Mittwoch 04.03.2020
Heute steht die Abreise aus der Wüste an. Früh poltern unsere italienischen Nachbarn ihre 7 Sachen zusammen und rücken geschlossen ab, lassen uns eine riesige Lache stinkendes Grauwasser da. Unglaublich ist solch ein Verhalten, eine Schande! Mein Versuch, die Dusche am Platz zu nutzen, scheitert. Das Wasser nutzt die Armatur, um auszutreten, schafft es nicht, bis zum Duschkopf vorzudringen, um sich dann auf mich zu stürzen. Schöner Mist. Volltreffer. Halb liegend an der Fliesenwand klebend will ich mich nicht unter die Armatur in den ohnehin jämmerlichen, nach allen Seiten spritzenden Strahl hängen. Also alles wieder einpacken, anziehen, unverrichteter Dinge zum Womo zurück. Und den faulen Säcken, sorry, die in der Dunkelheit ihrer Rezeption rumdümpeln, könnte ich sowas von Beine machen. Warum wird solch eine Kleinigkeit nicht repariert? Warum funktioniert der Türriegel nicht? Warum gibt es nicht mal einen Haken, um sein Handtuch aufzuhängen? Und warum, und das ist eigentlich das Schlimmste, wird der Müll auf dem Gelände nicht eingesammelt? Ich bin stinksauer. Wim schreitet zum Bezahlen, lieber hätte ich das ausnahmsweise gemacht. Keiner da. 60 DH zahlte unser Nachbar Stani, nachdem er sich über die geforderten 80 DH beschwert hatte. Zweiter Bezahlversuch endet damit, dass Wim einer jungen Frau in der Rezeption 5 x 60 DH in die Hand drückt, weil der „Patron“ wieder nicht da ist. Wir fahren raus. Im Rückspiegel sehen wir noch einen wild gestikulierenden und brüllenden Patron. Scheinbar wären ihm 80 DH pro Nacht lieber gewesen. Ich kann ihm nur versichern, dass er sich nicht wünschen sollte, dass wir anhalten. Dann wäre aber das Marschblasen losgegangen. Wie gesagt, eine schöne Ecke hatten wir auf dem großen Gelände, dagegen kann nichts gesagt werden. Aber alles andere war Katastrophe, und dafür mehr als 60 DH fordern ist Abzocke.
Am Ortseingang salutieren die smarten Gendarmen in tadellosen Uniformen, Wäsche flattert im Wind, der Friedhof hat Besucher. Im Ortskern besorgen wir Brot, Eier, Orangen und MarocTelecomKarten. Eine ältere Frau sitzt im Laden, die Hände völlig orange-braun von Henna. Wir erzählen etwas, ich darf ihre Hände fotografieren. Tolle Enduros stehen am Straßenrand, träumerisch schau ich sie mir an, war auch mal mein Traum. Weiter geht‘s, leider ohne Max angetroffen zu haben, von dem wir uns noch gern verabschiedet hätten.
Über die N13 führt uns der Weg vorbei an der einsamen Tankstelle Richtung Rissani. Rechts und links liegt wie erstarrt die dunkle Hammada, zur Rechten begrenzt von den hohen Sanddünen der Erg Chebbi, von denen wir uns aber bald verabschieden können. Sandig verweht bleibt es dennoch, die goldenen Sandberge werden ersetzt durch langgezogene flache Wüstenberge. Je näher wir Rissani kommen, desto grüner wird es. Palmen und Oasengärten strahlen richtig über dem weißen sandigen Boden. Lehmbauten und Mauern tragen bei zum malerischen Bild.
Die Ortsdurchfahrt Rissani ist bunt wie gewohnt hier in dem Nest. An den Straßenrändern wird unter bunten Arkadenbögen alles Mögliche angeboten und es herrscht Betriebsamkeit in den Gassen. Die Kinder haben Schulschluss, Hunderte laufen und radeln herum. Eigentlich, wie gesagt, das gewohnte Bild. Aber etwas ist entschieden anders: gut, zum einen ist die Straße endlich keine Baustelle mehr, aber, viel wichtiger: es liegt kaum Müll herum, er wird sogar aufgesammelt, wir können sehen, dass er in größeren Erdlöchern verbrannt wird. Kaum zu glauben! Dieser Flecken hier war ein staubiges vermülltes Loch, wirklich, einzig das wundervolle Tor und die bunten Arkaden schafften ein klein wenig Besonderheit. Aber das gehört der Vergangenheit an.
