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04.05.2022 Mittwoch

Unter den Augen des lächelnden bulgarischen Wachmanns an der Ausreiseabfertigung rollen wir mit wenigen anderen Fahrzeugen im Schritttempo auf eine erste türkische Station zu, eine Art „Entseuchungsanlage“, Fenster schließen, Luken dicht, und ein von unten und seitlich aufsteigender Sprühnebel hüllt uns desinfizierend für einen kurzen Moment ein. Am folgenden Schalter sichtet man die Pässe. Über einen großen Platz mit jede Menge Fahrspuren erreichen wir die vermutlich eigentliche Abfertigung. Sehr langsam geht‘s voran, nur sehr wenige Schalter sind auf „grün“ geschaltet, lange scheint sich gar nichts zu bewegen. Beim Näherkommen sieht man, dass es lange Hallen sind, nicht nur eine Spur an einem Schalter vorbei. Hier werden wortlos wieder Pässe und später Fahrzeugpapiere kontrolliert. Wir dürfen passieren und werden aufgefordert, wie ein paar andere PKW vor uns und einige bulgarische und polnische Womos, nach rechts raus zu fahren. Na dann … über wiederum einen riesigen Platz nach rechts am Ende der kleinen Schlange einreihen. Vor einem etwas seltsamen Container stehen einige Leute, werden extrem langsam von einer Person hinter der Scheibe abgefertigt. Frank und Wim reihen sich mit sämtlichen Papieren ein, haben Glück, dass es plötzlich etwas zügiger geht. Alles Mögliche wird hier nochmal kontrolliert und registriert. Nun gut, jetzt dürfen wir wohl hoffentlich einreisen. Nein, dürfen wir nicht. Wir warten und warten und warten. Durch eine Halle mit vermutlich Röntgengeräten sollen wir hindurch. Das kennen wir aus Marokko. Es ist eigentlich gar kein Problem, es ging dort alles immer sehr zügig, vor allem kontinuierlich. Aber hier … um es vorweg zu nehmen: um 14.10 Uhr verabschiedet uns Bulgarien - um 16.50 Uhr rollen wir aus dem Grenzbereich Türkei. Das ist kein Spaß mehr. Verständnis hin, Verständnis her … aber bei so wenig Verkehr solch eine Abfertigungsmoral an den Tag zu legen, ist willkürlich und unverschämt. Eine einzige Frau bearbeitete nämlich die vor der letzten Halle Wartenden. Was heißt „bearbeiten“!? Gut, sie tat vermutlich nur ihren Dienst, sie schritt um das Womo, machte Handyfotos aus mehreren Perspektiven, ließ sich die Außenklappen öffnen, fragte nach dem Wert der Fahrräder, guckte ins Womo, ließ sich auch hier zwei Schränke öffnen, fotografierte unsere Knabbereien, prüfte erneut alle Papiere, schickte uns erneut zur Registrierung, was wir aber verweigerten, da schon erledigt, schritt dann selbst dorthin, musste sich wohl nochmal rückvergewissern, um dann eeeendlich das „ok“ zur Ausfahrt und Einreise zu geben: gut 3 Stunden für diesen ganzen Zirkus! Ein Türke erzählt uns, dass er das in der Art in 47 Jahren (er käme 2 Mal im Jahr in die Heimat) niemals erlebt habe. Glückstag wohl für uns. 

Ziemlich genervt atmen wir mal kräftig durch, tauschen die ersten Euro in Türkische Lira, besorgen einen Klebestreifen fürs türkische Mautsystem, nehmen Fahrt auf über eine tadellose Autobahn und lassen die ersten Bilder auf uns wirken. Unweigerlich kommen Gedanken an Marokko auf, als ein Huhn auf dem Standstreifen herum pickt, Schäfer ihre Herden am Grünstreifen entlang führen und Menschen auf den Leitplanken sitzen. Aber auch wahnsinnige Siedlungen mit zahllosen neu errichteten Wohnblöcken ragen in den blauen Himmel. Es wird gebaut und gebaut. 

Als Nachtplatz wählen wir irgendein Restaurant/Hotel an der Strecke, wovon es viele gibt, Hauptsache mit großer Parkfläche, damit kein Abhängen nötig wird. Hotel Volkan bietet alles, auch ein leckeres Abendessen im gut besuchten Lokal mit türkischen Hackbällchen und aufmerksamer Bedienung. Nachtruhe gesichert, sieht man vom lautstarken Verkehr auf der viel befahrenen Straße ab, der aber irgendwann in der Nacht auch nachlässt.

05.05.2022 Donnerstag 

Der Tag fängt gut an, strahlendes Wetter, rundum leuchtet der Mohn in Feuerrot, ein Mann beackert ein Stück Garten und Chianga und Gustavo spielen angeleint vorm Womo. Wenig Außenreize sorgen für Entspannung der beiden. Es ist nicht einfach, Gustavo einigermaßen gelassen zu halten und dafür zu sorgen, dass er nicht zu sehr aufdreht und zum Springbock wird. Vieles klappt sehr gut, manches äußerst schlecht. Es wäre heuchlerisch, einfach nur schön zu reden. 

Heute werden wir den europäischen Kontinent verlassen und Asien „erobern“. Durch grünes Ackerland, das überall bearbeitet und bestellt wird, fahren wir Richtung Mittelmeer. An einer Ampel kaufen wir einem herbeieilenden Verkäufer leckere Sesamkringel ab, die sofort verspeist werden. Die Strecke zieht sich sehr gebirgig dahin, und plötzlich liegen eine weite Ebene und das blaue Meer vor uns, zur Rechten schließt sich hinter der weiten türkischen Bucht Griechenland an. 

Am Meer entlang nähern wir uns der erst seit kurzem fertiggestellten Brücke über die Dardanellen. Es ist die Größte der Welt, was die Spannweite anbelangt. Hochmodern führt eine neue Autobahn zu einer Zahlstelle, Maut ist fällig, ca. 30 €. Und dann rollen wir nach Asien. Ein paar Überseedampfer sind zu sehen, ansonsten eben das beeindruckende Bauwerk und das blaue Meer.

Am anderen Ufer bleibt uns die gute Fahrbahn erhalten. Mit wunderschönen Blicken auf die Dardanellen, das imposante Brücken-Gebilde und die kleinen Ortschaften ziehen wir weiter nach Süden. 

Kurz besuchen wir das trojanische Pferd und lassen uns Gözleme schmecken, eine Art Blätterteig-Pfannkuchen mit Hack gefüllt. Mit Pommes und Salat und Meerblick kostet die volle Mahlzeit ganze 37 TL = ca. 2,50 €, nur mal als Beispiel. Und das Würste-Mobile-Kunstwerk hätten sich die Hunde gewiss sehr gerne mal näher und intensiv angeschaut … aber das Leben ist sehr sehr hart zu ihnen. 

