Zuid-Beveland - Hansweert > Goes > Yerseke


14.10.2022 Freitag

Für uns geht es heute weiter mit Hoffnung auf passables Wetter in Küstennähe im Gepäck. Ganze 120 km stehen heute an, die wir bei trübem Wetter auf leerer AB schnell erledigen können. Streckenweise wähnt man sich in Spanien, weil man riesige Gewächshausanlagen durchfährt. Dann wieder geht‘s vorbei an satten Wiesen, in denen langbeinige und -schnäblige Großvögel herum staksen oder reglos verharren auf der Jagd nach dem Frühstück. 

Unser Ziel liegt heute in der Provinz Zeeland, genauer gesagt in Zuid-Beveland im Örtchen Hansweert. Das putzige kleine Nest bietet am Deich ganze 5 kostenlose Plätze für Womos mit hervorragend freiem Blick auf die Schelde. Nachdem wir bunte Häuschen, die uns sehr ans Baltikum erinnern, passiert haben, geht‘s auch schon hinauf auf den Deich und wieder runter. Unser Interesse gilt aber zunächst nur diesen 5 Parktaschen, wovon 3 belegt sind. Glück, Glück, Glück gehabt … schwupp rein in eine, Bestlage. 

Auch wenn‘s noch immer trüb ist, die Wolkendecke tief hängt, ist es doch abwechslungsreich, weil dicke Pötte vorbei tuckern, die bis Antwerpen wollen oder von dort kommen. 

Nach einem Schwätzchen mit den Nachbarn klart der Himmel auf, es wird blauer, und Wim bereitet alles für die Radtour vor. Direkt am Rand des Landzipfels radelt man am Wasser entlang. Leuchtfeuer weisen den Schiffen den Weg, was sicher immer schon nötig war, denn der Verkehr auf der Schelde ist ordentlich. Der Zuid-Beveland-Kanaal mündet hier, in dem die Schiffe durch eine Schleuse müssen. Es gibt also einiges zu sehen. 

Im Örtchen selber ist man ziemlich schnell durch. Im älteren Teil kann man wunderschöne alte Fassaden bewundern an zum Teil winzigen Häuschen. Hansweert war Anfang 18. Jahrhundert durch seine Lage als gute Zwischenstation auf der Route Rotterdam-Antwerpen in der Blüte seiner Zeit und verfügte über zahlreiche Bäckereien, Cafés und Metzgereien. Man nannte es sogar „Klein Antwerpen“. Nach Entstehen des Schelde-Rijnkanaals war es aber mit größeren Geschäften vorbei. 

Für uns gibt es aber dennoch genügend Geschäftsbetrieb, uns reicht der Fischwagen im Ort. Und es herrscht Andrang. Jung und alt, zu Fuß oder auf jede Art wiedermal mobil, steht an. Tütenweise wandert der Fisch über die Theke, und die Preise sind satt. Auch gebruzzelt wird, 2 x Kibbeling bitte, nein, nicht zum Mitnehmen, wird gleich hier vertilgt. Vielfach wünscht man uns „eet smakelijk“, macht den Genuss noch größer. 

Übrigens scheint mittlerweile die Sonne, und morgen wird es auch schön, denn wir haben unsere Kibbeling-Teller leer gemacht. 

15.10.2022 Samstag

Scheinbar reichte das brave Tellerleeren gestern nicht aus, um dem Wetter auf die Sprünge und zur Besserung zu verhelfen. Es ist grau in grau. Gegen Mittag soll es besser werden. Und wir starten gut verpackt und zuversichtlich. Ziel ist das in 12 km liegende kleine Örtchen Yerseke, das bekannt ist für seine Austern- und Miesmuschelzucht, deren „Ernten“, die „Zeeuwse Muscheln“, von hier aus europaweit vertrieben werden. Am Kanal entlang passieren wir die Schleuse und radeln durch das Naturgebiet Yerseke Moer, das wegen der zahlreichen hier brütenden seltenen Vogelarten unter besonderem Schutz steht. 

Gibt es im beschaulichen Örtchen mit den hübschen Backsteinhäuschen auch nur wenig zu entdecken …

… so ist doch der Yacht- und Fischereihafen umso beeindruckender. 