Rissani entpuppt sich offensichtlich zu einem bunten, feinen Schmetterling. Da hat man doch richtig Lust, hier mal anzuhalten und aus- und einzuatmen. Und bei der Gelegenheit könnte man sich auch das prächtige Tor einmal in aller Gemütsruhe anschauen, statt, wie jetzt wieder, nur flott hindurch zu huschen. Nächstes Mal ...
Die Sandverwehungen bleiben, auch nachdem wir in Rissani auf die N12 wechseln. Einen Unterschied gibt es: die Ausläufer des Atlas rutschen sehr viel näher. Diese Landschaft ist einzigartig schön, schroff und unwirtlich, im Sommer glutheiß, strahlt jetzt in allen Farben, gelb und blau blühende Büsche ziehen sich in breiten Streifen durch das felsige steinerne Land, wohl dort, wo sich Regen sammelte, vereinzelt stehende Schirmbäume verleihen einen Hauch von Savanne vor den dunklen, manchmal fast violett schimmernden Bergketten. Wir lieben diese Naturbilder sehr, sie sind für uns der Inbegriff von Afrika, na ja, so wie wir Unwissenden uns Teile von Afrika eben vorstellen. Und als eine Dromedarherde die „eingebildete“ Antilopenherde ersetzt, ist das Bild komplett.
Wim muss unterwegs höllisch aufpassen. Der Asphalt scheint gut, die Straße ist aber recht schmal, viel Verkehr herrscht und immer wieder und überraschend tun sich riesige Schlaglöcher auf oder heftige Bodenwellen oder seitlich stark ausgefranste Ränder. Da darf man fast kein Auge riskieren. Auch gibt es so viele stark beschädigte Furten. Man sieht deutlich die Rückstände und das Ausmaß der Verwüstungen durch Überschwemmungen. Vieles wurde schon instand gesetzt, aber vieles ist auch noch im Argen. Vorstellen können wir uns nicht, wo diese Wassermassen herkommen, hier ist das Land so flach, und welche Wucht sie haben müssen, um solche Schäden anzurichten.
Gebaut wird ohnehin viel, das fällt richtig auf. An schönen Neubauten und LKW-Ladungen von Mauersteinen fahren wir vorbei, obwohl es uns hier sehr einsam erscheint, am Fuße des mächtigen Massivs Jbel Saghra und der Wüste hin zu Algerien, weit ab der nächsten größeren Städte, wie Ouarzazate oder Errachidia. Vorbei an Mecissi, wo wir schon einmal eine Nacht beim Patron in der Moringa-Plantage verbracht haben, geht es durch die spröde Landschaft weiter Richtung Tazzarine. Überlegt hatten wir, evtl. an der Kasbah Meteorit zu übernachten. Das Vorhandensein eines Pools lockte. Aber dieses „Ding“ an der Straße, voraussichtlich für Reisegruppen gut geeignet, lassen wir rechts liegen, auch weil wir es einfach übersehen haben.
Neues Ziel muss gefunden werden. Tazzarine naht nach etlichen Kilometern durch phantastische Bergwelt.
Gelesen haben wir vom CP Amasttou. Mitten durch die Einkaufspassage führt die Hauptstrecke. Es wird gebrutzelt, was die Grills hergeben. Die Männer wedeln über den Feuerstellen, alles ist in Qualm gehüllt, im nachmittäglichen Gegenlicht ein faszinierend fremdländischer Anblick. Dazu der Straßenbelag, er ist vom Allerfeinsten, diesmal Feinsandgemisch mit Saharastaub an Asphaltbröseln auf Naturlehm unterschiedlichsten Niveaus, die bisher absolut miserabelste Strecke auf unserer Tour, dafür aber spannend. Dahin kriechend haben wir lange Genuss, können Gespräche mit Passanten aus unserem fahrenden Vehikel führen.
