffen wir unterwegs, hin und wieder ein Gespann. Aber kein Landstrich ist hier zu dürftig, als dass nicht doch noch irgendwo und irgendwie Menschen hier leben würden. Immer wieder, wie aus dem Nichts, tauchen arbeitende Gestalten auf, die sich um ihre Existenz mühen, vielfach Männer und Jungs, die in allem und mit allem Wasservorräte beschaffen und zu ihren Behausungen schleppen. 

Unterbrochen wird dieses Bild nur ein Mal, nämlich durch die Kleinstadt Bouarfa, eine sehr modern wirkende, sehr großzügig angelegte Stadt mit breiten Straßen, schöner Bebauung, sehr viel Grün und mit gepflegter Ordnung. Hier könnten wir auch ohne Weiteres per Rad und Fahrradanhänger alles erkunden, jetzt geht es aber erstmal weiter. Ohne Übergang fahren wir vom Wüstenland in diesen Ort, und ebenso übergangslos wieder hinaus, das heißt, wir verlassen die Stadt durch ein sehr prächtiges Stadttor.

Unterwegs passieren wir etliche Polizeikontrollen. Fast immer werden wir freundlich grüßend durchgewunken. Auch schlängelt sich ein metertiefer breiter Grenzgraben mit aufgeschüttetem hohen Wall kilometerweit parallel zur Straße. Große Bagger sieht man an einigen Stellen. 

Die Abzweigung auf die 6108 nach Iche lässt sich nicht übersehen. Knapp 80 km fahren wir nun auf einer schmalen, manchmal holprigen und löchrigen Straße, immer noch im Bann der unsagbar weiten Naturlandschaft. Hier in Marokko fühlt man sich oft wie in einer Dauerschleife einer Naturdokumentation auf überdimensionaler Leinwand. All diese Naturschönheiten, vom Auge aufgenommen, muss das Hirn verarbeiten, das dauert bei uns manchmal, und die Augenmüdigkeit lässt sich dadurch auch leicht erklären, einfach eine Überlastungserscheinung, die aber sehr glücklich macht. Eine kleine Pause nutzen die Hunde, um sich wie Verdurstende durch die Blumenkohl ähnlichen steinharten extrem stacheligen Gewächse zu schleppen. Ihr Instinkt mahnt wohl zur Vorsicht. 

Eine längere Pause legen wir 20 km vor der Oase an einem Flussbett ein. Riesige Felsplatten bilden kleine Gumpen, in denen Wasser steht. Eine Eselherde lässt sich erst nicht sehr von unserer Anwesenheit beeindrucken; als Bazou und Chianga aussteigen, staunen sich beide, die Herde wie die Hunde, aber doch sehr an. Neugierig pirscht Bazou sich ran, wird mutig und mutiger, bis der allermutigste Esel plötzlich anfängt zu wiehern, au Backe, da gibt Bazou aber Fersengeld, kommt aber schnell wieder zurück und albert zusammen mit Chianga um die Esel herum. Ein herrliches Spielchen sehen wir uns an. Weitere Herden kommen, werden zur Tränke geführt, Familien kommen, füllen alle möglichen Behälter mit Wasser und laden alles auf Ihre Tiere. Ein Segen für Mensch und Tier, dass hier Wasser fließt. Man sagt, der Fluss sei ganzjährig wasserführend. Zwei Männer kommen heran in ziviler Kleidung, sie seien vom Militär, beobachteten die Gegend. Wir unterhalten uns froh und mit Händen und Füßen, werden verabschiedet von Herzen von Mohammed und Aziz. 

Über einen Gebirgskamm hinüber holpert das Womo mit uns bis ans marokkanische Ende, denn jetzt ist Algerien wirklich nur einen Steinwurf entfernt. Und dann wird sie sichtbar, die Oase mit ihren tieferliegenden Gärten, dichte Palmwedel winken uns zu, sattes Grün unter warmer Sonne. Langsam rollt das Womo ein Sträßchen hinauf, und wir stehen auf einem größeren freien Platz. Flott stellen sich die Dorfbuben unterschiedlicher Größe ein, ein Soldat kommt und bietet uns einen Guide an, das ist hier so üblich und uns bekannt.

