ab in die Wüste

Freitag 28.02.2020

Liegt es am Alter oder was? Jedenfalls fällt die Abreise schwer. Tapfer gehen wir sie aber dennoch an. Das letzte, ans Womo gebrachte Teechen (übrigens immer kostenlos) wird geschlürft, entsorgt, Wasser gefasst. Abdal schraubt an seinem R4 herum und bekommt nach und nach Unterstützung von ein paar sachkundigen Franzosen. Mal sehn, ob das kleine Vehikel noch lebt, wenn wir evtl. im nächsten Jahr wiederkommen. In der Küche ist die wunderhübsche Malika gut beschäftigt mit den Vorbereitungen für das freitägliche Couscous-Mahl. Es duftet schon lecker. Wim zahlt dann mal. Obwohl wir eigentlich selten etwas zu Preisen auf unseren Reisen sagen, halte ich hier doch mal fest, dass es 820 DH (ca. 80 €) waren für: 8 Nächte, 4 x Strom, Dusche, V+E, 1 x Couscous-Mahl, 1 x Berbersuppenabend mit Musik, 1 x Tajine, 3 Brote, 8 x Tee, 2 x Waschmaschine. Wenn wir dann lesen, dass einige diesen CP zu teuer finden, dann fällt uns wirklich nix mehr ein. Rührend werden wir verabschiedet. Es war uns eine Freude, hier zu sein. Und sie beruht auf Gegenseitigkeit. Wieder um viele Erfahrungen reicher rollen wir durch das farbenfrohe Tor. 

Ab jetzt wird es, was Farbenvielfalt anbelangt, weniger spannend. Die N16 bringt uns aber nur kurz die gewohnten Bilder. Vereinzelt sehen wir Baumschulen für Palmen. Nach und nach verändert sich aber das Bild, zum einen verschwindet das grüne Flussoasenpalmenband und verliert sich irgendwo in der mehr und mehr werdenden steinigen Weite, zum anderen sprießen im Bau befindliche große, zum Teil prächtige Bauten aus dem Nichts. Wer noch Ideen für seinen Hauseingang sucht: hier kann man fündig werden. Bullige Offroader düsen onroad an uns vorbei, allzeit bereit, sich rechts und links von der Straße in die Sandkörner zu wühlen. Fossilienhändler locken mit überdimensionalen Funden im Wechsel mit Buden, an denen knallbunte Schals im Wind wehen. 

Vor Erfoud reiht sich eine Gästeherberge an die andere, augenscheinlich für jeden Geldbeutel etwas dabei. Dazwischen mischen sich Restaurants, Bars, Pizzerien, Cafes, Dekoläden. Ein schönes Bild, touristisch-lebendig, aber eben ein anderes Bild. Hier herrscht Trubel auf den Straßen und Passagen. Radelnd mal mitzumischen, wäre sicher für einen Tag ganz lustig. Für eine nächste Tour merken wir uns das vor. Der krasse Gegensatz zur Beschaulichkeit im Ziz-Tal ist schon nicht ohne Reiz. Auch das lieben wir sehr an Marokko, die Gegensätze. 

Am Abzweig links zur R702 halten wir an. Wir müssen noch Vorräte auffüllen, z. B. Brot, wie man sich denken kann, und Gemüse. Touristen mit Tütchen und Einheimische mit vollgeladenen Fahrrädern signalisieren: Souk auf 9 Uhr. Wim schnappt sich eine Tüte und marschiert los. Und ich betrachte das irre Gewusel vor unserer Schnauze im Kreuzungsbereich. Wie die alle unbeschadet und ohne Beschimpfungen aneinander vorbei kommen, alle Achtung. Häufig haben wir das beobachtet, nein, eigentlich immer, wir haben auf all den Reisen niemals eine einzige Karambolage erlebt, nie. Und die Bremsen der klapprigen Räder werden 100 Prozent nicht vom Besten sein, und Fahrradklingeln hört man nie. Und hier mischen auch noch die schweren Offroader mit, die sich mit ihren hohen Auspuffrohren im Schal-Angebot des Händlers an der Ecke verfangen könnten. Sagenhaft sehenswert! 

