Montag 12.08.2019
Auch wenn es am Himmel hell ist, verdunkelt sich Wims Stimmung, er kommt mit den Hunden vom Gassigang zurück, und der Brotmann war nicht an seinem Platz. Ohne frisches Baguette fällt es Wim schwer, Fahrt aufzunehmen, jedenfalls keine in die richtige Richtung. Dank Backofen im Womo können wir aber zwei Stangenbrotstücke von vorgestern aufbacken, die mit bisschen gutem Willen wie frisch schmecken. Gerettet! Wasser wird gebunkert, praktisch ist es, sowas am Platz zu haben. Hier war früher mal ein CP, den hat man irgendwann aufgegeben, etliche Reihen PKW-Parkplätze daraus gemacht und eben eine lange Parzellenreihe direkt am See für Womos gelassen. Daher diese Vollausstattung hier. Wir packen auf und reisen ab. Unterwegs klart der Himmel auf, wird blau, die Sonne scheint. Ein paar der alten Waschhäuser sehen wir in den Dörfchen, viele Kriegerdenkmäler, Soldatenfriedhöfe liegen versteckt in den Wäldern, im Vorbeifahren blitzt nur die Unmenge der kleinen weißen Kreuze auf, was mir Gänsehaut bereitet.
Wir erreichen das Städtchen Vesoul, und im ersten Kreisverkehr erspähen wir einen Intermarche. Also hin auf eine von etlichen für Womos markierten Parklücken. Das ist ja sowas von praktisch, auch wenn viele Womo-Lücken gnadenlos von französischen Käufern mit ihren PKW belegt sind und werden. Ich denke darüber nach, warum es in mir leicht rebelliert. Große Schilder, kein PKW-Platz, und trotzdem, drauf. Ist das jetzt typisch deutsch? Zu verkniffen? Fehlt mir die Leichtigkeit des Seins? Aber ich hoffe jetzt erstmal, bevor ich dieses Thema vertiefe, dass wir hier irgendwo einen Fahrradschlauch für unseren Anhänger finden. So wird mein Gang in die deutsche Seele unterbrochen, auch weil ich aus dem Staunen über diesen Einkaufspalast nicht mehr rauskomme. Hochklassig, wo man hinguckt, Glas, Chrom und Stahl, dazwischen die Ansammlungen der aufgetürmten Lebensmittel, Feinschmeckerparadies. Man könnte sich den Einkaufswagen so voll beladen, dass ein Helfer ihn zur Kasse schieben müsste. Aber nur das Nötigste wandert rein: Wein, Baguette, Schokocroissants, ein leckeres Focaccia zum Aufbacken, ein großes Glas meiner Lieblingsmarmelade, eine Ladung Dinde Osso buco, die ich schon im Schmortopf mit dem Rest Rosinen im Womo brutzeln höre.
Nachdem alles verstaut ist, kreisen wir durch den Kreisverkehr, und Wim kann in einem Sportladen den passenden Schlauch finden. Zufrieden fällt beim erneuten Kreisen mein Blick auf ein Schild mit CP-Symbol und „Lac“. Kurzentschlossen ist Wim auch meiner Meinung, dass wir einfach stoppen für heute. 200 km sind auch genug. Noch ist es früh am Nachmittag und man hat noch was vom Tag. Rennen wir durch bis Bourg-en-Bresse, ist es Abend und alles gelaufen. Also Blinker raus und Richtung Lac, nur 4 km. Leider ist der Lac zwar schön, aber der kostenlose SP direkt davor, auf den wir uns erstmal bugsieren, weniger. Zur Übernachtung prima, aber um einen lauschigen Nachmittag zu verbringen eben nicht. Wim repariert das Rad, und Einigkeit herrscht heute: wir fahren einfach weiter.
Ich habe in 15 km Entfernung einen kleinen Picknickplatz in einem Dorf am Ufer der Saone gefunden. Wir wollen riskieren, 8 m Womo dort aufzubocken. Und welch ein Idyll erwartet uns nach einigen Kilometern über schmale Landsträßchen wiedermal: ein Träumchen vor dicken Mauern eines alten Chateaus, ein zum Dahinschmelzen lassendes Flussufer, das jeden alten Meister zum Pinsel greifen ließe.
Ruhe und Gelassenheit kehren sofort ein in uns, das muss die Gelassenheit sein, die man hat, wenn man sich, wie eben erlebt, mit PKW auf einen Womo-Parkplatz stellt. Ich schmunzele und begebe mich gedankenverloren auf Fototour, spüre auf der verwitterten alten Brüstung der Brücke einen Gecko auf, der in eine Spalte im Gemäuer huscht, vorbei an einer Fledermaus, deren sterbliche Überreste ich im Rahmen einer sofort eingeleiteten Flussbestattung unter den wachsamen Augen des Saint Nepomucene feierlich beisetze.
Ich liebe diese Kleinigkeiten, während sich unten am Ufer eine Familie mit Angeln und Spielen im Wasser vergnügt, die Kinder Seifenblasen steigen lassen, die hellen, sehr kräftigen Kühe am gegenüberliegenden Ufer gekonnt die steile Uferböschung hinab sacken, um im trüben Flusswasser zu trinken. Schon erstaunlich, wie sie das mit dieser Körperfülle schaffen, ohne total einzubrechen.
In unsere vor Bewunderung offen stehenden Münder wandern an einem der verwitterten Holztische am Flussufer die Schokocroissants, die kein Problem mit dem hinterher fließenden Campari-Orange haben. Welch ein Leben! Nur Stille hört man, nicht mal das leiseste Plätschern, Entenkrütze und Seerosenblätter können wirklich stumm sein, sich tot stellen.
Abends spazieren ein paar Leute herum, ein kleines Hausboot legt an, ein Mann gondelt mit seinem hölzernen Boot vorbei, ein kleiner beleibter Opa verlädt die Räder seiner Enkel auf einem Anhänger, den sein uralter Citroen gesund knatternd davon zieht. Der Chateau-Besitzer mit Sonnenhütchen erzählt uns, dass ein Nebenhaus einem Schweizer und der Turm einem Holländer gehöre, er aber den größten Teil bewohne, zupft das aus dem alten Gemäuer sprießende Grün und wünscht uns bon vacance.
Mit Blick auf die Saone verzehren wir abends stilgerecht eine Terrine au Mirabell, köstlich zu Baguette und Wein. Morgen? Was wird morgen? Abwarten ... und Wein trinken.