Lettland ~ Riga ~ livländischer Steinstrand Tuja

16.08.2021 Montag

Die Sonne scheint trotz etwas dunkler Wolkendecke sehr warm auf die weiten Wiesen der Auen. Alles ist sowas von satt grün rundum. Beim Startklar-Machen zur Weiterreise merken wir, wie schwül es ist. Puuh, Bad in Fluss oder See wäre jetzt gut, aber Riga ist dran. Auf dem Weg nach oben sehen wir - oh Wunder - ein Womo auf der Straße vorbei ziehen. Es folgt ein weiteres. Und es folgen noch mehr. Wir staunen nicht schlecht und zählen 17 Stück hintereinander. Ja sag mal, Baltikum - geführte Reise, ist es denn möglich. Meine Güte, absolut unverständlich für uns, wie man in Europa nicht allein auf Entdeckungsreise gehen kann und sich freiwillig solch einer Karawane für viel Geld anschließt - außer aus z.B. gesundheitlichen Gründen ginge es gar nicht anders.

Am Schlagbaum zum Feldweg auf die Wiesen steht schon der junge Winzer bereit und öffnet. Wir können noch Wasser tanken an seinem Haus. Dabei erzählt er, dass seine Schwester mit Familie auch hier wohne. Auf meine Frage, was denn mit seiner Frau wäre, schmunzelt er, er habe noch keine, es sei schwer, jemanden zu finden, der mit arbeiten wolle und seine Pläne mit teilen würde. Ich erzähle ihm, dass es im deutschen TV „Bauer sucht Frau“ gäbe, und da lacht er so, ja ja, in Lettland auch, die Freunde seien schon länger dabei, ihn zu ermutigen, mal mitzumachen. Das war alles sehr spaßig. Und er erzählt uns von seinem Wiesenland, das ganz natürlich bearbeitet würde, im Jahr kämen etliche Wissenschaftler, Bienen-, Frosch- und Blütenforscher, man schaue nach, wie die Natur sich verhält. Er habe jetzt ein paar Galloway-Rinder, die in den Weiden sein können und dürfen. Mit Schafen ginge das nicht, da sie von der weicheren Bodenbeschaffenheit eine Krankheit an den Hufen bekämen, und Pferde zu halten, habe der Nachbar versucht, das ginge ebenfalls nicht, weil Pferde auf matschigem weichen Boden nicht gehen wollten. Ja, er ist sehr engagiert und begeistert von seiner Arbeit. Und meinen Rat, die Damen damit zu locken, dass er leckersten süßen Wein mache, will er beherzigen. Die Rinder könne er ja später „auspacken“. Hoffentlich findet er sein „Deckelchen“, der spaßige Wiesenbauer, ums mit Inka Bause zu sagen. 

Die Strecke heute bis Riga beträgt 110 km, also wenn nicht Loch-an-Loch-Asphalt wartet, wird‘s flott gehn. Ein paar Örtchen werden umfahren, mal sieht man hutzelige Häuschen, dann wieder Wohnblocks, dazwischen pflügen die Bauern ihre Äcker, und vielschnabelige Storch-Schwärme folgen gelassen den Spuren der Traktoren. 

Städtisch wird es, ein Outlet-Center zieht sich an der Fahrbahn entlang, Riga ist erreicht, auf, bis auf kleine Ausnahmen, bestem Belag und bei wenig Verkehr. Angeblich soll es um Riga herum immer chaotisch voll sein, und zack Stau. Na ja, kennt man Köln, weiß man sehr genau, was ein „Stau“ ist, dies hier jedenfalls nicht. 

Vermutlich hat ein Fahrschüler, der nun zaghaft vor uns rollt, eine kleinere Zähflüssigkeit ausgelöst, bevor es über die sich weit spannende Brücke über die Maza Daugava und die Düna geht. Wir müssen nämlich, um unser Ziel auf der Insel im Fluss, auf der auch der Fernsehturm steht, zu erreichen, erstmal ganz hinüber und auf der anderen Fahrspur wieder ein ganzes Stück zurück. 

Die Aussichten sind gewaltig. Die Flussarme ebenso. Unter diesem Himmel und diesem breiten Strom wirkt die Skyline Rigas wirklich phantastisch. Und wegen der Länge der Strecke kann man sie sehr gut auskosten.

