von Aubessagne nach Valensole

03.06.2025 Dienstag

Nach der Nacht an der kleinen Eglise Sainte Anne haben wir heute 160 km vor uns. Die Strecke hat lt. Rüdiger stückweise sehr viele Kurven, auch Haarnadeln, vermutlich Serpentinen. Wir sind gespannt, womit die Route Napoléon überrascht, hoffentlich nur positiv. Die kurze Strecke bis zum Lebensmitteltempel ist schnell abgehakt und der Parkplatz am Laden groß genug. Ich kaufe die üblichen Leckereien ein, Paté, Terrine, Jambon, ein ganzes gebratenes Poulet, Baguette natürlich, Croissant, Aprikosenteilchen. Vanillezucker muss ich etwas suchen in den Gängen, finde auf dem Weg Salz und Milch und bin verhältnismäßig flott wieder draußen. Es wird verstaut und die nächste schöne Parkmöglichkeit soll für ein Frühstück genutzt werden. Am schotterigen breiten Flussbett des Drac entlang findet sich keine Möglichkeit, und ehe wir uns versehen, auf einem Anstieg einen herrlich gelegenen Aussichtspunkt mit Parkplatz blöderweise verpassen, liegt uns die Stadt Gap zu Füßen. Und es geht hinab mit 12 % Gefälle auf einer Länge von mehr als 6 km. Die Route Napoléon führt mehr oder weniger mitten durch die Stadt, was aber nicht schwierig ist. Baumbestandene Alleen aus stark gestutzten Platanen, zwischen denen sehr komfortable Radwege verlaufen, säumen den Weg, stimmen im Zusammenspiel mit den blass farbigen Hausfassaden schon mal so leicht ein auf die Provence. Hinter Gap weitet sich das Tal. Die Strecke verläuft flach und gerade teilweise am breiten Flussbett der Durance, dem Canal Sisteron und parallel zur mautpflichtigen A51 entlang über viele Kilometer. Das Tal ist gefüllt mit Obstbäumen, Netze und Gewächshäuser schützen die ellenlangen Reihen vor allem möglichen, Traktoren fahren spritzend zwischen den Reihen. Ein Schild zeigt, dass wir in der Region „Fruits et Vin“ sind. An einer nichtssagenden Haltebucht, weil sich aber auch rein gar nichts anderes finden lässt, nehmen wir kurz das Frühstück ein, tröstlich, dass der Jambon auf Baguette hervorragend gut schmeckt.

Bald rollen wir auf Sisteron zu. Und damit rollt auch die ganze Flut an erinnernden Bildern der südlichen Provence auf uns zu. Man spürt sofort, dass sich die Region geändert hat. Wir sind nun im Département Alpes-de-Haute-Provence, und damit wirklich auf einem gesegneten Stückchen Erde. Sisteron besuchen wir zwar nicht, aber dankbar erhasche ich einige Ecken und Gassen beim langsamen Durchfahren. Der anschließende Landstrich lässt sofort träumen. Hohe Berge, helle bis rotbraune Erde, mediterrane Tondachziegel auf Landhäuschen in Feldern und Wiesen. Auf der Stelle flimmern Bilder von langen Holztischen in lauschigen Gärten, bunt zusammen gewürfelten Stühlen, flatternden Tischdecken, Karaffen mit Rosé, bunten Wiesenblumensträußen und Lavendel vor das geistige Auge, man hört Lachen, man spürt Freude, Lebenslust und „La vie est belle!“. Wunderbar. 

Und schon entdecken wir das erste Lavendelfeld, nicht ganz so romantisch, was die Lage anbelangt, liegt es doch am Rand einer Baustelle, die wir passieren. Aber immerhin. Außerdem gesellt sich in einem Kreisverkehr die erste Pinie dazu. Provence, unverkennbar. Die Reise geht weiter am gewaltigen Bett der Bléone. Hier hatte Napoléon es einfach, flach läuft das Land dahin. Aber ich ahne, dass sich da noch was tun muss. So billig werden wir nicht davon kommen. 

Vor Digne-les-Bains führt eine Brücke über das Flussbett des Bléone. Nun geht es am gegenüberliegenden Ufer erstmal gemäßigt weiter, bis es kurz darauf schon aufwärts mit uns geht und die Strecke steigt und steigt durch herrliche Landschaft mit tollen Aussichten. 

In Châteauredon verlassen wir die Route Napoléon, da wir nicht Richtung Cotê d’Azur wollen. Jetzt ist die D907 dran. Über das wiederum riesige Bett des Flusses Asse hinweg muss nun weiter gestiegen werden. Ein Bergdörfchen durchfahren wir, das eingebettet in Korkeichenwäldern liegt. Auf der Route, die im Verlauf D953 heißt, muss ordentlich geschraubt werden. Das heutige Ziel liegt auf einem Hochplateau, was selten locker erreicht werden kann. 