Nach Durchfahren ein paar sehr lebendiger Städtchen mit einer Flut von kleinen Läden und riesigen Geschäften schrauben wir uns auf inzwischen schlechtem Asphalt einen Pass hinauf, um nach Abfahrt wieder am Mittelmeer mit 27 Regentropfen anzukommen. 

Und hier ist jetzt schon die Überflutung, wie wohl erst in Saisonzeiten. Die Häuserzeilen und Wohnanlagen ziehen sich fast lückenlos weit in die direkt aufsteigenden Berge hinauf, die Küstenstraße ist gesäumt von Hotels, der sehr schmale Kiesstrand bevölkert von Beach-Clubs. Wo man hier parken könnte, um am Strand zu sein, ist ein Rätsel. 

Wir fahren etwas weiter abseits raus aus der touristischen Zone und erreichen unseren Platz für die nächsten beiden Tage. Das Wetter ist herrlich. Zwei Tage am Meer werden uns guttun. Der CP ist unerwartet voll. Scheinbar sind diese Woche noch Ferien in der Türkei. Viele Familien stehen mit Wohnwagen hier. Ziemlich durch den Wind parken wir unter hohen Pinien mit Meerblick ein. Der heutige Reisetag war schon sehr anstrengend. Schluß für heute. Nur ein Abendrot geht noch !

06.05.2022 Freitag

Ein frischer Wind weht, aber die Sonne strahlt. Der Ausblick auf die Bucht ist sehr schön, der CP mit seinen vielen Bäumen ebenfalls. Etwas weniger mit Campingfreunden gefüllt, wäre es für uns womöglich angenehmer, da Gustavo sich doch sehr schnell „aufregen“ lässt.

Katzen lungern herum, ein Streuner nach dem anderen erscheint. Sie sind brav, nicht lästig, reagieren auch sofort auf Wegschicken, aber Gustavo setzt alles dran, sich ihnen anzuschließen. Und das ist anstrengend. Auf einer Runde sieht Wim, wie ein großer weißer Hund, dem ich morgens auch begegnete, einem schreienden Jungen nachläuft, ihn anspringt von hinten und in die Schulter beißt. Natürlich ist der Umgang mit Hunden und das Heranführen von Kindern an Hunde hier in der Türkei meist völlig anders als in unserem Land, und natürlich sind Streuner im allgemeinen keine Gefahr, aber jetzt sieht man es mal wieder. Schöner Mist … für den Jungen und den Hund, denn der schöne Hund wird kurz darauf von einem Pritschenwagen mit Käfig auf der Ladefläche abgeholt. Es wird wohl sein letzter Ausflug auf der Erde sein. Sehr belastend dieses Erlebnis … und furchtbar traurig machend. 

Meerbaden wird versucht. Gustavo ist nicht besonders interessiert, schreitet aber doch eine Runde im Wasser herum. Gingen wir baden, könnte er frei laufen, bin ich sicher, er hätte Spaß, uns zu folgen. Ohne Freilauf ist wirklich alles nur die Hälfte wert, eher noch weniger. Ansonsten wird der Tag richtig schön vergammelt.

07.05.2022 Samstag

Heute reisen wir weiter. Um uns herum packen die türkischen Camper auch zusammen. Man hörte, die Türken werden verstärkt Campingfreunde, der Anteil hier auf dem CP bestätigt es. Leere CPs, von denen berichtet wurde, gehören dann evtl. auch der Vergangenheit an. 

An schönen Häusern vorbei geht es Richtung Landstraße. Viel wird hier geboten. Gartencenter bieten ordentlich sortiert ein großes Sortiment an, unzählige „fliegende Händler“ in ihren Büdchen am Straßenrand ihre akkurat gestapelten Waren. Lokale, gut besucht, locken zum Essen, selbst in einem ausgedienten Flugzeug kann man sich bewirten lassen.

Bald wird es waldreicher und hügeliger. Rinder- und Schafherden werden gehütet, und wir steigen lockere 10 % umrahmt von Gebirgsketten mit Schneefeldern auf den Graten über weite Ebenen auf fast 800 m. 

Olivenplantagen so weit das Auge reicht wechseln sich ab mit blühenden Wiesen und leuchtenden Mohnfeldern, dazwischen ragen überall stricknadelhafte Minarette in den blauen Himmel, mal mit, mal ohne silber glitzernden Kuppelbau. 

Eine Etage tiefer nach 10-%-igem Sinkflug tut sich ein Weinanbaugebiet auf. Perfekt gepflegte Rebenfelder ziehen sich durch die komplette Senke. Auch in den Örtchen ist alles auffallend sauber und aufgeräumt. Streckenweise sitzen zahlreiche winzige zweistöckige Häuschen mit größeren asphaltierten Flächen zwischen den Reben. Sicher leben die Weinbauern in arbeitsintensiven Zeiten direkt in ihren Feldern. Über den Sinn der befestigten Plätze können wir nur spekulieren. Evtl. parken Helfer dort oder die Trauben werden zwischengelagert. Jedenfalls wird die Heimaterde geliebt und geschätzt, die Heimat ohnehin, denn überall flattert die türkische Fahne im Wind.

Weiter unten im Tal liegen große Reisfelder. Bewässerungsanlagen sorgen für ausreichende Flutung. Auch hier wirkt alles tadellos in Schuss, wie auch auf der ganzen zurück gelegten Strecke heute.

Genussreich, wenn auch nicht im Sinne von lecker und köstlich wie Oliven und Wein, schließt sich vor Erreichen unseres heutigen Tagesziels eine hügelige Landschaft an, die an Golfplätze erinnert. Man könnte annehmen, die Hügel und Senken seien mit grünem Samt bespannt, damit sie sanft wirken und einen noch stärkeren Kontrast zur schroffen Bergwelt dahinter bilden. 

Nach rund 400 km, wovon wir sicher allein schon 250 km durch Weinanbaugebiete gefahren sind, erreichen wir in Pamukkale einen SP an einem Hotel/Lokal mit direktem Blick auf die „weiße Wand“, um die sich hier im Ort alles dreht, und die wir uns morgen genauer ansehen werden.

08.05.2022 Sonntag

Sonntagswetter, ein Himmelblau zum Angeben, zum Abgeben ginge auch, denn es ist reichlich vorhanden. Früh morgens ist das Schnaufen von Heißluftballons zu hören. Wir tun so, als hören wir es nicht, reagieren nicht, bleiben im Womo, um Gustavo nicht im Geringsten anzuspitzen. So ziehen die ersten Ballonflieger unfotografiert über uns hinweg. Hier und in Kappadokien werden solche Flüge den Touristen angeboten. Pamukkale kann uns aber dafür noch nicht gewinnen, heute steht erst mal der erste Tjaffer-Ausflug auf dieser Reise an. Die Hunde werden verladen, eng, passt aber mit gutem Willen, den beide zeigen. Und die Fahrt geht los in unserer motorisierten Hundebox. 