Es geht auch schon los. Der Guide, ein Mann mittleren Alters, nimmt seine kleine Tochter auf den Arm, und wir wandeln mit den ganzen Buben im Schlepptau durch den uralten schon verfallenen Ksar mit seinen ehemals sicher herrlichen Oasengärten. Die Jungs ziehen uns in einem Garten eine Möhre aus der Erde, in einem anderen ein Rübchen. Ein junger Mann, 15 Jahre, bemüht sich sehr um uns, erklärt uns so gut es geht alles Mögliche und hat Spaß daran. So ist es eine lustige Runde mit allen zusammen. 

Am Womo zurück, will der Guide die 10 Dirham nicht annehmen, der junge Mann freut sich aber darüber. Wir geben der Rasselbande eine Büchse Pringles, sie beginnen genüßlich mit dem Verspeisen. Der Mann kommt dazwischen, gibt jedem noch eins, nimmt die Büchse und geht. Also ich bin sowas von sprachlos, möchte hinterher, um dem die Meinung zu geigen, bleibe aber perplex zurück. Sowas, unglaublich! Also wandert noch ein Beutel Flips aus dem Womo zu den Jungs. Und die unter dem Siegel der Verschwiegenheit stellen sich etwas abseits, und was sehe ich, sie öffnen die Tüte und zählen die Flips ab, alle strecken Hände aus und ziehen Pullis lang zu Beuteln, um die abgezählte Ration verstauen zu können. Also müssen paar Beutelchen her, denn die Hände der kleinen Jungs laufen schon fast über. Wim schmeißt also noch eine Runde Brotbeutelchen, die schwarzen Bubenaugen strahlen, und die Münder quellen über. Auch unsere Fahrradpumpe kommt noch zum Einsatz. Wir alle freuen uns, wir alle wissen, was gemeint ist, und wir alle haben keine gemeinsame Sprache. 

Das war das erste Mal, dass ich Kindern etwas gegeben habe. Wir möchten einfach nicht „Prinz Karneval“ spielen und die Kinder zum Betteln anlernen. Aber diese Situation heute war anders, zuhause hätte ich auch nicht anders gehandelt. Was für ein Tag ... der mit einem wohlschmeckenden Oasen-Gemüse-Topf mit Schnitzel, noch von zuhause, und einem Blick über die Oase wie aus „Tausend und einer Nacht“ endet.

Dienstag 23.01.2018

Die Nacht war still und leise, aber recht kalt. Morgens müssen wir ohnehin, das kennen wir vom letzten Jahr, sehr häufig heizen, auch wenn die Tage oft schon für uns sommerlich warm sind. Aber man vergisst schnell, in welchen Höhenlagen man hier in Marokko häufig unterwegs ist. Unsere Alde-Heizung gehört zu den Neuerungen im neuen Womo, die uns wirklich begeistern, insbesondere, weil wirklich überall, besonders im Bug, gleichmäßige behagliche Wärme erreicht wird. Früher blies einem die Truma die warme Luft um die Ohren, hinten herum war es aber dennoch kalt. Na ja, so allmählich lernen wir unser neues Womo schätzen, es zu lieben, braucht es noch ein wenig. Wim ist immer noch etwas in Sorge, weil man sich noch nicht so gut kennt, er und das Womo. Grund dafür gibt es auch, unsere Aufbautür klemmt oft, man muss Angst haben, sie lässt sich plötzlich nicht mehr öffnen, also vorsorglich nie achtlos zuziehen, wenn die Fahrertür verriegelt ist und man ohne Schlüssel rausgeht. Der Kontakt des Fensterhebers Fahrertür hat einen Wackelkontakt, d. h. Fenster geschlossen halten, es könnte ja mal nicht mehr hochfahren, wäre auch arg. Ja, so kommen eben kleinere und größere Wehwehchen raus, um die wir uns nach Rückkehr zuhause kümmern müssen. Natürlich richten sich auch unterwegs viele unserer Gedanken darauf. Kinder und Familie sind zwar nicht nah dabei, aber selbstverständlich mit ihren Freuden und Sorgen dann doch wieder. Natürlich treiben wir uns nicht egozentrisch und eigennützig nur um uns selbst kreisend in der Gegend herum. Aber hier, tief unten in Marokko, in dieser verträumten Oase, da blinzelt man schon durch die Palmkronen der Morgensonne entgegen im Wissen, der Tag gehört mir, mir allein. 

