von Imilchil nach Aguelmouss


Tag 76 - 31.03.2023 Freitag

Der Lilalaunebär hat zwar gestern Abend nicht mehr angeklopft, auch ihm war die Luft sicher zu dick im Womo, obwohl sie ja in den hohen Höhen des Hohen Atlas, wie jetzt auf 2200 m, schon etwas dünner ist. Besserung der „Paar-Beziehung“ nach dem gestrigen Ritt brachte eine Begebenheit, die ich noch erzählen will, die wir so noch nie hatten. Spät am Abend hören wir ein komisches Geräusch, von hinten kommt ein dumpfes „Blopp“, zwei drei Male, kleine Pause, und wieder ein paar wenige Male. Sofort meldet das Hirn: „Da betätigt einer die Öffner der Klappen!“, zwar vergeblich, sie sind ja abgeschlossen. Nie haben wir abgesprochen, was wir beim Freistehen „im Falle eines Falles“ tun werden, wenn wir „mal was hören“. Aber wir sind ja nicht so die Erdulder, eher die „Nachfrager“. Also mit Taschenlampe und Hundeleine zum Um-die-Ohren-Klatschen bewaffnet nach draußen, die in meinem Bett schon schlafende Chianga angespitzt mit „Hier Chianga, guck, die Bösen kommen!“, die hochschreckt, dem Befehl natürlich perfekt und sofort Folge leistet und laut knurrend und bellend mit nach draußen stürmt. Wir gehen alles ab, Wim leuchtet alles aus, wir hören nix, wir sehen nix, keine Spur. Nun gut, die Lampe ist recht hell, aber natürlich kein Fluter. Und angesichts der bellenden und sausenden Chianga wird der „Anklopfer“ wohl die Beine unter den Arm genommen haben. Bevor Chianga ihn verschluckt, hat es die Dunkelheit scheinbar erledigt. Wir testen ein paar Mal unsere Wahrnehmung, einer sitzt drin, der andere zieht an den Öffnern, eindeutig wird das Geräusch zugeordnet. Aber recht gelassen verziehen wir uns wieder ins Womo, und es wird erstmal alles richtig verrammelt: Zusatzschlösser Aufbautür zu, Klemmstangen an die Schiebefenster vorne rein, Fensterriegel zu, Lenkrad (im Concördchen abnehmbar) aufsetzen, Zündschlüssel ins Schloss, Stufe rein, fertig zum ggf. nötigen sofortigen Abflug. Es tut sich nichts mehr. Wim geht schlafen, Chianga und ich hängen noch rum, aber es bleibt still. Heute morgen kurz vor Abfahrt „bloppt“ es wieder. Ich stehe glücklicherweise neben dem Verursacher: es ist der Gasbrenner, irgendeine Fehlzündung, die sich bloppend bemerkbar macht. Aber die Situation zeigt, wir sollten immer besser achten, obwohl wir der Ansicht waren, wir tun es, meine Güte, man kann sich aber auch in sich täuschen, man ist nie zu alt, um blöd zu sein, so einfache Dinge, wie das jederzeit abfahrfertige Womo beim Freistehen sollte man eigentlich beherzigen. Nochmal alles gut gegangen … und beschämenderweise einen harmlosen Marokkaner verdächtigt … tztztzzzz !

Los geht es mit Erleichterung in diesem Punkt, im anderen, dem jetzt sehr wesentlichen, stellt sich noch keine ein. Die Ungewissheit über den Zustand der vor uns liegenden zweiten Etappe der Route zur Überquerung des Hohen Atlas ist beklemmend. 120 km sind es, also ähnlich wie gestern. Stoßgebet zum Himmel, Gott oder Allah, egal, verbündet Euch! Dann woll‘n wir mal. Nach einem fotografischen Festhalten der phantastischen Spiegelungen auf dem tiefen stillen Lac unter einem tintenblauen Himmel im Hohen Atlas begeben wir uns auf die Piste.