Abgebogen irgendwo auf dem Inselchen fahren wir ein Stückchen am Flussufer entlang, bis die Straße endet und nur noch ein wenig Vertrauen erweckender Weg hinter einem Zaun weiterführt. Aber da, wo „Riga Wake“ draufsteht, muss ja nun auch Riga Wake sein sein. Meine Mail von gestern, ob etwas frei sei, hat mir jedenfalls einer vom „Platz“ bestätigt. Wir werden sehn, und schwenken zögerlich um die Büsche. „Coole“ Gegend jedenfalls hier. Aber das dachten wir uns schon. Und „coole Typen“ erwarten uns. So Burschen vom Wasserski oder Surfen sind doch immer eine Spezies für sich. Und hier sind wir in genau so einem Lebensraum gelandet. Richtig klasse. Völlig entspannt, als sei es das Normalste von der Welt, dass solch eine Spießerkiste wie das Concördchen hier erscheint, weist uns ein Cooler sehr freundlich und mit strahlendem Lächeln ein. 

Sie haben sich hier eine kleine Oase geschaffen. Bestimmt geht öfter die Post ab, trocken wird es gewiss nicht zugehen, was nicht nur an der Nähe zum Wasser und ihrer Vorliebe für Wassersport liegen wird. Bei mittlerweile 30 Grad genießen wir eine kalte Cola und ein Bierchen zur geräucherten Makrele aus Kolka zu alten Schinken von den Stones und Jimi, die herüber wehen. Cool. Alles im Fluss.

Bis sich dann der Spießer in uns meldet und sich erinnert, dass abends womöglich „Bauer sucht Frau“ kommen könnte. Mit Grüßen an Inka Bause freuen wir uns echt krass, so perfekt zu stehen, ohne Empfangsprobleme - nämlich unter der riiiiiiiiiesigen Schüssel vor dem riiiiiiesigen Bau der Fernsehanstalt Lettland, an die Wim das Concördchen heimlich angestöpselt hat. 

Und es klappt ;-) ! 

17.08.2021 Dienstag

RiR … tja, was mag das bedeuten. Regen in Riga. Und wie! 

Und der Wetterfrosch prophezeit auch keine Besserung, zumindest heute wird es vom Himmel pullern. Schade. Na ja, den Himmel von gestern kann man eben nicht alle Tage haben. Wir wollen nicht klagen, denn bisher sind wir auch wettermäßig verwöhnt worden, wenn man so liest, welches miserable Wetter in vielen Teilen Deutschlands herrscht, oder welche krasse Hitze den Süden heimsucht. Da wollten wir uns mit den Hunden jetzt auch nicht aufhalten müssen. Aber hier und heute muss nun ein Plan B her. Einfach Riga verlassen, quasi ungesehen, ist nicht gut. Weiter rauf in den Norden direkt nach Estland durchheizen, ja, wäre eine Option, aber auch dort ist ähnliches Wetter. Einfach abwarten … ja, ginge, aber nicht hier im gestern bei Hitze noch lauschigen, heute bei Regen erdrückenden Laubnest. Ein Parkplatz in direkter Stadtlage wäre nicht übel in der Hoffnung, mal eine Stunde um die Ecken zu gucken. Ich finde einige, wo auch Übernachten gestattet wird, aber weit und breit dann nichts Grünes, kein Raum, um mal mit den Hunden zu gehen. Dank Park4Night stoße ich auf eine ganz neu angemeldete Möglichkeit: ein PP im zentralen Jachthafen. Das Foto ist nicht sehr verlockend, aber weitläufiges Gelände, fester Boden, Blick auf Schiffchen und schöne Fassaden. Perfekt. Anmelden soll man sich. Ein Anruf genügt, schon ist alles geregelt. Der Hafenmeister erwartet uns. Wir verlassen die Ecke am Flussufer, nachdem wir satte 20 € bezahlt haben. Zu den Nörglern oder Sparfüchsen gehören wir in keinem Fall, aber das ist schon eine Ansage, da es eigentlich an allem fehlt und nichts geboten wird außer einer fast unzumutbaren Zufahrt, einer engen Lücke, keine V+E, kein Strom, nix, nur Stehen auf Mulch in einer ins Laub gefrästen Nische. Da stimmt das Preis-/Leistungsverhältnis nicht.

