Umgebung


Am Fuße und auf den Höhen der Steilküste


Am westlichen Ende im Ortsteil Redewisch, wo man auf einem kleinen Platz die Räder abstellen kann, geht die Bucht über in die sanft ansteigende recht imposante Steilküste, einem sich über knapp 5 km hinziehenden Küstenstreifen, ein bis 35 m hohes Relikt aus der letzten Eiszeit, das sowohl direkt am Strand entlang als auch oberhalb des Küstenverlaufs herrliche Rad- und Wanderwege bietet, allerdings unterwegs keine Pfade vom Strand hinauf bzw. von den Klippen hinunter. Man steckt in purer Natur und unberührter Landschaft, wild, ursprünglich, etwas für diejenigen, die solche Gegenden schätzen. Man kann Uferschwalben bewundern, die die Steilküste als sicheren Nistplatz auserkoren haben und ebenso Kormorane, die sich gern mit ausgebreiteten Flügeln auf den zahlreichen großen Steinen oder den Holzpfosten in der Ostsee niederlassen und herumlümmeln, um ihr Gefieder vom letzten Tauchgang zu trocknen. Riesige, teilweise von Algen in Besitz genommene Findlinge säumen den Küstenstreifen, ein steinerner Gruß aus der letzten Eiszeit. Jetzt im Frühjahr sieht man die natürlichen Abbrüche der Steilküste, sieht tiefe Höhlen, die herausgespült wurden und kann, so lasen wir, mit etwas Glück Fossilien und Bernstein finden. Etliche abgestürzte Bäume lassen ahnen, mit welcher Kraft die Natur hier zugange sein kann. Nach wie vor ist die Steilküste ein gefährdeter und gefährlicher Ort, der den Gewalten von Wind, Wasser und Wellen ausgesetzt ist. Vor immer wieder vorkommenden gefährlichen Abbrüchen warnen Hinweisschilder, denen man gewissenhaft folgen sollte. Glücklich und zufrieden ohne Schäden davongekommen, verlangt dieser Spaziergang durch die wilde Küstenregion nach einer Stärkung. Da kommt die Fischbude gerade recht und schützt uns zugleich vor einem niederprasselnden Regenschauer. Gute Fügung, was sich leider nicht auf die Qualität des Backfischs in brötchenähnlicher Ummantelung bezieht. Besser wäre es, es hätte die Konsistenz der beiden älteren Fischverkäuferinnen, aber nur, wenn man „spröde“ gutwillig mit „knusprig“ übersetzen würde. Recht schnoddrig widmet man sich in der Bude seiner erwerbsmäßigen Arbeit. Recht fade und schlecht ist der Fisch. Wie der Herr so das Gescherr … oder: da sollten sie sich mal eine Scheibe von einer holländischen Backfischbude abschneiden, aber eine gehörige. Träumend vom echt holländischen und immer „lekkeren Lekkerbekje“ ziehen wir nach Schauerende wieder weiter, wohlwissend, dass uns auch ein noch so miserables Fischbrötchen nicht runterziehen kann. ;-)

Wir radeln an einem der nächsten Tage - heute natürlich ohne die früher nötige staatliche Genehmigung - hinter Redewisch dem Küstenverlauf folgend über den Haubenweg hinauf auf die Höhen der Steilküste. Naturliebhaber kommen hier oben voll auf ihre Kosten im ehemals zu DDR-Zeiten hermetisch abgeriegelten „Schutzstreifen“ mit versperrtem Zugang zur Ostsee. Dort auf dem Plateau ziehen sich große Ackerflächen zur Ostsee hin. Sie liegen wie ein Teppich. Über schmale Feldwege kann man mit geländegängigem Rad bis zur Abbruchkante der Klippen fahren. Faszinierend schön, glasklar und in allen möglichen fast karibischen Farben liegt einem die Ostsee schillernd zu Füßen. Wirklich sehenswert, man könnte verweilen, sich im magischen Anblick verlieren, wenn einen nicht wie gerade jetzt ein schneidiger eiskalter Wind umwehen und an allem und jedem hindern würde. Bevor wir uns nun aus sprichwörtlich heiterem Himmel den nächsten April mäßigen Hagelschauer einhandeln, einen hatten wir auf dem Weg hierher schon, brechen wir aus dieser phantastischen Szenerie aus, treten in die Pedale und den Rückweg an. Ein zweiter Besuch wird sicher möglich sein. 