Vom Ort aus führen Straßen rechts und links nach oben. Wir nehmen Anlauf in der Hoffnung, möglichst nah an die Oberkante der „weißen Wand“ zu gelangen. Das gelingt nur bedingt, denn im Gegensatz zu früheren Jahren ist das komplette Gebiet umzäunt, nur über gebührenpflichtige Parkplätze und dann zu Fuß zu erreichen. Viele Menschen sind unterwegs, wohl ein gutes Ziel für einen Sonntagsausflug. Wir erhaschen eine letzte Lücke, den Tjaffer wären wir schon mal los. 

Hinter den Ticketstellen für Eintrittsgeld warten lustige Vehikel mit mehr oder weniger Sitzplätzen und bieten ihre Chauffeurdienste an. Das Gebiet hier auf der Höhe oberhalb der weißen Sinterterrassen, über die das mineralhaltige Thermalwasser nach unten rinnt und hier und da richtige Becken gebildet hat, ist eine historische Stätte. Einst um 190 v. Chr. wurde hier die römische Bäderstadt Hierapolis gegründet. Auf dem weitläufigen Areal mit umwerfender Aussicht kann man ein gut erhaltenes Theater bestaunen und andere antike Ruinen. Und da Gustavo ja möglichst viel erleben soll und die Besichtigungsstrecke weit ist, klemmen wir uns in solch ein Tuktuk, und zuckeln fast lautlos mit Spaß los. 

Es ist ein schönes Vergnügen, man hat Schatten, die Sonne knallt nämlich schon ziemlich ordentlich, und der Wind weht einem um die Nase. Unser liebenswerter Fahrer fährt uns an die schönsten Stellen und präsentiert stolz die Schönheit der Sehenswürdigkeit. Museumsbesuch ersparen wir uns. 

Gustavo ist mit Wim - oder umgekehrt - schon vorzeitig ausgestiegen und vorausgegangen zum Auto. Viel Besuchergewimmel, ein Haufen unternehmungslustiger Welpen, Katzen und Vehikel, Pegel erreicht. Chianga und ich schlendern herum. Sie erlaubt Fotos und nimmt gnädig Position ein. Mein Gott, wie ich Bazou vermisse. Er war für alles zu haben, er war einmalig. Auf diesem Feld der Erinnerung hier oben im alten Hierapolis tauchen plötzlich auch in mir viele Bilder auf, kommen hoch aus der Erinnerungsschatzkiste, werden wehmütig betrachtet und wieder verstaut. 

Eigentlich allen Menschen geht es so, auch denjenigen, die jetzt wie in einem Kinder-Wimmelbuch die weißen Kalkterrassen bevölkern. Prozessionen von Besuchern stapfen darin herum. Da, wo keine wassergefüllten Becken sind, wirkt es wie ein eisiger Skihang, auf dem sich stecknadelgroße Skifahrer vergnügen und ins Tal stürzen. Schon beeindruckend, es mal zu sehen, auch wenn es natürlich ein touristischer Hotspot ist und hoffentlich durch Schutzmaßnahmen weiter erhalten bleibt. 

Zurück am Womo ist Im-Schatten-Sitzen angesagt. Die Hitze ist schon kräftig. Und morgen geht‘s weiter Richtung Mittelmeer. 

09.05.2022 Montag

Gefühlt hochsommerlich begrüßt uns der neue Tag. Die frechen Hähne mit Hühnerschar aus dem platzeigenen Gehege stolzieren zwischen den Womos herum, dreist picken sie sogar am Futternapf der Hunde. Je schweigsamer und gelassener Chianga das hinnimmt, je hitziger und aufgebrachter reagiert Gustavo. Meine Güte, der bellt und kläfft sich die Seele aus dem Leib, ist kaum zu beruhigen, erst, als die Schar wieder stoisch langsam davon gackert. Wir packen und verlassen den besuchenswerten Ort über die schmale ansteigende Zufahrt. Die Hauptstraße ist schon gut befahren, scharenweise spazieren Besucher herum, die vielen kleinen Läden und Lokale warten. 

Wir durchfahren die große Stadt Denizli und legen einen Tankstopp ein. Das lohnt sich sehr, weil unsere Frontscheibe von einem Mitarbeiter sorgfältig gereinigt wird. 

Die Strecke verläuft Richtung Antalya zunächst durch sehr waldreiche Gegend. Kiefern, Zedern und Eichen sieht man auf der immer weiter ansteigenden Route. Schnell hangeln wir uns auf knapp 1200 m hinauf und können phantastische Ausblicke genießen. 

Auf gut 900 m passieren wir die nächste größere Stadt. Auch hier fahren wir vorbei an unzähligen Geschäften und Lokalen, die sich überall an den Straßen entlang ziehen. Unvorstellbar, dass da jeder Ladenbesitzer auf seine Kosten kommen kann. Aber unvorstellbar auch, wie viele Wohnblocks überall aus der Erde zu sprießen scheinen. 

Die nächste Hochebene naht. Das Land wird stark landwirtschaftlich genutzt. Am Weg stehen verwaiste und zerzauste Verkaufsbuden. Vermutlich haben die Waren, die hier angeboten werden, jetzt keine Saison. Gelegentlich überholen wir Bauersleute, die mit Traktor unterwegs sind. Hinweisschilder zeigen Wasserstellen an mit Brunnen am Straßenrand. 

Auf über 1500 m fällt etwas Regen. Unter den dunklen Wolken liegen zahlreiche Gewächshäuser. Moderne Anlagen liefern wohl Tomaten, da man vereinzelt Schilder sieht. Im Ort hat man an den Straßenrand große Grills geschoben, in denen sich auf langem Spieß Lamm oder Ziege dreht. Spanferkel kann es ja nicht sein. 

Langsam geht es wieder bergab durch eine wunderschöne felsige Natur aus hellem Gestein mit vereinzelten niedrigen Büschen, an einem jetzt trockenen Flussbett entlang und beackerten Flächen, die einem Flickenteppich ähneln. Die Bilder von den Höhen kommend sind doch immer wieder herrlich. 

Bis Antalya ist es nun nicht mehr weit. Das bedeutet aber auch, dass es ziemlich bergab gehen muss. Und es geht. Über gelb blühenden Ginster hinweg sieht man kilometerweit in eine tiefe Schlucht, durch die sich ein Fluss gegraben hat, dessen Lauf aber auch trocken ist. Dem Ausbau des Flussbetts zufolge, dürfte das aber nicht immer der Fall sein, nämlich dann, wenn sich bei starkem Regen oder durch die Schneeschmelze Sturzbäche ins Tal ergießen. 