Und 7 km weiter und wieder 1 x über die Brücken und 1 x wieder zurück, mit Ausblicken heute mal in Nebelschwadenbeige und sattem Schauergrau statt strahlendem Himmelblau, stehen wir ausgezeichnet, auch wenn ich beim Einweisen mit den Badelatschen durch knöcheltiefe Pfützen latschen muss. 

Der Hafenmeister hatte am Telefon schon so einen leichten bayrischen Akzent. Es stellt sich heraus, dass er jahrelang in Österreich gearbeitet hat, mit einem „passt scho“ übergibt er uns einen Schlüssel zum Tor auf die Stege, zu der Tür zu Duschen und WC, zum Raum mit Waschmaschine und Trockner, ein paar Stadtpläne obendrauf und einen Mini-Router für HochleistungsWLan. Außerdem zeigt er auf zwei im Flur liegende Boote, die könnten wir uns getrost auch nehmen, wenn wir Lust hätten. Das alles für 15 €! Und alles mit einer riesigen Portion Freundlichkeit und Herzlichkeit. Das macht doch einen Tag gleich viel heller. Wir lümmeln etwas herum im Womo, ich nutze die Zeit und das freie Netz, um die Route weiter zu planen, wir beobachten das Wetter, der Blick nach draußen ist schon schön, so auf die Boote und das Wasser, und der Blick wird immer schöner, denn es klart tatsächlich auf, die dunklen Wolken schwinden und machen Platz für‘s Himmelsblau.

Startschuss für Wim, trotz späterer Stunde die Räder mit Anhängern parat zu machen und zur Flussufer-Brücken-Tour zu starten. Wie herrlich. Solch ein Licht ist ein Geschenk. Und diese sich imposant über diesen breiten Strom spannenden Brücken ebenfalls. Irgendwie erinnern sie mich stark an Köln, an die Hohenzollernbrücke, die Rodenkirchener Brücke. 

Menschen sitzen in der Sonne oder radeln oder joggen vorbei. Ausflugsboote cruisen herum. Vielfach wird uns freundlich zugenickt. Eine schöne Stimmung in warmer Spätnachmittagssonne. 

Und morgen geht‘s in die Sträßchen und Gassen der recht großen Stadt Riga, in der ca. ein Drittel der lettischen Bevölkerung lebt. Immer gut, wenn man etwas vor hat.

18.08.2021 Mittwoch

Der heutige Tag ist blitzschnell abgehandelt: 

Regen Wind Regen Sturm Regenwind Windregen Regensturm Sturmregen

und das im rasanten Wechsel und sehr sehr ausdauernd. 

Ab 20.03 Uhr leichte Lücken in der Wolkendecke.

Apropos „Decke“ … Bettdecken sind frisch gewaschen. 

Dauereinsitzen im Womo, angereichert mit Reiseplanungen und -überlegungen, konnte unterbrochen werden durch Nutzung des Waschraums mit Waschmaschine und Trockner und einigen gescheiterten Anläufen, sich in einem Moment scheinbarer Wetterbesserung nach draußen zu begeben.

Aber Abreise ist keine Option. 

Riga bekommt eine weitere Chance, 

morgen morgen … wenn nicht heute! 

19.08.2021 Donnerstag

Und heute stand es auf Messers Schneide. Bleiben wir wirklich noch im Riga‘schen Regengrau oder reisen wir weiter? Denn Sturm und Regen scheinen nur für kurze Momente an Intensität zu verlieren, um dann mit versammelter Mannschaft zu blasen und zu schütten. Na ja, wir versäumen nichts. Und der Vormittag trödelt so dahin. Gegen Mittag lockert es etwas. Und um halb 3 ist es endlich soweit: wir wagen es! Die eine Hälfte Riga liegt unter Basaltgrau, die andere unter Zuversicht schürendem bläulichen Schimmer. Start! Wir schaffen es bis zur nächsten Tanke, ganze 12 Minuten später. Platzregen.

