Unterallgäu

24.07.2020 Freitag

Reisetag. 150 km bis zum nächsten Stopp. Tatsächlich gut vor 10 Uhr sind wir schon unterwegs, sehr früh für uns. In Lauerstellung auf in Eigenregie besetzten Notplätzen wartende Mitcamper sondieren die Lage und beobachten genau, was sich wo wie wann tun könnte. Gnadenlos gute Ausgangsposition auf einen freiwerdenden Platz hat ein neben uns im Kurvenbereich klemmender Kastenwagen. Der große, von der anderen Seite kommende Alkoven hat keine Chance, muss glücklos zurück stecken, obwohl er schon eher angerollt war und uns nur höflich genug Platz lassen wollte für unsere Ausfahrt. Der Klügere gibt nach, tja, er gibt so lange nach, bis er der Dümmere ist. Klein und gemein schießt der KaWa einfach vor und steht. Die Gesichter der Besatzung zeigen extremste Entschlossenheit, von gütigem Einsehen keine Spur. Als wir vom SP fahren, sehen wir, dass das fast flehende Geschimpfe der Alkoven-Leute am hochglänzend schwarzen Seitenblech des Freizeitfahrzeugs unbeeindruckt abprallt, die Tür ist zu, geschlossene Gesellschaft, nur ein Zipfel eines Handtuchs guckt unten raus, vermutlich konnte in der Hektik nicht alles perfekt geregelt werden. So zeigt sich schon früh am Morgen, wie eng Freud und Leid beieinander liegen, dass Sekunden darüber entscheiden können. Der Alkoven fährt weiter. Wir auch, zunächst zur V+E im Segelhafen. 

Die Reise geht autobahnlos über zum Teil schmale Sträßchen weiter durch zunächst recht langweilige Landschaft ohne nennenswerte Einblicke. Die Donau schlängelt sich zwei Mal unter uns hindurch, urig ringsum, aber heute wegen des bewölkten Himmels auch nur eine graue Suppe im fahlgrünen Lauchrand. Eine größere Iveco-Niederlassung passieren wir, froh, keinen Bedarf zu verspüren. Bisher läuft unser Iveco im Concördchen prima. 

Dann ändert es sich, der Himmel wird sommerlicher, die Dörfchen gemütlicher, die Landschaft abwechslungsreicher, und zahllose Zwiebeltürmchen sicher wunderschön gehegt und gepflegter Dorfkirchen strecken sich gen Himmel. Das schöne Städtchen Höchstädt durchfahren wir, und es wird immer grüner hier im Land der Müller-Milch, grüß Gott im Unterallgäu. Do sammer. 

Hinter Markt Wald - welch ein Name - geht‘s am Kapellchen vorbei, und in der nächsten Senke rechts ab zum SP der Familie Settele. Wim erkundet die wenig freien Stellen, die mit rot-weißen Hütchen gekennzeichnet sind. Auf einem steht „Grimbergen“, das muss unserer sein. Also rein, bevor der Hochglanz-KaWa in schwarz wieder auftaucht und uns das Alkoven-Schicksal ereilt.

Wir bocken uns auf, Markise raus, Hunde an die kurze Leine, da rundum lange Leinen an den Womos liegen und Wim nicht direkt schon Action haben will. Gerade diese Überlegungen abgeschlossen, steht doch an fast 20 m langer Leine ein Tier unter unserer Markise: eine Katze. Gut, nicht lange, Bazou und Chianga machen deutlich, dass sie keine Haustürkäufe tätigen wollen und ihr Besuch auch aus anderen Gründen mehr als unpassend ist. Die Katze versteht sofort, rast am Nachbar-KaWa, ihrem Zuhause, vorbei und springt in einen daneben stehenden hohen Baum. Eine ältere Frau streckt ihren Kopf aus der Schiebetür und keift uns freundlich zu: „Halten Sie Ihre Hunde zurück!“ Oha, Fräulein, Vorschlag zur Güte: „Die kurze Leine des Nachbarn sieht man, die eigene lange nicht.“ Unterdessen lockt und ködert das Katzenherrchen seine Mietze und bringt sie dazu, sich aus dem hohen Geäst abzuseilen, packt sie, rafft ungelenk die lange Leine zu irgendeinem Gewurschtel zusammen, verschwindet wortlos hinter der KaWa-Schiebetür, die von der Hausdame energisch zugeknallt wird. Sie reisen ab. Eine kleine Schlaufe der Langleine baumelt unten am Türrahmen. Verklemmt die sich im Schiebemechanismus, dann aber ohweh. 