Die R702 kennen wir bisher nicht. Am Friedhof, auf dem wir tatsächlich mal Besucher sehen, geht’s leicht bergan und dahin. Vor Kamelen wird „gewarnt“, nicht ohne Not, einige können wir mal näher, mal in der Ferne ausmachen in der immer steiniger werdenden Endlosigkeit. Ein Fossilienhändler, einzelne Bäume, hin und wieder ein Auto auf einer Piste, einige hingekullerte Würfelhäuschen, ein großer, hermetisch mit Stacheldraht abgeriegelter Militärstützpunkt, das war‘s, wenig bis nichts. Auf kleineren schmalen Flächen schimmert Grün mit winzigen gelben Blüten, wie unwirklich. 

Und dann aber erspähen wir sie, die gold schimmernden wundervollen Dünen der Erg Chebbi, davor die anthrazitfarbene Steinwüste, die Hammada. Den Anblick der Weichheit der hohen Sandwogen, cremig, als habe sie ein Riese mit seiner Spritztülle am Horizont modelliert, gepaart mit dem krachenden Blau-Schwarz der Steinwüste vergisst man sein ganzes Leben nicht mehr. Eine Sahnetorte, ein Salzburger Nockerl für Riesen trifft es noch besser. Dazu der heutzutage für Feinschmecker absolut nötige „Crunch“, die dunklen Brösel der Hammada. Ein Leckerbissen, den viele mögen. 

Das zeigt sich auch sofort, denn alles wird an der Straße angeboten, was sich darin bewegen lässt. Im ersten Kreisverkehr schnappt uns ein bunt betuchter, gut Deutsch sprechender Marokkaner. Das ist typisch. Man kann ablehnen, aber wir folgen ihm mal zu dem angebotenen Platz in einem der aneinander gereihten Ksare, die überwiegend Hotelbetrieb sind, aber zu den Dünen hin Parkmöglichkeiten für Womos bieten. Ja, es ist ein schönes „Ding“, Pool, Liegen mit Handtüchern, schöner marokkanischer Stil, viel Deko, gefällig für Europäer. Aber ein wenig fehlt uns die Ursprünglichkeit. Rechts und links sieht man viele Womo-Dächer, irgendwie alles etwas Reihenhauscharakter. Klingt vielleicht überheblich, aber Geschmäcker sind verschieden. 

Wir fahren also wieder ab und versuchen unser Glück Richtung Taouz im „La Rose de Sable“. Ganz passabel, Sand unter den Füßen, Blick weitgehend frei, wir bleiben, auch wenn der Empfang ungewohnt uninteressiert und beliebig ist. Manchmal kann man sich sofort einfinden, ein anderes Mal weniger gut. So ist das beim Womo-Reisen. Bei unserem ersten Besuch der Erg Chebbi hatten wir einen benachbarten, phantastisch gelegenen Platz, direkt am Schlafplatz der Dromedare. Einzigartig urig. Nur können wir dieses Mal diese Auberge nicht mit unserem schweren frontangetriebenen Womo anfahren. Trauer und Enttäuschung darüber wiegen schwer, wozu sich dann noch der Frust und die Wut über Müll um uns herum gesellt, den wir vorm Niederlassen blöderweise nicht gesehen haben. Ich ärgere mich sehr darüber. Es muss nicht sein, dass Klopapierfetzen und Scherben herumliegen und der Betreiber sich offensichtlich nicht darum kümmert. Wir werden heute bleiben, mal sehn, wie es uns morgen so ist, und verfolgen bei 28 Grad im Schatten die zahlreichen Spuren der Karawanen, die Touristen zu den vielen Biwaks hinter den Dünen bringen. 

Versöhnlich stimmen später eine erstklassige Bolognese, die Wim brutzelt und unsere Lieblingssendung „Let‘s dance“. Hab ich etwas vergessen? Oh ja, die unfassbare Schönheit der Sahara, mit ihrem Licht- und Farbenspiel, auch wenn wir hier ja nur ein Sandkorn großes Stückchen überblicken. Ich liebe Orte, an denen sich „Wichtigkeit“ auflöst und verliert.

