Fränkisches Seenland

20.07.2020 Montag

Unter Wachtürmen schläft es sich gut, egal welche Gruselgeschichten sich die alten Mauersteine auch des Nachts zuraunen. Das Concördchen und Wim schreiten zur Ent- und Versorgung unter Chiangas wachsamen Blicken. Der ältere Mitcamper von irgendwo aus der Reihe verabschiedet uns schon mal. Er hat 19 x Marokko besucht, will dieses Jahr auf keinen Fall fahren, und im nächsten Jahr, flüstert er uns total belustigt zu, würde er dann 85 Jahre alt, dann sei es evtl. auch nicht mehr so planbar. Ein sehr positiver fröhlicher Mensch, der uns dann noch winkend aus der Einfahrt lotst. 

Am großen, noblen Rewe um die Ecke mit für uns erstaunlich hohen Bierpreisen (kaum eine Kiste unter 16 €) decken wir uns für die nächsten Tage ein, bisschen Salat und Gemüse, Brot, etwas von der heißen Theke für abends, etwas von der süßen Theke für nachmittags, ein paar Beerchen, was zu Schnabbeln, wie Wim immer sagt. Ich muss mich bremsen, unser Kühlschrank ist ja, wie schon erwähnt, nicht sehr geräumig. Alles verstaut im Womo, kehren wir nun endgültig „Knauf-City“, dem gemütlichen Iphoven, den Rücken und fahren gespannt und autobahnlos Richtung Fränkisches Seenland. Unterwegs ändert sich die Landschaft etwas, landwirtschaftlich genutzt ist es immer noch, aber es ist bis auf ein paar Momente recht eintönig, ein paar schöne Bauerndörfer liegen in den Feldern, aber alles wirkt eher leicht angestaubt, piefig und spießig, wie aus der Zeit gefallen und keiner Epoche zuzuordnen. 

Vor Nürnberg wird es auch nicht besser. Plötzlich taucht zur Rechten Wasser auf, eine Wasserstraße, schnurgerade, Betonbecken, aha, auch wenn wir mit keinem Gedanken daran gedacht haben, aber das ist der Main-Donau-Kanal. Die Straße führt längere Zeit daran vorbei, Schleusen gibt es, gelegentlich ein Schiff, Radfahrer strampeln sich auf den schnurgeraden Bändern auf den Betonrändern ab. Auch weit über Straßenniveau verläuft die Kanalrinne, dass man von unten die riesige Betonwanne sehen kann. Irgendwie nutzen muss sie ja, denn schön ist sie nicht.

Ca. 30 km vor Erreichen unseres Ziels für heute, dem Rothsee, wird die Gegend wieder sehr viel schöner. Waldreich ist es, lichte Kiefernwälder, durch die ein schmales Sträßchen nach Allersberg führt. Ein paar Kilometer weiter, und wir erreichen den Rothsee. Nach einer kleinen Runde am Ufer entlang finden wir auf einer großen Wiese unmittelbar hinter dem Deich am Main-Donau-Kanal und Nähe Seeufer einen guten Platz, und viel Platz noch dazu, für 8 €. Locker verteilen sich ein paar wohl vom heißen Wochenende übrig gebliebene Womos. Die Kirschschnecken vom Rewe werden verspeist, die Hunde verkriechen sich im Schatten, es ist mittlerweile trotz Bewölkung 32 Grad. Abhängen. Campari. Abhängen. 

Der Abend bringt neben den tuckernden Kähnen, die sich mit ihren Aufbauten auf Deichniveau durch die Wiese zu schieben scheinen, geschäftig herum sausende Traktoren, und zum Geschnatter vieler über uns hinwegziehender Gänse landet etwas schweinisch Leckeres auf unseren Tellern. Rewe, heiße Theke, Schäufela ... nachdem die Schwarte kracht, passt sich der Abendhimmel farbmäßig an. Güldene Zeiten ... und ich bitte Wim, den Schnaps zu kredenzen, aber zügig. 