Und so ist es, Versuch Nr. 2 wird heute gestartet. Das Wetter ist einfach himmlisch, blitzeblau, ein Tag fürs Marmeladenglas, zum Einwecken perfekt, reif und voll und herrlich, einer, der gepflückt werden muss, der Sinnbild für unseren Namen „Tagpflücker on tour“ ist. Aber auch der Wind lässt sich nicht lumpen. Steife Brise? Ja, heute lernt man sie kennen. Aber es tangiert uns nur peripher, na ja, solange wir uns im Fahrradsattel in geschützten Lagen herum trollen. Und wehe, es geht hinauf, da muss man, vorbei an vor sich hin bröselnden militärischen Betonruinen, die sich die Natur nach und nach einverleibt, voll konzentriert den Lenker fest im Griff und das Rapsgelb ebenso fest im Blick behalten. Eine Boe, eine Nachlässigkeit … und es darf abgesattelt werden und man findet sich in der Böschung wieder. Wir bewahren die Ruhe und behalten Oberhand. Schön frisch durchblasen huschen wir an strahlend gelben und grünen Äckern mit Ostseeblick entlang, genießen die ländliche Gegend, hoppeln über manche Kuppe und landen in Sternbeck, also am anderen Ende der Boltenhagener Steilküste von Redewisch aus gesehen. Oha, hier tut sich aber nach Bezwingen eines steilen, einem hinab plätschernden Bächlein folgenden Betonplatten-Wurzelwerk-Steigs Grandioses auf: Ostsee-Bilderbuch vom Feinsten. Tiefblaue See, mit Schaumkrönchen verzierte Wellen blitzen mit dem Weiß der zahlreich dahin schaukelnden Schwäne um die Wette, urig und wild zieht sich nach rechts und links ein sandig-steiniger Strand dahin, von hohen zerfurchten Küstenklippen mit altem zerzausten Baumbestand begrenzt, so weit das Auge reicht. Dekorativ, wenngleich auch zerstörerisch, liegen gefallene große Bäume am Strand und gestalten gemeinsam mit unterschiedlich riesigen eiszeitlichen Felsbrocken ein malerisches Bild. Ein Gesamtkunstwerk, begehbar, fast menschenleer. 

In solch einer Natur bewegt man sich gerne, spürt kaum Rücken, Hüfte oder Knie, latscht und latscht weltvergessen und freut sich des Lebens. Aber wiedermal ist unsere Chianga maßgeblich daran beteiligt. Auch sie genießt ausgiebig, und wir gleich mit. Die Hundemenschen unter uns wissen, welche Wallungen die Herzenswärme beim Anblick des begeisterten Hundes in einem verursacht. Dagegen ist die heute leicht rebellisch dahin wogende Ostsee ein läppisches Fußbad. 

Wie an manch anderen Stellen der Bucht rund um Boltenhagen, finden wir auch hier einen angeschwemmten Blumenstrauß. Hatten wir bisher bei Sichtung einzelner Rosen noch nicht unbedingt daran gedacht, so sind wir aber jetzt sicher, dass es letzte Grüße anläßlich Seebestattungen sein könnten. Gedanken an Endlichkeit begleiten uns auf unserer Weiterfahrt am Meer entlang Richtung Travemünde, erstaunlicherweise bergauf und bergab. Bald kehren wir wieder um, treffen das „Carolinchen“, die Boltenhagener Bäder Bahn, die einen zu den schönsten und interessantesten Ecken, die man nicht mit dem Auto erreichen kann, bringt und fahren in einem Rundkurs unmittelbar an den Rapsfeldern vorbei hinunter in Richtung Boltenhagen, genehmigen uns im auch sonntags geöffneten Edeka ein Stückchen Kuchen, zum Tag passend mit rapsgelbem Fruchtspiegel, das zunächst vorm Womo, dann aber wegen zu frischem Wind im Womo ausgezeichnet schmeckt. Ein Tag „ins Blaue“ und irgendwie „das Gelbe vom Ei“. 


