Camping-Tage Aourir > Tiznit

Freunde

Die Reize Marokkos verbinden

Mauern

Der Lehm für Schutz und Freiheit

Polster

Das Können der Handwerker überzeugt


Donnerstag 01.02.2018

In Aourir bricht ein sonniger Morgen an. In der Nachbarschaft ist noch alles dicht. Aber nach und nach geht es zu, wie in einem Taubenschlag. Ein junger Bursche kommt, der Polsterarbeiten anbietet, wir zeigen ihm unsere „Baustelle“, die Polster wollen wir ja alle neu machen lassen hier in Marokko. Dann kommt der Fischmann mit einem tollen Sortiment in seinem Kofferraum, Thunfisch, Seezunge, Tintenfisch, Garnelen. Wir kaufen einen ganzen Thunfisch, den er filetiert, und eine Ladung Garnelen. Alle anderen kaufen auch Fisch, geplant wird, nachmittags zu grillen. 

Der Maler Rachid, der unseren Adria letztes Jahr bemalt hat, kommt, großes Hallo. Zwischendurch erscheint der Polsterer zur Bemusterung, gibt sich die Klinke in die Hand mit dem Gasmann, der unsere Flaschen ausbaut zum Befüllen. Wim rödelt in der Küche rum, bastelt an Rezepten für Thunfisch, macht seine Aioli, Orangenfilets mit Zimt bestäubt als klassischen marokkanischen Nachtisch, feuert den Holzkohlegrill. 

Nebenan wird Salat vorbereitet, Tintenfisch ausgeweidet, Tische zusammen gerückt, Getränke rausgestellt. So ergibt sich ein tolles Fischbuffet: Garnelen in Tomaten-Knoblauch-Öl, Garnelen natur, Thunfischsteaks mit Meersalzkruste und Zitrone im Foliensäckchen gegart, geweberte Grill-Seezunge, Couscous-Salat oriental, Tomatensalat mit Zwiebelchen, holländische Aioli, leckeres Fladenbrot, spanische Tubensößchen, dazu korrespondierende Weine, frisch gezapfte Bierchen aus der Dose, und reichlichst Verdauungsschnäpse. Dass das alles eine feucht-fröhliche Sause der sehr lustigen Art wurde, muss man sicher nicht erwähnen.

Freitag 02.02.2018

Heute ist ein Frühsommer-Tag, wie eine vollreife Pflaume, wir fallen aus dem Bett, rollen zum Frühstückstisch, dann die Treppe runter in die Sonne. Hier lümmeln wir herum, genießen das Liegen in der Sonne, trösten Frank, der ein plötzlich gewonnenes Haustier, einen Kater, zu pflegen hat. Ja, harte Zeiten. Mit dem Schlimmsten muss gerechnet werden. Rundum herrscht CP-Treiben, Radgruppen starten zu allem bereit in voller farbenfroher Ausrüstung, wild entschlossene, bestockte Wanderer marschieren, gewickelt in erdfarbene Hyperklimahightecfaser, im Gleichschritt los. Von all denen liest noch keiner die Apotheken-Umschau, allenfalls heimlich. Während wir faul und behäbig unsere Wunden vom Vorabend dösig lecken, sind die alle fit wie Turnschuhe. Man müsste mehr tun. Aber mehr tun ist auch nicht immer die Lösung, zumindest heute nicht. Nachmittags geht es Frank besser, die Überlebenschancen steigen, wir hoffen das Beste. Wim mixt uns einen Campari, die Sonne zehrt, der Körper darf nicht austrocknen. Wir beobachten im An- und Abreiseverkehr, wie viele breit bereifte Quads von älteren Herren ebenfalls breitbeinig ab- oder ausgeladen werden. Manche haben Anhänger in Ausmaßen, die größenmäßig über einigen Womos liegen. Ein Gemüsemann taucht auf, das passt uns gut. Ich kaufe ihm eine ganze Tüte ab, bunt gemischt, Porree, Champignons, Kartoffeln, Rübchen und Möhren, Petersilie, Bananen aus Tamri, die kleinen köstlichen. Auch die kleine Ziegenherde hinter dem Zaun zum Flussbett hin kümmert sich um Köstliches; die Ziegen recken und strecken sich nach den leckeren Arganien, klettern geschickt durch’s Geäst, um das Beste vom Besten zu ergattern. Und „die Drei von der Tankstelle“ sind auch unterwegs; einträchtig demonstrieren Benji, Bazou und Chianga Geschlossenheit beim Erkunden des trockenen Flussbettes. Tja, was so ein echter Rhodesian Ridgeback mit afrikanischen Wurzeln ist, der hat es halt drauf, sich in Karawanen Art fortzubewegen. Der Gasmann, der gestern unsere Flaschen zwecks Befüllung mitgenommen hat, brachte sie heute noch nicht zurück. Evtl. bleiben wir dann morgen auch noch hier, wobei es langsam Zeit wird, das Weite in Form eines neuen Ziels zu suchen. 

Samstag 03.02.2018

Er war da, der Gasmann. Weiterreise ist daher möglich. Aber vorher kommt noch der Maler bei uns vorbei, sehr geknickt entschuldigt er sich mehrfach für sein gestriges Verhalten, es täte ihm leid, er sei so blöd gewesen, und schenkt mir einen schön bemalten großen Stein. Ich bin ganz schön platt, das wäre doch gar nicht nötig gewesen. Danach geht es los, Tiznit soll Ziel sein, ca. 100 km entfernt, dort wollen wir die Polsterarbeiten machen lassen. Im Vorbeifahren haben wir letztes Jahr gesehen, dass Tiznit ein sehr schönes Städtchen sein muss hinter rundumlaufender Stadtmauer. Also zahlen wir in Aourir, 330 Dirham für 3 Nächte, für Marokko ein stolzer Preis. Im Ortskern Aourir geht es wieder quirlig zu, alles auf den Beinen, man fragt sich wiedermal, was die Menschen hier immer alles einzukaufen haben. Aber es gibt ja keine Menschen aufsaugenden riesigen Supermärkte, sie müssen ihren Bedarf in den ziemlich winzigen Lädchen decken, von daher sieht man eben so unzählige Menschenansammlungen in den Ladenzonen.

