von Asilah nach Mehdya


Tag 9 - 23.01.2023 Montag

Lagen wir gestern noch im Schlamm, liegen wir heute am Pool. Tja, solche Gegensätze bieten sich einem sehr schnell, ist man mit Womo unterwegs. Nicht nur in Marokko. Aber erstmal langsam. Unser morgendlicher Aufbruch vom CP in Asilah mit V+E ist zackig vollzogen, d.h. Chianga und ich lassen ver- und entsorgen und hüten währenddessen aufopfernd unser Concördchen. Unerklärlich bleibt, wie ein Schweizer Kawa Wasser mit einem Schlauch, der einfach im Dreck an der Kassettenentsorgung liegt, in seinen Tank füllen kann. Manchmal verschlägt es einem die Sprache, ohne ein Sauberkeitsfanatiker zu sein. 

Das Wetter ist herrlich, unser Ziel heute liegt in knapp 200 km, keine so lange Fahrt, so dass wir sicher die Sonne noch genießen können. Das schöne Asilah verabschiedet sich und die erste Baustelle lauert. Galant lotsen uns Warnwestenmänner durch die Engstellen. Ja, so kennen wir auch das. Da noch etliche Baustellen auf dem Weg liegen, nehmen wir die AB. Die Gegend ist hier im Verlauf ohnehin nicht so anregend. Allerdings könnte man schon eine Portion Erdbeeren vertragen, denn die sind wohl reif und werden von emsigen Arbeiterinnen geerntet.

Ansonsten reihen sich große Flächen mit Treibhäusern aneinander und überziehen das Land. Auffällig ist die Sauberkeit drumherum. Kaum etwas liegt oder fliegt in der Gegend, alles verhältnismäßig müllfrei. Von unserem jüngsten Sohn, der in der Fruchtimportbranche tätig ist und auch von Betrieben aus Marokko beliefert wird, wissen wir, dass zum Teil sehr strenge Reinlichkeitsvorschriften gelten, was z.B. die Außenanlagen angeht und auch innerbetrieblich. Einige Unternehmen haben sogar Personal eingesetzt, das darauf achtet, dass vor jedem Kontakt mit Produktion bzw. Waren die Hände gewaschen werden. Käme mal eine Kontrolle aus Deutschland vorbei oder gäbe es Beanstandungen, dann wäre der Lieferant schnell raus aus dem System, was sich keiner erlauben kann. 

Aber hinter Wohnsiedlungen zur AB hin sieht es gewohnt schlimm aus. Da spielen die Kinder im Müll. Scheinbar sind Lösungen dafür immer noch nicht in Sicht. Gerade in der Gegend um Mouley Bousselham in dieser wunderschönen Lagunenlandschaft sammelt sich unendlich viel Dreck und Müll, obwohl - oder gerade weil - die Region sehr fruchtbar ist und überall beackert wird. Störche begleiten uns wiedermal. Viele Menschen, die mit Fuhrwerken oder zu Fuß am Fahrbahnrand unterwegs sind, winken und grüßen schon von weitem. 

Bald fahren wir in Kenitra von der AB ab, überqueren den breiten Fluss Sebou und durchfahren die große Stadt quer auf der N1. Wim schwimmt entschlossen und energisch im Gewühle mit. Wahnsinnig viele Menschen, für unser Empfinden, sind unterwegs. Alles drängelt sich auf Fahrspuren und Gehsteigen. Knoten aus Blech rollen auf Kreuzungsbereiche zu. Es entwirrt sich alles. Es gibt kein Gebrülle, kaum Gehupe, keine Streitereien, keine Stinkefinger, keinen Crash. Das hat uns in Marokko schon häufig begeistert. Solche Situationen eskalieren in Köln, auch schon ohne Esels- und Handkarren. Da gehn sich spätestens nach 5 Minuten mindestens 2 an die Gurgel, sofern die Autotür in der Enge noch geöffnet werden kann. Hier liegt Null Aggression in der Luft. Hinzu kommt, dass Wim im Jonglieren unseres Vehikels schon recht viel Erfahrung hat, so dass auch wir sehr gelassen unseren Weg machen können, Navi-los mit mir als Richtungsgeberin. Unseren Navi-Rüdiger haben wir erstmal mehrere Wochen vom Dienst suspendiert und auf Fortbildung geschickt. 

Zum Atlantik hin an der Mündung des Sebou liegt der Ort Mehdya, quasi eine kleine Ferienstadt mit vielen Appartements, Hotels und einem CP. Es geht vorbei an einer Kasbah, über zwei steile Dünenhänge und schon sind wir an Ort und Stelle.