Tarnewitzer Huk - Zugang verboten


Die Tarnewitzer Huk gehört zu den bekanntesten Sehenswürdigkeiten in Boltenhagen. Die zwischen der Boltenhagener Bucht und der Wohlenberger Wiek gelegene Halbinsel ist ein wichtiges Naturschutzgebiet der Region, das man am Ende des Hundestrands erreicht, das aber nur von Naturforschern betreten werden darf. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts diente das Gebiet als militärische Übungsfläche, heute schenkt es Vögeln, Amphibien, Blumen und Kräutern einen sicheren Lebensraum. Bei Ebbe bietet die Tarnewitzer Huk aus der Ferne einen beeindruckenden Blick auf das Watt. Eine perfekte Mischung aus Sightseeing und Geschichtsstunde, so konnten wir irgendwo lesen, aber da ein Durchstreifen nicht erlaubt ist, müssen wir es ungesehen glauben.


Weiße Wiek


Yachtwelt, Resort, Traum in Weiß … solche Begriffe schüren schon Neugier auf den unmittelbar an das Ostseebad Boltenhagen angrenzenden Ortsteil Tarnewitz an der Wohlenberger Wiek, ein Urlaubsdomizil für Segler, Wellnessurlauber und Familien, so wird es beschrieben. Auf dem früher von der Nationalen Volksarmee als Stützpunkt genutzten, etwa 12 Hektar großen Gelände, auf dem das DDR-Militär Stellung hatte und sich ein Fliegerhorst der Wehrmacht befand, scharen sich heute mehrere Hotels, ein moderner Yachthafen sowie zahlreiche weitere Einrichtungen wie Strandkorbvermieter, Tauchschule und Bootsverleiher um den sehr überschaubar kleinen Ostseestrand, nachdem das Gelände, das sich nach der Wende zum Naturschutzgebiet entwickelte, von einem Investor aufgespürt und gekauft wurde. Gesucht und gefunden wurden in der Folge Geldgeber, und die Neugestaltung konnte mit an die 100 Millionen € auch dank angeblich 55 % Moneten aus privaten Schatullen und mit Fördergeldern von Land, Bund und EU gewuppt werden. So finden sich hier mittlerweile jede Menge maritime Vergnügungsmöglichkeiten, eine sehr lange „Mecklenburger Promenade“ und eine Marina mit 350 Liegeplätzen. Nicht schlecht, Herr Specht, aber … es mag an der Jahreszeit und einem etwas „zugezogenen“ Tag liegen, aber der Radausflug dorthin lässt einen etwas zwiespältigen Eindruck zurück. Irgendwie pendeln wir zwischen „Plattenbau“ und „Schweden“. Eigenartig ist es dort nach unserem Empfinden. Steril trifft urig. „Gewollt und nicht gekonnt“, ja, so könnte man es auch nennen. Atmosphärisch ist wenig bis kaum etwas spürbar. Aber die Häuschen, doch doch, die schnuckeligen rot gestrichenen Holzhäuschen am Holzsteg, die ehemals weiß gestrichen waren, um die sich Fischereibetrieb schart, was ein schönes Gefühl auslöst und eine wirkliche Naturverbundenheit, ja, das reißt die ganze Kulisse hier mächtig raus, auch wenn der imposante, vor Anker liegende Katamaran noch so dominant seinen Mast hoch hinauf in den Himmel schiebt, er bleibt Nebensache. Auch lohnenswert stellt sich ein Besuch an einem sonnigen Tag auf der Restaurantterrasse mit Blick auf die Schwedenhäuschen heraus. Passend zum Sonntag lassen wir uns Muscheln und Fischfilets servieren. Ein Genuss!


Schloss Bothmer 


Ein Stückchen England in Mecklenburg, so heißt es. Und das wollen wir heute per Rad entdecken. Hans Caspar von Bothmer, ein Graf mit abenteuerlichem Lebensweg, ließ sich ab 1726 diese prachtvolle Anlage im Klützer Winkel errichten. Über sehr holpriges grobschlächtiges Pflaster rumpeln wir mit den Rädern durch den Ortskern des Städtchens Klütz. Chianga in ihrem Hundeanhänger hat ganz sicher Kutschenfeeling und wird glücklich sein, auf ihrer viscoelastischen dicken Auflage zu liegen, die hoffentlich einige Querschläger abfängt. 