So packen wir ihn an und starten unser Womo. Es geht erstmal die knapp 80 km zurück zur N17, eine andere Strecke gibt es leider nicht. Aber keinesfalls fahren wir einfach an diesem wundervollen Wadi vorbei, hier müssen wir einfach nochmal stoppen und diese Stimmung und das Spiel unserer beiden Hunde genießen. Im Morgenlicht wirkt alles wieder anders. Menschen sitzen an den Gumpen und schöpfen Wasser in Behälter, Ziegen und Schafe kommen und stillen ihren Durst. Chianga, Wim hatte Bazou schon am Schlawitschen, mischt kurz eine kleine Herde auf, der junge Bursche, der sie hütet, schaut etwas ängstlich, seine Schafe bilden blitzschnell einen engen Kreis, ein dickes wollenes Knäuel mit vielen Beinen. Es geht alles gut aus, uns tut es aber trotzdem leid für den Jungen; so ist das mit dem „der tut nix“, wenn das Onkel Rütter erfährt. 

Trotzdem gut gelaunt geht die Fahrt weiter. Es begegnen uns einige Militärfahrzeuge, die Bagger sind heftig mit dem Grenzgrabenbau beschäftigt. An einer Stelle sehen wir, wie breit und tief da ausgehoben wird, und das kilometerweit mit hohem Wall davor. Wir fragen uns, was das wohl alles kostet und ob hier wirklich angenommen wird, dass man das nicht überwinden könne oder überfliegen. Aber andererseits erzählte uns im letzten Jahr jemand in Merzouga ganz stolz von diesem Graben, er betonte, wie sicher sich die Menschen in Marokko dadurch fühlten. Na ja, wir wissen eben auch darüber viel zu wenig, um „mitreden“ zu können. 

Die Holperstrecke endet an der Einmündung zur N17. In Marokko sehnt man sich manchmal nach wenigstens mal 5 km einigermaßen glattem Asphalt. Und den finden wir jetzt, ziemlich neu, kaum gefranselt an den Seiten, mit Fahrbahnmarkierungen, die blütenweiß in den Sonne strahlen. Also Dahingleiten angesagt. Das kommt uns entgegen, denn knapp 100 km sind es bis Figuig, ohne jede Ortschaft dazwischen. Die einzige Bevölkerung sind die Nomaden mit ihren Herden. Viele Ansiedlungen sieht man, ebenso viele liegen sicher für uns nicht sichtbar im Irgendwo. Wir fragen uns, wie und wovon sie leben, was und wie sie kochen, ob man sich zum Schlafen anders kleidet als tagsüber, ja, solche Luxusthemen werden gewälzt, eben solche, für die Zuhause niemals Zeit und Muße wäre, hier beim Reisen aber sehr häufig, was uns unendlich gut tut. Der Weg muss das Ziel sein, damit fahren wir gut. Und dieser Weg hier führt lange an einem sehr breiten Flussbett voller Kies vorbei. Was muss es hier fluten, wenn es flutet. Und das wird der Fall sein, wenn man sich die vegetationslosen Flanken der Berge rundum ansieht. Hier stürzt sich jeder Tropfen ins Tal, fließt in vielen hinzu kommenden Bächen ins große Flussbett. Ein paar Stauseen gibt es auch, die man über Pisten erreichen kann. Vor Figuig fallen uns gemauerte hohe breite Einfahrten auf, die einfach so dastehen, zusammenhanglos. Andere gehen in Zäune über, die ein bepflanztes Areal mit Palmen oder Oliven schützen. Vermutlich soll aus den Alleinstehenden auch mal so etwas werden, aber sie scheinen schon dem Verfall preisgegeben zu sein. 

Eine kleine Polizeistation, ein knapp mannshohes leicht rosafarbenes winziges Würfelhaus mit einem Fenster, guckt auf einer Kuppe raus, davor 2 pickfeine Beamte mit rotem Kordelbesatz auf der tadellosen Uniform, fragen freundlichst nach unseren Pässen und dem Fiche, das man so grenznah tunlichst ausgefüllt dabei haben sollte, eine Art Bestätigung, woher man kommt und wohin man will in Marokko. Ich finde diese beiden Zettel für einen Moment nicht, albere herum mit den in gebückter Haltung aus dem Würfel dazu gekommenen 3 weiteren Beamten, sie lachen sich schlapp, als ich aus Spaß die Augen schließe, die Hände hochnehme und sie danach überkreuz lege, parat für eine Verhaftung. Lustig ist das Ganze, mit besten Wünschen und Gewinke dürfen wir natürlich weiterziehen. Hinter der Kuppe, ich hoffte es, dann der erwartete Blick: die Oasenstadt breitet sich aus, jedenfalls ein Teil davon. Eine kleine Stadt öffnet sich mit gewohnt breiter Straßenführung, im Hintergrund stehen die Palmen stramm. Das ist mal ein Empfang! 

