von Oued Ma Fatma nach Khnifiss


Tag 51 - 06.03.2023 Montag

Der Blick durchs Fenster: ja, alle 3 liegen noch da, auf unserem Außenteppich hoch über dem Oued Ma Fatma. Sie sind kaum noch schreckhaft, aber obwohl sie aus der Hand fressen, dulden sie kein Streicheln und weichen zurück. Selbst der Welpe springt dann zurück, obwohl ich ihn an seinen Zähnchen und der Nase fassen darf, aber mit der Hand über Kopf und Rücken ist ausgeschlossen. Aber er wagt sich selbstsicher bis in den Türrahmen, schafft es, sich auf den Tritt und die Stufe zu hangeln. Wim und ich versorgen also erstmal wieder unsere „Haustiere“, bevor wir so langsam zur Abfahrt blasen. Zurück lassen wir eine harmonische Gemeinschaft, Mama und Tante und den Jungspund, die sich brauchen, die sich lieben, wo einer den anderen lenkt und stützt. Wenn sie hoffentlich nur satt werden … 

Auf der N1 geht’s weiter, wir lassen das von Dünen und schroffem dunklen Fels gesäumte Oued hinter uns. Auf den hohen Klippen wandert ein einsamer Angler, ein Stück weiter ein junger Soldat mit einer ganzen Welpenmeute hinter sich, wie eine Entenmama. Man erkennt das nur als kleine, sich bewegende Punkte in der sandigen Weite. Aus der Senke des Oued El Ouaer kommend, das leider keine Flamingos zu bieten hat, werden wir an der links liegenden maroden Tankstelle und Moschee doch tatsächlich von der Polizei angehalten. Schon ungewöhnlich, dass sie uns nicht an dem vor uns angehaltenen LKW galant vorbei winken. Wir warten. Mit strengem Blick fordert irgendwann ein Uniformierter Auskunft, wohin wir wollen und möchte die Pässe sehen. Damit verschwindet er im vergitterten Polizeifahrzeug, das voller Kollegen sitzt. Nach einer Zeit kommt er mit zweifelndem, immer noch nicht hellerem Gesicht wieder raus. Was wird das denn nun werden? Er stellt fest, dass wir nach Dakhla wollen. Einfach so. Nein nein, schon ziemlich energisch betone ich, dass wir dort nicht hin wollen, Laayoune und über Smara zurück nach TanTan die Route sein wird. Endlich nickt er zustimmend. Wir dürfen passieren, und erreichen auf jetzt wieder flammneuer vierspurigen Straße das Nest Sidi Akhfennir, das deutlich gewonnen hat im Zuge der Fahrbahndeckenerneuerung und sich aufgeräumter präsentiert, aber auch immer noch sehr einfach und exotisch. Ich war noch nie auf Kuba, aber so ähnlich stell ich es mir vor, wenn ich hier so in die Gassen gucke. 

Hinter dem Ort prägt immer mehr Sand die Landschaft. In der Ferne zur Linken in der Steinwüste liegt die sog. „Rote Düne“, zur Rechten ziehen sich die Ausläufer der beginnenden Küstenwüstenlandschaft mit ihren endlos langen Dünenketten wogend dahin. Sie bilden den Rahmen der Khenifiss-Lagune, die wir anfahren wollen. 

Am Abzweig „Naila“ nehmen wir die Ausfahrt und können über Asphalt langsam zum Atlantik hin rollen. Auf einer Parkfläche hinter dem Gebäude der Verwaltung des Parc de National Khinfiss an der Lagune Naila dürfen Womos übernachten. Gebühr ist 20 DH. Ein paar Womos stehen hier. An den Fischerhütten parken mehrere PKW. Auf sandiger Fläche mit holprigen Steinplatten finden wir ein tolles Plätzchen. 

Oh mein Gott, welch göttliches Fleckchen ist das hier! Erst einmal ankommen. Einfach die Natur erfassen. Einfach mal mit den Augen wandern. 

Weit in einer Bucht stehen Flamingos. Ihr weißes Federkleid leuchtet so hell wie die Gischt. Mal sehn, ob sie oder wir ihnen mal näher kommen. Bis dahin genügen andere Piepmätze und Schreihälse voll und ganz.