Bald liegen in den lichten Wäldern lauschige Picknickecken für die Bewohner der historischen Hafenstadt Antalya. Dann erscheint ein monumentales Werk, hoch oben am Berg klebend, das Konterfei Atatürks, der gedankenverloren mit weisem Blick auf die Welt und Antalya, das er „die  schönste Stadt der Türkei“ nannte, hernieder schaut, daneben ein Wasserfall und natürlich die Landesfahne, und dann saugt uns die trubelige Stadt mit ihren bunten Häuserzeilen auf. 

Am Stadtrand passieren wir den Flughafen, auf dem ich vor vielen vielen Jahren ein Mal gelandet bin für einen dreiwöchigen Hotel-Urlaub mit meinen Jungs, damals noch sehr klein, an den ich zwiespältige Erinnerungen habe. Sie sorgten bisher dafür, dass es bei diesem einen Besuch der Türkei geblieben ist.

Küstennah reiht sich nun eine Ortschaft an die andere. Der Oleander ist voll erblüht und die Geschäfte und Konten der angrenzenden Orangenplantagenbesitzer vermutlich ebenfalls, denn sie residieren in monumentalen Bauten und zeigen, wie‘s geht. 

An Kumköy vorbei, in dem damals unser Hotel lag, erreichen wir über Side den Ort Manavgat. Zum Meer hin sieht man die Oberkanten der Hotelanlagen blitzen und strahlen. Hollywood und Phantasialand in einem. Baukunst, was gibst Du her - Herz, was begehrst Du … für viele Touristen ist dieser Küstenstreifen hier die Antwort. In dieser Region schlägt das Herz des Tourismus. 

Wir quetschen uns bescheiden (nicht ernst nehmen bitte) in eine kleine buschige Einfahrt und verschwinden auf sehr schmalem Pfad auf einen schmalen Wiesenstreifen am Strand. Platz für 2 große Womos ist genügend. Ein kleines Restaurant weckt Hoffnung auf Abendbrot. Und während wir den Tjaffer abladen, wankt zwischen zwei Palmen ein Dromedar am Strand entlang. Ach … wie schön ist Panama. Oder war‘s Marokko? 

Und es wird Nacht. Auch nebenan im 5-Sterne-Domizil, in dessen Schatten wir lagern, quasi als Mini-Beiboot, denn der Bau ähnelt einem Dampfer, aber einem, auf dem etwas gebacken ist, nämlich jetzt volle Kanne volle Dröhnung Abendprogramm mit Animation auf Hochtouren und zunehmend lauter werdenden Gästen. Tja, hatten wir so nicht bestellt, wird aber gratis geliefert. Kannste nix machen, jedenfalls im Moment nicht. Morgen ist auch noch ein Tag.

10.05.2022 Dienstag

Sommer, Sonne, Stille. Die 5-Sterne-Nachtschwämer liegen vermutlich noch mit  ihren müden geschundenen Gliedern und Stimmbändern in Federn von höchster Qualität. Heute geschieht bei uns nichts. Meerbaden mal kurz, Meerglotzen mal lang, genießen …

bis sich die 5-Sterne-Bespaßungsmaschinerie wieder lautstark zurück meldet und den Bass anschmeißt. Eigentlich unmöglich - gäbe es da nicht die kleinen Glücksmomente im Palmenrahmen. So trödelt der Tag dahin und ist einfach so weg.

11.05.2022 Mittwoch

Nach einem verbummelten Vormittag mit Reiseplanungen unternehmen wir einen Ausflug mit unserem Tjaffer. Zunächst wollen wir versuchen, in die Hotelzeile in Kumköy zu kommen, in der ich vor 25 Jahren mal war. Natürlich ist klar, dass es eine gewagte Unternehmung ist, denn auch die beste Erinnerung dürfte nach so langer Zeit durch die wahnsinnigen Baumaßnahmen hier in den touristischen Hochburgen nichts mehr zu bieten haben.

Aber wir kurven nur aus Spaß etwas herum. Erfolg: Null. Natürlich, was auch sonst. Aber erschlagend das Angebot an sagen wir mal Beherbergungsbetrieben gehobener Klasse. Erschlagend ebenfalls das Shop-Angebot. Mein lieber Scholli, hier wird der Rubel rollen oder rollte, wie man‘s nimmt. Hier wandert was über Ladentheken, hier in der Region der wie aneinander gekettet aufgereihten Luxushotellerie. 

Genug davon, wir schwenken auf der Rückfahrt links Richtung Berge ab zu einem ausgeschilderten Wasserfall in 13 km. Sofort ist man umgeben von Ursprünglichkeit fernab jeden Luxus. Es ist ein krasser Gegensatz. Die Häuser kommen ohne Gold aus, ein Shopping-Center sucht man vergeblich, da reicht auch ein Mini-Tante-Aishe-Shop oder die Ladefläche eines PKW. 

Gewächshäuser in sehr ordentlichem Zustand stehen rechts und links in den Wiesen. Auf den freien Flächen amüsieren sich größere Schafherden, oftmals wachsam begleitet von imposanten Kangals. Man erkennt sie oft nicht auf den ersten Blick. Mit ihrer Größe, der dunklen Maske und dem hellen Fell sind sie zwischen den Schafen und im Gelände perfekt getarnt.

Auf waldreicher Strecke schlängeln wir uns hinauf und wieder hinunter über Schotter zum Wasserfall. Lauschig ist es hier unten am kleinen Wasserfall und dem türkis schimmernden Wasserbecken. 

Nach kurzem Rundgang begeben wir uns wieder nach oben auf die schmale Landstraße ins wunderschöne Licht der späten Nachmittagssonne, werden kurz aufgehalten von einer am Straßenrand schlendernden Schildkröte und den filigranen Blüten herrlicher Perückensträucher.

12.05.2022 Donnerstag

Heute ziehen wir weiter, allein, wie für uns eigentlich normal. Auf Frank und Marlies warten andere Pflichten hier in Avsallar, und uns locken Entdeckungen im östlichen Teil der Türkei. Über den schmalen Weg fahren wir raus aus dem Camping und fädeln uns ein in den Verkehr auf der Küstenstraße. Einige wenige Parzellen zum Meer hin sind noch nicht für touristische Zwecke unter Beschlag genommen, aber überwiegend ist die Bebauung dicht. Florenz und Rom lassen - mit Augenzwinkern - grüßen, als mit riesigen Engelsfiguren gekrönte Kuppeldächer einer Hotelanlage in den Himmel ragen, gefolgt von einem mit überlebensgroßen gelbgoldenen Frauenskulpturen flankierten Komplex. 