Unter blauem Himmel umfahren wir Agadir, im stärkeren Verkehr mitschwimmend. Egal, wer wie schnell und mit welchem Fortbewegungsmittel unterwegs ist, nie sehen wir bisher eine Karambolage, alles fügt sich, kein Geschimpfe, kein beleidigendes Gestikulieren, kein Gehupe, einfach läuft es. Beeindruckend ist der links gelegene Friedhof von Agadir, der sich an einer Bergkuppe entlang in halber Höhe über einem Tal lang dahin zieht. Unendlich viele aufrecht stehende weiße Steinplatten markieren die Grabstellen. Hinter Agadir ziehen wir an den Straßendörfern vorbei, dieses Jahr ohne abzubiegen nach dem so schönen wild-romantischen Fischerdörfchen Tifnit, auch Richtung Sidi Wassay geht es dieses mal nicht. Außer dem Dünenzug des Naturschutzgebietes bietet die Landschaft nicht viel, ist eher öde, aber der Straßenzustand ist perfekt. Letztes Jahr war hier eine lange Baustelle. 

Vor Tiznit fahren wir die uns vom letzten Jahr bekannte Tankstelle mit Waschanlage erstmal nicht an, Wagenwäsche kommt später dran. Im Ort an der Stadtmauer können wir zwar parken, Übernachten geht nach Auskunft unserer französischen Nachbarn allerdings nicht, man würde weggeschickt. Der CP um die Ecke ist rappelvoll. Ein junger Mann, der Wischerblätter anzubieten hat, kommt zum Womo. Wir brauchen zwar keine, ich frage ihn aber, wo denn hier der tüchtige Polsterer sei, der die deutschen Womos neu macht. Ja, der sei um die Ecke, das sei sein Freund; auf meine Bitte, ihn doch mal herbei zu holen, saust er sofort los und kommt auf einem Moped zusammen mit dem Polsterer wieder angefahren. Kurze Besichtigung nach sehr freundlicher Begrüßung, Angebot 400€ alles komplett, 4 Tage Arbeit. Wir sollen uns anhand der Muster in seinem Laden entscheiden und dazu morgen vorbei kommen. 

Wir freuen uns, dass wir das auf den Weg gebracht haben und steuern einen SP an einem Festsaal etwas am Ortsende an. Die Facebook-Gruppe ist schon dort. Wir parken auf einem der wenigen noch freien Plätze. Ein Bierchen zusammen und ab in die Womos. Im Backofen brutzeln Zucchini und mit Käse gefüllte Champignons, die uns perfekt munden.

Sonntag 04.02.2018

Ein strahlend sonniger Tag liegt vor uns und eine gute Nacht hinter uns. Ein Mann klopft, bietet Brot an. Das nehmen wir gerne. Nach dem Frühstück parken wir das Womo um, ein Platz in der Sonne ist besser. Dann stehen Besorgungen auf dem Programm, deswegen bleiben die Räder erstmal in der Heckgarage. Wir sichern „unseren“ Platz durch Hinterlassen der Stühle und fahren zur Stadtmauer, um dort beim Polsterer alles zu erledigen. Beim Stoff müssen wir Kompromisse machen, die Auswahl ist eben sehr begrenzt. Aber bei dem Preis ist das auch in Ordnung. Es wimmelt im Laden von jungen Männern, einige sitzen an der Nähmaschine, andere machen Essen zurecht, wieder andere begrüßen andere, ein freudiges Kommen und Gehen. Wir schleppen alle Polster rein, ein junger Mann demontiert unseren Beifahrersitz. Jetzt sieht es im Womo aus wie bei Flodders, unpassende Schaumstoffstücke liegen auf der Bank, nur der Fahrersitz ist noch drin. So fahren wir erstmal ab, nachdem unser Bekannter Wolfgang sich noch bezüglich Armlehnen kundig gemacht hat und nachdem ein weiterer Mann uns den völlig überfüllten zentralen CP direkt nebenan schmackhaft gemacht und für uns, Wolfgang und Frank einen Platz für morgen zugesagt hat. Ja sowas. Wir fühlen uns zwar wohl an dem Ort, wo wir stehen, wollen das Angebot aber auch nicht ausschlagen. Sicher ist es auch toll, total zentral im Ort zu stehen, nah dran an allem. So werden wir wohl morgen wieder aufpacken und umziehen.

Dann geht es ab zur Tankstelle, Wagenwäsche ist dringend nötig. Für 60 Dirham wird das per Hand von 2 Mitarbeitern perfekt erledigt, und unser Womo strahlt wieder. Zufällig ist nebenan ein Metzgerladen, ein Rinderbein baumelt im Verkaufsraum, der Metzger schläft zwar gerade hinter dem Kühlschrank, springt aber sofort unter den Decken vor, als ich rufe. Er schneidet mir dünnere Scheiben zum Grillen ab und sägt anschließend mit einer großen Handsäge ein Stück für die Suppe mit Knochen heraus. 

Anschließend geht es nochmal zur Ortsmitte, wir brauchen noch Beilagen zum Grillen. Ein Kleinstlaster lädt gerade viele Schüsseln Gemüse in einem Lokal ab. Durch‘s Fenster ordern wir Tomaten, Kartoffeln und Paprika, sicher 4 bis 5 kg, alles für 20 Dirham. An der nächsten Ecke werden Erdbeeren angeboten, trifft sich gut, Bowle wäre klasse, und sie wird auch später in meinem größten Topf zuhause angesetzt. Die Womo-Küche fabriziert Kartoffelsalat, Kräuterbutter und Erdbeeren in Balsamico mit Pfeffer. Die Rindersteaks werden bei Wolfgang gegrillt und alles in seinem riesigen Womo verzehrt, da es sehr kühl und windig wird. Die Wetterprognose ist nicht gut, aber der Abend mit allen wieder lustig und harmonisch.