Samstag 29.02.2020

Der frühe Morgen zieht mit Wolken ein und über die Dünenkuppen schaukeln die ersten Karawanen wieder von der Biwak-Nacht zurück in die Zivilisation. Die Teilnehmer mussten früh raus. Auch die ersten Quads tummeln sich schon im Sand und pflügen die jungfräulichen Huckel. Ein wenig erinnert mich dieses Bild an lang zurückliegende Skiurlaube mit früh morgendlichen Abfahrten. Es war wundervoll, die ersten Linien auf den Pisten zu ziehen. Lange ist es her. 

Während die Quads unschlüssig hin und her sausen, ruft der Muezzin zum Gebet. Wim startet zum Morgenspaziergang mit Bazou und Chianga. Die beiden stiefeln noch etwas gelangweilt hinterher, aber, wie sich rausstellt, deute ich das falsch, es ist eher ungläubig verhalten. Denn kurz danach geht‘s ungebremst zur Sache. Wim erklimmt eine der Dünen, ich verfolge den waghalsigen Gang über den Dünenkamm und zurück. Die Hunde sind total platt, Wim reißt sich zusammen. 

Da die Wolkendecke sich leider nicht lichtet, eher dusterer wird, beschließen wir, unsere Dünensenke zu verlassen und das Womo in anderer Ecke etwas erhöht abzustellen. Die Sturzbäche, die die Erg Chebbi vor 2 Jahren unanfahrbar machten, sind uns noch gut in Erinnerung. Und Geröll und Wassermassen und Frontantrieb passen denkbar schlecht zusammen. Also auf Nummer sicher gehen und umparken. Solche Aktionen sind ja schnell erledigt und man muss sich weniger Gedanken machen. Außerdem eröffnet sich wieder ein neuer Blick auf die wunderschönen Sanddünen. 

Und die etwas unterhalb in Riech- und Hörweite stehenden Dromedare kommen auch wie gerufen. Ganz schöne Charakterköpfe sind dabei. Ein junger Mann schleppt einen Heuballen auf einem Moped heran, Futter für die Trampeltiere. Aber zunächst löst er die Fußfessel beim großen Dromedar-Mann, der sich darauf sofort in unsere Richtung in Bewegung setzt und bei einer blauen Tonne stoppt. Aha, Wasser. Die Damen und kleinere Tiere folgen. Man hört lange Einsauggeräusche, bevor das Wasser in den langen Hälsen verschwindet. 150 Liter auf einen Schlag in sich verschwinden zu lassen, ist für ein Dromedar kein Problem. Auch beim Aufspüren von Wasser sind sie Meister, können es kilometerweit riechen. 

Jedenfalls verbringen wir den Wüstentag, der nachmittags noch mächtig Sonne und 28 Grad im Schatten bereit hält, mit einem prickelnden Aperol Spritz, einem Näpfchen vom spanischen „Vogelfutter“, Brot, sparsam dünn geschnittenem Schwarzwälder Schinken und sehr beruhigenden Beobachtungen dieser sanften Tiere. 