Seit mehr als 150 Jahren lebt man hier von den Mosselen. Eine eigentliche Ausbildung zum Muschelzüchter gibt es nicht, vielmehr vererbt jede Generation ihr Wissen an die nächste, die dann wiederum die Techniken verfeinert. Bis zur Ernte brauchen die Muscheln auf den Muschelbänken der Züchter ca. 2 Jahre. Im Schnitt werden jede Woche an die 300.000 kg Muscheln geerntet und im Muschelbüro in einer in Europa einmaligen Auktion versteigert. Ein Auktionator prüft dabei die Qualität (einige Muscheln von jeder Charge werden nur für diesen Zweck gekocht) und setzt einen Mindestpreis fest. Neben Größe und Gewicht entscheidet auch die Optik von Schale und Fleisch über den Preis. In einem geheimen Verfahren, bei dem jeder Teilnehmer seinen Maximal-Preis nennt, ermittelt der Auktionator den Meistbietenden, der den Zuschlag erhält. Erst dann wird der Verkaufspreis öffentlich. Die Fischer sitzen währenddessen in den hinteren Reihen der Auktionshalle und hoffen, dass ihre Schiffsladung möglichst viel einbringt. An guten Tagen erhalten sie für eine Muscheltonne (100 kg) mehr als 100 €, am Anfang der Saison schon mal bis zu 160 €. 

Das alles hat uns der Mosselman aus Yerseke gerade von oben herab geflüstert, bevor es von ganz oben herab zu gießen anfängt und wir uns unter irgendein Vordach flüchten, was aber wenig nützt, denn feucht und klamm werden wir trotzdem. 

Die Rückfahrt wird dann noch richtig sonnig mit kräftigem Wind, so dass wir gewaschen, geschleudert, getrocknet und gebügelt am Womo wieder ankommen.

Den restlichen Abend verbringen wir im Warmen mit Pötte-Gucken. 

16.10.2022 Sonntag

Wäre es gestern so sonnig gewesen wie heute morgen, hätten wir uns den Samstag-Markttag in Goes nicht entgehen lassen. So starten wir heute in diese Richtung, nachdem wir fliegenden Wechsel in unserer Nachbarparktasche miterleben konnten. Kaum dass der Kawa neben uns ausgeparkt hatte, schoß schon aus dem Nichts aus dem Deich ein Womo und klemmte sich blitzartig quasi nahtlos in die frei gewordene Lücke. Heiß begehrt hier alles. Wir machen uns aus dem Staub, radeln am Ufer der Schelde entlang, bei blauem Himmel ist doch alles so viel schöner. Da strahlt die Welt, und die Deichschafe lassen es sich schmecken. 

Die 14 km bis Goes fahren wir wieder über gut beschilderte, tolle Radstrecken. Auch in der Stadt haben Radfahrer Vorrang. Völlig ohne Hindernisse kommt man entspannt vorwärts. Das ist gut so, denn es gibt viel zu bestaunen im Städtchen Goes, das als die Einkaufsstadt schlechthin in Zeeland gilt. Angeblich gibt es im historischen Stadtzentrum fast 300 Geschäfte. Heute allerdings herrscht sonntägliche Ruhe, an Markttagen soll es sehr viel anders aussehen. 

Auch wenn wir uns in den schmalen Gassen und Gässchen die Nase an den alten Backsteinfassaden der oft sagenhaft kleinen Häuschen plattdrücken, so reißt es einem aber die Augen auf, sobald man den Grote Markt betritt. Hier, wo schon im 12. Jahrhundert Marktgetriebe herrschte, stehen die imposante Kirche und das Rathaus der Stadt, zwei monumentale Bauten, umringt von zahlreichen Lokalen, die teilweise sehr gut besucht sind. 

Ganz besonders herrlich wird es, wenn man um die Ecke kommt und sich der Stadshaven vor einem auftut. Himmlisch schön stehen die historischen Häuschen, und blicken auf die schaukelnden Boote und Jachten im mittelalterlichen Hafenbecken herab, dessen Kaimauern unter Denkmalschutz stehen. Wirklich ein ausgesprochen schönes Bild, an dem man sich kaum sattsehen kann. 

Mit knusprigen Kroketten gut gestärkt nach all den Eindrücken geht es wieder zurück zum Womo. Ein lustiger Plausch mit unseren Hymer-Nachbarn vom Niederrhein rundet einen gelungenen Tag ab, ein Sonntag eben.

17.10.2022 Montag

Sagen wir mal so: Auch Holland braucht Wasser. Aber muss es denn diese Woche sein? Muss es denn fallen und fallen vom Himmel? Offensichtlich ja! Denn auch, wie schon in der Nacht, regnet es heute morgen. Wir stehen trocken, hängen herum, entscheiden uns für Bleiben, um diesen Entschluss wenig später zu kippen. Auf geht‘s, wir ziehen weiter, der Küste entgegen.