Montag 05.02.2018

In der Nacht regnete es kräftig, aber jetzt scheint es doch trocken zu bleiben, aber es ist sehr frisch. Wir packen auf, der Platzwechsel steht an, der allerdings nicht direkt klappt. Wir müssen am CP-Tor warten, werden nicht reingelassen, da alles voll ist, kurze Besprechung, aha, man findet doch schnell, dass wir über den Polsterer „reserviert“ haben und sucht und findet mit uns ein Plätzchen, in das wir uns gerade so reinquetschen können. Wim rangiert mehrfach, dann stehen wir gut, Stadtmauer mit Palme hinter uns, ein Bäumchen im Vorgarten, was will man mehr. Wolfgang und Frank kommen später nach. Jetzt erstmal draußen frühstücken, was bei kühler Temperatur dank der kräftig scheinenden Sonne gut möglich ist. Da die Erdbeer-Bowle von gestern getrunken wurde, ist der Suppentopf wieder frei. Also verschwindet darin das leckere Knochenstück vom Rind und „lächelt“ Stunden vor sich hin. In der Sonne fein geschnittenes frisches Gemüse dazu, und abends wird uns der Gemüseeintopf wohl sehr gut schmecken. Denn, wie sagt meine Mutter immer: „Ein guter Ochse bringt seine Gewürze mit.“

Nachdem der auf dem CP herum streifende Friseur mit Diplom, was er uns stolz zeigt, seine Dienste angeboten und Wim gerne davon Gebrauch gemacht hat, statten wir unserem Polsterer um die Ecke einen Besuch ab, aber er hat noch nicht mit der Arbeit an unseren Polstern begonnen. Während die Mütter ihre Kinder vom Kindergarten abholen, öffnet die Boulangerie ihre Tore, und wir können zwei backofenfrische Fladenbrote kaufen für 3 Dirham. Auf dem Rückweg werden uns die Einkäufe unserer Freunde präsentiert, sie haben sich neu eingekleidet. Mit einem Gläschen Sekt wird das begossen und jeder verschwindet in seinem Womo, weil sich ein Regenschauer plötzlich über uns ergießen muss. 

Dienstag 06.02.2018

In der Nacht prasselte ordentlich Regen nieder. Um uns herum hatte sich eine weite Seenfläche gebildet. Junge Koi Karpfen hätte man einsetzen können. Aber bei böigem Wind ziehen die Wolken über uns flott dahin und der blaue Himmel lässt hoffen. Gegenüber sollen zwei Plätze frei werden, sie sind für unsere Freunde bestimmt. Einer wird auch zeitig frei, der Platz aber von einem sofort herbeistürmenden breitbeinigen Franzosen „markiert“, indem er mit Schwung quasi schon vom Weg aus seine beiden Stühle darauf pfeffert. Aber der Platzwart ist schon mit Moped zur Stelle, er musste räumen, was der französische Mitcamper unter Ausstoß von nicht salonfähigem Vokabular dann notgedrungen auch tat. Wolfgang erstürmte dann mit seinem Schlachtschiff die Lücke, erlaubtermaßen mit Vorrang vor dem Franzosen. Selbst wenn Tiznit viele Jahrzehnte in französischer Garnisonshand war, so gilt das aber heute nicht mehr, wobei uns hier in Marokko auffällig häufig französische Mitcamper sehr arrogant, abweisend und überheblich den Marokkanern gegenüber vorkommen, man muss das leider so sagen, es irritiert und ärgert mich sehr oft, ich mag so etwas einfach nicht. Wim repariert etwas an unserem Tisch, der unterwegs mehrere Einzelteile abwarf und sich jetzt nicht mehr feststellen lässt. Es wird Pfützenwasser gefegt und umgeleitet, das Bad wieder mal ordentlich gesäubert. Dann baue ich mir mein Büro unter dem Pistazienbäumchen auf, sieht etwas nach einer Beratungsstelle aus. Frank eilt mit selbstgepresstem Orangensaft herbei, uns fällt unser Restbestand an Campari ein, schon ist die Beratungsstelle zur Bar umfunktioniert. Etwas Gesundes in unserem Alter schadet nie. 

Die Bewölkung entschließt sich, für die Sonne den blauen Himmel zu räumen, so dass Wim die Räder nebst Anhänger sattelt. Die Hunde steigen wie gewohnt locker ein und auf geht‘s zur Stadtmauerrunde. Immer entlang der ca. 6 Kilometer langen ockerfarbenen zinnenbewehrten Mauer, die an manchen Stellen bis zu 8 m hoch ist, radeln wir auf einem sehr breiten sauberen Weg dahin. In einem Hof stehen zwei weiße Pavillons, schöne orientalische Musik ertönt, man hört Menschen lachen und erzählen. Ich frage einen vorbeikommenden jungen Mann, ob man evtl. eine Hochzeit feiere. Ja, so ist das, dort feiert man eine Mariage. Wir radeln weiter, ich mache mir Gedanken darüber, wie alt die Braut wohl sein mag, der Bräutigam, aber die Musik klang wie Rap, orientalisch gefärbt, so entschließe ich mich, anzunehmen, es handelt sich um ein „junges Glück“. Wir blicken von der Stadtmauer runter auf einen Friedhof, der ganz anders ist als die bisher gesehenen, die lediglich nur aufrecht stehende Feldsteine oder Steinplatten, mal bearbeitet, mal nicht, mal weiß getüncht, mal naturfarben, hatten. Hier sind die Gräber eingefasst, mit Steineinfassungen, ähnlich wie bei uns üblich. Wir staunen darüber, vermutlich geht diese Art der Grabgestaltung auf die „französische Zeit“ hier zurück. 