Im Gegensatz zu gestern tummeln sich heute Menschenmassen auf und zwischen den Dünen, klettern in Scharen an den Kanten hinauf, den Gipfel fest im Visier, aber äußerst achtsam, da hinter jeder Erhebung ein Motocrossler hervorschießen könnte. Breitmaulfrösche, mit noch breiteren Reifen, kräftig im Durchzug, vornehmlich in silber und schwarz, dampfen quer durch alles, den Mutigen gehört die Welt. Mein Teleobjektiv und ich warten auf den Moment, dass sich ein solches Offroad-Gefährt im gerade aufblähenden Gleitschirm einer Gruppe junger Menschen verfängt, orientierungslos die Dünen hinunter segelt, im freien Fall eine Karawane ins flatternde Gewebe einwickelt und neben den unerschrocken weiter kauenden Dromedaren in den Sand sackt. Schnell sind wir auf dem besten Weg, diese Haufen von Touristen mit ihrem Erstürmen der grandiosen Natur zu verdonnern. Tja, nun sitzen wir aber selber dazwischen, mit schwerem Gerät, und die Räder sind noch nicht mal ausgepackt. Wer weiß, wie viele Schwarzkäfer dran glauben müssen, wenn wir damit durch die Steinwüsten gurken. Verdenken kann man es keinem Mensch, dass er sich in diesem gewaltigen Sandkasten herumtreiben möchte. Ohne darüber zu urteilen oder gar zu verurteilen, möchten wir nur festhalten, dass das touristische Angebot zwar groß ist und reichlich davon Gebrauch gemacht wird, aber ein totales Überlaufen mit vermehrten Hinterlassenschaften oder gar andauernde Lärmbelästigung erleben wir nicht. Eigentlich sieht man nur staunende, fröhliche Gesichter, die Menschen genießen die Außergewöhnlichkeit, der Wüste so nah zu kommen und stiefeln wie kleine Playmobil-Figürchen darin herum, werden Teil einer Seite eines Wimmelbilderbuchs. 

Hinter diese Kulissen, hinter dem Horizont geht‘s ja bekanntlich weiter, haben wir von einer Anhöhe nur mal einen Blick auf die unzähligen Biwaks, mal braun, mal weiß, geworfen. All die Dromedar-Reiter und -Reiterinnen werden hier aus den Sätteln gehievt und finden Ruhe in der Einsamkeit unterm Sternenzelt. Oder auch nicht. Auf unserer ersten Marokko-Reise mussten auch wir im Allrad-Trümmer auf der Rückreise das Licht einschalten, es war über den Handel Abend geworden. Also hier und heute mal aufpassen und nicht die verdonnern, die gerade nach einem wunderbaren Sonnenuntergang in der Dünenwand hängen, mit ihren Scheinwerfern die Lage peilen und fluten, um eine machbare Spur für den Abflug ins Tal zu finden. 

Sonntag 01.03.2020

Spätestens im Wüstenland schafft sich die Entschleunigung Raum, hier, wo es von manchem sehr wenig und von etwas unzählig viel gibt. Sandkörner beobachten, die einen derart staunen lassen, das gehört ab heute zum Standardtagesprogramm. Komischerweise braucht man auch nicht viel mehr. Früh morgens ist es 10 Grad, schnell steigt es aber auf knapp unter 30 an. Heute lohnt es sich, den Hunden die Liegen aufzubauen. Ein Ridgeback kann und darf bekanntlich nicht schnöde irgendwo abgelegt werden, man muss ihn betten. Das ist Gesetz. Und da man hier auch Zeit für Erziehungsarbeit hat (die irgendwie niemals aufhört), werden gleich nochmal das „sit“ im Türrahmen, das Anlegen der Leinen, das „bleib“ an der Türschwelle geübt, das gemeinsame Abwarten, das einzelne Weg- bzw. Austreten und eeeendlich das gemeinsame Liegenfassen und Betten. Klappt. Perfekt. Das muss reichen für heute, jedenfalls wenn ich den Gesichtsausdruck von Chianga und Bazou richtig deute. 