Etwas steril wirkt die Einfahrt zum CP, so klinisch rein, gestelzt. Auch die ganze Anlage ist durchgezirkelt. Nur ganz wenige Womos stehen auf dem sehr ordentlichen Platz. Wie auf dem Präsentierteller liegt ein großer Pool in der geschotterten Fläche. Auf einer der rundum liegenden Parzellen parken wir ein und werfen schon mal direkt zwei Handtücher auf zwei Poolliegen. ;-) Natürlich nicht! Denn die Mitcamper aus England, eindeutig in der Überzahl, wollen schließlich auch. Aber letztlich ist Wim nach Sonnenbaden bei mittlerweile 23 Grad der einzige Schwimmwütige in der großen Runde, wenn auch nur kurz, denn das Poolwasser hat sehr sehr deutlich darunter liegende Temperatur. Wir werden sehn, ob wir morgen nochmal „baden gehen“, Entdeckungstour per Rad steht an. 

Tag 10 - 24.01.2023 Dienstag

What a day … for a daydream. Ja zum Beispiel. Heute lassen wir es mal trödeln. Auf unseren ausgesprochen ordentlichen CP rollten gestern im Laufe des späten Nachmittags und Abends noch jede Menge Womos ein, ebenso ist heute morgen bei vielen Weiterreise angesagt. Wir nehmen den ersten Kaffee des Tages draußen mit Poolblick. Zuhause ist alles verschneit. Aber Haus steht noch, wird uns von der Familie gemeldet. Wir können also noch bleiben. Ist doch immer schön, so unterwegs solche Nachrichten von zuhause zu bekommen. Locker flockig starten wir zur Radtour. Zunächst nehmen wir direkt um die Ecke die breite Promenade am Atlantik entlang. Ein breiter Strand zieht sich weit nach links dahin, rechts liegt der Mündungsbereich des Sebou. Unter Sonnenschirmen haben sich die ersten Familien schon eingenistet am Strand und der Kamelführer erwartet die ersten Kunden. Ein gigantisches Spieleparadies ist momentan verwaist. Aber Breite der Promenade und der Straße und Größe der Spielmöglichkeiten deuten darauf hin, dass hier zu Ferienzeiten der Marokkaner ganz gut was gebacken sein wird. Hier tobt der Bär. Im Moment nur die Hunde, die allerdings kaum, sie liegen vielmehr ruhig, da sehr nachtaktiv wie wir hörten, an den warmen Mauern im Sonnenschein, dösen und riskieren allenfalls einen müden Augenaufschlag.

Nun geht es steil bergan vom Meer weg Richtung Vogelschutzgebiet in der Nähe. Die Polizisten am Ortsausgang zeigen uns noch den besten Weg, und der Lac Sidi Bou Gharba blinzelt schon hier und da blau durchs Gebüsch. Auf asphaltiertem Sträßchen lässt sich im warmen Sonnenschein perfekt radeln. Hin und wieder machen wilde Hunde auf sich aufmerksam, folgen uns ein paar Meter, aber suchen beim bloßen Hingucken schon das Weite. Es sind überwiegend schöne schmale kniehohe Hunde, sandfarben oder gestromt, alle einem Ridgeback sehr ähnlich, nur erheblich zarter. Ansonsten zeigen sich nur ein paar Enten auf dem Weiher. Aber es soll hier im Naturschutzgebiet viele Vogelarten geben, denen wir allerdings auch mangels Erfahrung und Interesse nicht auflauern werden. Da weckt schon der lauschige Eukalyptus-Wald mit seinen vielen Picknickbänken und die weiß blühenden Ginsterbüsche mehr die Sinne. 

Am Ende des Weges liegt ein Parkplatz. Hier machen die Männer, die aufgesammelten Müll in Säcken am Straßenrand bereit gestellt haben, eine Pause unter hohen Bäumen. Wir ebenfalls mit einem leckeren glühend heißen Kaffee aus der Kofferraum-Produktion einer Marokkanerin. Etliche Besucher sind da, beobachten, fotografieren, filmen ihre Kinder, spazieren herum, laden Kofferräume aus, richten großflächig mit Planen auf dem Waldboden Picknickplätze her und bereiten ihre Tajine vor, um sie auf einem Feuer an zentraler Stelle zu garen. Immer mit im Gepäck ist ein Ball. Tja, Fußball … wohl seit der WM der Sport schlechthin, der ja schon immer heiß geliebt war. Überall in den Gassen sahen wir bisher die Jungs mit unermüdlicher „Arbeit“ am Ball, Tricks übend, und das alles in ausgelatschten Badeschlappen, meist einige Nummern zu klein oder zu groß, aber wildentschlossen.