Ein paar Straßenzüge und Parkanlagen weiter, suchen wir zum Schutz einen Kirchenraum auf, bevor wir - ohne Regen - um die Ecke vor den „3 Brüdern“, dem ältesten Wohngebäudekomplex der lettischen Hauptstadt, stehen.

Die folgenden Gassen führen über holprigstes Pflaster an sprachlos machenden Gebäuden und Fassaden vorbei. Eine unsagbar überflutende Pracht. Man glaubt, man radelt durch die Kulissenwelt eines Historienfilms.

Jugendstilgebäude und sakrale Bauten mit vielfältiger moderner Architektur prägen das gesamte Stadtbild. 

Eine ganz besondere Sehenswürdigkeit ist der Rathausplatz mit Rathaus und dem Schwarzhäupterhaus. Es ist schon fast zu viel. 

Eine kurze Kaffeepause ist möglich. Der alte Bäckerladen ist wunderschön. Das Wetter hält. Der Kuchen schmeckt. 

Wir mühen uns etwas ab, um den Zentralmarkt in den beeindruckenden Hallen zu erreichen. Das Kopfsteinpflaster hat es in sich, vielfach müssen Gleisanlagen überquert werden, kaum Radwege sind zu finden, Fußgängerampeln ebenfalls. Seltsam. Der Verkehr ist wirklich ziemlich stark, und viele Menschen sind unterwegs, da wir auch noch am Busbahnhof vorbei müssen. Die Markthallen sind riesig und bieten alles für Küche und Keller. Jetzt am späteren Nachmittag oder auch, weil doch kaum Touristen unterwegs sind und vor allem die Kreuzfahrtschiffe fehlen, sind die Marktstände nicht mehr brechend voll. Dennoch könnte man die Waren säckeweise raustragen. Im Außenbereich findet auch Markt statt. Hier werden überwiegend Obst, Gemüse und Blumen angeboten und reichlich Pilze und Beeren, und das alles zu durchweg gleichen Preisen bei allen Händlern.

Mit ein paar Einkäufen treten wir die Rückfahrt an. Nach all den faszinierenden Gebäuden tut das Radeln durch die herrlichen Parkanlagen, die sich im Halbkreis durch die Stadt ziehen, richtig gut. Das Auge könnte ruhen, wenn sich nicht hier auch immer wieder neue Ansichten ergeben und Häuserkomplexe zwischen dem Laub der alten Bäume hervor blinzeln würden.

Es war gut, zu bleiben, und es war gut, diese Stadt mal gesehen zu haben. Wie vielerorts, so könnte man auch hier Tage verbringen und sich vor allem in die Geschichte vertiefen. Bewusst sollen nur die Bilder sprechen, alles, was zu Riga geschildert werden könnte, können andere Quellen entschieden besser.

20.08.2021 Freitag

Sonne - Wolken, man weiß es nicht. Auch nicht weiter tragisch, denn heute ziehen wir weiter. Unser Hafenmeister, nach 3 Tagen immer noch sehr zuvorkommend und freundlich, verabschiedet uns. Wir haben sehr schön gestanden, alles passte, und Besichtigung Riga glückte ja auch noch. Für Mitcamper, die ähnliches planen, wirklich eine empfehlenswerte Stelle. Da nun die Einöden in Estland nicht mehr lange auf sich warten lassen, besorgt Wim an der Tanke noch Sprit für den Moppel, sicher ist sicher. Dann geht die Reise los. Graue Vorstadt wartet, und die Fahrt zieht sich unfassbar ewig. Irgendwie hat man das Gefühl, der Rüdiger vom Navi dreht nochmal eine Extra-Runde. Wohnblocks reihen sich aneinander, immer wieder tauchen auch mächtige marode Altertümchen auf, die nach Sanierung schreien. Für diese historischen Gebäudekomplexe wird die EU nochmal etliche Sparschweine schlachten müssen. Unser Hafenmeister erzählte, dass Sanierungen mit 100.000 € bezuschusst würden, bis vor 5 Jahren noch komplett, allerdings habe es Betrügereien gegeben, woraufhin der Hahn zugedreht worden sei. Wer dann in modernen Hochhauskomplexen wohnen kann, wird sicher froh sein. Wir fragen uns, wie es den Bewohnern hier aus dieser Gegend geht, wenn es sie durch die Altstadt von Riga führt. Ein extrem krasser Unterschied - ähnlich Schwarz-Weiß-TV und Farbfernsehen, nur noch schlimmer. 