Wir bleiben auf der Hauptdurchfahrt, finden dann am Ortsausgang ohne Probleme ein kleines Schild „Figuig Camping“, und ein Mann öffnet schon flott ein breites Eisentor. Wenn auch die Tordurchfahrt recht knapp bemessen ist, so schlüpfen wir doch geradeso hinein und finden zwischen den eng stehenden Olivenbäumen einen schönen Platz. Stühle raus, Sonne genießen, etwas fotografieren, Gläschen Orangensaft mit Campari, ach wie schön. Morgen landet, wie der Mann sagte, eine Reisegruppe mit 10 Womos, na dann wird es erstmal lebendig um uns herum, wir haben seit Tagen auf diesen ganzen Strecken hier kein einziges Womo gesehen. Abends bleibt die Womo-Küche kalt. Wir bestellen eine Tajine im Restaurant, die auch sehr gut schmeckt ... und morgen findet Oasen-Radeln mit Sack und Pack statt. 

Mittwoch 24.01.2018

Tage wie diese kennt jeder: am Vorabend viele Pläne, bis zum Frühstück am nächsten Morgen auch noch, dann ebbt es irgendwie ab. Von diesem schönen Plätzchen unter den Olivenzweigen, die dicht auf der Windschutzscheibe liegen, wollen wir uns heute nicht wegbewegen. Irgendwie wollen wir es uns heute mal so richtig campingmäßig bequem machen. Wim besorgt Brot. Er bringt auch marokkanische Crepes mit. Das sind blättrige quadratische Fladen, nur ganz leicht süßlich, sie wirken zart, sind aber recht fest in den einzelnen Schichten, man muss schon kräftig kauen, sie zerfallen im Mund nicht wie man das von einem Blätterteig oder gar einem Croissant kennt. Wir haben sie zum ersten Mal letztes Jahr in Oualidia gegessen. Am Nebentisch einer Bar ließen sich zwei junge Mädchen so etwas servieren, sie bestrichen die „Platte“ dünn mit einem buttrigen Schmierkäse, rollten den Fladen zusammen, und hinein in den gefrässigen Schlund, dazu schlückchenweise Minztee. Wir beobachteten damals genau, wie man das macht/isst und bestellten uns auch eine Ladung, die köstlich mundete unter der von den vielen Grillstellen eingeräucherten Markise des Lokals. Nun haben wir hier erstmal beim Frühstück nur Erdbeermarmelade, aber auch in Marokko gekauft, die muss herhalten, wird aufgestrichen, und sie gibt alles, lecker. 

Die Fahrräder hieven wir im Anschluss erstmal nicht aus der Garage, sondern beschließen, wie erwähnt, heute einfach am Womo rumzulümmeln. Wim kümmert sich um die „Terrasse“, Hundepolster in Schattenlage, Auslegware in sonniger Lage, Hundetränke improvisieren im Wassereimer, je nach Belieben unserer beiden Lieblinge. 

Ich mache mich im Innendienst wichtig, Bettdecken raushängen, Schränke lüften, Bad wieder so herrichten, dass das Gesundheitsamt es durchwinken würde. Wir sonnen sonnen sonnen, fällt bei 23 Grad im Schatten nicht schwer, und ist so nach getaner Arbeit richtig erfüllend schön. Ruhe kehrt ein, die einzige Bewegung vollführen die Hunde, nämlich im Wechsel der Liegeplätze zwischen Schatten und Sonne. D. h. ein wenig haben wir schon die Terrasse des CP genutzt, um uns Bauklötze staunend dem phantastischen Ausblick auf die riesige Oase hinzugeben, die wie ein grünes wogendes Meer in dieses Tal gegossen scheint.