Staunen oder Fassungslosigkeit? Wir sind uns noch nicht im Klaren darüber. Einigkeit besteht allerdings insoweit, dass wir froh sind, uns beide nicht nach solchen Domizilen zu sehnen. Ist ja auch schon mal was. Und der schöne unverbaute Meerblick auf Alanya verweht ohnehin drückende Gedanken. Mehrfach begegnet uns jetzt wieder solch ein kleiner Linienbus, ein Dolmus, ein Minibus, meist privat betrieben, der billiger als ein Taxi ist und per Handzeichen von Fahrgästen angehalten werden kann. Damals waren es meistens klapprige abgehalfterte Vehikel, jetzt blütenweiß aufgerödelte Wagen. Der Clou zur zeitgemäßen Verschönerung scheint eine Felge zu sein, mit der man auch Rohkost schnetzeln könnte. So sieht sie jedenfalls aus. Wie ein Thermomix … Waden von Fußgängern schreddern? Kein Problem! Reifen anderer schlitzen? Auch kein Problem. Ob der deutsche TÜV die durchwinken würde? 

Wim sagt mit Blick auf den Hafen Alanya: „Die spanische Armada ist eingelaufen!“ Ein toller Anblick bietet sich auf die „auf alt“ gemachten Ausflugsschiffe im Hafenbecken. 

In einem Bogen verschwinden wir im Stadtgewühle und erreichen wenig später wieder die Küstenstraße, an der sich sehr weit raus die gut belebte Promenade mit Radweg zieht und große Lust weckt, sich darauf ebenfalls radelnd fortzubewegen.

Zunehmend wird es offener, die Bebauung verschwindet, macht Platz für Bananenplantagen so weit das Auge reicht.

Die Küstenstraße führt bald weg vom Meer, durch eine Kleinstadt und über eine Ebene, die wie mit einem See aus Milch ausgegossen vor uns liegt. Alles Gewächshäuser. Alles Bananen. 

Und egal wie hoch wir auf schmalem Sträßchen klettern im Küstengebirge, gelegentlich an die 500 m hoch, und egal wie atemberaubend steil die Hänge ins Meer hinab stürzen: Bananen überall. 

Unsere heutige Etappe ist 170 km. Kein Wunder, dass das Navi dafür fast 4 Stunden anzeigte. Denn flott unterwegs sein kann man hier nicht, allein schon wegen der spektakulären Aussichten nicht. 

Unser Concördchen muss ganz schön schnaufen so mit Hänger hinten dran. Da muss dosiert und überlegt gefahren werden. Wim hat alles im Griff. Geahnt hatten wir es in dieser Art nicht. Landkarten zeigen nicht so direkt, dass eine Straße in diesen Höhen verläuft. Ängstlich sollte man nicht sein und grandiose Ausblicke lieben. Anderenfalls: Tüten unten rechts. 

Unversehrt finden wir in Anamur den mit einem Schild hoch oben in den Bergen schon angekündigten CP Paradies. Von der Hauptstraße aus gelangen wir direkt über einen schmalen Schotterweg auf das Gelände zum Meer hin und lassen uns fallen zwischen Palmen, hohen Eukalyptus- und Olivenbäumen, Grillstellen und Sitzbänken, zur Linken die Ruine einer sicher einst prächtigen Burg. Alles mit Meerblick. Welch ein Idyll. 

Ein Strandspaziergang muss sein. Ein leichtes Windchen weht, die Sonne scheint warm vom blauen Himmel und bringt das alte Gemäuer und die Felsen am Strand zum Leuchten.

Am Spätnachmittag zaubert Wim ein paar Häppchen, wie es bei uns oft üblich ist. Und - zu Gustavos Begeisterung - zieht die platzeigene Ziegenherde, eskortiert von einem sehr gelassenen deutschen Schäferhund, an unserem Womo vorbei Richtung Ruine, Übungsgelände für junge Ziegen und Gustavo … für die einen zum Klettern und Fressen, für den anderen zum Aushalten und Ruhe bewahren. 

Während da irgendwo im Unterholz auch noch Gänse schnattern, feuert Wim die Elektropfanne. Kartoffel-Vorräte müssen dran glauben. 

13.05.2022 Freitag

Auch wenn der Platz hier im „Paradies“ durch die angrenzende Straße nicht gerade ruhig ist, können wir das total ausblenden und es als nicht wirklich störend abhaken. Alles verströmt hier eine totale Ruhe, Gelassenheit stellt sich schnell ein. Wie oft in sehr südlichen Regionen, könnte einiges instand gesetzt werden. Aber natürlich hat auch dadurch wieder alles einen besonderen Charme. Unsere Reisen dienen höchst selten dazu, Tun und Lassen anderer Menschen zu bewerten, im Gegenteil, jede Art des Seins und Anders-Seins gibt Anstoß zu Gedanken und Hinterfragen, auch was die eigene Person betrifft. Und solchen Erkenntnissen kann man hier unterm Maulbeerbaum vortrefflich auf die Sprünge helfen. Über und über hängt der Baum voll mit saftigen dunklen Beeren, groß wie ein halber Daumen. Schon beim bloßen Berühren quillt der Fruchtsaft dick und dunkelrot wie Blut aus der Beere. Und sie schmecken köstlich.

Auch die Hunde haben alle Nasen voll zu tun. Gemeinsam und an ganz langen Leinen können sie ausgiebig und ungestört nach Herzenslust herumschnüffeln. 

Das ist wieder so ein Plätzchen hier, wo das Campen ungeheuren Spaß macht und Vieles vergessen lässt. 

Am Abend feuert Wim die Feuerstelle und grillt Zucchini, Spitzpaprika, Brot und Köfte (allerdings eher als Frikadellen zu benennen, da aus heimischer Küche im Gefrierfach importiert). Dazu gibt‘s türkischen Joghurt. Ein köstliches Mahl. 

TV funktioniert nicht, evtl. wegen der Bäume, evtl. so weit östlich ohnehin nicht, wir wissen es noch nicht. Daher muss ich leider leider auf „Let‘s dance“ verzichten, schau mir stattdessen nochmal „Ziegen am Abend“ an, live und in Farbe. Passt auch. 

14.05.2022 Samstag 

Heute ist es mit 24 Grad etwas schwül bei bedecktem Himmel. Meer und Himmel gehen bleich und blass fast nahtlos ineinander über. Die Nacht hat wohl versehentlich das Blau rundum mitgenommen. 