Der CP ist ganz gut ausgeschildert, wir verpassen aber trotzdem im Kreisverkehr die schmale Einfahrt in die Oasen. Also nach 2 km retour und hinab ins Vergnügen. Im breiten, etwas tiefer als die Hauptstraße liegenden Oasental blinzeln einige Kasbahs zwischen Palmenwäldern hervor, das Asphaltbändchen schlängelt sich an Lehmmauern und Häusern vorbei. Höchste Vorsicht ist geboten, denn von der ohnehin geringen Straßenbreite beansprucht ein sehr tiefer Graben ein gutes Stück, ein gemauerter Bewässerungskanal, dass einem bei Draufsicht schon etwas der Schweiß getrieben wird. Eng ist es, fragt sich, wie wir uns in die leicht abschüssige Einfahrt durch’s endlich auftauchende CP-Tor quetschen können. Wim macht Ortsbegehung. Tja, zur Lauschigkeit kann man meist nicht auf sechsspuriger Bahn gelangen. Sein Gesichtsausdruck bei Rückkehr in Begleitung eines sehr dunkelhäutigen Mannes lässt erahnen, dass was gehen könnte. Und tatsächlich geht was. Als habe er sein ganzes Leben nix anderes gemacht, als Brummies durch Oasentore zu bugsieren, klemmt er sich hinter‘s Lenkrad, Spiegel einklappen, rein. Wir tauchen kurz ein in die Kompression der Senke, und dann in das schillernde saftig lauschig fette Grün des Oasengartens mit seinen rankenden Blütendolden unter den Luft fächelnden Palmenkronen. Fata Morgana? Traum oder Wirklichkeit? Klar, so nach der Wüste wäre auch das ausgelutschste Grün ein Grün. Aber dies hier ist wahrhaft üppig und satt.
Hier kann man viele viele Tage pflücken, das steht schon nach ein paar Minuten fest. Fest steht auch in gleicher Zeit, dass wir keine Minute später hätten ankommen dürfen, denn wie im Taubenschlag rollen hintereinander 4 weitere Womos an. Der Platz ist sehr begrenzt, maximal 7 oder 8 normal große Womos passen. Wir haben also echt großes Glück!
Zwischen den Palmen leuchtet der aufziehende Mond am noch blitzeblauen Himmel. Wir ordern eine Tajine mit Poulet. Sie wird da serviert, wo wir möchten, am Womo, oder am Tischchen im Garten, oder im Matratzenlager unterm Berber-Zelt, oder in der Bambushütte. Da uns Atmosphäre, Freundlichkeit, Blütenpracht, Gartenwege und die „Laube“ an Bali erinnern, wählen wir diese. What a day ?!?! Und zur Tajine reicht man auch endlich mal Salz, Pfeffer und eine Gewürzmelange, so dass alles sehr lecker ist. Man lernt hier! Aber das muss mir auch noch blühen: in Bezug auf Nachthimmelfotografie, und zwar dringend.
Donnerstag 05.03.2020
Schon die Aussicht aus dem Womo-Fenster am Morgen lässt klar erkennen:
heute wird‘s schön.
Unsere französischen Nachbarn mit dem Landrover fahren heute ab. Sie verladen ihre tolle Enduro, mit der sie gestern eine phantastische Tour durch’s Gebirge gefahren sind. Die Fotos zeigten sie uns ganz stolz. Sie kennen Marokko von vielen Reisen, leben in der Nähe von Montelimar und laden uns sofort ein, mal bei ihnen getrost eine Nacht zu verbringen. Der Mann ist Reitlehrer und betreibt in einem kleinen Dorf eine Reitschule für Kinder. Da sei genügend Platz. Und das alles vielleicht nur, weil wir für sie eine Flasche Wein im Kühlschrank runtergekühlt haben, wovon sie uns auch noch etwas anbieten. Wirklich sehr freundliche Menschen. Und wir, wir geben auch Gas, Daumengas am Rad, Wim spannt an.
Herrlich ist es, hier durch dieses weite Palmental zu radeln. Alt und neu steht beieinander, wunderschöne Postkartenansichten tun sich auf, Fototapetenidyll hinter jeder Mauer, jeder Ecke, jeder Kurve. Und dabei sehen wir nur einen Bruchteil der mal mehr, mal weniger verschachtelten Häuser. Alles ist sehr sauber rundum, man sieht kaum Müll.