Endlich erscheint auf der gegenüberliegenden Fahrbahnseite der Schriftzug „Riga“, die Stadtgrenze ist erreicht, ein Womo-Händler bietet seine Modelle an, dann lockert es sich, auch der Druck, den eine Vorstadt auferlegen kann, allein beim Durchfahren. Kleinere Ortschaften liegen an der Strecke, lichte Wälder voller Pilzsammler, die ersten Felder, und Störche, jetzt haben wir‘s geschafft. Es wird wieder gemütlicher.

Nach dem Abzweig von der Hauptroute führt unsere Strecke zur Küste hin. Es sind nur wenige Kilometer. Kleine Häuschen deutlich dauerbewohnt und auch Ferienhäuschen reihen sich entlang der schmalen Dorfstraße. Rote Äpfelchen baumeln an den tief hängenden Ästen direkt an der Straße. Irgendwo stehen Pavillons neben einem schönen Holzhüttchen, sicher für eine Hochzeitsgesellschaft, so vermuten wir mal amüsiert, es ist schließlich Freitag. Wenige Meter weiter am Ortsende rollen wir auf einen Parkplatz mit Blick auf die Ostsee - und, man glaubt es kaum, und wir müssen so lachen, auf eine Braut. Also die Hochzeitsbranche muss hier boomen wie nur sonst was. Allein vier Fotografen positionieren sich, wobei die Location etwas nüchtern und behelfsmäßig aussieht. Möge dem jungen Glück selbiges hold sein und Photoshop aus den Ansichten das Maximum rausholen. 

Wim begeht die Örtlichkeit des CP, die komplette Leere hier, er muss die Festigkeit der weiten Wiese prüfen. Ein paar Wohnwagen stehen am Rand, ansonsten keiner da. Welch ein Luxus. Und die Wiese trägt, obwohl der Mann in irgendeinem Hüttchen zur Vorsicht mahnt. Außerdem wollte er kein Geld, die Saison sei ja schon beendet, wir könnten uns einfach so hinstellen. Und das machen wir dann auch. Jetzt stehen wir zum ersten Mal auf dieser Reise direkt am Meer. Unverstellte Aussicht. Eigener Strandzugang. Feuerstelle. 

Bazou und Chianga sind mit uns einer Meinung: grandios. 

Einzigartig schön, die Brandung der Wellen, die Farben der kugeligen Steine im Sand, das Blau, das sich gegen Nachmittag immer mehr in Silber verwandelt. 

Vereinzelt ziehen über uns die Wildgänse in Formation in südliche Richtung. Ob wir noch schöne Tage erhaschen können? Man wird sehen! 

Hier und heute erstmal in Ruhe der untergehenden Sonne zusehen.

Grundlegend wichtig. 

21.08.2021 Samstag

Der neue Tag bringt Wolken, aber nicht sehr lange. Dann strahlt die Sonne, und es weht ein frischer Wind. Ringsum hat sich ein kleiner Kastenwagen dazu gesellt, ansonsten keine Nachbarschaft. Die Zugehfrau muss heute mal „abgehn“ in unseren Gemächern, sonst müssen wir eine Hühnerschar reinrufen. Zum picken gibt‘s genug. Matten und Auslegware fliegen raus, Lappen und Besen rein. Auch das macht bei herrlicher Aussicht richtig Spaß. 

Anschließend jagen die Hunde über die Wiese. Bazou springt mit Wonne über die Stämme, die die Parzellen begrenzen. Mein Griff zur Kamera bremst ihn allerdings aus, wie das ja immer so ist. Notgedrungen bewegt er sich aber doch nochmal in seiner unermesslichen Güte zum Hindernis - und springt. Chianga ihrerseits blickt gedankenverloren übers weite Meer, wohlwissend, wenn sie zu uns guckt, muss sie auch ran. 