In kurzen Abständen gibt es schmale Rundbogendurchgänge in der imposanten und gut erhaltenen Lehmmauer, die in den Bereich außerhalb der Mauer führen. Ein Schäfer leitet seine Herde durch solch ein Tor in eine der vielen schmalen Metalltüren in den Innenhof seines Hauses. Immer wieder blicken wir vom Rad aus in kleine Gassen, die den Kern der Medina durchziehen. Kinder spielen, Frauen stehen in bunten Gewändern in Hauseingängen zusammen, sind in Gespräche vertieft, kichern, winken aber oft, wenn sie uns mit unseren Hunden im Anhänger sehen. Da prallen schon Welten aufeinander.

Tiznit ist recht groß, hat um die 60.000 Einwohner, ist heute ein bedeutender Militärstützpunkt und immer noch die „Silberstadt“. Früher wurden hier wichtige Geschäfte geschlossen, Handel betrieben, das Kunsthandwerk blühte, feinster traditionsreicher Silberschmuck wurde hier kreiert, Dolche und Säbel gefertigt, und die Karawanen starteten von hier aus in südliche Gefilde. Kamele oder Dromedare sehen wir nicht, aber ein junger Mann ging mit einem Affen an der Leine mitten durch die Medina spazieren. Einen Anpfiff im wahrsten Sinne des Wortes kassiere ich, nachdem ich auf einem großen Platz eine offenbar militärische Station fotografiere. Ein im Gespräch sehr freundlicher und zu Späßen aufgelegter hochdekorierter Militär pfiff mit seiner Trillerpfeife schrill über den ganzen Platz, peinlich berührt radele ich zu ihm hin, stelle mich der Situation und muss in seinem Beisein das Foto löschen. Ich erzähle ihm, dass dies der zweite Anpfiff meines Lebens sei, den ersten kassierte ich vor Jahrzehnten auf dem Roten Platz am Kreml in Moskau, da wagte ich nämlich, eine Fußspitze neben den Zebrastreifen zu setzen, die Beamten dort schauten aber weniger versöhnlich aus der steifen Wäsche, eher kam mir der Gedanke, dass für sie auch der Maulkorbzwang gelten müsse. Wir lachen, der Hochdekorierte verabschiedet uns herzlich und freundlich, betont nochmals, wie sehr man die Deutschen schätze, es seien die liebsten Gäste aller Europäer, hui, irgendwie stolz radeln wir weiter. Hier in Marokko sind es die Begegnungen, das zufällige Beisammensein mit wildfremden hier lebenden Menschen, das mich immer wieder in den Bann zieht. Das Andersartige, der Zweiklang, den die Herzen schnell in Einklang bringen. Dies sind für uns die Erlebnisse der besonderen Art. Kommen dann noch die farbenfrohen Auslagen, die sehr reduzierte Blütenpracht, die umso mehr erfreut, eine leicht morbide Bausubstanz, ein abschwächendes sanftes Vorabendlicht dazu, in dem die Menschen, mal geschäftig, mal gelassen, zwischen Minzteewolken und Holzkohlerauchschwaden wimmeln, dann steht man mittendrin, wird mehr und mehr Teil der Szenerie und ein großes Wohlbefinden breitet sich in einem aus. 

Zurück in der Welt, fällt mein Blick auf dem Heimweg auf ein Schild „Dentist“, hoffe ich auch, den nicht zu brauchen, schmunzele ich doch und denke darüber nach, wie es mir wohl sein wird, wenn ich doch da hinein müsste. Unser Polsterer, bei dem wir noch kurz anhalten, hat immer noch nicht begonnen. Sein Mitarbeiter möchte auch die Polster straff bespannen und nicht, wie sie sind, leicht plissiert. Mir behagt das nicht, aber wir sollen morgen früh zum Anschauen vorbei kommen. Man wird sehn, Inschallah. Nach solch einem Streifzug durch die Fremdländischkeit schmeckt uns der Rest der Rindfleischsuppe nach deutscher Hausfrauenart richtig gut. 