Ohlala, hinauf geht es, aber auf exzellentem Asphalt. Miesmuschelige Unkenrufe meines Fahrers, wie „na ja, mal sehn wie lange es anhält“, beantworte ich mit zuversichtlichem „jedenfalls haben wir die Kilometer schon mal angenehm im Sack“. Nach einigen Kilometern in Sicherheit kommt der Genuss zurück. Die Landschaft ist faszinierend schön, sehr einsam, schroff haben sich rotbraune Gesteinsplatten vor Urzeiten aufgetürmt und durch die Gegend geschoben, mit vereinzelten Schneefeldern gekrönte Häupter blicken erhaben herab auf das Geschehen, ein Esel belebt plötzlich das steinige Bild, ein Motorradfahrer bringt Farbtupfer hinein. Erdrutsche, Felsabbrüche und Gerölllawinen sind hier zeitweise wohl an der Tagesordnung. Vor Steinschlägen und Schleudergefahr wird gewarnt und Ketten sind Pflicht. Der Asphalt hält.  

Ein weites Tal tut sich auf, in das uns reichlich Serpentinen hinab bringen. Knorrige Kiefern halten sich wildentschlossen in Ritzen der wie aufgestapelt aussehenden steinernen Kämme fest, die sich wie Adern durch glatte Felswülste  ziehen. Ein paar Häuser liegen im zarten Frühlingsgrün der austreibenden Bäume. Es könnte eine Birkenart sein. Die vielen schmalen hohen Pappeln wollen noch nicht, der Frühling ist bei ihnen, wie bei den meisten Obstgehölzen, noch nicht richtig angekommen. Einzelne Bäume in Blütenpracht fallen richtig auf. Wie muss das aussehen, so in 1 oder 2 Wochen. Ganz sicher ein beglückendes Bild, wenn all die Blüten an den Bäumchen sprießen am Flussbett entlang, wo es ab dem Abzweig nach Tingarf wie geschmiert läuft bei uns. Viele Gärten sind sorgsam angelegt, Pflanzlöcher für Obstbäume schon vorbereitet. Hier hat man Energie, Motivation, Lust und hoffentlich reichlich Segen und Ernte. Dass Wasser Leben bedeutet, ist nichts Neues. Hier wird es aber sehr deutlich. Kanäle sind angelegt. So haben die vielen Menschen, die uns arbeitenderweise begegnen und winken, wohl zumindest im Moment keine Not am Wasser. Der Asphalt hält. 

Über einen wilden Höhenzug hinweg, wo deutlich die Spuren von Erdrutschen zu sehen sind, kommen wir zum nächsten Flussbett, an dem wir an den wilden Wassern ein Päuschen einlegen. Immer wieder ist es unvorstellbar, dass sich in diesen „Wannen“ tosende Fluten in Täler stürzen. Der Asphalt hält. 

Das Tal wird etwas breiter, für Gartenbau genutzt, und der Ort Taborihte liegt an. Freundlich lachen die Menschen, Kinderhorden sind nicht in Sicht, alles in uns entspannt und entkrampft sich seit einiger Zeit, Reisefreude wird seit morgens auf diesem Stück absolut und voll und ganz „gefüttert“. Der Asphalt hält.

Irgendwo biegt die R317 ab in herrliches Hügelland. Viele Schafherden grasen, grün ist es, Bäume ziehen sich über Kuppen und Senken. Es wird lieblicher, deutlich merkt man, dass der Hohe Atlas mit seiner wilden Natur und seinen massiven Wackermännern hinter uns liegt. Die Täler weiten sich, und wir merken mehr und mehr, dass wir im Mittleren Atlas stecken, dennoch schiebt sich eine gewaltige Canyon-Landschaft rechts neben uns ins Tal. Größere Ortschaften zeigen sich, es gibt sogar Gegenverkehr. Und der Asphalt hält. 