Aber dann doch, was sonst, eine ungeahnte Weite tut sich auf, Felder breiten sich endlos aus, Blicke können ebenfalls endlos schweifen. Wir haben den Poteau de Telle erreicht und damit die Hochebene von Valensole, dem „Herz der Provence“ wie man sagt. Und der Name besteht wohl zu Recht, zumindest heute: Dem lateinischen „vallis et solis“ nach liegt er buchstäblich im Herzen des Sonnentals. Schön für uns. Und die Fahrt über die D8, der wir jetzt fast schnurgerade folgen, bringt uns bei feinstem Sonnenschein in gut 600 m Höhe durch das bedeutendste Lavendel-Anbaugebiet der Provence und zum Staunen. Denn es blüht auf riesigen Ackerflächen zart-rosé, wobei wir (noch) nicht wissen, welche hohen Pflanzen derart alles geben. Lavendelfelder ziehen dahin, fein, zart, meisterlich halbrund gewachsen, ein fantastischer Anblick, auch wenn teilweise erst nur ein Hauch von Lila-blau zu sehen ist. Wir sind ja einfach noch etwas früh für Blütezeit. Aber es duftet, unverkennbar Lavendel, und sehr stark.

Irgendwo strahlt uns plötzlich hinter einer Oliven- und Obstbaumplantage tiefes dunkles Lila entgegen. Ein kleines Feld liegt in voller Blüte am Straßenrand. Vollbremsung! Das ist ja wohl die Überraschung des Tages, damit hätten wir nicht im Geringsten gerechnet. Raus und Foto … Fotos … 

Ortsschild Valensole passieren wir nach dem positiven „Schreck“ in Lila. Typisch provenzalische Farben stimmen ein auf einen schönen Aufenthalt. Der Ort wurde erbaut wie ein Amphitheater, das wie ein Schwalbennest an der Seite eines Hügels hängt. Genau das schützt ihn angeblich vor dem Mistralwind. Wir lassen das Zentrum rechts liegen und folgen den CP-Beschilderungen. Auf eine Senke folgt ein Anstieg, und auf der Kuppe biegen wir nach links ab in die Zufahrt zum CP. 

Vor einer Schranke melden wir uns in der freundlichen Rezeption an. In Park4night wurde gebeten, ein Kommen anzukündigen bzw. zu reservieren. Das hatte ich vor 2 Tagen auch brav per Mail getan und eine Bestätigung erhalten. Platz 8 ist für uns, also hinein mit uns an den Maulbeerbaum. Tolle Lage, weiter Blick, super ordentlich, perfekt sauberer Pool, wunderbar, hier werden wir es 2 Tage sehr gut aushalten. Später spazieren wir eine kleine Runde durch die schöne Umgebung, ich teste noch den Pool und bin total überrascht, dass das Wasser 27 Grad warm ist. Und dann ist Schluss für heute.

04.06.2025 Mittwoch

Stürmischer Wind bläst aus dem Tal herauf, türmt dunkle Wolken auf, um sie weiterzutreiben und sofort welche nachziehen zu lassen. Was wird das nun heute? Gewitter oder Sturm oder kommt irgendwann Blaues? Egal, Wim sattelt zum Radausflug. Man kann sich Pläne nicht immer umblasen lassen und kostbare Lebenszeit im Womo vertrödeln. In leichter Kleidung, da es trotz steifer Brise kein bisschen kühl ist, schieben wir los. Zuhause hab ich über Komoot eine Rundtour gefunden, 20 km, blau, also „leicht“, nur moderate Steigungen, also wohl kniefreundlich, wird schon klappen. Und es lässt sich perfekt an. Durch die Felder ziehen wir dahin auf schmalem Landsträßchen auf der Valensole Hochebene, die mit fast 12.700 ha eine der größten Gemeinden Frankreichs ist und den Spitznamen "Kornkammer der Region“ trägt. Hier baut man auf 800 km² hauptsächlich Lavendel und Getreide an. Ansatzweise können wir uns davon überzeugen auf unserem Radausflug. Immer mal wieder passieren wir kleinere Verkaufsbuden für Lavendelprodukte und Hinweisschilder zu abgelegeneren Höfen. Aber Besucher sind noch keine unterwegs. Die rosa blühenden Felder wechseln ab mit Lavendel so weit die Augen reichen. Hier kann man sich totlavendeln. Ein kräftiger Kräuterduft „Herbes de Provence“ umweht alles und lässt die einfach nicht auflockern wollende Bewölkung vergessen. 

