von Goulmima nach Tinghir


Tag 74 - 29.03.2023 Mittwoch

Und heute geht es weiter. Schon früh scheint die Sonne sehr stark bei leicht bedecktem diesigen Himmel. Es ist richtig schwül, Schwitzwetter. Wir sagen der Nachbarschaft „bye bye“, zahlen den CP und rollen durchs gerade passende Tor. Irgendwo finden wir noch die lebensnotwendige „Tanke für Gigabyte“, laden nach und rollen aus Goulmima raus. 

Zunächst geht es ziemlich uninteressant durch helle Geröllwüste. Über große Flächen zieht sich aufgebrochene Erde an Stellen, wo beim Unwetter viel Regen stand, jetzt aber längst versickert ist. Man könnte denken, welkes Laub läge verstreut. Aber es ist die dünnere obere Lehmschicht, die wie trockene Haut in Fetzen bricht. 

Interessant wird es allerdings, und das sehr, nach rund 50 km bei Erreichen unseres heutigen Zwischenstopps: „Source - Musees - Galerie d‘Art Lalla Momouna“. Der Künstler Zaid hat hier mit sehr viel Enthusiasmus, Hartnäckigkeit und Liebe für das, was er tut, etwas ganz Bemerkenswertes und Besonderes geschaffen. Er begrüßt uns persönlich, spricht perfekt Deutsch und führt uns durch seine Sammlung, durch das komplette große Areal, das einem durch die unzähligen Altertümchen und Sammelstücke einen hervorragenden Eindruck über das frühere Leben der Menschen in Marokko vermittelt. 

Es ist ein Freilichtmuseum, in dem man stundenlang Zeit verbringen könnte. Wunderbar und durchdacht ist alles angeordnet, kunstvoll und tiefgründig angereichert mit Schrifttafeln großer Worte großer Denker. Man darf alles anfassen, alles ausprobieren, kaum etwas ist „hinter Glas“. Ein Erlebnis. Für Schulklassen bietet er den Besuch kostenlos an, wir zahlen 50 DH pro Person, bestens angelegte DH, wie wir im Laufe des Besuchs erfahren. 

Dreh- und Angelpunkt allerdings sind die Quellen, 5 Stück an der Zahl. Wasser in der Wüste, ein Zauber ohne Ende. Und diesen Zauber wollte und will Zaid erhalten. So hat er nach Studium in Deutschland und langem Arbeitsleben im Tourismusbereich in Agadir hier in seinem Heimatdorf schon in jungen Jahren alles dran gesetzt, diese ehemals nur aus einem Loch bestehende Quelle, die zunehmend vermüllte und vergammelte, zu erhalten und zu behüten. Nach Jahren der Bemühungen und nach Einsetzen eines ihm zugeneigten Bürgermeisters ist es ihm gelungen, das Land zu bekommen. Er bebaute es nach eigenen Entwürfen und widmete sich vor allem dem Erhalt der Quellen, ließ das Quellwasser auf Reinheit testen, es hatte und hat beste Qualität. Gerade in dem Moment, als Zaid uns das alles erzählt, kommt ein junger Mann in Arbeitskleidung von einer Prüfstelle in Casablanca und entnimmt seine jährlichen Proben aus den herrlich blubbernden tiefen Quellen. Aus der ursprünglich einen, sind inzwischen nämlich 5 geworden. 

Alles, was Zaid begeistert und nicht lästig für uns berichtet, ist schlüssig. Er verwirklicht hier seinen Lebenstraum, das sei der Sinn seines Lebens, sagt er. 

Er malt, er zeichnet, er singt, er musiziert, er wirkt und bewirkt etwas, hat Frau und vier Kinder, und eine Palastkatze, die beinhart Chianga zeigt, wo der Hammer hängt und ihr erhabenen Hauptes, untermalt von Fauchen und dick aufgeplustertem Schwanz, auf Schritt und Tritt durch das Ausstellungsgelände folgt. 

Sehr leidvoll ist aber die Tatsache, dass das Unwetter erhebliche Schäden angerichtet hat. Fotos auf Zaids Handy zeigen, dass das Gelände vor Wochen teilweise knietief unter Wasser stand. Lehmbauten wurden zerstört, die 700 m lange Lehmmauer, die das Gelände umgibt, ist über weite Längen abgebrochen, Spätfolgen lassen sich noch gar nicht absehen. Bisher konnte er alles durch die Eintrittsgelder und Zuwendungen bewältigen und instand halten. Jetzt ist er in einer Notlage. Er hat Zuversicht und unerschütterliche Sicherheit, dass alles gelingen wird. Habe er die nicht, hätte er ohnehin niemals die Quelle schützen können. Ein wunderbarer Mensch, einer mit Faszination, dem man gerne zuhört, obwohl er anfangs etwas „knapp und zurückhaltend“ daher kam, ganz im Gegensatz zu seinem Erscheinungsbild mit knallrotem Sonnenhut und langem ebenso knallroten wallenden Tuch um den Hals. Zaid … eine Erscheinung. Er freut sich über viele Besucher, und als Tipp für Marokko-Reisende wollen wir diese sehenswerte Ausstellung gerne weitergeben und jedem ans Herz legen. Wir kaufen ein paar Mitbringsel für Zuhause und schleppen uns in der Mittagshitze zum Womo zurück, wollen hier nicht nächtigen, sondern ans nächste Ziel näher ran. 

Ein Stück durch Geröllwüste und eine Ortschaft und wir erreichen Tinghir. Wir haben es in grausiger Erinnerung, nachdem wir es vor Jahren mal bei Schneematsch und üblen Straßenzuständen passiert haben. Der Schnee ist weg, der schlechte Straßenbelag offensichtlich noch vorhanden. 

