Granada > Mazarron

31.01.2015 Samstag - Granada

Leicht bewölkter Himmel, wir packen zusammen, mit schöner Erinnerung an ein paar herrliche Tage am Meer an der Algarve. V+E, zahlen und weg. Am Strand lassen wir Bazou nochmal pieseln. Und auf geht’s, Espana wartet, genauer gesagt Granada. 406 km. Das Wetter wird sonnig, die Landschaft bleibt schön. Über den Grenzfluss Guadiana spannt sich eine moderne Brücke. Unzählige Olivenbäume folgen. Irgendwann im Torcal-Gebirge meldet sich meine Erinnerung. Hier bin ich vor vielen vielen Jahren mit meinen damals noch recht kleinen Jungs aufgewühlt ebenfalls Richtung Granada im Mietwagen gesaust, und das allerdings am Abend, ohne ein Quartier in Aussicht. Ein kleines Hotel in den Bergen, das wir ausgewählt und angesteuert hatten, verweigerte uns doch das Bleiben dort, gaben uns kein Zimmer, weil Kinder unerwünscht seien! Da half auch kein Schimpfen, Drohen und Jammern, die blieben steinhart, wir mussten weiterreisen, man legte uns das noch recht weit entfernte Granada nahe, da könnten wir sicher eine Unterkunft finden. Letztlich bliebnichts anderes übrig, Gas geben, über die Autobahn in die Nacht sausen. Glücklicherweise fanden wir spät abends ein Hotel ganz zentral in Granada, das uns und unser Geld wollte. Dinge passieren einem im Leben, das glaubt dir keiner. Ausblicke auf die blühende Landschaft rundum und gelegentlich aufblitzende schneebedeckte Bergwipfel versöhnen mich aber hier und heute etwas, mildern die aufkommende Wut in mir über dieses Pack damals! 

Den CP Sierra Nevada in Granada erreichen wir gut. Recht schäbig ist er und mit 30€ sauteuer. Wir radeln, obwohl es schon spät ist, noch Richtung Innenstadt bei sehr kühlem Wetter, sicher 10 Grad weniger als an der Algarve. Wir wollen uns nur kurz etwas orientieren, drehen aber schnell um, weil die Dunkelheit doch schneller als gedacht naht und sich die Vorstadtstraßenzüge alles andere als charmant präsentieren. In einem Supermarkt werden noch kleine Besorgungen erledigt und Riesenmuscheln fürs Abendessen gekauft. Dann aber nix wie rein in die gute Womo-Stube und heizen! Wir hängen alles an Strom, kochen, gucken etwas in die Glotze und planen den nächsten Tag. Irgendwie kommen wir hier nicht an, zu spröde sind die eben gewonnenen Eindrücke im Vergleich zu den sanftmütigen Tagen in Manta Rota. Meine Erinnerung an Granada ist zwar einfach nur toll, damals habe ich es mit den Jungs ausgiebig besichtigt. Jetzt aber ist es extrem öde hier, kalt, grau. Wim schlägt vor, den Besuch in Granada auf eine bessere Jahreszeit zu verschieben und morgen früh zur Ziegenwiese ans Meer zu fahren. Es sind 270 km. Mal sehen, wie wir uns morgen entscheiden. Gute Nacht. Es ist schon halb 1. 