Mittwoch 07.02.2018

Brot von gestern ist noch da, was sich gut trifft, denn wir müssen etwas flotter als sonst das Frühstück zu uns nehmen, schließlich haben wir um 10 Uhr einen Termin beim Polsterer. Wir nehmen die Räder und fahren hundelos durch ein Stadttor um die Ecke zum Laden. Der junge Mann strahlt schon, als er uns kommen sieht und zieht mit Augenzwinkern „unser“ Polster aus einem ganzen Stapel hervor. Sehr zu meiner Freude hat er es doch geschafft, einen Teil wie im Original leicht zu raffen. Er zeigt uns, dass er aber Knöpfe einarbeiten will, damit sich der Stoff nicht verziehen kann. Die Nähte am Rand hat er als kleinen umlaufenden Wulst gearbeitet, was toll aussieht. Ja, so ziehen wir ganz zufrieden und zuversichtlich wieder ab. Die Sonne scheint warm, kaum ein Lüftchen weht, ärmellos können wir uns die Zeit draußen in den Stühlen mit lustigen Gesprächen mit unseren Freunden vertreiben. Ein junger Mann vom Platz kommt mit seinem Mofa, ich kläre mit ihm, ob er Bier und Tajine für abends für uns alle organisieren kann. Wie wollen gerne, bevor die beiden morgen in nördliche Richtung abreisen, nochmal zusammen essen. Der junge Mann verspricht, jemanden herbei zu holen, der uns alles beschaffen wird. Umgehend erscheint auch ein etwas älterer Mann auf seinem Moped. Er nimmt alles auf, ist glücklich und zieht mit der Bestellung ab, allerdings nicht ohne die Damen, also Marlies, Barbara und mich, wie bei der Begrüßung nun auch bei der Verabschiedung rührend mit Handküssen und Drücken unserer Hände zu ehren. Ja, so macht man das wohl mit den älteren Damen. Wir lachen und haben Spaß zusammen und freuen uns auf ein leckeres Abendessen. Wolfgang braucht später Hilfe beim Polsterer. Er hat gestern seine vier Armlehnen abgegeben zum Neubeziehen, die er nun wegen der Abreise heute noch zurück haben muss. Wim und ich fahren also nochmal zum Polsterer, er wird sie bis heute abend fertig machen. Auf einer Runde durch den Ort auf der vergeblichen Suche nach den fettgebackenen Kringeln, die ich noch nie probiert habe, muss ersatzweise eine Patisserie herhalten. Eine Tüte leckerste Kokosmakronen und vier Stückchen Sahnekuchen, alles für 29 Dirham, wandern in den Fahrradkorb. Am Womo winkt Marlies schon mit einer Büchse Bier, die Makronen werden sofort vertilgt. Dann braut es sich zusammen, dunkel schiebt sich die Schlechtwetterfront über uns und der Regen setzt ein. Heute nachmittag soll es stark schauern, danach nur noch sonnig sein mit sehr steigenden Temperaturen. Aber erstmal ist Grau-in-Grau angesagt und eimerweise Regen. Eine weitere Stippvisite beim Polsterer gemeinsam mit Wolfgang wird nötig, da seine Armlehnen zwar fertig, aber statt mit schwarzem Leder mit blütenweißem bezogen wurden. Mein Französisch reicht, ihm klarzumachen, dass die Armlehnen bis morgen früh um 9 Uhr schwarz bezogen sein müssen, weil unsere Freunde dann weiterreisen. Zurück am Womo rollen auch schon die georderten Tajine an, die jeder wegen des schlechten Wetters in seinem Womo verzehrt. Immer ist es ein besonderer Moment beim Abheben der schweren Deckelhaube. Außer ein paar jämmerlichen Zucchini-Streifen und einigen kullernden Erbsen sehen wir ein paar Rippenstücke vom Poulet, die sich als ziemlich trocken, zäh und fad erweisen. Tja, diese Tajine war nicht der Renner. Die marokkanische Küche konnte uns bisher ohnehin noch nicht so recht begeistern. Beim gemeinsamen Absacker wurde schnell klar, dass wir die mittelprächtige Tajine erwischt hatten. Frank und Marlies hatten von allem reichlich Gutes unter ihrer Haube, Wolfgang und Barbara berichten von zwei jämmerlichen Keulchen unter ein paar Zwiebelringen und wenigen Zucchini, also noch überschaubarer als unsere Ladung. Seltsam, was denkt so ein marokkanischer Koch, was Gäste denken, wenn sie gemeinsam bestellte Tajinen-Hauben öffnen und derart Unterschiedliches darunter finden. Vermutlich nichts ... außer Inschallah. Was ein Glück, dass Frank uns nachmittags noch mit diesen leckeren frisch gebackenen, und von mir vergeblich gesuchten Krapfenringen überraschte. Darauf aufbauend konnte bei uns allen trotz schlechter Tajine glücklicherweise ein gewisser Sättigungsgrad erreicht werden. 

Donnerstag 08.02.2018

Viele weiße Wölkchen zeigt der morgendliche Himmel. Bis in die Nacht rein hat es geregnet. Aber der Wetterbericht lässt auf gutes Wetter hoffen. Und so wird es auch blauer und blauer bei sehr frischem Wind. Wolfgang hat seine Armlehnen in schwarz pünktlich bekommen und schraubt sie gut gelaunt und zufrieden an seine Sitze. Frank und Marlies stehen auch in den Startlöchern. Nach harmonischen lustigen Tagen zusammen verabschieden wir uns mit dem Versprechen auf ein baldiges Wiedersehen. Schade, das Regenwetter hat verhindert, dass Benji mit Bazou und Chianga nochmal eine Runde frei laufen konnte. Wir setzen uns in die Sonne und beobachten das morgendliche Bäumchen-wechsel-Dich-Rangieren, dem jeweils ein forscher Rundgang der Wechsler vorausgeht. Mit Zollstock im Blick werden die potenziell frei werdenden Lücken eingescannt, mit Schritten vermessen, um dann zu entscheiden, ob sich ein Wechsel lohnt oder eher nicht. Dabei muss man vermutlich sehr grimmig dreinschauen, möglicherweise zur Einschüchterung eventuell sich auch umschauender anderer Wechsler. Häufig pirschen sich aber auch Wechslerinnen durch die Gassen. Sie haben vielfach einen sehr wirren Blick, wirken fahrig und zunehmend unentschlossen, sobald sich mehr als zwei Wechselmöglichkeiten bieten. Ich will nicht gemein darüber lästern, bin nur immer etwas verstimmt, wenn Wechsler eingehend eine Nachbarparzelle begutachten, aber einen Gruß nicht erwidern, geschweige denn einmal von alleine grüßen. Jedenfalls sind die beiden Lücken, die unsere Freunde hinterlassen, schnell geschlossen. Warm angezogen mit Jacke schwingen wir uns auf die Räder, wir fahren ans Ende der Medina, wo wir hinter dem Stadttor eine Freifläche vermuten. Dem ist so, und die Hunde können mal eine Runde schnüffeln und sausen. Die zentrale Lage des CP ist toll, aber eben für Freilauf ungeeignet. Aber Lösungen ergeben sich immer. 