Obwohl es hier in diesem Tal mit seinen 14 !! Moscheen auf recht engem Raum erheblich weniger touristisch zugeht, als auf der benachbarten Route des Kasbahs, sind die Menschen, denen wir begegnen, außergewöhnlich freudig und freundlich. Es gibt keine Berührungsängste, obwohl die Frauen stark verhüllt sind. Es sieht wunderschön aus, wenn sie durch die Lehmgänge mit ihren wallenden, oft glitzernden Gewändern und Tüchern schreiten. Andersartige Bilder eben, die faszinierend sind. Eine Frau erledigt ihre Wäsche in einem der tiefen Gräben, die sich fast überall entlang ziehen. Mehrere dicke Wolldecken liegen im Wasser. In zwei Waschkübeln ist Seifenlauge. Sie bearbeitet die schweren durchnässten Decken, zerrt sie vom Seifenwasser ins Frischwasser, schrubbt und wringt sie. Eine wirklich schwere Arbeit. Oben auf der Straße steht eine Schubkarre, damit wird wohl alles nach Hause geschleppt.
Der Wind frischt oft auf, Sandwehen fegen durch die Gassen, es knirscht zwischen den Zähnen. Auf freien Flächen ziehen Windhosen senkrecht gen Himmel. Und das alles bei 33 Grad im Schatten.
Wir gelangen an die Hauptstraße, über die wir gestern mit dem Womo gekommen sind. Überall ist Bewegung. Ein Tee wäre nicht übel, also am schattigen Straßenrand parken und die zwei Stühle, die uns schon freundlich parat gestellt werden, besetzen. Minztee, Sucre, klar, keine Frage. Aber wie heißen diese etwas ledrigen Crepes ähnlichen dünnen Fladen? Wim schaut im Laden nach, ob evtl. etwas Ähnliches dort angeboten wird. Aber nichts. Aber sein „pain“ und pantomimisches Zerreißen eines imaginären Fladen lässt den Besitzer begreifen. Natürlich serviert er uns das Ganze, wie üblich liegt Schmelzkäse dabei. Auf Wunsch bringt er mir Konfitüre, was das Glück vollkommen macht. Als wir überhaupt nicht verstehen, wie man die Dinger nun nennt, bitte ich ihn, es in einem kurzen Video zu erklären. Natürlich mache er arabische Television. Was haben wir einen Spaß. Aber wiederholen können wir das Wort immer noch nicht. Aber herzlichen Dank, Hussein.
Während wir alles einstreichen, rollen und verputzen, beobachten wir das Hin und Her auf der Hauptverkehrsader. Sehr interessant, was und wie alles bewegt wird, wie man sich kleidet.
Zurück geht’s zum Womo. 38 Grad erwarten uns, schnell wird das Dösen draußen bevorzugt. Eine kleine Abendrunde drehen wir noch und Wim packt alles ein. Unser Test, ob wir hier unter dem Palmendach TV-Empfang haben, verlief negativ. Daher reisen wir morgen ab. Ja ja, Freitag ist „Let‘s dance“-Tag, und das zu versäumen .. bitte nur dann, wenn‘s wirklich gar nicht anders geht.
Freitag 06.03.2020
Es ist noch früh, aber schon sehr warm, aber ohne große Aktion lässt es sich prima ertragen, so beispielsweise Frühstück unter Palmen und in Blütenpracht. Wirklich ein paradiesisches Plätzchen hier in den Tiefen der Oasen. Unsere Nachbarn brauchen noch ein paar Auskünfte über Marokko und ihre nächsten Ziele. Sie sind vom größeren Womo auf einen Kawa gewechselt, mit dem sie seit November unterwegs sind, allerdings schon Gran Canaria besucht haben, und mehr oder weniger, weil „man eben schon hier unten ist“, Marokko drangehangen haben. Auch ein nettes Überwinterungsziel vermutlich. Da die Weiterreise bei beiden ansteht, können wir Gespräche nicht vertiefen, sind auf dem Sprung. Und den Sprung über die kleine Kuppe durch‘s Tor auf die Lehmgasse schaffen wir problemlos, wiedermal eine Sorge zu viel gemacht. Der Chef verabschiedet uns sehr herzlich, er wirkt sehr bescheiden und ist sehr freundlich, ebenfalls seine Frau. Die beiden machen das hier richtig gut. Wiederkommen absolut angesagt.