Gestern Abend erzählte ich lange mit der Frau und der Tochter des Hauses. Sie lebten vor Jahren eine Zeit in Deutschland, sprechen sehr gut Deutsch. Thema unserer Unterhaltung war die Tierliebe. Die beiden lieben ihre Ziegen, Gänse, Katzen und Hühner sehr. Die größte Liebe gehört ihren beiden Schäferhunden. Es seien Zwillinge, jetzt 12 Jahre alt und schon als Welpen bei der Familie. Die beiden prächtigen großen langhaarigen Hunde sind total entspannt, verträglich mit allem und jedem und absolut fixiert auf die junge Frau. Sie sind zusammen „groß“ geworden und hängen sehr aneinander, offensichtlich tut jeder für jeden alles. Das sei nicht immer so gewesen, aber seit 4 oder 5 Jahren seien die Hunde ruhiger, nicht mehr so wild, auch den Ziegen gegenüber sehr freundlich, erledigten ihren Hütejob perfekt. Niemals würden sie einen davon im Stich lassen, versichert man mir. Und was das bedeutet, das erleben wir hautnah. Vor einem Jahr habe einer plötzlich nicht mehr laufen können, die Hinterbeine seien völlig erschlafft gewesen. Auch habe er zwei große Geschwulste gehabt. Die habe man aufgeschnitten und erfolgreich behandelt. Dann sei alles wieder gut gewesen. Auch habe der Hund wieder laufen können, nachdem sie viel mit ihm im Meer geschwommen wären und im Wasser quasi Physiotherapie mit ihm gemacht haben. Nun leide er aber erneut unter der Lähmung der hinteren Körperhälfte. Er kann sich zwar aufsetzen, aber nicht mehr gehen. Sein Hinterteil ist einfach gelähmt. Mutter oder Tochter heben ihn nun hinten an, er setzt dann eine Vorderpfote vor die andere, und sie können in den Garten und an den Strand zum Pippi und Käckeln. Die Tochter hat vor einiger Zeit ein Wägelchen im Internet bestellt, in das der Hund eingespannt werden kann. Es sei unterwegs, bis dahin behelfen sie sich so. Die Mutter kocht immer nur das Beste für ihn, kocht Knochen aus, er trinkt die Brühe, Huhn mit Nudeln wird ihm ganz weich zerfleddert serviert. Er isst noch mit Genuss und guckt auch mit wachen Augen. Allerdings würde er Unmengen trinken. Von unserem Bazou wissen wir, dass er vor der den Tod bringenden Diagnose auch auffällig viel getrunken hat, was im Nachhinein kein gutes Zeichen war. 

Wir sprechen über das Leid, das Weggehen und Sterben eines geliebten Hundes. Das Mädchen leidet schrecklich, tut alles, um ihren kräftigen Liebling aufrecht zu halten, hat Zusatzfutter bestellt aus Amerika in der Hoffnung, es helfe auch ihm, da die Bewertungen zu dem Medikament so gut seien. Es ist ein Strohhalm, eine Hoffnung. Ich erzähle ihr von Bazou, von der Regenbogenbrücke, über die unsere Hunde ihre letzte Reise antreten. Wir sind uns einig, dass sie auf uns warten, dass sie da sein werden, wenn wir gehen müssen und wir sie auf jeden Fall wiedersehen werden. Es ist tröstlich, trocknet zwar im Moment nicht die Tränen, aber eint uns in schöner Weise. Das Leid wird geteilt … und damit erträglicher … für den Moment. 

Heute Mittag in einer Art Laube im Garten, in der ich WLan nutzen kann, bietet mir die Mama, die übrigens etliche Jahre jünger ist als ich, einen türkischen Kaffee an, sie sei gerade beim Backen und ich solle doch die Kekse probieren. Ich kann unmöglich ablehnen und „nein“ sagen, obwohl ich immer wieder eine leichte Peinlichkeit bei solchen „Einladungen“ spüre. Aber das geht ja vielen Reisenden so. Einerseits möchte man so gerne nahe kommen, andererseits will man nicht lästig werden und in irgendeiner „Schuld“ stehen, weil man mit leeren Händen kommt. Irgendwie eine dämliche Zwickmühle. Also mal laufen lassen und erst mal die stattlichen stolzen Hähne, die sich sehr neugierig mit ihrer Hühnerschar in der Laube versammeln und sich um mich scharen, auf‘s Korn nehmen.

Die beiden Frauen und ich plaudern eine lange Zeit. Alles ist sehr interessant, die Lebensgeschichte schon ergreifend. Mit 17 Jahren an einen drei Jahrzehnte älteren Mann vom eigenen Vater verkauft, führen sie nun hier in der Türkei, nach ein paar Jahren in Mannheim, das sie auf Wunsch des Ehemanns eigentlich nur für einen dreimonatigen Besuch in der Türkei verlassen hatten und nach Deutschland zurückkommen wollten, ein sehr beschwerliches Leben. Der Ehemann ist alt und sehr gebrechlich, Mutter mit Sohn und Tochter müssen alles bewirtschaften. Das ist eine Menge. Aber … ist eine freudige lachende Frau, und wie‘s drinnen aussieht, geht niemanden was an, sie ist stark und geht „dadurch“. Trügerisch. Sie lässt mich tief blicken in diesem intensiven, total offenen Gespräch mit ihr und ihrer Tochter, ein gegenseitiges Zuhören und Verstehen. Vor diesem Hintergrund ist mehr als verständlich, worauf die unendliche Tierliebe basiert. Ein Hund liebt vorbehaltslos, uneingeschränkt, gibt und fordert kaum, steht zu Dir, weicht nicht, bleibt an Deiner Seite und hintergeht Dich nie. Als ich die Tochter umarme, schreckt sie erst etwas zurück. Sie stinke immer nach Ziege, so höre sie oft. Und ich stinke immer nach Hund, also kein Problem. Und wir lachen. 

Der von unserem Nachtplatz aus schon sehr imposant auf‘s Meer gerichteten Burg statten wir einen Besuch ab. Und wir staunen Bauklötze. Eine riesige und in größten Teilen hervorragend restaurierte Burganlage tut sich auf. 20.000 qm werden umringt von wehrhaften Mauern und einst 39 Türmen. Eine wunderschöne Moschee gehört dazu, die aber leider verschlossen ist. Unweigerlich denkt man an Geschichten aus „Tausend und einer Nacht“ und summt „Sultans of Swing“. Hier mag so mancher Sultan mit Gefolge „geswingt“ haben. Leider finden wir über die Geschichte dieser Burganlage wenig im Moment. Ein Schild sagt, erbaut um 1300. Da werden wir später mal googeln und es nachtragen. Aber auch ohne jeden Hintergrund ist eine Runde durch das alte Gemäuer absolut beeindruckend und lohnenswert, und nicht nur, weil es in direkter Nachbarschaft liegt. 