Ein Streifzug durch die Gassen wird unternommen, heute ist Weiberdonnerstag, der Tag schlechthin für Fettgebackenes, als Kölner verzehrt man an diesem Tag liebend gern Berliner oder Mutzemändelscher. Entsprechend müssen nun endlich diese fetten köstlichen Ringe her. Und wirklich schaffen wir das endlich, wir wurschteln uns durch den Gemüsemarkt, wo sich gerade ein italienisches Womo in einem Mandarinenkarren festzukeilen droht, und finden den Stand, an dem der Bäcker in riesiger Pfanne und in heißem Öl schwimmend Teigiges in unterschiedlichen Formen bäckt. Er hat viel Zulauf, muss also gut sein. Eine Tüte große Kringel, eine Tüte kleine Kringel, großes Glück - nicht in kleinen Dosen, nein, in großen Tüten! 

Bei einem lustigen Gemüsemann kaufen wir noch ein Kilo Zucchini. Er hat nichts gegen ein Foto und schmeißt sich noch mit seinen Kollegen in einen Haufen Möhren für mich und meine Kamera. Die Gelegenheit nutzt eine Katze, mal genauestens in den Fahrradanhänger mit dem ganz stillen Bazou zu starren und regungslos zu verharren. Wären wir nicht weitergezogen, stünde sie jetzt noch so da. 

Viele Fragen nach dem „Wie geht‘s“ gehört, viele Male „Daumen hoch“, Lächeln und Augenzwinkern gesehen, viele kurze Gespräche geführt, und das radelnd oder schiebend, es spielt keine Rolle. Man entdeckt und erfährt auf jedem Meter Gasse immer wieder Neues. Bemerkenswert finde ich das Muster zweier Kleider; im Vorbeiradeln sehe ich, dass es voller Pfotenabdrücke ist, schön, es gefällt mir, scheint es doch auch hier Frauen zu geben, die Hunde toll finden. 

Unser täglicher Besuch beim Polsterer lässt vermuten, dass er es bald geschafft hat. Ein Rückenteil fehlt noch, ebenso die Knöpfe, und die beiden Sitzbezüge. Damit will er morgen fertig werden. Ach ja, auf einen Tag mehr kommt es auch nicht an. Bloß keine Hektik, was ebenfalls für den kleinen Braten und die Ofenkartoffeln gilt, die sich mit dem Garprozess im Womo-Backofen heute etwas schwertun. Dann wird eben gespeist, während der Fernseher läuft, heute gucken wir Karneval aus Köln, irgendwelche heimatlichen Fastelovend-Klänge werden der Flimmerkiste wohl zu entlocken sein. 

Freitag 09.02.2018

Ab heute gewinnt die Sonne den Platz am Himmel, mit Alleinstellungsmonopol. Nichts mehr zu sehen von Bewölkung, nichts mehr zu spüren von eisigem Wind.  Man hört quasi das Aufatmen der Camperschar. Mein Landschaftsgärtner kümmert sich zunächst um die Außenanlage. Gestern Abend wurde noch eine Lasterladung Kies in unsere Seenplatte gekippt, die Wim nun verteilt und anschließend unsere Auslegware zur Wasserstelle schleppt, um wenigstens notdürftig, er sagt immer „auf die Schnelle“, den Lehm-Ocker-Ton herauszuwaschen, was nur eingeschränkt gelingt. Irgendwie lockt die Sonne, gibt genügend Motivation, im Innendienst tätig zu werden. Heute kommen ja, sagen wir mal besser „möglicherweise“ kommen ja heute die neuen Polster. Wim baut den Fahrersitz aus. Es folgt eine Grundreinigung der Fenster, der Möbel, der Böden, der Teppiche. Die Frauen kennen es, dieses herrliche Gefühl, in wichtiger Mission mit Lappen und Wischer und allen Utensilien unterwegs zu sein in freudiger Erwartung, dass gleich alles blitzeblank, sauber und hell erstrahlen wird. Arbeit erledigt, Lappen baumeln in der Sonne und trocknen vor sich hin, wir pflanzen uns in unser neues Kiesbeet, genießen Sonne und Campari. Es währt nicht lange, Nichtstun ist einfach nicht so unser Ding, dann macht Wim die Räder parat. Kurzbesuch beim Polsterer ergibt, dass die neuen Polster abends gebracht werden und der Fahrersitz abgeholt wird. In der wunderbaren, sonnigen Luft radeln wir weiter durch die recht ruhige Einkaufsstraße. Freitag ist „Sonntag“ in Marokko, einige Läden haben geschlossen, die Kinder scheinen aber trotzdem in Schule oder Religionsunterricht unterwegs zu sein. Man hört sie auf dem Schulhof, man sieht sie in Scharen mit ihren Müttern am Straßenrand. Ganz häufig bellen sie unseren Hundeanhängern nach. Das ist leider hier in Marokko, vielleicht aus einer Art Unbeholfenheit heraus, die Regel, auch die Jugendlichen machen sich einen Spaß daraus. Für die Hunde ist es nicht immer eine leichte Übung, oft bellen sie genervt zurück, aber ich freue mich immer sehr und bin stolz auf die beiden, wenn sie es einfach, wie heute, gelassen hinnehmen. Durch’s Stadttor geht es hinaus ins Brachland, in Richtung Oasenruinen. Hier, wo lange vor Gründung der Stadt Tiznit eine große Oase war, in der bis Mitte 19. Jahrhundert die Karawanen aus Algerien, Mauretanien, der Sahara und dem südlichen Marokko ankamen, ist es etwas ganz Besonderes, die Hunde eine Runde sausen zu sehen. Ich bin sicher, auch damals, wie heute, hätten die Kameltreiber auch ihren Spaß daran gehabt. Man sieht, riecht, hört - mit etwas Vorstellungskraft -, wie es Anno dazumal wohl hier zugegangen sein muss. Einzelne kleine Parzellen leuchten grün, werden also noch beackert, was uns freut. 