Unmittelbar hinter Tazzarine hat uns die Bergwelt wieder. Langgezogene Bergrücken des steinalten Djabal Saghro-Massivs ziehen sich an der R108 entlang und rahmen die auf knapp 1000 m gelegene, weite, karge Ebene ein. Grüne Palmenstreifen liegen unterhalb der linksseitig aufragenden dunklen Tafelberge. Verfallene Ksare kleben an den Hängen. Die Berge wirken wie Tempel, wie monumentale Skulpturen, „Meister Wasser“ hat hier wieder ganze Arbeit geleistet, sich durch die Gesteinsmassen hindurch gefressen mit diesen imposanten Ergebnissen. Auf der Ebene erkennen wir Laien einige riesige Flussbetten. Ansammlungen von grobem Kies bzw. rund geschliffenen Gesteinsbrocken mit dazwischen liegenden angeschwemmten Sandbänken weisen darauf hin, ebenso die vielen niedrigen Begrenzungsblöcke am Asphaltrand der Furten, über die die Wassermassen fluten, wenn es denn flutet.
Vor einem Örtchen lenkt uns die Einrichtung einer Baustelle über ein breites Lehmprovisorium. Na ja, eine kleine Sache wohl, LKW kommen entgegen, kann nicht viel sein. Und dann rumpeln wir mitten durch den Ort über diesen löchrigen Lehm-Käse, quasi an den Kochtöpfen der Bewohner vorbei, im Schneckentempo, sehr zum Gefallen der Dorfkinder, die in ganzen Meuten plötzlich von überall her versammelt erscheinen und uns mit der Nase am Womo-Blech winkend, rufend und bettelnd begleiten. Das ist kein schönes Gefühl, wirklich nicht, in all die großen dunklen Augen von oben herab zu gucken, es ist schrecklich. Es sind Sekunden, die sich hier aber gerade durch die widrigen Baustellen-Umstände zu langen und vielen Minuten ausweiten, in denen ins Tausende Gedanken durch den Kopf schießen. Aber bevor das Leidvolle Überhand nimmt, hupt Wim mehrfach und schimpft. Die Kinder turnen nämlich so nah an der Womo-Seite herum, hängen quasi mit der Nase am Womo, meine Güte, nicht auszudenken, wenn eins strauchelt auf diesem unebenen Boden und es ein schreckliches Ende nehmen würde. Die Kinder nehmen etwas Abstand, Gottseidank, und verschwinden in unserer Staubwolke, die wir am Ortsende beim kräftigen Anlauf über einen Huckel hinterlassen.
Die Hoffnung, dass es nun auf den Asphalt der R108 zurück geht, wird nicht sofort erfüllt. Erst geht‘s noch holprig durch Garten- und Ackerland, aber dann hat uns die normale Route wieder. Es reihen sich Furten an Furten in wunderschöner Landschaft. Nekob taucht auf. Ja, wirklich wie ein Auftauchen aus flutenden grünen Wedeln, so ziehen sich die Schachtelhäuser ineinander greifend vom Palmenwald hinauf. Ein wundervoller Ausblick.
Hinter Nekob bis zum Abzweig einer neuen Straße Richtung Ouarzazate wird es wieder sehr einsam und steinig. Hier hat Allah wieder Steine wachsen lassen, wie uns ein Marokkaner mal erzählte. Dennoch sind solche Strecken für uns berauschend. Die Ansichten beim Herumkreisen hier in Marokko müssen einem gefallen, müssen einem etwas geben, sonst findet Marokko nicht leicht Gefallen und wird nur zum Hopping von CP zu CP. Hier tut man gut daran, sich schwerpunktmäßig auf sein Reisemobil zu besinnen, es nur zweitrangig als Wohnmobil zu sehen.