Aber dann rollen sie an, die Geführte-Tour-Teilnehmer, 10 Womos, aus mit der Ruhe, aber so sehen wir seit ca. 10 Reisetagen, außer dem riesigen Truck in Saidia, erstmals wieder ein Womo. Kurzfristig kommt Leben in die Bude, aber rasch wird zum Erstürmen der Oasengärten aufgerufen, und die Besatzungen sind verschwunden. Ein Teilnehmer findet noch kurz die Zeit, uns zu erzählen, sie seien seit Ankunft in Marokko jetzt 3 Tage unterwegs und Marrakech stehe wohl als nächstes Ziel auf der Liste. Du lieber Himmel, wir sind ja schon zügig unterwegs, aber bis hier unten nur 3 Tage, da kann man ja auch nicht viel gesehen haben, außer das Cockpit. Wir können wirklich guten Gewissens jedem raten, Marokko ungeführt zu bereisen, verstehen aber auch, dass es manchen Menschen sicherer und angenehmer ist, sich in einer Gruppe durch’s Land führen zu lassen. Nachmittags nimmt Wim die Räder schon mal für morgen raus, radelt um die Ecken auf der Suche nach Gemüse für’s Abendessen. Das ist nicht einfach, es ließ sich nur schwer etwas finden, und das Angebot war qualitativ gar nicht gut. Schon seltsam in dieser riesigen Oasenbewirtschaftung. Morgen schauen wir uns das alles mal näher an. Abends finde ich zwei erfreuliche Mails, eine von einer Ärztin des Auswärtigen Amts und die andere von Thomas. Letzterer betreibt eine Olivenfarm auf unserer weiteren Route, er kümmert sich sehr um die Belange der marokkanischen Bevölkerung, er schreibt, er sei auf seiner Farm und freut sich auf unseren Besuch, wie schön. Die andere von Frau Dr. Schollmeyer ist die Antwort auf meine Frage nach möglichen gefährlichen Mücken im Draa-Tal. Deswegen hatte jemand bei Facebook etwas Panik verbreitet. Ich dachte mir, ich frage einfach mal bei höchster Stelle nach, was an den Schilderungen dran ist. Es handelt sich um die Leishmaniose-Erreger, ja, wie überall in den ganzen Regionen hier und auch im südlichen Europa, muss man eben die Hunde prophylaktisch schützen mit z. B. einem speziellen Halsband und wegen der Mücken auf sich achten. Wir werden wohl hoffentlich wie immer Glück haben. Das Abendessen wird draußen gebrutzelt, es ist noch immer sonnig und warm. Wim stöpselt unser Womo an den Landstrom, hier gibt es angeblich 16 Ampere, und wir benutzen erstmals unsere neu angeschaffte kleine Elektropfanne und köcheln eine Tomaten-Zucchini-Hackfleisch-Sauce mit einem Klecks saure Sahne, die weg muss. Deutsches Hack an marokkanischem Gemüse zu italienischer Pasta, das lob ich mir! Das Gläschen Wein dazu aus Spanien kommt nicht auf den Tisch, man darf einfach nicht jeden Tag Alkohol zu sich nehmen, nicht jeden Tag ... 

Donnerstag 25.01.2018

Heute wird etwas knapper gefrühstückt, sportliche Aktivitäten stehen an: Oasenradeln. Wim spannt an, Hunde steigen ein und wir auf. CP und ein Teil der Oasenstadt liegen sehr viel höher als die Oasen selbst. Es geht also zunächst recht abschüssig ein längeres Stück zu Tale, genießen angesagt, wohlwissend, dass wir da am Ende der Tour wieder hochstrampeln müssen. Man bedenke, hinter Wim hängen 60 kg, hinter mir 50 kg (jeder Anhänger 15 kg + Hundegewicht), da kommt schön was zusammen, ebikes hin oder her. 

Wir befahren zunächst die N17, biegen dann scharf rechts Richtung Algerien ab. Ja, hier endet mal wieder Marokko sehr abrupt; an der Sohle zweier Bergrücken, da, wo sich die fast letzte Palme im lauen Lüftchen bewegt, da beginnt Algerien, und wir radeln so einfach hier herum.

Im letzten zur Grenze gelegenen Wohnviertel der Oasenstadt machen wir eine kleine Pause auf einer Bank im Zentrum an der Moschee. Hier in dieser Gegend sind die Frauen überwiegend weiß gewandet, es sieht sehr schön aus, zumeist bleibt nur ein Auge unbedeckt. Aber ich erkenne gut, welch freundliches Gesicht darunter steckt, so viele grüßen, fragen wie es geht, beide Seiten keinerlei Berührungsängste, keinerlei Vorbehalte, es ist ein so freies Gefühl. Aber im Alltag muss solch ein ohne Hilfsmittel wie z. B. Sicherheitsnadel umgeworfenes Tuch doch sehr hinderlich sein, überlege ich so. Auch ist es toll zu sehen, dass alle Lebensarten vertreten sind, die Vielfältigkeit, dort die fast komplett in Weiß verhüllte Frau, da die Frau im pelzbesetzten Strickjäckchen, hier die Jungs mit Schlägerkappe und Handy, da der ältere Mann mit Eselskarren und einer Ladung Betoneisen, nicht zu vergessen den adretten, im dunklen Anzug gekleideten Mann, der konzentriert per Handy seine Geschäfte abwickelt, während ihm der Jungspund stehend kutschierend fast über die Schuhspitzen saust. Dazwischen klapprige Radvehikel, moderne Bikes mit dicken Reifen, Mopeds, Roller, Handkarren, Autos, sogar eine neue C-Klasse mit Kurzkennzeichen aus Neuss. Der Halter ist gewiss ein Oasenbesitzer, einer bewirtschafteten. 

