Tag 82 - 06.04.2023 Donnerstag
Der Sturm hat nicht nachgelassen. Obwohl wir an für sich gut geschützt zwischen Mauern und LKW-Neufahrzeugen stehen, wird das Concördchen gewaltig gebeutelt, dass sich die Palmen biegen. Der Himmel ist nur eine bleiche fahle Suppe. Es wundert beim Durchfahren von Meknes, dass überhaupt noch jemand seine Kopfbedeckung auf selbigem behält und die Waren der fliegenden Händler am Boden bleiben. Gut, ein Sack Apfelsinen wird nicht so schnell abheben, aber Klamotten, da wäre ich mir heute nicht sicher. Jedenfalls verlassen wir Meknes mit weniger guten Ansichten und flüchten auf‘s Land.
Der Wind legt sich im Verlauf, rüttelt nicht mehr am Womo herum, stattdessen aber der miserable Straßenbelag auf dieser N13, einer Nationalstraße, Himmel Herrgott, unsäglich miserabel. Und hier donnern unzählige Reisebusse drüber, um zu unserem nächsten Ziel zu gelangen. Da werden manchem Reiseteilnehmer aber die Zahnreihen klappern. Irre einfach nur. Ob die Straße in Römer-Zeiten besser war? Jedenfalls wurde sie seitdem nicht mehr instand gesetzt, so scheint es. Ein kleiner Lichtblick ist der Blick auf Moulay Idris. Die Stadt gilt vielen Muslimen als heilig wegen des hier befindlichen Grabes des Staatsgründers Idris I. und durfte bis weit ins 20. Jahrhundert hinein nicht von Ausländern betreten werden. Wir wollen uns heute nicht unter die 12.000 Einwohner mischen und in dieser Farblosigkeit die Gassen der spektakulären Ortslage durchforsten, sondern fahren ein Stück weiter.
Das Tal öffnet sich, wird weit, und von weitem sieht man schon Teile der Ruine eines Kirchenschiffs, das das Olivengrün hoch überragt. Scheinbar in zumindest damals sehr disponierter Lage ragen die am besten erhaltenen und meistbesuchten archäologischen Überreste Marokkos aus der Landschaft. Vor uns liegt auf einer Fläche von 40 Hektar die antike römische Stadt Volubilis, arabisch auch Oualili oder Walili ausgesprochen, seit 1997 zum Weltkulturerbe gehörend. Auf einem großen Parkplatz finden wir unter Einweisung eines Warnwestenmanns einen Platz. Es ist noch früh, daher gibt es genügend freie Fläche. Parkgebühren fallen keine an, aber er würde bewachen, was natürlich später einen kleinen Obulus erfordert. Ob man mit Hund hinein dürfe, ob man ein Fahrrad mitnehmen dürfe? Eifrig klärt er das mit dem Zuständigen, der nach etwas Überlegen und Sichten der Räder mit Hänger freundlich allem zustimmt. Super, dann kann ja die Ruinen-Tour starten. Wir zahlen 70 DH pro Nase Eintrittsgeld und ziehen ab über einen Waldweg hin zu den ersten Ausgrabungen der vermutlich im 25. Jahrhundert v. Chr. gegründeten Stadt, die sich später die Römer einverleibten, die aber auch in der Folge in die Hände von Berbern, Griechen, Syrern und Juden fiel. An einer Handelsstraße nach Tanger gelegen, strategisch günstig, sorgte der Handel mit Getreide und Olivenöl für großen Wohlstand. Eine weitere sprudelnde Einnahmequelle der Stadt war der Export der damals noch im Norden des Maghreb lebenden Elefanten, Löwen, Leoparden und Bären: die Arenen Roms konnten davon kaum genug bekommen.
Aber zur Geschichte der Stadt lässt sich im Netz vieles finden, das sich der Interessierte herauspicken möge. Wir sind nur schnöde Besucher, drücken uns Nasen und Füße platt an viel altem Gemäuer und wunderschönen Mosaiken mit faszinierendem Detailreichtum.
Jetzt im Moment ist es hier besonders schön, wo noch nicht alles unter Gluthitze vertrocknet braun ist, sondern Frühlingsgrün hebt und sich überall bunte Frühlingsblümchen zeigen.
Es war damals in der Blüte sicherlich eine pompöse beeindruckende Stadt. Mehr als 20.000 Einwohner lebten zur Römerzeit hier, bis das Unheil nahte. Im 18. Jahrhundert nämlich erlitt Lissabon ein verheerendes Erdbeben, das bis Nordafrika reichte und Volubilis zerstörte. Es wurde in der Folge geplündert, um mit der Beute Paläste im nahen Meknes zu errichten.
Wir spazieren und radeln zwischen den Ruinen der Stadt eine lange Zeit herum und können uns auch reichlich Zeit lassen, außer einer italienischen Reisegruppe sind wir die einzigen Besucher an diesem Mittag. Ob Triumphbogen, Forum, Basilika oder Jupitertempel, alles Spuren der damaligen Zeit, die ahnen lassen, wie sich das Leben um und hinter den Säulengängen und Arkaden abgespielt haben könnte. In der Hoffnung, dass Marokko und die Welt diese Stätte schützen und erhalten können, ziehen wir weiter auf Suche nach unserem nächsten Plätzchen für die Nacht.