21.07.2020 Dienstag 

In der Nacht prasselt nicht nur ein kräftiger Regenschauer nieder, sondern ich gleich mit. Beim Schließen meines Fensters knalle ich mit der Stirn an die ungewohnt etwas tiefer hängenden Leisten der Schränkchen, Beule, Grüße aus Knollendorf, Sternchen sehen. Nach kurzem Niedersinken hab ich meine Sinne aber wieder beisammen und heute morgen ein kleines Horn. Dieses wird allerdings auf der folgenden Radtour sehr gut vom Fahrtwind gekühlt. Es ist zwar immer noch 28 Grad, aber gefühlt erheblich frischer und angenehmer als gestern. Und die Tour um den Rothsee ist einfach himmlisch. Es sind rund 14 km, also recht gemütlich, und man fährt auf perfekten Wegen, entweder dicht am See, oder durch lauschigen Laubwald, unter hohen Kiefern und Birken, oder an Feldern und Blumenwiesen vorbei. So entspannend alles. 

Menschengrüppchen bevölkern die Liegewiesen der Badestellen. Es wird gebadet, gesegelt, gepaddelt. Viele junge Familien sieht man, die die schattigen Plätzchen suchen. Radfahrer sind unterwegs, Jogger, Wanderer. Gut bevölkert alles, aber irgendwie ruhig und alles sehr mit Bedacht. 

Ein paar Gaststätten gibt es, Mundschutz trägt jeder, wenn er zum Bestellen geht, Tische sind doppelt zusammen gestellt, an den großen Plätzen sitzt man dann weit genug auseinander. Wir genehmigen uns einen Eiskaffee und etwas zum Zutzeln, ist schließlich eine Extrawurst-Tour. Auch heute fällt uns auf, dass die Menschen Gespräche suchen, sich austauschen wollen. Auch die hier wieder herrschende Langsamkeit beflügelt das wohl. 

Es ist jedenfalls sehr schön, im Wechsel vor sich hin verblühende Wildblumenwiesen und hohes Schilf zu sehen, über Tannenzapfen zu sausen, das Knistern der geschotterten Wege und das Rauschen der Räder zu hören, von Schmetterlingen umgeben zu sein und dem Summen und Brummen zu lauschen, und das alles unter blau-weißem Himmel und vor grün-blauem Seewasser. Aber das Allerschönste ist der Eindruck, den die sich freuenden Menschen hinterlassen. Die Gesichter strahlen, man ist froh, unterwegs zu sein und den Sommer genießen zu können. Keine bedrückende oder niedergeschlagene Stimmung spürbar, wenn es auch verhalten zugeht. 

An einem versteckten Wiesenplätzchen auf einer kleinen Insel im See, die man über einen Steg erreicht, legen wir eine Badepause ein. Die Hunde haben ihren Spaß mit Wasser und Stöckchen. Nass und Apportieren - so generell nicht typisch für einen Ridgeback, aber heute ist es mal wieder Genuss. 

Am Bootsanleger vorbei geht es wieder zurück zum Womo. Eine Büchse Löwenbräu muss dran glauben, dass das aber mal nicht die Regel wird. Mein ipad meldet trotz nur wenig gefüllter Cloud „Speicher voll“ und tut nix mehr. Da könnte ich austicken. Die Fotos können nur teilweise von der Kamera übertragen werden, ich räume rum, in diesem Inneren dieses ipads. Eine wirkliche Lösung finde ich nicht, was mich unendlich nervt. Zwischendurch starte ich einen Testlauf „Hauptmahlzeit im Omnia“: Geschnetzeltes unter Zucchini-Tomaten-Champignons-Kette mit Blauschimmelhäubchen. Auch nach einer Stunde riecht es nach nichts, bruzzelt es nicht, du lieber Himmel, hätt‘ ich meinen Backofen wieder. Ich geb mal etwas mehr Gas und bin mir aber sicher, dass das Concördchen ansonsten spitzenmäßig ist. Während sich plötzlich ein irres blaues Ding durch den Kanal gegenüber schleppt und zwei Ridgebacks scheinbar kaputt gegangen sind, kann man leichten Käseduft wahrnehmen. Es könnte sich was anbahnen ... vielleicht wird es doch noch Liebe. Aber das Vorher/Nachher-Foto zeigt: Da geht noch was ... da muss noch was gehn!

22.07.2020 Mittwoch

Zeitig sind wir wach. Heute Nacht war es richtig kühl, vermutlich der Schlaf erholsamer. Ein Ortswechsel steht an. Wir fahren weiter zum Brombachsee, ganze 30 km. Der Himmel ist tief himmelblau, der Main-Donau-Kanal nicht minder. Ein paar kleine Örtchen werden durchfahren und wir nähern uns der Gegend um den Brombachsee. Hügelig ist es und sehr waldreich.