Auf dem Rückweg landen wir im oberen Teil des Örtchens, fahren in die tiefe Senke und nehmen im Kreisverkehr die Abfahrt unterhalb der alten Kasbah-Mauern zum Fluss. Die Straße wird gerade neu gemacht, ist sehr breit und führt am Ufer zu ein paar Buden, hinter denen Fischerboote liegen. Menschen wuseln herum. Wir werden aufgehalten, quasi abgefangen. Im dunklen Eingang einer Bude steht ein grimmig guckender bärtiger junger Mann, schimpft eindeutig in meine Richtung. Ja, ein Foto, das ich in die Menge schoss, passte ihm wohl nicht. Daraufhin kommt eine Frau herbei. Sie fragt mich kurz, aus welchem Land ich komme, freut sich total, als sie „Deutschland“ hört und schimpft ihrerseits in Richtung Bärtigem, nimmt mich in den Arm, bedeutet dem Bärtigen, er solle sich schleichen und führt mich in eine Bude. Innen öffnet sich ein großer Raum mit vielen ordentlich aufgereihten, bunt gedeckten Tischen und Bänken, alles sehr einfach, seitlich zieht sich eine lange blau gestrichene halbhohe Theke, aus der es qualmt, und hinter der mehrere Männer und Frauen mit dem Grillen von Fisch beschäftigt sind. Während ich so gucke, lässt die Frau ein Tablett mit Teekanne und Gläsern auf einem Tisch für uns richten und schiebt mich auf die Bank. Sie zitiert draußen noch einen „Parkwächter“ für unsere Räder herbei, Wim entlohnt ihn mit 5 Dirham, erhält sogar eine Quittung, und folgt mit zum Tisch. So, nun setzt sich die Frau zu uns, erzählt uns alles Mögliche, Familie, ihre Arbeit, und gießt uns Tee ein. Kurz darauf bringt ihr Sohn uns die erste Ladung gegrillten Fisch und Brot dazu. Die Frau, sie heißt Nadime, zeigt uns, wie man die Fische verspeist. Alles mit den Fingern. Die Fische schmecken köstlich, leckeres Salz und vermutlich Zitrone machen sie wahnsinnig saftig. Wir zupfen herum, Nadime greift gelegentlich ein, filetiert, wir genießen. Währenddessen kommen viele Marokkaner zum Essen, man setzt sich einfach und erhält eine Ladung Fisch. Ein Mann bietet uns frische Krabben an, gigantische zappelnde Tiere, wir lehnen aber dankend ab, was kein Problem für ihn ist. Ehe wir uns verabschieden können, wird die zweite Ladung Grillfisch geliefert. Nix nix, hier wird nicht gegangen wann man will. Nadime, deren Leben ganz gewiss unzählige Geschichten erzählen könnte, wirkt sehr couragiert, selbstbewusst, liebevoll zupackend. Es macht Spaß, so mit ihr da zu sitzen, einfach so, sie isst mit uns, brauchte wohl die Gesellschaft, und umarmt und küsst mich zum Abschied. Wir schaffen es nämlich tatsächlich wieder raus aus der Bude. Irgendwie ist alles noch etwas „ungewohnt“, ersehnt, aber auch „peinlich“, man will sich nicht daneben benehmen, keinen vor den Kopf stoßen, sucht aber auch die Nähe zu den Menschen, und steht, wenn man sie bekommt, noch leicht dumm und nicht ganz selbstverständlich gegenüber. So will sie z.B. keinen Pfennig haben. Aber Wim lässt 40 Dirham in ihrer Bademanteltasche verschwinden. Ebenso energisch, wie sie mich reinholte in die Bude, so bestehe ich darauf, dass sie ihren Lohn für ihre Gastfreundschaft annimmt. Das wird Allah so hinnehmen müssen.

Draußen wieder in der Welt, fragen uns ein paar Marokkaner nach dem Preis für unsere Räder. Sie haben sich darüber wohl schon unterhalten, und der Mutigste geht voran. Wir geben ehrliche Antwort. Natürlich ein unsagbar hoher Betrag, den sie nun verdauen müssen. Aber drumherum lügen ist nicht unser Fall. Wir betonen aber auch jetzt wieder, dass auch ein ganzes langes Arbeitsleben dahinter steckt und nichts vom Himmel gefallen ist. Auch solche Situationen sind irgendwie beklemmend. An den Umgang damit muss man sich gewöhnen. Der Meerwind verweht auf der Rückfahrt das Belastende, und die Nachmittagssonne erledigt am Womo den Rest. Für heute genug erlebt. Morgen geht‘s weiter.