Kurz danach folgt ein kleiner CP, über den wir neugierig radeln. Auch er ist rappelvoll, alles Franzosen, kein einziger Deutscher, nur Franzosen. Auf unserem CP sind auch wir die einzigen Deutschen. Aber wir erleben das häufig hier in Marokko und denken über das „Warum“ nach. Ein kleines Dorf folgt mit seinen freundlich winkenden und gesprächigen Menschen. Auch hier, wie überall, man steht noch nicht einen Moment, garantiert kommt jemand und fragt, wie es geht, woher man kommt, wohin man will; und immer, wirklich immer, freuen sie sich sehr, wenn sie hören, man ist aus Deutschland. Hinter dem Dorfausgang weiter vor uns scheint die N1 zu verlaufen, man erkennt die vor Tiznit liegenden großen Tankstellen und dahinter, welch ein Bild, die auslaufenden hohen Bergrücken des Anti-Atlas, schneebedeckt, leicht umnebelt, und sehnsüchtig folgen wir den gleißend weißen Linien und sehen auch unserer Zeit, die wir auf der Rückreise in dieser Region verbringen werden, mit Spannung entgegen. Meer, Küste, Strand, Atlantikwellen, alles ist imposant, unvergesslich; aber Marokkos Berge ebenfalls, von solch einer Wucht und unfassbaren Schönheit, die man wirklich sein Leben lang nicht mehr vergisst. Ein Rudel großer Hunde liegt eng zusammen auf einem weiten scholligen Acker, die 6 schönen Hunde heben die Nasen, schnüffeln in den Wind, bleiben aber bis auf einen, der sich kurz erhebt, weil er wohl Wachdienst hat, unbeeindruckt liegen. 

Wir erreichen die N1, es ist sie wirklich, und fahren über die breite Promenade außen an der wunderbaren Stampflehmmauer vorbei. Parallel dazu verläuft ein schöner Park mit weitläufigem Platz und kleiner Kirmes. Hier herrscht an Wochenenden sicher Halligalli. 

Ein paar Tomaten werden noch besorgt und ab zurück zum Womo. Gegen Abend kommt auch der Polsterhelfer mit einer Karre und holt den Fahrersitz ab, hat aber nichts dabei, wusste aber auch nichts Genaues. Wir geben ihm das Schaumstoff-Provisorium mit, platzieren unsere glücklicherweise passenden Campingstühle im ja nun ganz leeren Fahrerhaus und püngeln alle Decken und Hundebettchen wieder auf die leeren Nischen. Was soll‘s, Zucchini-Tomaten-Schinken-Sahnesößchen-Pfanne ist lecker, und der Abend verbringt sich in den Stühlen auch ganz gut. So haben wir etwas länger Vorfreude, ein schöner Zustand. 

Samstag 10.02.2018

Weder Wolken, geschweige denn Regen, so bricht der neue Tag an. Für eine Mitcamperin in der Nähe wird es kein guter Tag, sie wird von der Ambulanz abgeholt, hat sich den Arm gebrochen. Unser schweigsamer Nachbar beginnt, seine enormen Auf- und Anbauten abzubauen. Also herrscht wieder emsiges Gewusel an allen Seiten. Wim macht mich auf einen großen Baum mit unzähligen Schoten hinter dem Waschhaus aufmerksam. Natürlich mache ich mich mit Kamera auf den Weg. Und es ist ein toller Baum, schön anzusehen, wie die Schriftzeichen der Berber-Sprache, die ich so toll finde. 

Eine Sangria aus dem nicht so tollen spanischen Rosé bereite ich schon mal für nachmittags vor. Heute machen wir es uns mal richtig „nett“. Aber dann geht es auch bei uns los: der Polsterhelfer erscheint mit seiner Karre, und was hat er geladen? Unsere Polster und Sitze! Kurz danach kommt der junge Polsterer Mohammed auf dem Rad angesaust. Er hat das Nötige zum Einbau dabei: Schere, Klettband, Tacker. Wir sind begeistert, dann mal rein in die gute Stube. Die zwei Burschen machen sich gut gelaunt an die Arbeit. Mohammed legt die Polster aus, prüft den Sitz der Polster, bringt das Gegen-Klett auf den Holzflächen an, tackert es fest, prüft nochmal, und wir klemmen draußen an der Tür und sind begeistert von den neuen Polstern und der Arbeit. 

Dann werden die Sitze reingeschleppt. Der Einbau ist schwierig wegen einer darunter liegenden Verkabelung. Irgendwie schaffen sie es nicht, alles wieder fest und gangbar zu machen, was Wim aber später perfekt selbst erledigt. Es fehlt noch das obere Polster einer Sitzbank. Das soll abends gebracht werden. 

Aber jetzt schon ist es ein tolles Bild, nicht nur, weil die ollen total verschlissenen Polster raus sind, sondern weil die neuen farblich wirklich sehr schön passen. Sie sind zwar, ganz bewusst, ähnlich wie die alten, aber mit dem „ähnlich“ ist das ja immer so ein Ding, „ähnlich“ kann auch total daneben liegen, das Grau zu braun, das Beige zu gelb oder zu weiß. Ich bin da schon ein Pingelfritz, grausam, wäre das Beige zu vanillig oder zu pudrig rosa, dann hätte man den Salat. So sind wir sehr zufrieden. 

Ganz besonders gefällt mir die Art und Weise, wie Mohammed arbeitet, mit welcher Liebe zu seiner Arbeit er die Polster reinlegt. Zigmal streicht er über die Flächen, seine Augen strahlen, er zieht mit zwei Fingern die Kantenwülste nach, richtig Spaß hat er. Wir sehen, da versteht einer sein Handwerk, da ist Stolz auf das, was geliefert wurde, und das mit vollem Recht. Die zwei Jungs verabschieden sich nach einer guten Stunde Arbeit vorerst von uns und freuen sich über das Trinkgeld. 