15.05.2022 Sonntag 

In der Nacht fielen ein paar wenige Regentropfen. Heute morgen liegt wieder dichter Seenebel auf dem Meer. Milchig ist es ringsum, hellt sich aber zunehmend auf, die Sonne gewinnt. Wir unternehmen einen Streifzug am Strand und durch den Garten, ein Sonntagsvergnügen mit Sonntagsobjekten. 

Die Frau des Hauses erzählt mir, die Tochter arbeite heute wieder als Erntehelferin, morgens Maulbeeren, nachmittags Erdbeeren. Sie bekommt dafür 150 TL (ca. 10 €). Nie würde sie davon etwas für sich kaufen, eher Medikamente für die Hunde oder mal ein Geschenk für ihre Freundinnen. In einem breiten Streifen links vom Haus, der dicht mit Palmen bestanden ist, wird mit Motorsäge gearbeitet. Viel Gerümpel, Holz, Hütten, Kram aller Art liegt herum. Eine Schande sei es, sagt sie mir. Sie hätte so gerne, dass das alles rausgeräumt würde. Sie möchte Ordnung da haben. Aber es darf nach Ansicht ihres Mannes nichts weggeschmissen werden. Es gäbe genug arme Leute in der Gegend, die sich das ganze Holzgerümpel gerne abholen würden. Aber was will sie machen, außer mit den Schultern zucken, und begibt sich zu einer breiten Truhe, aus der verschiedene Tierfuttertüten rausschauen, nimmt einen Becher voll raus und schwupp kommen einige Katzen geflitzt und warten brav, bis ihr Napf gefüllt wird. Hier achtet einer auf den anderen. 

Ein paar Einkäufe erledigen wir im 6 km entfernten Anamur. Der Supermarkt ist piccobello, Migros nennt sich diese Kette, hat eine moderne saubere Fleischtheke, alles was man so braucht, und auffällig viele Süßwaren. Beinscheiben von Ziege oder Lamm, man weiß es nicht genau, wandern in den Einkaufswagen, bisschen Gemüse, ein paar Pralinen und ein großes Glas Nutella. Das junge Mädchen vom Platz liebt Nutella auf Mamas frischen Fladen, die sie morgens immer bäckt. Und die Pralinen stelle ich ihr hin. 

Während der Essenvorbereitung schleicht sehr zügig eine Schildkröte heran. Morgens flitzte auch schon eine herum. Sie nimmt zielstrebig den Futternapf ins Visier, verschmäht das Wasser aber und zieht enttäuscht von dannen. Gefahr hätte sie nicht fürchten müssen, Schildkrötensuppe ist so gar nicht unser Fall. Außerdem brutzeln - gut beschirmt, da ein Gewitter aufziehen könnte - auf der Feuerstelle die Beinscheiben im eisernen Topf. Überraschung, was daraus wird … Gelungen war‘s, lecker. Auch die hinterher zu verteilenden Kostpröbchen finden Anklang bei sehr aufmerksamen Abnehmern und Abnehmerinnen. 

Den ersten richtig lauen Abend verbringen wir vor der „Haustür“ am einsamen Strand, den die großen Meeresschildkröten zur Eiablage aufsuchen. Die Tochter des Betreibers erzählte uns, dass es bald die Zeit sein könnte. Sie habe häufig auf den Liegen am Strand geschlafen. Und einmal sei sie aufgewacht, und tatsächlich hätte direkt neben ihr eine riesige Schildkröte ihr Nest für die Eier gescharrt und sei dann wieder ins Meer gezogen. Das muss wirklich Wahnsinn sein! Schade sei nur, dass doch immer wieder Menschen laut und mit Taschenlampen bewaffnet heran stürzten und das für die Tiere ganz sicher nicht gut sei. Sie hat natürlich völlig recht … und eben ein Herz für alle Tiere, auch für Schildkröten.

16.05.2022 Montag

Wir bleiben heute noch hier. Es passt für den Moment einfach sehr, obwohl die Stechmücken trotz großer Achtsamkeit vorm Schlafengehen wieder gnadenlos zugestochen haben. Dann ist eben heute Jucken und Kratzen angesagt, obwohl man das nicht tun soll, es aber derart genüsslich und befriedigend ist. Ansonsten verladen wir schon mal den Tjaffer, Wim macht ein paar Besorgungen, und ich kümmere mich um ein Büttchen Buntes. Unter Beobachtung des immer zutraulicher und cooler werdenden Federviehs googele ich etwas in der Laube herum. Wir genießen einfach den unaufgeregten Tag und verplempern Zeit.

Am Nachmittag bringt uns die Hausfrau zwei Stückchen ihrer Torte, Nougatcreme sagt sie, bekommt sie aus Deutschland geschickt, sie schwört darauf und kredenzt uns stolz auf Porzellanteller mit Goldrand den leckeren Kuchen, den wir unter ihrer „Aufsicht“ verschlingen müssen. Einfach nur lieb ist sie. 

Hat uns der Kuchen-Service schon überrascht, so lauert eine weitere Überraschung am Strand. Ja, man kann es nicht fassen, nicht glauben. Sprachen wir nicht gestern noch davon … dass es bald so weit sein könnte … dass die kleine herum spazierende Schildkröte womöglich schon Ausschau hält … und wirklich: da ist sie, eine breite lange Spur vom Wasser durch den Sand den Strand hinauf, deutlich erkennt man die Eindrücke der Füße und Beine, ganz gleichmäßig, die die Meeresschildkröte beim Ansteuern ihres Eiablageplatzes und beim Verlassen wieder zum Meer hin hinterlassen hat. Unfassbar. Und jetzt schlummert da die Brut in einer Sandkuhle, kleine Eier, aus denen noch kleinere Schildkröten schlüpfen und sich todesmutig in die Fluten stürzen werden. 

17.05.2022 Dienstag

Passend zum gestrigen Thema findet Gustavo heute morgen beim Herumstöbern etwas für ihn sichtlich Hochinteressantes. Er wirft es hoch, springt begeistert danach, es ist irgendwie rund, nicht groß, klingt etwas hohl. Und als wir gucken, was es ist, ist der Schreck groß! Es ist eine kleine Schildkröte, drei Füßchen gucken noch raus, ansonsten ist der Panzer hohl und leer. Da hatte wohl ein Vogel ein köstliches Mahl. Wir retten den kleinen Panzer, er kommt in die Erinnerungstruhe, und Gustavo guckt traurig.

17.05.2022 Dienstag

Passend zum gestrigen Thema findet Gustavo heute morgen beim Herumstöbern etwas für ihn sichtlich Hochinteressantes. Er wirft es hoch, springt begeistert danach, es ist irgendwie rund, nicht groß, klingt etwas hohl. Und als wir gucken, was es ist, ist der Schreck groß! Es ist eine kleine Schildkröte, drei Füßchen gucken noch raus, ansonsten ist der Panzer hohl und leer. Da hatte wohl ein Vogel ein köstliches Mahl. Wir retten den kleinen Panzer, er kommt in die Erinnerungstruhe, und Gustavo guckt traurig.