Mit diesen Gedanken befasst, schwenken wir von der R108 nach rechts ab, wählen die Richtung Agdz, und entscheiden uns damit gegen Ziel Zagora und Erg Chegaga. Die heiße Wüste macht den Hunden keine Freude. Also wird es auf ein anderes Jahr verschoben. Etwas Zweifel bestehen, denn „die neue Straße“ ist ein Sträßchen. Wim wagt es aufgrund meiner Fürsprache. Hoffentlich geht das nicht in die Hose. Derlei „Kicks im Alter“ braucht man nicht so unbedingt. Aber der Asphalt ist gut, schmal, aber gut, die Seitenstreifen betoniert, auch noch nach dem ersten Hügel. Leichte Entspannung macht sich breit. Dazu trägt die Sicherheit bei, dass wir ja nun runter dem Draa-Tal entgegen rollen, also keine abenteuerlichen Pässe bewältigt werden müssen. Kann man diesbezüglich hier in Marokko auch keinesfalls sicher sein, so haben wir diesmal Glück, wenn auch die talnahen Örtchen und engen Gassen ebenso ihre Tücken bergen. Vorbei an verfallenen Ksaren vor Bilderbuchkulissen fahren wir einigermaßen gelassen durch begeisternd schöne Natur, der Himmel strahlt, die Sonne lacht, die entspannte Atmosphäre in den Dörfern schwappt quasi zu uns ins Womo herein. Im Tal des Draa sind die Frauen häufig besonders schillernd und bunt gekleidet, glitzernd wie das Wasser im Oued, auf das wir die ersten Blicke werfen können.
Das Tal wird etwas enger, die Häuser rücken näher an die Straße, man ist noch dichter dabei. Böse Überraschungen dürften nun aber nicht mehr lauern, auch wenn‘s noch enger würde. Man muss dazu sagen, dass wir mit unserem kleinen Tjaffer schon einmal eine Rundfahrt durch dieses Tal unternommen haben, damals erschien es uns schon eng. Und der Tjaffer ist ein Floh im Vergleich zum Womo.
Und da sind wir auch schon, durch und unten, die Brücke über den Oued Draa, rechts auf die breite N9, sogar mit asphaltierter Fahrradspur, und das uns bekannte Städtchen Agdz schnell in Sichtweite. Eingerahmt von den schönen Arkadenbögen erkennt man die Verkaufsstände im Souk, die Hähnchenbraterei an der Ecke leuchtet sauber und lockt, das Geschwader der Taxis wartet im Pulk auf Fahrgäste. Hier sind die Taxis vanillegelb, anderswo waren sie mintgrün, himmelblau, weiß und orange haben wir auch schon gesehen, jedenfalls sind sie in einer Stadt alle immer gleich. Da würde mich mal interessieren, wie und wer das regelt, zumal alle Fahrzeuge meist total neu aussehen.
Den Ort durchfahren wir und nehmen am Ende die linke Ausfahrt zur R108 Richtung Tazenakht mit Ziel CP Ferme Tansift. Nach gut einem Kilometer geht es rechts auf eine passabel befahrbare Piste, die weißen Womo-Dächer blinzeln einem schon durch die Palmwedel entgegen. Vor schöner Bergkulisse rollen wir der herzlichen Betreiberin Corinne quasi in die Arme. Der erste Eindruck ist wirklich idyllisch schön. Sehr zuvorkommend macht sie Mut zur Lücke, denn zwischen zwei Palmen ist ein herrlicher Platz, dessen Zuwegung uns aber etwas verunsichert. Da aber gerade in dieser Lücke auch schon unser Vorgänger mit einem großen Niesmann gestanden hat, weiß sie genau, dass wir passen. Und über ein schmächtiges Beet quetschen wir uns forsch hinein, hinein ins Vergnügen, denn das ist es bei diesem Wetter mit dieser Aussicht und im Licht-Schatten-Theater der Bergkämme und Palmkronen. Klar, einen Wermutstropfen gibt‘s natürlich. TV-Empfang klappt, leider probiert Wim nur ARD aus, am Abend gibt‘s folglich lange Gesichter: RTL und damit Let‘s dance ist nicht, kein Signal, zu dunkel um auf‘s Dach zu klettern und Antenne zu drehen. Ach, welch ein Leid, entsetzliches Leid. Morgen soll gefaulenzt werden, eine Arbeit steht aber an, das weiß man heute schon.