Fahrradwetter vom Feinsten, daher satteln. Wir fahren im intensiven Duft frisch gemähten Grases durchs Örtchen mit schmucken Gärten und Häuschen rechts und links. Der Erfinder des Aufsitzrasenmähers muss ein Lette sein, einfach wahnsinnig, wie hier die Rasenflächen gemäht sind, nicht nur die der Privatgärten, nein, auch jede öffentliche Grasfläche. Die beiden Lädchen werden stark angefahren von PKW. Es ist Wochenende, und die Familien werden natürlich ihre Ferienhäuschen hier aufsuchen und einkaufen müssen.

Die Hauptstraße biegt links ab zur A1, wir biegen rechts ab auf die küstennahe Schotterstrecke und gucken bei dem CP, der auch sehr schön liegt, vorbei. Hier herrscht richtig Betrieb. Sicher 20 deutsche Womos stehen hier. Der CP scheint einiges zu bieten, man sieht Wasseranschlüsse an den Plätzen. Am Strand ist sogar eine Strandbar. Im Sonnenschein lässt sich gut Eis essen und Käfer beobachten. 

Ein ganzes Stück weit radeln wir weiter durch den lichten Wald, der sich als schmaler grüner Streifen im Naturschutzgebiet der 12 km langen steinigen livländischen Küste entlang zieht. Immer mal wieder begegnen wir einem Auto, denn zahlreiche Häuschen sind auch hier wieder zu sehen. Abseits schlummern ein paar Lost-Places und werden nach und nach vom Grün verschluckt.

Ein Stopp wird eingelegt, damit die Hunde sausen und wir einen weiteren Eindruck dieser Region gewinnen können, die viele Besonderheiten bietet, nicht nur wegen der mit Feldsteinen und Kiesel bedeckten Strände, sondern auch durch Sandsteinfreilegungen, Dünen und Strandwiesen, die Lebensraum für sehr seltene und geschützte Pflanzen- und Tierarten sind. 

Auf der Rückfahrt kehren wir endlich mal ein. Man kommt ja zu nix. Leider wird nichts sehr Typisches angeboten, aber Pommes und Grillkotelett hatten wir lange nicht mehr, es schmeckt und ist auch als das teuerste Gericht auf der Karte mit 7,50 € sehr günstig. Nur das Bier, ein Cesu Premium, auweia, nein, eine Zumutung. Ich dachte, da hat jemand das Rest-Bier unter einem Zapfhahn am Fässchen zusammen gekratzt und serviert es uns nun in einer Art Blumenvase. Grausig. Wobei die frechen Spatzen so gar nichts grausig finden. Sie reihen sich absolut furchtlos mit an die Tische und fallen über Teller und Brotkörbchen her, sobald sich ein Gast erhebt, fliegen mit übrig gebliebenen Pommes, länger als ihr Körper, weg und sind blitzartig wieder da.

Mit ein paar süßen Teilchen aus dem Supermarkt radeln wir zurück. Und, wir staunen nicht schlecht, die Campingwiese ist bevölkert. Erste Reihe wird nach und nach quasi dicht. Ein paar Kastenwagen haben sich eingereiht, und ein paar lettländische PKW mit Mini-Zelt, deren Besitzer jeden Alters, wie wir oft beobachten, erstmal tütenweise die Lebensmittel auspacken und sofort mit irgendeiner Zubereitungsart beginnen und essen. Das Wochenende will genutzt werden. Und das Wetter spielt ja mit, wobei der Wind im Laufe des Tages zunimmt und für fast wolkenlosen Himmel sorgt. Etwas weiter weg am Strand wurde ein größeres Zelt aufgebaut. Die Camper müssen schwerhörig sein, denn die Musikfetzen brüllen uns um die Ohren und der Bass wummert trotz starker Brandung unüberhörbar. Auf der Campingwiese hängt ein Schild „Musikanlagen verboten“, vermutlich nicht ohne Not. Es ist, auch wenn man die Bewertungen der CP in den Portalen liest, wohl ein Problem hier überall … sie mögen Musik nur wenn sie laut ist. Nicht alle natürlich, aber viele.

Der Sonnenuntergang wirkt heute komplett anders als gestern. Die Sonnenkugel aus glühendem Gold lässt sich ohne Wolkenverprämung im Meer versinken. Man meint, man hört das Zischen, aber es waren wohl nur die Boxen der Schwerhörigen. 