01.02.2015 Sonntag – Mazarron

Wir entschließen uns zur Weiterfahrt. Granada, sehen und sterben, daraus wird nichts; vor dem Tod durch Erfrieren verabschieden wir uns; Granada und Andalusien werden wir uns in einem anderen Jahr ausgiebiger widmen. Jetzt so früh im Jahr und aus wärmeren Gegenden kommend ist es einfach zu ungastlich. Die Meernähe sorgt da eher für Wohlfühlklima. Auch dies sind Erfahrungen auf derlei Reisen. Die Mobilität und Flexibilität, die einem das Womo bietet, sollte man als Handwerkszeug der eigenen Spontaneität nutzen. Es fällt auch gar nicht schwer, zumal unser Thermometer heute morgen um 9 Uhr nur 1 Grad zeigt, das Waschhaus gänzlich unbeheizt ist und das Wasser lau bis kalt bzw. eiskalt. Und dafür 30€ zu verlangen finden wir als Winterpreis eine Unverschämtheit. Also brechen wir auf mit Ziel Ziegenwiese, durchqueren Andalusien im Schnelldurchgang, passieren es quasi nur, und schlagen uns gen Region Murcia an die moppelig-warme Mittelmeerküste Nähe Mazarron auf die sogenannte Ziegenwiese. Mal sehn, wie viele von den netten und unnetten Postern in den Foren da zu finden sind. Hoffentlich gibt‘s für uns ein schönes freies Plätzchen und mehr Wärme. Wir kommen gut weg und die Fahrt läuft schön. Vor allem wieder durch beeindruckend schöne Landschaften, vorbei an den massiven schneebedeckten Bergen der Sierra Nevada mit gleißend weißen Schneefeldern in der Morgensonne, an dem aufgebrochenen Zipfelmützen ähnlichen Riesengraben um Guadix mit seinen Höhlenhäusern, über sicher manchmal 1000 m Höhe mit leichtem Neuschnee, frostigen Hängen mit weiten Tälern und Oliven, dann wieder kilometerlange Täler mit Obstbäumen, an denen sich hin und wieder Blüten zeigen, bis dann zu Feldern mit Gemüse, und das alles umrahmt von hohen Gebirgszügen mit wunderbaren Felsfarben und unendlich vielen Grasbüscheln. 

Richtung Küste hin wird alles weitläufiger, dunkle Gebirgsketten rahmen weite Flächen ein, die Bebauung nimmt zu, alles wirkt irgendwie unordentlicher. Die Erde ist staubtrocken und sehr hell, manchmal denke ich, Riesenberge von Bauschutt türmen sich auf, aber es ist Gestein. Dank korrekter Koordinaten werden wir perfekt an rosa blühenden Mandelbäumchen, vorbei an riesigen Gewächshausplantagen und durch den Ort Canada de Gallego zur dahinter liegenden Ziegenwiese gelotst. Ziemlich voll ist es hier. Das kann man schon von weitem sehen. Überall blitzt weißes Womo-Blech in der Sonne. Sehr gespannt pirschen wir uns langsam ran auf diesen vielbeschriebenen Freisteherplatz am Meer, den man angeblich hasst oder liebt. Wir werden es nun erleben.

Direkt zu Beginn am staubigen Einfahrtsweg wäre was, oder vorne in Reih und Glied Parkplatz-mäßig. Ich weiß vom googeln, dass man auch entlang der Küste stehen kann, links seitlich unterhalb der eigentlichen Ziegenwiese am Meer entlang. Ich gehe das zu Fuß ab. Ganz am Ende ist eine schöne große Lücke frei, allerdings mit hoher Bodenwelle. Wim rollt mit dem Womo langsam über den holprigen Weg heran, und wir probieren, irgendwie geht‘s, Wim bleibt so schnell nicht hängen, Keile drunter, halb ist Fridolin drin, stört aber nicht. Herrlich. Wir nehmen die Stühle raus. Sonne genießen.