Am Nachmittag taucht die Sonne alles in goldenes Licht. Ein Fischer kommt vorbei, zeigt uns zwei große Seeteufel, wir lehnen aber ab. Das war voreilig. Denn wie uns unsere sehr lustigen französischen Nachbarn berichten, die uns in Tiznit schon gesehen haben, wie sie uns freudig erzählen, seien die Fische herrlich, frisch und absolut bedenkenlos zu verspeisen. Gut, dann wollen wir mal mit in die Fischerhütte. Drei ausgenommene Seeteufel kann der Fischer noch rausrücken. Er freut sich, seinen Fang verkaufen zu können. Wir zahlen, jetzt mal aufgepasst: 25 DH für einen ganzen Seeteufel, das sind 2,50 €! 2,50 € … das zahlt man zuhause schon fast für ein Puddingteilchen, geschweige denn für einen Seeteufel in einem Fischladen. Mit 3 Stück in der Plastiktüte schieben wir ab. 

Zu einem gigantischen Abendhimmel mit Sonnenuntergang, dessen Farbenspiel fast unwirklich kräftig und kaum zu glauben ist, kredenzt uns Wim dann zu einem Gläschen Weißwein einen in einem Tomatensugo mit schwarzen Oliven, Petersilie und Salzzitrone geschmorten noch glasigen Seeteufel. Gut, der Geiger am Tisch fehlte, aber das leise Trommeln der rieselnden Sandkörner im atlantischen Wind ist ohnehin in diesem Moment kaum zu toppen. 

Tag 52 - 07.03.2023 Dienstag

Fischvergiftung? Nein, nichts rührt sich. So ein klein wenig denke ich immer nach Verzehr von Fisch darüber nach, seitdem ich mir mal eine satte in Spanien nach Rückkehr aus Marokko eingefangen hatte. Zwei leckere Doraden aus dem Eis des Mercadona, zwei Doraden gebraten in einer Pfanne auf der Ziegenwiese, zwei Menschen verspeisen zwei Doraden, eine Person „überlebt“, nämlich Wim, ich „sterbe“ fast, lag 3 Tage flach mit allem was dazu gehört. So schlecht war mir noch nie. Daher mag ich nicht mehr so gerne Fisch. Aber, der Seeteufel hatte, wie sich heute zeigt, nichts in sich, obwohl er aus einer baufälligen zerfledderten Fischerhütte und einem schmuddeligen alten Eimer heraus verkauft wurde. Heute ist so ein Tag, an dem man Gedanken laufen lassen kann, auch solche über Wehwehchen und alte Eimer, ein Tag also, an dem sich hervorragend Belastendes in ebensolche alte Eimer oder olle Tonnen klopfen läßt. 

Etliche Womos jeder Art haben sich mittlerweile hier eingefunden. Es geht trotzdem still zu, man hält genügend Abstand zueinander. Leicht störend ist der Lärm, den vier Mitcamper, aufgestellt zu einer Wagenburg, veranstalten. Sie beschallen aus Anlass eines Geburtstages sehr raumfüllend das Gelände über Stunden, wäre nicht so arg, wenn‘s gestern nicht auch schon so gewesen wäre. Trotz allem bleiben wir heute noch. Es wird evtl. die letzte Station am Atlantik sein in diesem Winter, bevor wir dann endlich ins Inland abschwenken. Mit unserem sympathischen alleinreisenden Berliner Nachbarn tauschen wir uns aus. Es ist auch mal schön, zusammenzusitzen und zu quatschen über Reisen und dies und jenes. 

Einer Runde Gassi und Rad, was aber wegen des extrem holprigen Geländes nicht so prickelnd ist, folgen Vogel- und Lagunenbeobachtungen. Die Landschaft verändert sich stetig mit steigendem und sinkendem Wasserstand in der Lagune und den Licht- und Schattenspielen in den sandigen Wüstendünen ringsum. Es ist ein zauberhaftes Schauspiel, das die Natur hier im 2006 angelegten ersten Sahara-Park Marokkos auf 185.000 ha veranstaltet. 

Dieses Schauspiel wird durch den krassen Kontrast der natürlichen Farben von Ozean, Lagune und Wüste unvergesslich. Beispielsweise wirkt die Lagune bei Ebbe grün, Atlantik und Lagune spiegeln eine blaue Farbe wieder und die Wüste umrahmt alles in Goldgelb oder Milchkaffeebraun. Es ist eine echte „Show“, die einen berührt. 

Ich las, dass der Khenifiss-Nationalpark der einzige der Welt ist, der sowohl Meer als auch Wüste und eine Lagune umfasst. Diese Kombination verleiht ihm eine große Biotopvielfalt und damit einen Reichtum an Fauna und Flora. Der Park hat darüber hinaus auch fruchtbare Gebiete, die lokal "Legrayer" genannt werden, flaches Land bei Ebbe namens "Sebkhat" und mehrere Wadis.