Der SP am Hafen Ramsberg ist Ziel. Da der Brombachsee doch sehr beliebt ist, stellen wir uns schon mal darauf ein, dass es schwierig werden könnte, bei diesem Wetter einen Platz zu bekommen. Aber es ist noch früh am Tag, und das ist unser Glück. Das Concördchen ergattert sich doch tatsächlich den letzten freien Platz, und das auch noch auf einer Ecke mit Seeblick. Die Nachbarn staunen, seit Tagen hätte es hier keinen Wechsel mehr gegeben. Während wir uns aufbocken, kreisen einige Womos suchend herum. Der SP ist eher klein, man kann eigentlich schon bei Einfahrt sehen, ob etwas frei ist. Aber die Suchenden fahren trotzdem rein, die Hoffnung stirbt zuletzt. Mannomann hatten wir Glück! 

Umrundung Großer Brombachsee lockt. Es ist nicht abzuschätzen, wie weit es sein könnte. Aber die Akkus sind voll, kann nichts passieren. Viele Leute sind unterwegs. Schon ein deutlicher Unterschied zum Rothsee gestern, eher weniger Beschaulichkeit. Die sandigen Badebuchten sind gut besucht. Wanderer, Spaziergänger, Familien mit Kleinkindern, ältere Menschen, alles bewegt sich zum Teil auf ein und demselben Pfad um den See. Und ganz schön kurvig und hügelig ist es, oft auch schmal. Da muss man aufpassen, der Gegenverkehr zischt da schon mal flott an einem vorbei. Und das alles an einem Mittwoch. Wie wird das wohl am Wochenende sein. Na ja, erstmal genießen wir unsere Tour. 

Chianga hat heute wieder einen Jodeltag im Anhänger. Viele Male sagt sie keinen Ton, aber wenn sie es dann drauf hat, dann nöhlt und jammert sie leise vor sich hin und keift, sobald einer dem Hänger zu nahe kommt. Den Grund dafür haben wir noch nicht herausgefunden. Bazou ist wie immer sehr gelassen, na ja Chianga grundsätzlich auch, eben nur mit kleinen Aussetzern hin und wieder. Aber sie klettert brav und ergeben in ihre Kiste wenn wir losfahren, aber auch nach einer Sause zwischendurch. In den Wäldern hier gibt es unterwegs viele Möglichkeiten, die Hunde mal frei laufen zu lassen. Anders als am Rothsee sehen wir hier nicht so viele „Betreten verboten“-Schilder und „Naturschutz“. Aber da der Hauptbesucherstrom sicher ohnehin über den direkten Weg am See fließt, wird die Natur hier im tiefen Wald geschont. Jedenfalls wächst reichlich Moos und über weite Bodenflächen gedeihen Heidelbeeren. 

Der See ist wirklich sehr groß, den vollen Blick hat man jeweils von den Dämmen. Sogar eine große Fähre kurvt darauf herum, die scharenweise Passagiere an den Anlegestellen auskippt. Aber noch gibt es genügend Möglichkeiten, sich von allen Haufenbildungen fern zu halten. 

Kurz vor Ende der Runde schleppen wir schlapp getrampelt erst die Hänger in den Schatten eines Baumes und dann uns in den Schatten eines Sonnenschirms. Ein Bierchen ist fällig. Obwohl heute nur läppische 28 Grad zischt es und versickert. Ein paar Mettwürstchen wandern mit Zucchini und Kartoffeln abends auf die Teller. Wir denken darüber nach, ob wir bleiben oder nicht. Tja, keine einfache Frage. Zum Wochenende hin wird es schwer sein, etwas abgelegener stehen zu können. Mal googeln ... 

23.07.2020 Donnerstag

Gestriges Googeln in der Nacht brachte einen wunderschön inmitten Allgäuer Natur gelegenen SP in Markt Wald, nicht mal mit Bindestrich, niemals gehört. Der kommt gerade richtig. Da meine nächtliche Mail-Anfrage noch nicht beantwortet wurde, rufe ich an, es sei alles voll, aber man mache ein Plätzchen frei für uns, das sei kein Problem, wir seien herzlich willkommen. Ja, das ist doch äußerst freundlich. Gern nehmen wir das Angebot an und werden morgen unseren Wohnsitz über’s Wochenende dorthin verlegen. Die saftigen Wiesen im Allgäu locken, und wir sind sehr gespannt, was uns dort erwartet. Jedenfalls schlagen wir die berühmten zwei Fliegen mit einer Klappe: denn Montag wollen wir unseren nächsten Punkt auf der Extrawurst-Routenliste anfahren und abarbeiten, Nähe München. Und Markt Wald ist quasi schon München. Und wir entziehen uns dem vermutlichen Wochenend-Gerummele am Brombachsee. 