Gut, jetzt ist Winterzeit, auch im Tal der fast 200.000 Dattelpalmen, aber man kann gut das Bewässerungssystem erkennen, auch die mit kleinen Lehmwällen sorgfältig abgeteilten Parzellen, die zum Teil jetzt schon bewässert werden und in denen es schon sprießt und grünt. Wir wissen nicht, was jetzt angebaut und geerntet wird, ob es nur als Viehfutter dient, oder auch für den Kochtopf. Jedenfalls konnte man nur an einigen Stellen das typische Oasenbewirtschaftungssystem erkennen, nämlich die 3-Etagen-Bepflanzung: über allem die Palmen, diese spenden den darunter liegenden Obstbäumen Schatten, diese wiederum dem bodennahen Gemüse. Licht, Schatten und Wasser, Geheimnisse der Oasen, und wundervoll, darin herum zu schleichen, der Boden wirkt farblich samtig, weich und leise ist der Tritt, Zeit scheint zu stehen, unfassbar die Vorstellung, dass rings um uns und diese Oase wirkliche wahrhaftige Wüste ist, um uns herum also nur Kargheit, während hier die Menschen froh und munter vor sich hin leben, ihrer Arbeit nachgehen, und es sogar bewerkstelligen, am äußersten Zipfel Marokkos eine neue Tankstelle aus dem Staub zu stampfen. 

Über einer Betonwasserrinne gebückt, wäscht eine Frau ihre Wäsche. Ich bleibe stehen, Wim radelt schon mal vor. Die Frau sieht mich, lässt alles fallen, kommt zu mir. Ohje, denke ich, sie will sicher etwas von mir. Aber nein, mir, die eigentlich von sich die gute Meinung hat, nicht voreingenommen zu sein, wird mein Irrtum sehr deutlich gemacht. Die ältere Frau erklärt mir mit Händen und Füßen, wie sie wäscht, wie frisch und sauber dann alles wird; sie fragt, wie ich wasche, erzählt, dass sie Kinder und Enkel hat, die im Ort leben, eine wundervolle Begegnung ohne jede „Hintertür“. Ich nehme all meinen Mut zusammen und frage sie, ob ich ein Foto von ihr machen dürfte. Ja, sie lacht verschämt, zieht sich das Kopftuch zurecht, schlägt die Hände vor ihr Gesicht, ziert sich etwas wie ein junges Mädchen, wir lachen beide sehr, und sie freut sich, als sie ihr Gesicht in meinem Display sieht. Ja, von Herzen verabschieden wir uns, sie geht wieder zu ihrer Wäsche, keiner verstand den anderen, und doch gab es kein Verständnisproblem. 

Locker laufen die Räder die Strecke zurück, heimtückisch irgendwie, trügerisch wie von alleine. Aber dann ist er da, der Anstieg, der Col de Camping, langgezogene Bergetappe, mörderisch, die wir aber irgendwie meistern, gut, das letzte Stück schiebend. Oben angekommen sind wir wieder äußerst mutig: ein Selfie der abgespannten, ausgezehrten Tourgesichter. Sagte ich schon mal, dass ich Selfies hasse? Entspannung kehrte nach einem Sonnenbad vorm Womo ein, ein Gläschen Wein wegen der Austrocknung war nötig, und zu den Klängen aus dem benachbarten Cafe ließ sich schön Richtung bestelltem Abendessen dahin dämmern. Eins bleibt noch zu sagen: diese Klänge gehörten u. a. zu einem für uns sehr traditionellen Musikwerk, es war „Stille Nacht“.  

Welch ein Tag ... dachte ich so, während der Abend auf die Oase niedersank und wir vom köstlichen Couscous-Schmaus gesättigt zum Womo zurück schlenderten. 