Bald geht es aber ruhiger zu und nach rechts ab auf eine geschotterte Allee, von der aus auch schon flott Blicke freigegeben werden auf eine idyllische Parkanlage, eine Insel, umgeben von einem geschlossenen Wassergraben nach niederländischem Vorbild und ein prächtiges Schloss mit etlichen Nebengebäuden, ein Denkmal im Stil eines echten englischen Country Houses, das sich der Graf, der auf dem Gipfel seiner Karriere als erster Premierminister in London „10 Downing Street“ lebte, hier erschuf und damit eben ein Stückchen England hierher brachte. Unsterblich sollte die Erinnerung an ihn sein. Darum bemühen sich seit 300 Jahren sein hoch über dem Eingang prangendes Wappen, seine Initialen und sein Motto in goldenen Buchstaben: „Respice Finem – Bedenke das Ende“. 

In dieser barocken Zauberwelt lebten hier die Grafen von Bothmer bis 1945. Nach dem Krieg wurde daraus ein Altenheim. Erst im Jahr 2015 mauserte sich die Gebäudepracht nach aufwendigen Baumaßnahmen zum Ort der Kultur, bietet, wie wohl ehemals, Ruhe und Idylle, eine grüne Kulisse für Konzerte, ein Museum, Café, Restaurant und viel Raum für Begeisterung und Lustwandelungen tausender Besucher. Und spätestens dann, wenn einen von der Seite ein pappkameradiger King Charles zu begrüßen scheint, steckt man im Schlossladen. Hier ist man - mit voller Breitseite - einem großen, witzig-skurrilen Sortiment mit vielfältigen original englischen Besonderheiten ausgesetzt, durch das sich vortrefflich stöbern lässt. Fragen? William und Kate stehen gerne zur Seite. 

Unerwähnt lassen darf man in keinem Fall die zur Schlossanlage gehörige wunderschöne Festonallee, eine der bekanntesten Sehenswürdigkeiten des Landes. Bei einem Spaziergang lässt sich das Zusammenspiel von barocker Architektur und Landschaftsplanung in besonders beeindruckender Weise erleben, sagt man. Versäumen sollte man daher nicht, den 270 m langen Hohlweg zu durchschreiten. Geht man dann auf die Schlossanlage zu, geben die flankierenden Bäume zunächst nur den Blick auf die prächtige Mittelachse des Haupthauses frei, mit jedem Schritt aber erweitert sich das Sichtfeld auf den Ehrenhof und die Gebäudepracht, ein Paradebeispiel barocker Inszenierung, das seine Wirkung nach 300 Jahren immer noch voll entfaltet. 


Gedenkstätte Cap Arcona


Ein nächster Radausflug führt uns zum Friedhof in Klütz, wo wir von einem vorwitziges Eichhörnchen begrüßt werden. Wir wollen das Mahnmal zur Erinnerung an 7000 Opfer eines der größten Schiffstragödien der Geschichte besuchen, die sich in den letzten Kriegstagen des Zweiten Weltkrieges in der Lübecker Bucht ereignete. Mehr als 6000 KZ-Häftlinge kamen dabei am 3. Mai 1945 ums Leben. Sie wurden Opfer eines folgenschweren Irrtums: Weil sie an Bord deutsche Truppenverbände vermutet, bombardiert die britische Luftflotte in ihrem letzten Großangriff Schiffe auf der Ostsee, darunter auch das ehemalige Kreuzfahrtschiff "Cap Arcona" mit Tausenden von der SS auf das Schiff getriebenen KZ-Häftlingen an Bord. Scheinbar sollten die Häftlinge weggebracht werden. Vieles deutet aber darauf hin, dass die Nazis planten, den Dampfer mit seiner "Fracht" auf Hoher See zu sprengen. Die "Cap Arcona" wurde nämlich nur mit wenig Treibstoff betankt, und es gab kaum Rettungsboote. Die Briten trafen die "Cap Arcona", die damals nach ihrem Stapellauf am 14.05.1927 als eines der schönsten Schiffe ihrer Zeit galt und auf über 90 Reisen an die 200.000 Luxusreisende und Auswanderer im Liniendienst ab Hamburg vorwiegend nach Südamerika beförderte, mit 64 Raketen. Zahlreiche Friedhöfe und Gedenkstätten erinnern bis heute an die 7000 Opfer. Nach solchen Vergegenwärtigungen tut das Radeln durchs blühende Wiesenland und das Eintauchen ins Dörfchen Tarnewitz mit auch hier wieder typisch sehr vielfältigen Hausansichten, wie ein „Büttchen Buntes“, richtig gut.