Ich denke an den Handtuchzipfel am Brombachsee und daran, was aus den Alkoven-Leuten geworden sein mag, Wim richtet das Gebräu der Löwen auf dem Tisch, dazu eine unterwegs eingekaufte Leberkäs-Semmel, ich stelle Gräser-Beobachtungen an. In der schwülen Hitze kann nix weiter unternommen werden. Der Badesee am Platz ist leider von der Farbgebung her nicht besonders einladend, wirkt eher wie ein sumpfiges Wasserloch am Amazonas. Blaualgen sind es sicher nicht, kein Schimmer Blau zu sehen. Herr Seggele schnurrt heran mit seinem Elektrokarren. Brötchen kann man bestellen, er kassiert pro Nacht 8 € für alles, Brötchen aber extra. 

Ein paar Baumstudien stelle ich an, bevor uns ein kurzer Gewitterschauer ins Womo zwingt. Wim probiert eine Variation seines „Hähnchen portugiesisch“ im Omnia. Klappt sehr gut, wir sind echt zufrieden. Man muss mit dieser scheppernden fliegenden Untertasse eben experimentieren. Wird schon ... TV wird ausprobiert, haben wir in diesen Reisetagen kaum gemacht. Ein Bericht über Marokko wird gesendet, wie herrlich, Merzouga, Essaouira, ach was für Erinnerungen werden da wach - und riesengroße Sehnsucht nach diesem faszinierenden Land mit seinen liebenswerten Menschen. Wann werden wir das wieder er-fahren dürfen ... 

25.07.2020 Samstag

Wieder Hochsommer. Hier an der Grasböschung sitzt man sehr gemütlich. Eine Straße führt zwar in Hörweite vorbei, aber sie ist nicht stark befahren. Auf dem SP ist etwas Bewegung, manche fahren ab, Gemurmele überall, jede Menge Hunde werden ausgeführt. Also ich glaube, jedes Womo hat mindestens einen Hund dabei. Scheint irgendwie ein Geheimtipp unter Hundefreunden zu sein. In einer Info-Tafel hängt neben Adressen von Ärzten auch eine Liste von Sehenswürdigkeiten und die Speisekarte. Alles sehr preiswert. Vielleicht probieren wir es abends mal aus. 

Kurz schien es, als braue sich ein Gewitter zusammen, aber es klart wieder auf, und wir radeln. Man muss wissen, die Gegend hier ist recht hügelig. Die Leistungsstärke meines Radels ist mir zwar klar, aber über die meinige bin ich etwas im Unklaren. Na ja, so schnell stirbt man nicht. Also ab, Bazou und Wim wie immer vorneweg. Ist das anders, dann jault Bazou sich herzzerreißend einen zusammen, als wäre er der ärmste Hund auf der ganzen Welt. Er muss mich scheinbar hinter sich wissen, ansonsten sicher Wiederbelebung frühkindlicher Verlassenheitsängste. Zunächst immer leicht abschüssig und auch schon mal steiler bergab geht es ins nächste Dorf. Da kommen Chianga und ich locker auf 46 km/h. 

Aber leicht und mal steiler bergauf geht es auch. Jawoll, bis zur Kapelle am Wald schleppen wir uns spielend. Kurze Rast, Hunde flitzen, Wasserwaten im Bächlein, weiter geht‘s. 

Im nächsten Dorf verfransen wir uns, nehmen die falsche Richtung, Steilhang Ortsausgang, Puls 370 vermutlich. Oben angekommen beschließen wir nach Blick in Google Earth die Abfahrt wieder runter ins Dörfli und scharf nach links rüber. Klappt. Mit gut durchbluteten Oberschenkeln, vorbei an einem Storch, erreichen wir den nächsten Ort. Chianga hält tapfer durch im Hänger, heute kein Jodeltag. Sicher hat ihr meine Kondition die Sprache verschlagen und sie ist tief beeindruckt. 

Die paar Dörfchen, die wir durchfahren haben, sind allesamt sehr bäuerlich geprägt. Blühende Gärtchen sieht man, Blumenschmuck überall, es werden Samstags-Arbeiten verrichtet, gekehrt, gezupft, getränkt, Auto gewaschen, Brennholz gestapelt, wie es sich gehört. Große Häuser mit vielen kleinen Fenstern zeugen von großen Familien, die bestimmt ehemals darin wohnten und mit Feldarbeit und Vieh ihr Auskommen hatten. Viele Traktoren sind unterwegs. Bauer sein, auch wenn nur im Nebenerwerb, ist hier sicher immer noch üblich. 