In Bouarfa biegen wir links ab auf die N10, die uns weg aus dem Südosten in Richtung Süden bringt. Es geht ein langes Stück auf gutem Asphalt wieder unmittelbar an dem Grenzschacht zu Algerien, an dem überall gearbeitet wird, vorbei, an Kamelherden und Stauseen. Die Vegetation ist strichweise überhaupt nicht mehr vorhanden, zwei Kilometer weiter stehen Kamele bauchtief in blassgrünen Grasbüscheln. Die Bilder ändern sich sehr schnell, Langeweile hat keine Chance auf der knapp 150 km langen ortschaftslosen Strecke bis zum nächsten Flecken Bouanane. Kurz vor dem Ort, der auch wieder übergangslos aus dem Wüstenboden gestampft zu sein scheint, knickt der Grenzgraben nach links ab.

Wir müssen tanken. Mal sehn, hier wird sich ja was finden lassen, der Ort Bouanane scheint groß genug. Also abbiegen, nichts, mal fragen, keiner versteht. Ein junger Mann auf so einem modernen motorisierten „Esel“ hält an, fragt nach, was wir suchen, er hat uns wohl beobachtet. Aha, Sprit, Benzin, Diesel, kein Problem, wir sollen folgen. Gerne tun wir das, er dreht sich häufig um während der Fahrt, um zu sehen, ob wir noch hinterher sind. Er hält an vor einem „Laden“ mit allem Möglichen, Farben, Reifen, Besen, Rohre, so eine Art Baumarkt vielleicht. Kurzes Gespräch mit dem Verkäufer und schon kommt die Frage an Wim: „Wieviel Liter?“. Gut, 30 Liter, Kanister wird rangeschleppt, Trichter in Tank, und es läuft. Das hatten wir auch noch nie, gewusst wo und merken für‘s nächste Mal: Da, wo „Mobiloil“ draufsteht, ist auch Mobiloil drin. Das kleine Trinkgeld, das wir unserem „Guide“ geben, gibt dieser an den Tankstellenbetreiber weiter, dankt, winkt und weg ist er. 

20 km hinter dem nächsten Ort Boudenib, weitere 60 km ohne Ansiedlung auf den sandverwehten Flächen mit Nomadenzelten, biegen wir rechts auf die P7109 ab und folgen einem palmenbestandenen Flussbett, in dem immer wieder mal tiefere Pfützen stehen, kleine Bäche fließen, die im hellen Boden strahlen wie blaue Edelsteine, atemberaubende Blicke entlang der Felswand zur Rechten und links hinab zum Flussbett. 

Die Strecke steigt hinauf, in einem kleinen Ort hätten wir laut Karte rechts abbiegen wollen zu unserem nächsten Ziel. Aber das scheint unmöglich, weil es nur eine hohle enge Lehmgasse ist. Also erstmal weiter geradeaus. Es ist schon späterer Nachmittag, wir hängen wiedermal mitten im Irgendwo, haben mehr als 200 km Landstraße hinter uns und gut und gerne noch 60 km zu fahren. An allen Tagen geht es nun mal nicht so passend auf. Und die Straße wird schlechter, enger, staubiger, LKW-Verkehr verspricht nichts Gutes. Und da ist sie: die Großbaustelle - ein Staudamm im Bau, na Wahnsinn! Über Ersatzstrecken der Ersatzstrecken, über Behelfswege, Pisten und eine Passhöhe rumpeln wir wie in einem Film durch diese Szenerie, immer wieder besänftigt durch die phantastischen Ausblicke auf die gewaltige Natur, die lebhaften uralten Dörfer und die verfallenden Ksare im Abendlicht. 