Samstag 07.03.2020
Und der TV-SAT-Fernsehmann klettert schon morgens brav auf‘s Dach. Ca. 20 Grad, nicht Außentemperatur, die liegt gut 6 Grad höher, 20 Grad dreht Wim die Schüssel nach rechts und nach einigen Zentimetern nachjustieren ist RTL da. Bei der Gelegenheit wischt er die Solarpanele ab und befreit sie von Verkrustungen. Ich erledige den Innendienst, bewaffnet mit Besen, Mopp und Kehrblech. Chianga spielt in unserem Vorgarten in der Kuschelsenke unter der Palme die Hüterin selbiger, Pfoten auf dem Wedel, zu allem bereit. Bazou hat‘s begriffen und findet sich mit den billigeren Liegeplätzen ab.
Heute ist so ein Nudelsalattag. Nudelsalattage sind Tage, an denen man morgens schon weiß, dass der Grad der Faulheit im Tagesverlauf ansteigen und darin gipfeln wird, dass man abends überhaupt keine Lust mehr zum Kochen hat. Also ran, viel ist nicht mehr im Haus. Aber die deutsche Büchse Zartgemüse gesellt sich gerne zu den marokkanischen Spiralnudeln und geht mit einem Glas Schmirakel klick eine leckere Verbindung ein. Zwei Brote vom Vortag und ein paar Würstchen werden dazu serviert. Ach, als Hausfrau hat man doch alles im Griff.
Außer einem Spaziergang, einem Rundgang und einem Fotogang tut sich heute nichts. Wundervoll. Lediglich der ein oder andere Stuhlgang ist noch fällig, nämlich von der einen Palme zur nächsten, vom Grün ins Sandige, alldieweil wir hier in unserem Eckchen so vielfältige lauschige, schattige Möglichkeiten haben, uns auf unseren Stühlen zu lümmeln.
Sonntag 08.03.2020
Der gestrige Faulpelztag führt zu verfrühtem Aufwachen heute morgen. Da Wim die Räder gestern schon parat gemacht hat, könnten wir zeitig und nicht erst in der Mittagshitze starten. Nebenan auf einem der Oasenfeldstückchen tut sich etwas. Ein unschön brummendes Aggregat lief gestern schon sehr lange und pumpte Wasser irgendwo hin. Aber irgendwie muss das Wasser ja in die kleinen, mit Erdwällen umgrenzten Felder gepumpt werden. Ein älterer, ungewohnt unfreundlicher Mann macht sich in einem total verkrauteten Ackerstückchen mit einer Hacke über das Kraut her. Ein seltsames Blechstück klemmt in einem sehr kurzen Holzstiel. Er kann nur weit nach vorn gebeugt im Acker hacken, weil der kurze Stiel keine aufrechtere Haltung erlaubt. Das Kraut wird beiseite geschmissen. Alles geht sehr langsam vonstatten. Eine ebenfalls unfreundlich-abweisende Frau erscheint, hackt ca. 10 Mal mit einem anderen wackeligen Häckchen herum, lässt es fallen, telefoniert im Schatten ellenlang. Der ältere Mann ist verschwunden. Zwei jüngere Männer nahen mit schleppenden Schritten, ein weiterer mit altersschwachem Rad wenig später. Die Drei haben nun 2 Hacken, die etwas umständlich erstmal verteilt werden. Die Frau verschwindet, kommt wenig später wieder mit Wasserflaschen, Gasflasche, einem Topf, einem Teekessel. Alles versammelt sich unter einer Palme, man heizt den Gaskocher, trinkt Tee. Zwei hacken dann wieder ca. 50 cm auf, stehen rum, telefonieren, halten Palmen fest, bis der Topfdeckel gelüftet wird und man zum Essen schreitet. Irgendwie verzweifelt guckt man immer wieder auf das Ackerstückchen, ca. 5 x 10 m, es scheint wohl, als würde es immer größer, statt kleiner. Verzweifelt schaut auch mein Wim, er kann es nicht mit ansehen, er so als Landschaftsgärtner, der Jahrzehnte lang bei jedem Wetter den äußerst anspruchsvollen Kundenkreis zufrieden stellte. Tja, und hier ist heute bei 24 Grad keine brüllende Hitze, und man sollte meinen, dass man zu Fünft solch ein Eckchen aber zügig durchforstet hätte. Art und Weise sind aber grundlegend verschieden. Manchmal könnte einen diese unlogisch uneffektive Arbeitsweise auf Palmen bringen.