Das „Herz“ ist allerdings „Naila“, die Lagune des Parks. Sie besteht aus einem Meeresarm von 20 km Länge und einigen hundert Metern Breite. Sie ist gelistet vom Weltnaturschutzfonds als Ort von ökologischem Interesse und aufgenommen in die vorläufige Liste des UNESCO-Weltnaturerbes, ein Feuchtgebiet von internationaler Bedeutung, das jährlich mehr als 25.000 Zugvögel begrüßt, der 211 Arten, auch vom Aussterben bedrohte, angehören und die auf ihrer Reise zwischen Nordeuropa und Südafrika regelmäßig in dieser Region Halt machen. 

Aber der Brandgans oder einer besonderen Möwenart gilt häufig weniger das Interesse, eher hält man hier auf den Klippen ständig irgendwie Ausschau nach den rosa Flamingos. Aus der Ferne konnte das Teleobjektiv einen dahin ziehenden Schwarm entdecken. Ein im Lagunengrün herumstochernder Kranich oder Reiher war da schon etwas dankbarer, wenn auch noch zu weit weg. 

Der Abend bringt uns ein feines Paprika-Puten-Geschnetzeltes mit Couscous, also eher gesagt Wim kocht und serviert. Verfressen wie wir sind, ist es vor Schießen eines Fotos vertilgt, was dem Sonnenuntergang nicht passiert. 

Tag 53 - 08.03.2023 Mittwoch

Heute wird‘s blumig, nachdem es sonnig wird. Heute wird‘s köstlich, nicht nur auf dem Teller. Heute läuft’s rund, von Ecken und Kanten nichts zu spüren. Ein wunderbarer Tag am Meer - oder besser: an der Lagune, das klingt noch großartiger, fremdartiger. Ein Streifzug über die Klippen bringt uns die Dünen näher. Ja, es ist Wüste, allein zwischen Sandkörnchen. An manchen Stellen ziehen sich Geflechte vom Wurzelwerk der Tamarisken flach über die trockene Erde. Man denkt, da wurde ein Haufen Kabel und Schnüre notdürftig verscharrt. 

Hier und da strecken sich blattlose „Wüstenhyazinthen“ scheinbar aus dem Nichts Richtung Himmel. „Cistanche ist eine weltweite Gattung holoparasitärer Wüstenpflanzen in der Familie der Orobanchaceae. Sie haben kein Chlorophyll und beziehen Nährstoffe und Wasser von den Wirtspflanzen, deren Wurzeln sie parasitieren.“ So beschreibt Wikipedia diese Schönheiten, diese faszinierenden Schmarotzergewächse in leuchtendem Gelb. Einige Mitglieder ihrer Gattung sind Hauptquelle der chinesischen Kräutermedizin, sie beinhalten eine Droge. Die Pflanze wird im Frühjahr vor dem Keimen gesammelt, die Stängel der Pflanze in Scheiben geschnitten. Also Achtung: von diesen sollte man sich auch bei großem Hunger in der Wüste keine Scheibe abschneiden … oder vielleicht doch. Denn wer weiß, wie lange man sie noch finden kann, denn durch übermäßiges Sammeln und Verlust des Wirts, der als Brennholz Verwendung findet, schrumpfen die Verbreitungsgebiete und sind irgendwann futsch. 

Den Nachmittag verbringen wir damit, uns auf Vogelpirsch zu begeben. Der weiße Stelzenvogel muss wieder herhalten, um den sich heute ein paar kleinere flitzende Langschnäbler scharen. 

An den Fischerhütten tut sich auch etwas. Die Katzen wechseln ihre Positionen, begrüßen den reinkommenden Fischer. Zwei Hunde sehen wir, die sich allerdings nur in der Ferne aufhalten und einen großen Bogen um das offensichtlich von Katzen streng kontrollierte Gebiet machen. Sie, die Hunde, werden wissen warum. Katzen am Hals ist nicht lustig. 

Lustig ist dagegen das Wiedersehen mit Sabine und Chabo und Hektor. Sie schaukeln nachmittags auf den Platz. Ihre Einladung zum Tee nehmen wir gerne an, stoßen später mit Schnäpschen an und verbringen eine sehr schöne Zeit zusammen. Immer toll, wenn‘s menschlich passt. Fehlt noch der Abend. Er bringt verlässlich einen wunderschönen Sonnenuntergang zu unserem Gemüseeintopf quer durch‘s Womo-Beet mit heimischem Mettwürstchen, während der Vollmond sich zunehmend aus seiner Wolkendecke schält und das nächtliche Land sehr hell beleuchtet, so dass der wachhabende Soldat in seinem Holzhüttchen vor uns auf der Klippe den Platz kaum mit seiner Taschenlampe ausleuchten muss.