Sie rappeln sich später aber für einen kleinen Rundgang auf und ziehen ein kleines Fotoshooting beinhart durch. Wir haben nämlich diese Hundeliegen gewonnen, ja, tatsächlich. In einer Facebook-Gruppe wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben. Man sollte ein lustiges Foto vom Hund auf Reisen schicken. Und tatsächlich hat das Foto gewonnen, auf dem Bazou auf der Armlehne eines kleinen Klappstuhls sitzt und auf‘s Meer schaut. Bazou ist ja immer für irgendeinen Spaß gut, sich für nix zu schade, das hat er von seinem Papa Waziri, der immer noch voller Freude unterwegs ist. Ja, und zu den Liegen ist zu sagen, dass wir die eigentlich immer schon haben wollten, aber wie das so geht, dann vergisst man es wieder, und irgendwann denkt man wieder, manno, hätten wir die gut. Und nun war Fortuna uns hold, und sie sind mit im Gepäck. Der edlen Spenderin, die diese Liegen verkauft, haben wir versprochen, schöne Fotos mit Hunden auf ihren tollen Liegen zu schicken. Also muss man ja auch ran. Glücklicherweise ist gerade um die Ecke eine perfekte Location, außergewöhnlich, nur etwas für Topmodells. Lustlos, ohne mir als Fotografin besonders viel zu geben, spulen die Hunde das Programm ab, nachdem Wim und ich die Liegen durch den Saharasand geschleppt, die Hunde darauf bugsiert haben und noch den Plüsch-Löwen-Teppich dazwischen geklemmt haben, der extra für solche Aktionen nach Marokko exportiert wurde. Du lieber Himmel, es klappte solala ... jeder, der seinen Hund knipst, weiß, wie dösig gelangweilt die aus der Wäsche gucken können. Unfassbar. Vor allem Chianga, die hängt sich dann wie buckliges Weiblein oder Bratschen Trine hin, wie geprügelt und geschunden. Da muss ich mir noch was Besonderes einfallen lassen, um diesen interessiert-angespitzten Gesichtsausdruck und das Leuchten in den Augen heraus zu locken. Aber wenn selbst meine Ankündigung „ooooh, Omi kommt“ nicht wirkt, bin ich im Moment ratlos. Aber wir sind ja noch länger unterwegs, ich kann ja noch an mir arbeiten.

Wir schauen später den benachbarten Dromedaren zu und den wiegenden dahin ziehenden Karawanen nach, die sogar direkt an unserem Womo vorbei schlurfen. Die Menschen sind happy oben drauf, winken und freuen sich, in den Sonnenuntergang zu reiten. 

Nach dem goldenen Licht auf den Dünen folgt das fast kupferrote, bevor alles im Kohlrabenschwarz versinkt und sich nur der riesige Schirm aus Tausenden Sternlichtern über einem aufspannt, den ich, fällt mir auf, noch nie fotografiert habe, na ja, noch eine Aufgabe für mich. 

Montag 02.03.2020

Ein Tag der Begegnungen liegt vor uns, wie sich abends herausstellt. Bereits gegen 11 Uhr sitzen wir im Sattel, nein, nicht Dromedar, nur Fahrrad. Das Wüstennest Merzouga, dort wo der normale Asphalt nur wenige Kilometer weiter südlich nahe Algerien endet und eine staubige Poste im Irgendwo verschwindet, steht heute auf dem Plan. Dass Merzouga innerorts einen neuen Straßenbelag erhalten hat, darüber informierte Max uns vor Wochen schon über Facebook. Max ist ein junger, sehr kreativer, unternehmerisch tätiger Bursche, steckt voller Ideen, und ist auf dem besten Weg, diese auch perfekt umzusetzen, was wir ihm von Herzen wünschen. Mit seinen deutschen Eltern hat er bereits als Winzling Zeit hier verbracht, hat seine schwäbische Heimat nun verlassen und seinen Wirkungskreis hierher verlegt. Coaching und Expeditionen in die Wüste plant er und führt sie durch an Plätze, die vielen verborgen bleiben und noch total unberührt untouristisch sind. Sein Angebot richtet sich aber weniger an Womo-Reisende, noch jedenfalls. Wer weiß ... 

Den Ortskern haben wir von unserem ersten Besuch sehr verblasen, verstaubt und leicht unangenehm in Erinnerung. Die Straße war erbärmlich, ein einziges Loch. Und von überall schossen quasi verhüllte Männer heran, um uns aufdringlich irgendwo hin zu locken. Aber dieses Mal ist es anders, wir erleben auf bestem Asphalt eine freundliche, schöne Durchquerung der Ortsmitte, muss an den Rädern liegen. 