Nach einer waldigen Senke mit kurzem Anstieg schlagen wir uns nach links auf einen sehr holprigen steinigen Feldweg. Hier liegen zu beiden Seiten extrem steinige Äcker, auf denen in Reihen, den Lavendelreihen ähnlich, krautige Büschel, durchsetzt mit gelben Blüten, mit Mohn und anderen genügsamen Pflänzchen, wachsen. Aus dem grauen Altholz der Büschel treiben auf längeren silbrig-grünen Stängeln kleine leuchtend gelbe Blütendolden und bilden sogenannte Horste. Sie sehen verwildert aus, die Büschel und die Reihen, man könnte annehmen, es seien brachliegende abgestorbene Lavendelfelder, die sich erstmal für eine Saison selbst überlassen werden. Aber dieser Gedanke ist uns nicht wirklich plausibel, klingt nicht schlüssig, zumal doch alles wieder zu gewollt aussieht. Also ganz nah ran … mein Gärtner, unser Spürnäschen Chianga und ich. Blättchen abpflücken, reiben, riechen - alles klar! Der Geruch ist sowas von im Kopf und direkt parat: Immortelle. Vor zig Jahrzehnten, als wir noch jung waren, gab‘s schon mal eine Trockenblumen-Phase, ein angesagter Deko-Hype. Und dieser Geruch von trockenen, in allen Farben eingefärbten Dolden-Blumen vergisst man scheinbar nie, Wim als Florist, der damit Hunderte Gebinde werkelte, und ich als junge Frau, die damit im Haus herumdekorierte. Der Geruch trägt so eine Spur nach Essig in sich, riecht leicht nach Maggi bzw. Currywurst, so dumpf-strohig-krautig irgendwie. Jedenfalls unverkennbar und unvergesslich und jetzt das „Aha“-Erlebnis des Tages, wobei die Frage, was man heutzutage mit den Blumen anstellt, (noch) offen bleibt. Aber in der Provence hat alles einen Sinn. Den der Immortelle werden wir sicher noch ergründen. 

Vom Feldweg biegen wir ein paar Kilometer weiter nach links auf die D8 ab. Aha, die sind wir gestern schon bei der Anreise gefahren, da bin ich mir sicher, dass wir am Vollton-Lila vorbei kommen, wie praktisch. Aber zunächst stöbern wir in einem scheinbar „Lost Place“ herum, marode Wohnungen, gammelige Autos bzw. Wracks, Gerümpel, menschliche Hinterlassenschaften zwischen Blüten und Artischocken mit toller Aussicht ins Tal. Beim Zurückfahren sehen wir eine große Anzahl an Briefkästen. Mon dieu … wer lebt denn hier? Möglicherweise ist das Heimat der Feldarbeiter in der Saison, denn anschließend sehen wir einen Agrarbetrieb. Dann kommt auch schon wieder Freudiges in Lila in Sicht. Ich biege ab auf den Acker, parke mein Rad, staune und betätige die Kamera. Wim naht ebenfalls, wähnt mich natürlich im Lavendel. Chianga entsteigt ihrem Hänger, das Tier muss posen, hilft nix. Ich denke an Bazou, er hätte die lavendeligen Wülste im hohen Bogen übersprungen wie ein Turnierpferd ein Hindernis. Er wäre auch durch die schnurgeraden Lavendelgänge im Affentempo gesaust, ohne auch nur einen Halm zu knicken. Irgendwie mochte er so etwas, übte das einige Male in holländischen Tulpenfeldern. Lang ist‘s her … und der Lavendel betört mit seinem Duft. Gerade rechtzeitig, Gedanken an Vergangenes vertreibend, scheint eine Reisegruppe gelandet zu sein, nein, keine Asiaten, nein, Italiener. Aus 5 PKW stürzen sich etliche begeisternde Freudenrufe ausstoßende Menschen. „Madonna, que bello, que fantastico, oh questi colori, Madonna bello bello …“. Und drei weitere Motorradfahrer parken, auch Italiener, stimmen ein. Und nach einem Augenblick der Ergriffenheit finden alle ihre Fassung wieder und fluten das Feld. Wir natürlich auch. Es ist sehr spaßig, sich so in einem Haufen Perplexer zu erleben, sich über wortreiches Erstaunen freut, wobei es ja einen eigentlich eher sprachlos macht, wovon allerdings der Italiener an sich meilenweit entfernt ist. Schön einfach, einfach schön, ich liebe es. Da haben wir Glück. Das hat auch die italienische Hundemami, die ihrem Apricot-Püdelchen, unterm Arm geklemmt, den Lavendel näher bringt, und zwar so nahe, wie gewiss nicht beabsichtigt. Denn sie stolpert in Ihrer Euphorie aus Unachtsamkeit über einen der unzähligen Steine, strauchelt und kommt zum Liegen zwischen den Lavendelreihen, das Püdelchen immer noch fest unterm Arm. Keines seiner Löckchen hat Schaden davongetragen, nur Muttis Hose ist besaut, ihr wird schnell aufgeholfen und weiter geht‘s. 