Nach kilometerlanger festgewalzter Piste erscheint am linken Wegesrand plötzlich und noch nicht erwartet ein gelbes Schild: Thomas! Da sind wird, angekommen. Ein kleines weiß getünchtes Haus mit seitlichem Turm, ein weiteres Steinhaus, ein Kastenwagen, ein paar Opuntien und Feigenbäume sind zu sehen, auf dem Hof ist reichlich Platz. Es begrüßen uns auch schon zwei Jungs, wir parken, und bald trudelt auch Thomas Friedrich ein, der in Ar-Rachidia wohnt und hier in Beni-Tajjite seit ca. zwei Jahrzehnten eine Olivenfarm betreibt. Ich las irgendwann mal, dass er sich auch sehr für die Nomaden hier einsetzt, dass man alles Mögliche bei ihm abgeben kann, was er dann an den Mann, die Frau, die Kinder bringt. Er verteilt das an die Menschen in seiner Gegend, die sich nicht durch Anbetteln an den Touristenrouten durchzuschlagen versuchen, sondern kennt hier bei den Nomaden die Bedürftigkeit gut und verteilt entsprechend. So werden unsere mitgeschleppten ausgedienten und neuen Hefte, Spiral- und Zeichenblocks, Radiergummis, Spitzer und jede Menge Stifte in der Schule abgegeben. Und zwei Kisten Jeans und Shirts von meinem Sohn Lukas finden bestimmt ebenfalls Abnehmer. Ach, was hätten wir haufenweise mitbringen können, wir besitzen im Verhältnis so viel, was oft genug auch entsorgt und entrümpelt wird, und worüber man sich hier sehr gefreut hätte, in einem Land, in dem auf dem Markt halbe Zollstöcke und Verschlüsse von Plastikflaschen angeboten werden. Man könnte zuhause das ganze Haus nebst Gartenschuppen und Werkstatt durchforsten und eine LKW-Ladung hierher auf den Weg bringen. Jetzt sind wir aber einmal hier gewesen, bei Thomas, und haben uns ein Bild machen können; wir wissen nun, was wir bei einem nächsten Marokko-Besuch mitnehmen könnten. Erschöpft und irgendwie gerädert, löffeln wir einen Teller Dosen-Erbsensuppe, ein Stück Brot dazu, eine Büchse Bier, und dann werden flott die Luken dicht gemacht in der Hoffnung auf ruhigen Schlaf, denn draußen stürmt es gewaltig bei eisigem Wind. 

Samstag 27.01.2018

Trotz gewaltiger Stürme, die mächtig am Womo rüttelten, haben wir gut geschlafen. Es ist draußen 0 Grad. Und so fühlt es sich auch an hier oben. Man vergisst doch immer wieder, dass wir uns sozusagen seit Abkehr von der Mittelmeerküste durchgängig auf 1100 bis 1600 m befinden. Gemütlich warm im Womo lässt es sich gut frühstücken, die Luft ist klar, der Himmel blau, ein paar Wolken, was will man mehr. Ein Schwätzchen mit Thomas, eine kleine Wanderung durch seine Plantage, etwas erzählen mit den inzwischen bei ihm sesshaften Nomaden, so vertreiben wir uns den Tag. Die Familie, die hier auf seiner Farm lebt, besteht aus Ali, den er Jahrzehnte kennt, seiner Frau, 8 Kindern und der Oma. Die älteren Kinder sprechen Deutsch, das älteste Mädchen sogar sehr gut. Sie ist 15 und darf ab dann nicht mehr zur örtlichen Schule, lediglich auf ein entfernter gelegenes weiterführendes Internat, dagegen sind aber Mutter und Oma, obwohl das Mädchen es gerne täte. So ist das hier in Marokko. Die Eltern erhalten sogar monatlich 100 Dirham Schulgeld dafür, dass sie die Kinder zur Schule schicken, viel Geld, das allerdings nur den Müttern ausgezahlt wird, nicht den Vätern, weil man sagt, dass ja nur die Mütter die Arbeit mit den Kindern hätten. Immer noch ist es zumindest bei der Landbevölkerung so, dass kaum ein Bewusstsein dafür vorhanden ist, dass Mädchen ebenfalls ein Recht haben und dabei unterstützt werden sollten, sich Bildung aneignen zu können, statt mit 15 Jahren in Aussicht gestellt zu bekommen, bald verheiratet zu werden. Aber auf Wunsch der Kinder - mit 6 von den 8 - im Womo alle Schränke durchzugehen, alles anzugucken, alles zu erklären, Fotos im ipad anzuschauen, das war sehr lustig und schön, für uns alle ... genauso wie mein Schmusen mit einem jungen kleinen Zicklein, sowas von süß, ein Glücksmoment. 

Etwas macht Thomas, der schon lange in Marokko lebt, uns auch noch deutlich: die Marokkaner teilen mit Dir alles; die Erwartungshaltung, im Gegenzug gleiches dann aber auch zu erhalten, ist sehr sehr hoch; und um irgendein Missverhältnis scheren sie sich wenig. Uns bleiben ja noch viele Tage im Land, noch viele Kilometer für Gespräche, demnach noch sehr viel Gelegenheit, darüber nachzudenken.