22.08.2021 Sonntag

Am Sonntagswetter muss sich noch etwas ändern. Aber der Wind ist stark und wird sicher etwas erreichen. Plötzlich klopft es heftig an unserer Tür. Ein junger Mann steht dort und fordert uns zur Bezahlung auf. Sein Gesicht ist so, dass ich ihn zuhause gebeten hätte, alles nochmal auf Anfang, nochmal einen zweiten Versuch starten mit einem freundlicheren Gesicht, denn noch hatte ich ihm ja nichts getan. Aber sei es drum. Beim Ankommen auf diesem CP hat Wim nach einer Anmeldemöglichkeit gesucht und jemanden in einem kleinen Holzhäuschen gefunden. Der Mann sagte ihm, die Saison sei schon beendet, wir sollen uns einfach so hinstellen, es koste nichts. Und nun dieser Besucher hier. Ja, er sei der „Owner“, er habe noch nicht geschlossen, und wir sollen zahlen. Das ist natürlich gar keine Frage, nur wenn man eine andere Auskunft bekommt am „Check-in“ sieht das anders aus. Ich zahle selbstverständlich, er kassiert mürrisch, geht wortlos. Das ist nicht weiter von Bedeutung, sowas passiert eben. Aber die Art und Weise ist doch bezeichnend. Es weht hier ein anderer Wind, bildlich gesprochen, auch in Herz und Seele, das macht mir, zumindest noch, zu schaffen. Ob ein Gewöhnungseffekt eintritt, bleibt abzuwarten. Jedenfalls haben wir lange genug abgewartet, denn der Wind hat sich gelegt, er hat die Wolken sehr schön verblasen und das Himmelsblau freigelegt. Heute geht‘s mit Rad in die andere Richtung nach links rüber. Wie schon gesagt, alles Naturschutzgebiet hier. Aber so viele Häuser und Häuschen stehen hier und viele noch im Bau und Parzellen zum Verkauf. In Deutschland vermutlich undenkbar. Viel Verkehr herrscht auf dem Schotterweg an der Küste entlang. Pilzsucher von rechts und von links, Strandläufer ohne Ende. Ja, die Letten lieben wohl die Natur, die hier wirklich außergewöhnlich toll ist, und schwärmen an den Wochenenden aus. Und dennoch sieht man nirgendwo Müll, sehr vorbildlich.

An einem Abzweig zum Strand werkelt ein Mann an seinem Haus herum. Davor liegt ein riesiger Haufen gespaltenes Holz. Uns fehlt welches für ein Lagerfeuer. Ich spreche ihn an, er spricht ein paar Brocken Deutsch, habe er in der Schule gelernt, und nach Hand-Fuß-Kommunikation versteht er mich. Ja, er würde mir paar Holzscheite geben, und sehr verwundert und verdutzt packt er ein Bündel und gibt es mir - ohne ein Lächeln. Er will nichts dafür haben. Ich weiß nicht, aber es würde mich nicht wundern, wenn er morgen noch darüber den Kopf schütteln würde.

Unterwegs an einem kleinen Platz am Meer steht ein alter Magirus Deutz, ein tolles Vehikel. Wir halten und kommen mit den Mitcampern ins Gespräch, die auch Marokko-Fahrer sind, natürlich, denn solch ein Gefährt muss in die Wüste. Lange sitzen wir zusammen auf der Bank und erzählen miteinander. Ein sehr schönes amüsantes Geplaudere, zu dem uns auch noch Kaffee serviert wird. Falls Ihr das lest, Ihr da aus MOL, dann ganz liebe Grüße und tolle Erfahrungen auf Eurer Reise durch Finnland. Für uns geht es erstmal zurück zum Womo. Sonne sitzen, Teilchen essen, Möwen gucken, Wellen lauschen.

Und morgen geht es weiter nach Estland, die online-Registrierung erledige ich. Und der Abend kommt, mit Wims leckerem Blumenkohlauflauf im von ihm noch nicht so geschätzten Omnia. Mal sehn … und er ist köstlich, kann jedenfalls mithalten mit dem erneut phantastischen Sonnenuntergang.