Plötzlich, wir denken an nix Böses, erscheint entschlossenen Schrittes ein Mann von irgendwo her und ranzt grußlos in ziemlich rüdem Ton, ob der Platz denn wohl frei wäre, da habe ein kleiner grüner Bus gestanden, ob denn da kein Schild gewesen wäre. Nein, es war nichts hier, nichts, kein Schild, kein Stuhl, einfach nichts, außer einer leeren Lücke im unparzellierten Freisteherparadies. Er gibt sich damit nicht zufrieden, vermutlich ist er der Bürgermeister, oder ein noch höheres Tier. Ein Hin und Her schließt sich an. Wir bleiben natürlich, was sonst. Aufgebracht trollt sich der Mann. Eine halbe Stunde später tuckert ein seltsames grünes Auto heran, fährt aber an uns vorbei. Keine 5 Minuten später taucht das grüne Objekt wieder auf mit dem Mann von eben, dem Bürgermeister, im Schlepptau. Der baut sich vor uns auf, er habe doch gesagt, dass wir hier nicht stehen dürften, dass uns das wohl nicht gehören würde, dass wir ja wohl unverschämte Schmarotzer seien. Daraufhin versuche ich erneut, etwas zu klären, dass wir nichts einfach unter Beschlag genommen haben, sondern lediglich in der freien Nische eingeparkt hätten. So sei das eigentlich normal für Womo-Reisende. Hier scheinbar nicht, denn, als sei das sein Startschuss, springt doch der Fahrer, ein älterer, splitternackter Mann aus der grünen Wohndose, fragt erbost, wie lange wir denn zu bleiben gedenken und fuchtelt mit allem was er so hat aufgebracht hin und her. Im Angesicht der nackten Tatsachen sage ich ihm, dass wir nur ein paar Tage bleiben werden, woraufhin er sich zu einem „o.k.“ durchringt, allerdings mit der Feststellung, dass das „sein“ Platz sei und nur mit der Auflage, dass er dann wieder auf seinen Platz käme, er und kein anderer. Dann dreht er sich um, und wir erleben quasi hautnah, wie er seinen nackten Hintern wieder in sein grünes Spielmobil hievt und abschiebt. Aber damit nicht genug, während dieser Aufführung schweigt der Bürgermeister, schnappt nur gelegentlich nach Luft. Jetzt aber gebärdet er sich erneut wie ein Vollpfosten, wie ein Irrer, beschimpft uns, wirklich übel. Wim springt auf, droht ihm, ich fordere ihn energisch auf, sich sofort vom Acker zu machen, es sei ja nun alles mit dem Mann geklärt, auf seine Einschätzung käme es nicht an. Es fehlt nicht viel an einer Keilerei. Irgendwann schiebt der Wahnsinnige dann doch ab, evtl. liegt es auch daran, dass Bazou am offenen Schlafzimmerfenster missgelaunt  bellt. Aber wir sind sowas von fertig mit der Welt, aber sowas von fertig. Mannomann, sowas ist doch unfassbar. Wim ist eigentlich fertig zum Abfahren, aber ich beruhige ihn. Wir sollten die paar restlichen Tage an diesem schönen Platz genießen und dem Wahnsinnigen nicht noch unsere Abreise gönnen. Wir spazieren etwas herum, kochen, Gulasch und Paprika mit Kartoffeln, sehen später Tatort aus Köln. Das Mondlicht macht aus den Wellen eine silberne Flut. Sieht wunderschön aus. Es wird dank Vollmond überhaupt nicht richtig dunkel. Morgen sieht die Welt schon anders aus. Und ich glaube, wir lachen schon an diesem Abend über diese groteske surreale Begegnung und darüber, dass sicher nicht viele Menschen in den Genuss des Anblicks eines splitternackt herum zappelnden Mannes kommen, dem der Zorn über ihm zuwider Laufendes förmlich in alle Glieder fährt. Und dem Rächer des alten Nackten, diesem Robin Hood der Ziegenwiese, würde ich gönnen, dass seine Frau seinen Aufmarsch miterlebt hätte. Meine Güte, was wäre sie stolz auf ihn gewesen.  

02.02.2015 Montag - Ziegenwiese

Und tatsächlich sieht die Welt heute schon ganz anders aus. Von der gestrigen Begegnung der dritten Art bleibt nur noch ein kopfschüttelnd amüsiertes Rest-Trauma. Ich bin jedenfalls sehr froh über unser sehr schönes Plätzchen auf der ansonsten hier und da sehr öden Ziegenwiese. Ich habe sehr gut geschlafen trotz Brandung unmittelbar vor der Haustür. Zum Frühstück gibt es tiefgefrorenes Brot. Einen Bäcker, der hier angeblich seine Runde fahren soll, konnten wir nicht sichten. Danach radeln wir immer der Bucht folgend über einen sehr steinigen staubigen und zum Teil sehr steilen Weg. Gelegentlich stehen Womos herum. Man könnte hier auch mit dem Womo entlang fahren, bei Bedarf. Das grüne Vehikel mit dem nackten Mann begegnet uns erneut, außerdem sind Wanderer und Biker unterwegs. 