Und dann wir, klar, erstmal rein ins Mobil: „Nee, wie schön! Is ja doll! Boah, ist das klasse geworden! Passt ja hervorragend! Wie schön er das gemacht hat! Und erst die Knöpfe! Und die Armlehnen! Die Steppung im Sitz ist toll! Und so schön stramm der Bezug! Und akkurat die Gurtführung! Und die Lösung mit den Knöpfen, ne ne! Und auch sehr schön plissiert! Ist ihm gut gelungen! Gut, dass wir keine anderen Farben gewählt haben! Und gut, dass der eine zur Auswahl stehende Stoff so gut passt! Und die Knöpfe erstmal! Und auch gar nicht zu braun alles!“ usw. usw.. Alles wurde begleitet von ständigem Streichen über Stoff, Leder, Nähte, und Knöpfe, nicht zu vergessen. Danach folgte die eingehende Sitzprobe. Auch die fiel zu unserer vollsten Zufriedenheit aus. Wir grinsen uns an, ich drapiere noch dekorativ zwei Kissen in die Polsterecke, zupfe die Gardinen zurecht, stelle das Obstkörbchen auf den Tisch, halte alles, wie den Einbau vorhin, ausgiebig fotografisch fest, stehe gedankenverloren in der Tür, ach wie herrlich, und löse mich erst von diesem Bild, als Wim, der schon in der Sonne sitzt, zum Sangria-Genuss auffordert. Erleichtert und froh prosten wir uns zu und genießen die Sonne.

Stunden später bereite ich eine Gulaschsuppe vor mit dem leckeren Rind von der Tankstelle, Paprika und frische Tomaten dazu, Tomatenmark und reichlich Knoblauch und Zwiebel, die kann nun vor sich hin lächeln. Brot muss aber noch her. Also auf die Räder, quer durch die von Menschen überquellende Einkaufsmeile in der Medina, erstmal direkt zum Hundeauslauf in den Oasenruinen. Grüppchenweise ziehen Frauen vorbei, sie haben Spaß, gehn gut gelaunt Richtung Souk, wollen mich mitnehmen. Es ist ein unbeschreiblich schönes Gefühl, in den Genuss dieser „Willkommenskultur“ immer wieder zu kommen. Darüber denke ich beim Zurückradeln nach, bevor all meine Sinne sich auf das Durcheinandergeschwirre der Menschen und ihrer Fortbewegungsmittel in dieser geballten Farbenvielfalt mit all ihren Schattierungen, Gerüchen und Geräuschen einrichten. In dieser Abendstimmung, in diesem Licht, wirken die Menschen noch zugewandter, grüßen gefühlt tausendfach, Ameisen gleich flitzt und schlängelt sich alles, keine Karambolagen, kein aufbrausendes Wort ist zu hören, Lockrufe der Händler ertönen, der lustige Gemüsemann ruft mir zu und ist begeistert von seinem Foto, das ich ihm nochmal zeige, der Kringel-Bäcker begrüßt mich, als sei ich seine Stammkundin, und bedauert, dass die großen Kringel „aus“ seien, aber die kleinen sind ja auch lecker. Wir stehen nur so da, mittendrin, verzehren diese süße Köstlichkeit und denken an nichts, Momente im Luxus. Brot haben wir zwar immer noch nicht, dafür säbelt uns ein Metzger aber zwei schöne Stücke Rindfleisch ab. Erst beim Zurückradeln, aus den Farben, Gerüchen und Geräuschen fallend, nehmen wir wahr, dass es schon fast dunkel ist. Der Bäcker an der Ecke hat noch ein Brot, und der Polsterer wird gleich mit dem letzten Polster vorbei kommen. Wim zahlt bei ihm die Rechnung über die ausgemachten 400€. Freudig übergibt uns der Chef zwei kleine passende Kissen als Geschenk, so eine tolle Geste! Wir verabschieden uns von der versammelten Mannschaft mit Umarmung, Drücken und Küsschen. 

Kurz vor Gulaschsuppe und DSDS, wo der beste Freund meines Sohnes mitmacht und weiterkommt in den „Recall“, bringt Mohammed das letzte Polster an. Was für ein Tag ! 

Sonntag 11.02.2018

Einfach herrlich, im Sonnenschein wach zu werden, aber nicht so wirklich, weil wir den ganzen Tag irgendwie verdöseln, ohne Plan, einfach dahin leben, quasi nichts fotografisch festhalten, welch ein Luxus. Daher fällt der heutige Reisetagebucheintrag auch eher stichwortartig aus: gesonnt, gesonnt und nochmal gesonnt, dazwischen den Rest der Sangria zu uns genommen, Rindfleischstücke zum Grillen vorbereitet, geradelt, Kringel gekauft, und einfach nur in der Souk-Mitte gesessen, auf den drei gefliesten Stufen vor den Arkadengängen der Metzger, die Kringel verzehrt, den großflächig um den Mund herum geschmierten Zucker abgeleckt, und nur geschaut, gesessen und geschaut, gegrüßt worden und zurück gegrüßt, mit dem lustigen Gemüsemann gealbert, und wieder nur gesessen und geschaut, ein einzigartig schöner Fleck auf Erden, lebendig und gelassen zugleich. Zeitig kommen wir zurück zum Womo, so dass Wim noch vor Dunkelheit den Grill zum Glühen bringen kann. Zum Fleisch legen wir dickere Scheiben Aubergine, die wir vom Radausflug mitgebracht haben, leicht gesalzen und bepinselt mit Olivenöl, alles zusammen mit Kräuterbutter und Brot verzehrt, ist es ein köstliches Abendessen. Am Sonntagabend ist Tatort-Time, und auch noch mit Nora Tschirner, die wir persönlich kennengelernt haben, weil sie uns zuhause in unserem Kölner Wohnzimmer-Weihnachtsmarkt besucht und auf unserer Couch gesessen hat. Aber obwohl sie eine wirklich sehr Liebe und Pfiffige ist, war der Tatort stinklangweilig. Tja .. alles kann nicht immer gut sein, sonst würde das Gute gar nicht auffallen.