Wim entsorgt, immer noch kopfschüttelnd. Das aufgefangene Grauwasser wird an die Palmen gegossen, Kassette wird in ein Erdloch, das die Besitzerin gräbt, geleert. Das ist unserer Auffassung nach nicht in Ordnung. Auch wenn wir einen Kassetteninhalt ohne Chemie haben, bedeutet das noch lange nicht, dass wir die Entsorgung in ein Erdloch in Platznähe gutheißen würden. Aber was ist mit den Systemen, die ohne Chemie nicht auskommen. Hier muss der Platzbetreiber dringend nachbessern, das ist alles kein Zustand, da können die Duschen auch noch so schön sein.
Wir radeln zum Ort, Agdz-City wird besucht. Flott werden wir angesprochen, international ist man hier, kann vermutlich von jeder Sprache ein paar Brocken. Freundlich wirken Straßen, Geschäfte und Menschen. An einigen Metzgereien mit wirklich schönen Fleischstücken radeln wir vorbei, besuchen den Souk, wo heute aber eher nur Tücher, Schmuck und Töpfersachen angeboten werden. Ein schönes großes schwarzes, bunt besticktes Tuch finde ich. Genau so eines habe ich gesucht. 600 DH nannte mir Hussein, der junge Ladenbesitzer, 200 DH habe ich letztlich bezahlt, wobei es recht schwer fiel, seinem Charme nicht zu erliegen. Jetzt darf ich nur nicht vergessen, es im nächsten Jahr auch wieder mitzunehmen nach Marokko. Das Übliche wird ebenfalls besorgt, also Brot, Gemüse aller Art, Orangen und Telefonkarten. Irgendwie verschlingt unser System die Gigabyte rasant, mit den Fotos auf ipad stimmt etwas nicht, dieses Laden in die cloud und zurück, da muss was im Argen sein, was ich aber nicht durchblicke, was aber irrsinnig Datengemenge verursacht. Ich werde einen neuen Versuch mit geänderten Einstellungen starten. Mal sehn, was geht.
In der Sonne, die Hunde im Anhänger schattig geparkt, verzehren wir wirklich leckere Brochettes. Mit Minzteechen, Brot, Pommes und marokkanischem Salattellerchen zahlen wir 140 DH.
Über die Landstraße geht‘s dann zurück zum Womo. Die Hunde können noch ein Stück weit frei mitlaufen. Es ist immer wieder herrlich, sie in dieser Landschaft zu erleben, und hier vor der schönen Aussicht auf Agdz und das Bergmassiv in der Nachmittagssonne ist es ein besonderer Genuss. Unsere Platzbetreiberin, die ziemlich viel Angst vor Bazou und Chianga hat und immer großen Abstand hält, erzählte uns, dass vor einer Woche ein Paar aus Namibia Station gemacht hat, die auch zwei solcher Hunde dabei hatten. Sie fände sie wunderschön, aber habe viel Respekt. Ich sagte ihr, dass wir jedes Mal so begeistert seien, die Hunde hier mit in Afrika, wo ihre Wurzeln liegen, dabei haben zu können, aber leider, so im Spaß, noch nie Löwen gesehen hätten. Oh ja, die hätte es in Marokko schon gegeben, in den Wäldern um Ifrane hätte damals der letzte marokkanische Löwe gelebt, daher hätte Ifrane auch einen Löwen im Wappen, wenn ich das richtig verstanden habe.
Im Gartenbau nebenan ist man nur unwesentlich weiter gekommen, obwohl schon ein kleines Häuflein Gras zusammen gescharrt wurde, das immer wieder von Hand gelockert und gewendet wird, damit sich zum einen die anhaftende Erde löst und es zum anderen schneller trocknet und als Heu in einen Plastiksack gestopft werden kann. Mühsam mühsam alles. Gut, wir sitzen faul in der Gegend rum und schlürfen Campari Orange. Jedenfalls so lange, bis die Pfütze unter der Palme neben uns aus der schlecht ausgeführten Mulde rundum ausläuft und vor unser Womo sickert. Jetzt ist der Moment gekommen, und mein Landschaftsgärtner greift zum Klappspaten. Es zeichnete sich ja schon morgens ab. Ruckzuck ist Wasser umgeleitet, fließt dahin wo es hin soll und gebraucht wird. Ein schwerer Tag neigt sich dem Ende zu. Morgen geht‘s weiter.