Über Oued Toudgha hinweg geht‘s mit herrlichsten Aussichten auf die alten Lehmbauten den Berg hinauf. 

Oben angekommen liegt rechts vor einem Aussichtspunkt die Auberge Mabrouk, die auch Womos beherbergt. Irgendwie im Netz mal rausgefischt, hatte ich die Vorstellung, es handele sich um eine Familie, die ganz nebenbei auf ihrem Hof einen kleinen stillen Womo-PP hergerichtet hat. Das mit der Familie stimmt. Das mit dem Hof auch. Aber von still kann keine Rede sein. Alles entpuppt sich als derart schräg, wie das doppelte Concördchen im schiefen Spiegel, so skurril und lustig, dabei gewohnt nach Berber-Art herzlich, eine Mischung aus „Meine kleine Farm“, „Klimbim“ und „Die Flodders“. Wahnsinn! Alles geschieht mit wahnsinniger Lautstärke, egal ob Freude kundgetan oder dem Ärger Luft gemacht wird. In solch einem familiären, gerade aktuellen Zwist werden wir dennoch fröhlich in den Hof gelotst. Da stehen wir erstmal. 

Aber wir werden sofort in ein größeres Gebäude gegenüber gebeten, aus dem gerade jede Menge Menschen quellen. Kameras um den Hals, Wanderschuhe an den Füßen, leicht wirrer Blick, eine Reisegruppe, eine israelische, die hier gespeist hat und nun wieder ihren Reisebus erklimmt. So sitzen wir zwischen etlichen Tischen, beladen mit Geschirr und noch überquellenden Platten mit Speisen. Sofort fischt man, einer der neun Geschwister, wie wir später erfahren, einige Stücke auf einen sauberen Teller, bringt Teegläser mit und tischt uns auf. Niemals zuvor fielen wir über Essensreste von Menschen aus Israel her. Und gleich wird noch eine Platte portionierter Orangen hinterher geschoben. Widerspruch zwecklos. 

Ich drehe eine Fotorunde auf den Aussichtspunkt. Wirklich ein umwerfender Anblick. Und dann auch noch dieses sehr gepflegte Eselchen so Postkarten-like im Fokus, einfach phantastisch. Ich kann kaum genießen, schon werde ich in irgendein Tuch gewickelt. Wieder heraus gepellt, versichert mir Abdul, so heißt der Wickler, ich sei die Schönste. Ja klar. Auch er ist Mitglied der Familie, was sonst, und beschäftigt sich mit Damen und auch dem Verkauf diverser Artikel wie Schmuck und Teppiche und Tücher im Shop auf einer Terrasse der Familie ums Eck, die mir noch gar nicht aufgefallen war. Der charmante Touristinnenjäger hat dauernd einen Spaß parat, kann sich mit Wim auch sehr gut auf Holländisch unterhalten, weil er sich viele Monate im Jahr in NL aufhält, er habe dort zwei Freundinnen. 

Unterdessen hat ein anderer Bruder unsere Räder in der Heckgarage gesichtet. Sofort kommt die Frage nach einer Probefahrt. Ja, auch das macht Wim möglich. So saust dieser Bruder schon mal eine Zeit lang durch die Gegend. 

Mutter kommt ungebeten zum gemeinsamen Foto vorm Womo, die Tochter, für die Küche zuständig, fragt, was wir abends essen wollen. Ein schöner so lieber schwarzer Rüde schleicht heran, buhlt sehr vorsichtig um Chiangas Gunst, während zwei Welpen mich unter Beschlag nehmen. Das nutzt wohl ein junger Stier schamlos aus, reißt sich los und setzt sich über die Shop-Terrasse in Bewegung dahin, wo etwas los zu sein scheint, nämlich bei uns im Hof. Der benachbarte französische Mitcamper erwischt als Erster den am Stier baumelnden Strick und greift todesmutig zu. Die Damen der französischen Womos greifen zu den Handys. Das ermuntert den Torrero jetzt aber, und er zieht mehrere Kreise mit Stier über den Hof, begleitet von einem vielkehligen „Olé“. Wer wen zieht, weiß man im Moment nicht so genau. Chianga ihrerseits schreitet interessiert jeden ab, wagt sich auch durch die Arena zum Stierchen, das sich mittlerweile über einen versteckt stehenden Wäschekorb voller Möhren hermacht, nachdem es die Mülltonne auf links gedreht hat. Der Franzose hat das Tier einfach nicht unter Kontrolle. Und ehe Chianga Kontrolle über die rotgetigerte Hauskatze erlangt, im Überschwang wohl ermutigt durch die Museumspalastkatze, schleicht diese wie in verlangsamter Zeitlupe auf eine Treppenstufe und springt aufs Dach. 

Der Nachmittag rauscht mit uns dahin. Sagenhaft. Soviel zu meiner Annahme, evtl. auch meinem Wunsch, nach einem richtig schönen familiären Plätzchen für eine Nacht. Das ging ja voll auf! Und endet mit einem leckeren Couscous am Abend, pünktlich wie angekündigt auf dem Tisch, untermalt mit einem schweren und eingängigen Soul-Stück aus einer fast mannshohen dauerblinkenden Box in Endlosschleife, kurz unterbrochen vom Gesang eines Mouhezin. Ich frage nicht nach, wie der in den Song kommt … hier ist alles möglich! Und Abdul bringt mir einen Zweig mit leckeren Datteln, Wim dürfe auch davon haben, und wir 3 können tatsächlich ganz in Ruhe miteinander reden und haben total Spaß.