Zunächst lässt sich alles gut an. Geschäftiges Treiben herrscht in einer Kleinstadt. Malerische Buchten schließen sich an. Die Dolmus, diese Mini-Busse, sind nicht so stylisch wie weiter westlich, fahren aber dennoch diese Schnitzelwerk-Felgen. Vielfach sieht man sie am Wegesrand umgebaut als Imbissbude stehen. Aus ihnen holt man echt alles raus. 

Bald wird‘s gebirgig, gut, angrenzende Bergzüge sind ja nicht die Frage, nur, wenn sich die Küstenstraße kurvenreich inmitten hoch hinauf schwingt, Anstiege von 10 % über weite Strecken die Regel sind und über lange Strecken sogar 15 % angezeigt werden, dann hat man zu tun, nicht nur mit der Verarbeitung des Staunens über spektakulärste Aussichten mit zum Meer hin krass steil abfallenden Hängen, sondern auch mit Bildung von Zuversicht, irgendwie heil raus zu kommen, oder besser: hinauf und hinunter. 

Glücklicherweise wurden schon einzelne Passagen der Route neu gebaut. Wir sind erleichtert, in den ersten Tunnel schlüpfen zu können und nicht die alte Straße fahren zu müssen. Obwohl es nach dem Tunnel trostlos aussieht. Ganze Hänge sind Bränden zum Opfer gefallen. Hohe Kiefernwälder stehen nur noch gespensterhaft als verkokelte Skelette herum. Wilde Blumen und Gräser mühen sich zwar, etwas Grün herein zu bringen, aber es wird ewig dauern, bis hier wieder Wälder am Meer rauschen. Aber wie alles, so hat auch diese Misere einen wenn auch schwindenden Vorteil für die Bewohner des folgenden Bergdorfs. Denn dort sieht man vor jedem Haus meist fein gepacktes und gestapeltes Holz. Man hat Verwendung dafür.

Hinunter ins Tal auf fast Meereshöhe führt die Strecke auch immer mal wieder. Kinder spielen auf Schulhöfen, Frauenscharen beseitigen spülend die Spuren eines wohl größeren Festes, man spaziert zum Strand und geht einkaufen.

So hüpfen und hoppeln wir von einer Bergetappe zur nächsten, von einer Bucht zur anderen. Was auf der küstennahen Route bis Anamur schon grandios erschien, wird hier getoppt durch wirklich einzig schöne Aussichten auf wildes Küstenland. 

Gestoppt wird das Ganze an einer Großbaustelle, oder besser gesagt wohl dem zentralen Punkt einer solchen. Es wird ja offensichtlich an einer komplett neuen Strecke durch die raue Bergwelt gearbeitet. Scheinbar wurden hier die Bauarbeiter stationiert, Container ähnliche Wohnreihen kann man erkennen und Unmengen Busse, die die Arbeiter möglicherweise an ihre Einsatzorte auf der kilometerlangen Strecke bringen, die sie, wie wir nach Überwinden der Baustelle feststellen, schon sehr gut hergerichtet haben, so dass wir auf glattem Asphalt zwischen üppig blühendem Oleander breitspurig unsere Fahrt fortsetzen können. 

Irgendwo um Silifke herum biegen wir von der Hauptroute ab in die Felder. Schlagartig wird es bäuerlich, gelegentlich extrem ärmlich, weil wir notdürftige schäbige Zeltstätten passieren, in denen vermutlich Familien aus anderen Ländern leben, die man jetzt praktischerweise als Erntehelfer in den Erdbeerfeldern einsetzen kann. Ob es syrische Familien sind, die mit Kind und Kegel im Acker stehen und in solchen Zuständen hausen müssen, wissen wir nicht. Erbärmlich ist es. 

Unser Nachtlager ist ein größerer Platz am Meer neben einem Lokal an einem Flüsschen. Schiffchen dümpeln darauf herum, die einen zum Privatvergnügen, die anderen zum Fischfang. Die vorbei tuckernden Fischer grüßen freundlich, der Besitzer des Lokals winkt zustimmend, natürlich dürften wir nachts bleiben. 

Ein beschauliches Fleckchen. Wir sind froh, mal etwas mit Eigenart gefunden zu haben und verschmerzen, dass wir für die ca. 20 !! für 2 Personen vom Restaurant auf kleinen Plastiktellern gebrachten Tintenfischringe ohne alles, lediglich mit einem Klecks Mayo, 240 TL zahlen müssen, ein Wahnsinn, bedenkt man, dass die junge türkische Frau als Tageslohn für’s Erdbeerpflücken 150 TL erhält. Gut, manch einer könnte sagen, dass Preise vorher abzufragen sind. Ja ja, manchmal tut man es eben bewusst nicht, weil man manchmal einfach vertrauen möchte. Die Erfahrung lehrt, auf Abzocke reagieren wir allergisch - so wie Gustavo auf fünf riesige Kameraden aus dem Hause Kangal, die aber glücklicherweise am gegenüberliegenden Ufer des Flüsschens bellen was die Kehlen hergeben und scheinbar wasserscheu sind. Aber kleinschrittig versteht Gustavo zunehmend besser, was sich lohnt und was nicht und worüber man sich aufzuregen hat und worüber nicht. So verläuft die Nacht mitten im Hundegebell - nur draußen, nicht drinnen - doch recht gut. 

18.05.2022 Mittwoch

Früh wie die Erntehelfer sind wir startklar. Es ist richtig schwül warm. Die Vorstellung, jetzt in gebückter Haltung den ganzen Tag zwischen den Erdbeerreihen zu kriechen, und das für ein paar Kröten, ist schlimm. Was bleibt für uns? Gas geben. Klingt jämmerlich! Auch die Gedanken daran, dass hinter uns ein sehr arbeitsreiches Leben liegt und von Schonung oft keine Rede sein konnte, sind eine hinkende, lausige Rechtfertigung. Beruhigung und Ablenkung bringen die folgenden Kilometer. 

Malerischen Buchten folgen Städte, Alt und Neu in krassem Gegensatz, man trägt Pluderhosen oder Shorts, man sieht komplett verschleierte Frauen oder total westlich gekleidete, eine starke Mischung. 

Zwischen wahnsinnigen Wohnungstürmen, die vielfältig wirken, aber Eintönigkeit ausstrahlen, tun sich immer wieder Reiseprospekt-Buchten auf, und die Strecke zieht länger direkt am Meer vorbei, bevor die Ausläufer der größeren Stadt Mersin uns auf der D 400, die wir seit Antalya befahren, schlucken.