Seit gestern hat mein kleines Pancake-Objektiv seinen Dienst quittiert, fährt nicht mehr ein und aus. So ein Mist. Ein kleineres Teleobjektiv, neben dem ganz großen, habe ich zwar dabei, aber es ist länger, schwieriger in der Handhabung, vor allem während der Fahrt auf dem Fahrrad, und es erfasst einen erheblich anderen Bereich. Aber ich kann mir nun ein Bein ausreißen, es würde nix helfen. Also erdulde ich diesen Zustand und versuche das Bestmögliche. Für Aufnahmen des über uns kreisenden Greifvogels war‘s ja jetzt schon mal nicht so übel. 

Abends kehren wir ein bei Familie Settele. Auf dem kurzen Gang zur Gastterrasse schauen wir uns den winzigen CP an. Überwiegend Dauercamper haben sich hier wirklich heimelige „Nester“ fabriziert, über einen Wohnwagen hat man sich sogar eine Aussichtsterrasse gebaut. Alles ist sehr ordentlich, liebevoll, eigenwillig, aber nicht unansehnlich. Die Terrasse ist ziemlich groß, überspannt von einem massiven Holzgebälk. Mit weitem Abstand stehn ein paar Tische, an denen Gäste sitzen. Bier, ein helles, ein dunkles, schmeckt lecker. Cordon bleu mit Pommes auch ordentlich. Eisbecher hinterher ebenfalls. Es ist nichts Besonderes, aber ein verblüffendes Preis/Leistungsverhältnis. Am Badeweiher schauen wir uns noch die schuppigen Badegäste an. Also ich geh ja schon in jede Pfütze, aber hier möchte ich doch lieber nur vom Ufer zuschauen, statt mittendrin zu sein. 

26.07.2020 Sonntag

Gegen Morgen tröpfelt es nochmal gewittrig, ist aber nicht von langer Dauer. Etliche Womos packen, reisen ab. Unsere gestern bestellten Brötchen liegen pünktlich in gut beschrifteter Tüte in einer Kiste im Gras. Gegenüber wird ein schattiger Platz frei, der auch noch eine Holzterrasse hat. Er liegt zudem an einer Stromsäule, sehr passend, da unsere Akkus von den eBikes mal eine volle Ladung brauchen. Bisher genügte das Laden über Solar im Concördchen, aber sie sind ziemlich leer, und wer weiß, wie bewölkt es heute noch wird und dann könnte Solarstrom knapp werden. Wir ziehen also um. Schon toll, mit solch einer Terrasse. Wir tun weiter nichts, d. h. irgendwas tut man ja immer, die Stunden werden vertrödelt, was gut tut. Die Hunde lümmeln auch faul herum. Über uns kreisen wieder die beiden Greifvögel.

Am späten Nachmittag besuchen wir noch eine Grotte ganz in der Nähe am Waldrand. Das Hinweisschild hatten wir schon gesehen und gestern beim Abendessen die Wirtin danach gefragt, was es mit der Grotte auf sich hat. Die habe ein Vorfahre der Familie vor ca. 40 Jahren gebaut, aus dem Allgäu Steine beschafft und eine Marienfigur aufgestellt, Dorfbewohner und Pilgerer kämen zum Beten, stellten Kerzen auf. Und viele Gedenktafeln sind angebracht, Dank in sicher schlimmen schicksalhaften Zeiten vieler Gläubigen kann man auflesen. Ein Bächlein plätschert in seinem Lauf, alles Leben geht weiter, für viele bleibt hier aber gewiss die Zeit einfach stehen und sie finden Trost.

Die Hunde genießen die hochstehenden Wiesen. Die Freudensprünge kann meine Kamera nicht einfangen, das passende Objektiv fehlt leider. Fürchterlich sind allerdings die vielen Stechmücken und riesigen Bremsen. Durch die Hose hindurch bohren sie sich in einen. Daher fällt der Spaziergang sehr kurz aus. 

Schwül ist es außerdem, es braut sich was zusammen. Und gleich geht‘s rund, es gießt ordentlich. Und rund geht‘s auch im Omnia, neuer Versuch, neues Glück. Heute sind Käsespätzle dran. Gut geraten, lecker geschmeckt, nur die Form hätte ich vorher etwas einfetten sollen. Nächstes Mal. Wir packen alles zusammen, machen soweit startklar, Abreise steht morgen früh an nach Grafrath zum „bike holder“ = gespannt wie Flitzebogen.