Aber vor uns liegt erst einmal ein sonnig sommerlicher Tag hier am Brombachsee. Schon früh sind radelnde Großgruppen unterwegs, Uferstraßen bevölkert. Pack die Badehose ein, ja, und ich pack sie ein. Heute suchen wir uns nach einer Radtour ein schönes Plätzchen am Ufer und baden und faulenzen, so wie das ganz ganz früher die Herrschaften getan haben. Yoghurt und Erdbeeren kommen auch mit, man könnte ja verhungern und Wasser zehrt bekanntlich. 

Unterwegs verliere ich meinen Mann, ich mache einen Fotostopp, er radelt weiter, wartet an einer Gabelung, ich nehm den unteren Weg, und das Schicksal nimmt seinen Lauf. Ich denke, er ist vor mir, er denkt, ich sei noch hinter ihm. Stunden - gefühlt - später erreicht er die Bank, auf der Chianga und ich den schwarz-orange verstrapsten Menschen beim Gleiten an einem hohen Seil über den See zuschauen und auf Wim und Bazou warten. Stimmung bombastisch. 

Romantisches Seebaden und lauschiges Wiesensonnen sind im Moment nicht so angesagt und keineswegs der Brüller. Aber wir tun es dennoch. 

Ich bade, er liest, ich fotografiere, er badet. Und nach einem Gebet für all die Paare, die es schwer miteinander haben, wird es tatsächlich augenblicklich besser, liegt aber auch vielleicht daran, dass das Kredenzen einer Portion Erdbeeren die Situation rettet und die gemeinsame Nahrungsaufnahme die Gewitterlage positiv abmildernd beeinflusst. Liebe geht durch den Magen, tja. 

So versöhnt kann ich Wim auch erzählen, dass ich am Ende eines Pulks von Radfahrern über die Wege gesaust bin. Der Hintere trug das „gelbe Trikot“, wir stellten das Hauptfeld, kurz vor dem Col de Weißnichtwas mussten Chianga und ich trotz sehr aussichtsreicher Positionierung den Kampf um eine Spitzenposition aufgeben, da Wim ja abgängig war. Im Nachhinein muss ich noch so lachen über die vielen so unterschiedlichen Radfahrtypen, was Alter angeht, Kleidung, Equipment, Konstellation, die sich auf zum Teil engen Waldwegen und im tückischen Spiel von Licht und Schatten entgegenkommen, überholen, ausbremsen und was sonst noch alles. Und dann noch manchmal Wanderer dazwischen. Und alles an einem Donnerstag. Wie gut, dass wir morgen weiterreisen. Aber herrlich ist es hier dennoch, und im Herbst bestimmt auch mal eine Reise wert. 

Am Ende des Tages wartet noch ein Humpen Kellerbier auf der Seeterrasse auf uns. Die Fähre legt wieder an und ab, auf der es sogar einen Außenlift gibt, der Passagiere bequem von unten auf‘s Oberdeck bugsiert. Hier hat man sich etwas gedacht, hier in diesem Seenland, in dem eigentlich alles künstlich geschaffen ist und das vor nicht gar zu langer Zeit. Denn erst ca. Mitte der 80er Jahre wurden die Seen angelegt und ihrer Bestimmung übergeben: Wasserausgleich zwischen Südbayern und Nordbayern. Man wollte über eine gesicherte Wasserversorgung im wasserarmen Nordbayern die Lebensqualität und die wirtschaftliche Entwicklung besonders im Nürnberger Raum steigern durch Anpassung der sehr unterschiedlich verteilten Wasservorkommen zwischen den bayrischen Regionen. Südbayern wird im Vergleich zum Norden durch die Alpennähe und die vielen Flüsse sehr gut bzw. überversorgt mit ca. dreimal so viel Wasser. Diese Seen hier als Wasserspeicher, die man übrigens, wie ich las, auf einer Strecke von ca. 150 km in 11 Tagen umwandern kann, sind daher ein wirklich gelungenes Projekt.