Am Torbogen ein Foto-Stopp, den Mohammed nutzt, um seine Allrad getriebene Dampfwalze abzubremsen und mit uns ein Schwätzchen zu halten in sehr gutem Deutsch. Er ist sehr sympathisch, wirklich freundlich. Auch wenn er natürlich seine Dienste „Ausflug in die Dünen“ anbietet, tut er dies sehr zurückhaltend und ohne Groll, als wir ablehnen, denn eine Jeep-Tour haben wir ja nun schon mal gemacht. Hunde auf eine Tour mitnehmen, sei kein Problem für ihn, er fahre schöne, noch etwas versteckte Punkte auf seiner Tour an, er biete nicht die übliche „McDonalds-Tour“, wie die Insider sie hier nennen, er würde eine kleine Mahlzeit unterwegs reichen. Das alles klingt sehr verlockend und angenehm. Preist auch jeder seine Tour als die einzig Wahre, so finden wir seine Schilderungen sehr spannend und, was für manche nicht unwesentlich ist, das Ganze in deutscher Sprache. Wir haben ihm versprochen, ihn gerne in unserem Reisetagebuch zu empfehlen. Ein echt netter Mensch, der Mohammed. 

Und während des Gesprächs gesellen sich immer noch andere Männer mit dazu, es wird gelacht und mit Händen und Füßen kommuniziert. Auch unser Nachbar, von dem wir später noch erzählen, begegnet uns, Rocco im Körbchen. Auf der anderen Straßenseite taucht plötzlich Max auf, wie gerufen. Wir freuen uns sehr, ihn persönlich kennen zu lernen. Smart, offen, genau so wie wir ihn uns vorgestellt hatten. Es ist unterhaltsam, informativ, Wellenlänge passt, einfach schön. Hier in Merzouga strebt alles aufwärts, die Straße ist der Anfang einer Reise, die den Ort vermutlich stark verändern wird. Touristisch ist die Wüste, der winzige Teil der Sahara, eben ein Magnet. In dieser Zeit jetzt gerade aber spürt man einen starken Einbruch, die chinesischen Gruppen bleiben aus, georderte Waren für die Händler aus China stecken fest, große Reisemessen werden abgesagt, alles Existenz bedrohend für die Branche, das Corona-Virus zieht eine böse, traurig machende Spur. Wir sind eben eine Welt. Globales Betrachten schadet nicht, Tellerränder sind gedacht, um darüber zu blicken, und gerade Melamin-Teller-Ränder beim Womo-Reisen eignen sich hervorragend dafür. Philosophieren am Mittag, Merzouga, ein Nest in der Wüste, ideal, die Kalenderweisheiten sitzen. Wunderbar, damit in dieser kleinen Runde Zeit zu verplempern. 

Mehrere Runden drehen wir durch die Shopping-Meile, kaufen überteuert Zimt und eine 44-Zutaten-Gewürz-Melange. Der Verkäufer macht schnell ein Video von uns auf den Rädern. Im Gegenzug darf ich ihn und sein Handy-Display fotografieren, irre, diese arabische Schrift. Orangen und endlich frische, unlabbelige dicke Bohnen wandern mit Kartoffeln, Tomaten und Avocado in den Fahrradkorb, und natürlich, na was wohl, Brot. 

Über verkrustete weite Sandflächen und Waschbrettpisten geht es querfeldein zurück auf den Asphalt der N13 und zu unserem Womo. 

Seit gestern haben wir einen Nachbarn, Stani, ein alleinreisender lieber Mann aus der Stuttgarter Gegend mit kleinem nougatfarbenen Möpp, Rocco, ein quirliger, unternehmungslustiger Zwergpudel, mit gut einem Jahr im besten Alter und Bazous Liebling. Gestern wechselten wir nur ein paar Worte miteinander, aber heute beim Ausladen der Fahrräder kommt Stani dazu. Er staunt und staunt, kommt aus dem Staunen nicht mehr raus, fotografiert unsere Räder, erkundigt sich nach der Technik und ist total begeistert. Es stellt sich raus, dass er neben einer Skilehrerlizenz, lauf- und wanderfreudig ist, begeistert Fahrrad, Mountainbike und Motorrad fährt, viel und weit gereist ist und, jetzt kommt es, auch eine große Heckgarage brauche, weil er sein „großes Rad“ transportieren muss. Dieses große Rad packt er dann aus. Also unsere Münder stehen offener als beide Heckklappen zusammen. Das darf doch wohl nicht wahr sein. Steht man hier in der Wüste ... und dann sowas! Unfucking fassbar, wie Ray Garvey häufig zu sagen pflegt. Da steht es nun, das große Rad, und damit nicht genug, Stani schwingt sich darauf, radelt gekonnt mit diesem fast filigranen Gestell über den sandigen Grund, seinen Rocco bei Fuß, oder besser: bei Speiche. Ein tolles Gespann! 