Auch für uns geht‘s weiter. Wir kommen im Ort Valensole an und wenden uns rechts runter zum Zentrum hin. Hui, welch nettes Plätzchen tut sich auf mit alten Häusern und Provence-Farbtönen und Brunnen. Wir stöbern eine Zeit herum. Der Weg nach oben zur Kirche ist nicht machbar, zum einen sehr steil, zum anderen im Zuge von Straßenbauarbeiten gesperrt bzw. kaum passierbar. Nun gut, vergnügen wir uns am Plätzchen. 

In einem kleinen Laden in einem Gewölbekeller mit typischen und verspielten Artikeln der Region schauen wir uns lange um. Die Inhaberin ist sehr freundlich, hat viel Zeit, erläutert uns alles Mögliche. Wir kommen ins Plaudern, und ich frage sie nach der Immortelle. Oh, dazu kann sie mir einiges sagen. Letztlich verstehe ich natürlich nicht alles, google aber später … und siehe da, es ist ein Kraut mit vielen Talenten:

Die Immortelle ist eine der vielseitigsten Heilpflanzen. Die silbergraue Staude wird auch „Italienische Strohblume“ genannt. Sie wird 50 bis 80 cm hoch und ist im gesamten Mittelmeerraum beheimatet. Dort gedeiht sie auf trockenen, steinigen Böden und speichert in ihren strahlend gelben Blütenköpfchen das intensive Sonnenlicht des Südens. Im Französischen wie im Deutschen wird sie die „Unsterbliche“ genannt. Ihr botanischer Name „Helichrysum“ leitet sich aus dem Griechischen ab und bedeutet „Sonne“ (helios) und „Gold“ (chrysos). Der intensiv warm-würzige Duft ist der Grund, weshalb sie im Volksmund oft als Currykraut bezeichnet wird. Aufgrund ihrer speziellen Inhaltsstoffe wird sie bei Blutergüssen, Muskelverspannungen und Sportverletzungen eingesetzt. In der Naturheilkunde wird sie dank ihrer hautregenerierenden Eigenschaften auch bei Hautproblemen und zur Hautstraffung verwendet. Der warme, krautige Duft löst emotionale Blockaden, spendet Trost und schenkt Kraft.“

Gar keine Frage, von einer Immortelle-Essenz, oder was auch immer, sollte man einige Liter im Haus haben, eben so in einem gut sortierten Haushalt für alle Fälle. Es scheint ein Allround-Mittel zu sein. 

Stattdessen wählt Wim doch eine Flasche Rotwein, und wir lassen uns nieder im Café am Platz, was mir eigentlich zu „modern“ daher kommt und Authentizität vermissen lässt. Nun gut, wir sitzen. Und wären besser gefahren, denn überragend gut ist das kleine Stück Schokoladenkuchen mit dem mickrigen Sahneklecks nicht. Überragend daran ist nur der Preis. Ganze 9 € finden wir viel, pro Stück wohlgemerkt! Abhaken! Und den Heimweg antreten. 

Ein Abendspaziergang bringt mir noch ein paar gefällige Blüten vor die Linse und damit geht ein wiedermal schöner Tag zu Ende.

05.06.2025 Donnerstag

Blauer Himmel, leichte Wolken, Sonnenschein. Ob wir noch einen Tag dranhängen? Kurz nachgedacht und abschlägig beschieden, wir ziehen weiter. Der Platz ist toll, die Stimmung so lala. Was sind nur für Menschen unterwegs? Wim winkt einem Kawa grüßend zu beim Einparken neben uns. Paar Minuten später stampft das weibliche Kawa-Crew-Mitglied heran und fragt Wim ziemlich barsch, was das denn sollte, was er denn damit meine!? „Ich habe nur gegrüßt, mehr nicht!“, erklärt er der Dampfnudel. Unterdessen erläutert unsere andere Nachbarin wiedermal einem vorbeigehenden Camper, der von ihrem bellend nach vorne preschenden territorialen Hund angegangen wird, dass er, ihr Hund, das so nicht ernst meine, er sei eben so verspielt. Na ja, wenn dieses Geschirr, in das der Hund brettert, nachgibt, dann will ich einem Ausleben dieses Verspielt-Seins nicht beiwohnen. Kurz gesagt: Alleinlage wäre mal wieder passend für uns mimosenhafte eigenbrödlerische Vertreter unserer Rasse. Das Concördchen kämpft sich daher tapfer den steilen Stich hinab und wieder hinauf, und wir lassen das schöne Valensole hinter uns.