Wir kommen an verfallenen Gemäuern in Traumlagen und Ruinen vorbei. Das Meer ist blitzeblau. Es weht ein kräftiger Wind, aber nicht unangenehm, obwohl ich ärmellos unterwegs bin. Nach einer langen Strecke durch das karstige Land drehen wir um. Einen am Abend vorher so schön beleuchteten Ort in der Bucht kann man wohl nicht ohne ellenlange Tagestour erreichen. Für Bazou wird das zu viel. 

Wir biegen in eine riesige Neuanlage von Gewächshäusern ab mit frisch geteerten Straßen und Wegen. Ein weißer, hoch motorisierter Audi mit Kraft auf allen vier Schlappen kommt uns entgegen. Wir machen schleunigst Platz, reißen Bazou an uns, klemmen uns an den Straßenrand. Der Bolide fährt volle Kanne grußlos in der Einöde vorbei und hüllt uns in eine Staubwolke. Mir entspringt ein undamenhaftes „Arschloch“. Ein paar Arbeiter zeigen sich an einer Gewächshaustür. Wim darf mal reinschauen, ich auch. Kleine Tomaten an hohem Geäst werden da gezüchtet. Eine schier endlos erscheinende Anlage. Wer der Patron sei, frage ich. Ein Spanier sei es. Was er denn für ein Auto fahre? Einen großen, so wie ein Jeep, erfahren wir vom nordafrikanischen Arbeiter. Darauf fährt erneut der weiße Audi vorbei, stoppt, getönte Scheibe fährt runter, und eine spanische junge Schönheit fragt uns spitz wie ihre Ellbogen und höchst arrogant, was wir auf der Straße wollen. Es sei eine Privatstraße. Wir seien Touristen, keine Spione, ließ ich sie wissen. Darauf schloss sie humorlos das Fenster. Der farbige Arbeiter witzelte darauf und lacht sich schlapp, das sei der Patron gewesen. Na prima! Wir machen noch paar Späßchen. Afrikaner sind oft sehr begeisterungsfähig und so frohe lustige Menschen. 

Dann radeln wir zurück, sitzen in der Sonne mit Kaffee und einem Rest portugiesischem Kuchen. Wim wollte grillen, wir verschieben das aber auf morgen. Stattdessen radeln wir ins Dorf, kaufen Brot und Wurst, und rollen voll bepackt mit lustlosem Bazou wieder zurück. Unterwegs sehen wir blühende Mandelbäumchen und haufenweise Feldarbeiter, die mit Reisebussen nach Ende ihres Arbeitstages in den Feldern abgekarrt werden. Ich bereite noch Sangria für morgen vor. Auch in dieser Hinsicht tut die deutsche Hausfrau gut an vorausschauender Versorgungsplanung. Wir essen Spieße mit Tomatensoße und Kartoffeln und sehen den Montagskrimi. 

03.02.2015 Dienstag - Ziegenwiese

Wieder wachen wir auf unter blitzblauem Himmel. Wir können draußen frühstücken. Etliche Wanderer sind schon flott und im Stechschritt unterwegs. Wir liegen hier ja irgendwie an der Hauptstraße, es gibt viel zu sehen. Fahren wir heute Rad in die andere Richtung oder sonnen wir uns? Luxusprobleme! Die Entscheidung fällt auf Faulenzen. Die Sonne ist unfassbar warm, es ist einfach herrlich, hier im Wellenrauschen zu liegen und einfach nichts zu tun. Es fällt nicht leicht, aber es ist ein Genuss, das Licht, die Farben, die Sonne, die Weite, man könnte, obwohl hier nix los ist, endlos aufzählen. Einige Autos fahren vorbei, auch die Polizei. Wir duschen, ich restauriere meine Fingernägel, bereite später Backofen-Kartoffeln und Aioli aus Resten vor, Wim grillt im Cobb, Holzkohle ist ihm unter den dürren Kiefern und den umliegenden Tannennadelhaufen wegen Funkenflug zu brenzlig. Abends gibt‘s eine Kölner Sitzung. So können wir uns einstimmen. Heute ist vermutlich der letzte Tag am Meer in diesem Urlaub. Tja ... aber Glück, dass er so schön ist.