Da bleibt uns die in der Wüste ohnehin gering vorhandene Spucke völlig weg. Stani, der früher beruflich mit der Entwicklung von Rasenmähern beschäftigt war, technisch sehr versiert ist, fährt leidenschaftlich Rad, restauriert, konstruiert und vertreibt Hochräder, ist 76 ! Meine Unsportlichkeit kotzt mich an. Nein nein, zu depressiven Einbrüchen mit Selbstzerfleischung kommt es nicht, es kommt etwas anderes, nämlich eine Pulle Becherova aus Stanis Heimat Tschechien mit passenden Becherchen für Becherova, und gleich 2 mehr, da uns ein Paar von einem benachbarten SP mit ihrer Ridgeback-Hündin Emma besucht. Ein Tag voll schöner Begegnungen. 

Etwas unangenehm beeinträchtigt wird das Ganze nur durch eine italienische Mini-Womo-Karawane. Lästern wir auch wenig, so wollen wir doch die vielen Ansichten der Mitcamper bestätigen, dass italienische Camper auffallend häufig das Kuschelcamping bevorzugen. Auf dem sehr sehr locker belegten, weitläufigen Dünenareal schaffen es diese 3 Womos, sich keine 5 m hinter uns in einem „U“ zu formieren und ihren engen Innenhof mit Blick auf unsere Womo-Breitseite auszurichten. Unsere Niesmann-Wand finden wir auch nicht so schlecht, aber sie verliert eindeutig im Vergleich zum faszinierenden Ausblick auf die Sahara-Sand-Dünen. Gut, jeder wie er will. Aber ob wir es wollen, den lautstarken Gesprächen der 6 sich im Innenhof mit schallverstärkender Trichter-Funktion tummelnden Italiener beizuwohnen, ach ja, dazu schweige ich nun. Bei dem Raum und Platz rundum ... hätte sich mit etwas gutem Willen eine passendere Wagenburg-Stelle gefunden.

Zurück zum Wesentlichen: die frischen dicken Böhnchen, leicht geköchelt, mit einem Hauch Herbes de Provence in der leichten Hollandaise mit ca. 18 Speckstreifchen, dazu ein Stück frisches Fladenbrot, Stani, Rocco, Bazou, Chianga und wir, ach was war das ein herrlicher Abend ... der selbst dem Vergleich mit dem phantastischen Farbenspiel beim Sonnenuntergang standhält.

Dienstag 03.03.2020

Heiß hier, man könnte meinen, man sei in der Wüste. Nachts schlich sich die Hitze schon so langsam ins Innere des Womos. Tagsüber erreichen wir sicher über 30 Grad. Ich habe keine Zahlen abgelesen, bin so kein Zahlenmensch, aber gefühlt lagen wir gut über 30 Grad. Unsere beiden Hunde sind schlapp, wir schlapper. Kleine Rundgänge müssen reichen. Wir schmieden Pläne für den Tag, die nach einer halben Stunde verworfen werden, lümmeln rum, kommen nicht in die Pötte. Gegen Mittag reist Stani ab. Wir verabschieden uns herzlich von ihm und seinem kleinen Plüschtier Rocco. Schön, wenn das Schicksal beim Zusammenführen von Menschen auf die Wellenlängen achtet. 

Radfahren in den Ort entfällt, wir wollen einfach nur rumhängen. Das phantastische Nachmittagslicht nutzen wir für ein paar Fotos und versuchen uns im Durchradeln von sandigen Verwehungen mit vollem Tempo und Daumengas. Unsere Radbegleithunde haben so ohne Leine pure Freude neben uns. Nachdem Wim dann aber wackelnd wie ein Kuhschwanz sein Rad durch eine höhere Wehen getrieben hat, steige ich mal lieber so nach einem Drittel ab. Es sieht mich zwar keiner, hätte also freie Bahn, aber eine Bruchlandung will ich nicht riskieren. Das erklär mal einem Arzt, dass du dir die Fraktur mit Ü60 und einer neuen Hüfte bei einer Querung einer Sandverwehung in der Sahara bei einem Sturz vom Rad zugezogen hast. Und die Techniker Krankenkasse muss auch nicht Gemeinwohl schädigend überbeansprucht werden. Man sieht, genug Gründe, hier nicht waghalsig alles auf‘s Spiel zu setzen. Wim mit seinen langen Beinen hat das Ganze noch mutig im Griff, lässt aber gegen Ende etwas die Eleganz vermissen, was natürlich Auswirkungen auf die B-Note hat. 

Wir planen, morgen abzureisen. Den Hunden bekommt die Hitze nicht gut, sie kriechen nur in den Schatten, haben keinen Spaß. Also kramen wir die gesammelten Küchenabfälle zusammen und etwas altes Brot und schreiten zur Dromedarfütterung. Leider sind von den 7 Stück, die hier immer stehen, nur 2 zu Hause. Aber die freuen sich umso mehr. Ich habe gelesen, dass Tupper sehr unter Absatzverlust leidet. Vielleicht würde ihnen ein Foto, auf dem ein Dromedar aus ihrem Produkt frisst, helfen. Jedenfalls waren die Schalen und Reste so lecker, dem Dromedar hätte ich noch auf diesem Weg das Essen mit Messer und Gabel beibringen können. Bazou und Chianga bewegen sich frei im kleinen „Gehege“. Sie springen sogar hoch, wollen auch etwas aus diesem Napf. Sie haben Respekt, aber keine Angst vor den im Verhältnis riesigen Tieren. Dromedare können aber austreten, gewaltig, so wie Pferde, und natürlich beißen und mit ihren Hälsen schlagen. Aufpassen muss man schon. Aber das Bild ist einfach zu schön, und wir hoffen, dass eben nichts passiert und sie auch instinktiv das Richtige machen bzw. lassen, Hunde wie Dromedare. 

Auf einem kleinen Rundgang halte ich fotografisch ein paar Besonderheiten unserer Herberge fest. Eigentlich ist es sehr ruhig hier, man lässt uns auch gewähren, nötigt uns nicht dauernd mit Jeep-Touren oder nächtlichen Biwaks oder Dromedarritten oder Restaurantbesuchen, wie das hier auf manchen Plätzen wirklich sehr massiv gemacht wird. 

Später lassen sich unsere wirklich raumgreifend lauten italienischen Nachbarn von einer Karawane abholen. So, die wären jetzt schon mal für eine ganze Zeit versorgt in der unendlichen Weite. Aber denkste, hinter der nächsten Düne muss eine Signora notwassern, also ihr wird aus dem Sattel geholfen, sie steigt aus, spielt nicht mehr mit, Reise beendet, allein zu Fuß zurück zum Womo. Sie führt in der Folge ellenlange Telefonate an unserem Womo-Heck, die Verbindung scheint hier besser zu sein als im Innenhof der Wagenburg, mit gefühlt halb Italien und beklagt wortreich und lautstark ihre Ängste beim Dromedarreiten, woraufhin die italienische Verwandtschaft einfühlsam und, wohl wegen schlechter Verbindung, ebenfalls aus vollem Hals ihr Bedauern ausdrückt. Jeder Jeck ist anders, ist ja auch ok, aber manchmal ist einem der stille Jeck einfach lieber. Und während der Abend herein bricht und sein kupferrotes Licht mit sich zieht, bietet die Bordküche heute nichts Italienisches, nein, grüner Paprika, geschmort in Knoblauchöl, an Cevapcici mit Kartoffeln. Bestens.