Mittlerweile haben wir uns auf rund 1200 m abgeseilt. Anlaufstelle ist ein als CP in Google maps ausgewiesener Platz, der allerdings, wie aus sicherer Quelle zu erfahren war, keiner ist. Evtl. wollen wir dort übernachten. Aber mal sehn, was sich so zeigt. Die weitere Fahrt verläuft jedenfalls perfekt, ist ein Genuss durch und durch … und der Asphalt hält. 

Zu früh am Tag, um an diesem Platz das Nachtlager aufzuschlagen. Also weiter geht es. Hinter El Ksiba, einer seltsam unstimmig wirkenden Stadt, in der auch, wie in Ifrane, Satteldächer uns unangenehm auffallen, verlassen wir die R317 nach rechts auf die N8. In der ganzen Gegend, die von Olivenhainen und kleinen Ölmühlen geprägt ist, sind wenige Möglichkeiten für Womos. Eine kommt an einem an der Straße liegenden Lokal. Aber auch das behagt uns nicht. Zu trostlos für den sonnigen Nachmittag. Also mal den links unten schimmernden Barrage El Hansali anfahren. Aber denkste, diese Schranke mit „interdit public“ ist wohl der Grund, warum nicht mal in park4night was zu finden ist am See. Schade. Also wenden. 

Nächste Möglichkeit bietet sich auf einem Hof Nähe Aguelmouss in gut 90 km. Die Beschreibung klingt gut. Wim ist prima „beinander“. Sollen wir? Sollen wir nicht? Wir sollen! Hier rumhängen ist heute nicht die Lösung. Dann lieber an Olivenhainen entlang ziehen und an rotbrauer Erde und bewaldeten Hügeln. Ganz andere Bilder zeigen sich als in den letzten Tagen. Alles wirkt frisch und bunt. Gerade die Kontraste machen das Reisen in Marokko so spannend und erlebenswert schön. 

In Khenifra verlassen wir die N8 und fahren links auf die R407. Schon steigt es wieder steil an, und wieder abwärts. Hoffentlich lassen sich die restlichen 30 km gut fahren. Oft genug haben wir erlebt, dass es nach langem Fahrtag noch schnell eine Überraschung in Form eines Tizi Irgendwas geben kann. Kurvig aber einigermaßen im passablen Zustand präsentiert sich die Strecke, so dass wir gut voran kommen, brauchen aber trotzdem über eine Stunde. Dennoch ist es herrlich, durch diese Gegend zu ziehen im späten Glanz der Sonne, die die Hügel, Felder und Wälder so warm bescheint und ganze Kuppen voller Lavendel und Wiesen voller Mohnblumen zum Strahlen bringt. 

In Aguelmouss ist Souk. Geschäftig wimmelt es in den Straßen und Gassen. Jede Menge Menschen sind auf den Beinen. An den Brotständen herrscht irrer Betrieb. Noch ist es hell, aber bald darf gegessen werden, daher muss man rechtzeitig und viel einkaufen. Das spürt man deutlich. 

Noch ein paar Kilometer über die R712, und wir kommen an auf der Agate Farm eines Deutschen und seiner marokkanischen Frau. Schön liegt ein Haus vor einer Oliven- und Obstplantage, die sich an einem Hang hinauf zieht. Es könnte auch in der Toskana sein. Eine kleine Anfahrt hinauf, und wir stehen am Torbogen. Von irgendwoher grüßt eine freundliche Stimme. Wir schlüpfen durchs Tor, und der Hausherr zeigt uns den gut angelegten Platz in den Wiesen. Blümchen blühen, Bäume blühen, blauer Himmel, Sonnenschein, Ruhe, schön. Hier halten wir es erstmal aus. 

Tag 77 - 01.04.2023 Samstag

Tag 78 - 02.04.2023 Sonntag 

Kein April-Scherz: An beiden Tagen geschieht nichts oder kaum etwas. Chianga hat endlich mal wieder Grashalme um sich, auf die sie sich mit Hingabe stürzt und abweidet wie ein Kälbchen. Ein Hahn stolziert und Hühner gackern herum, es kommt sogar vor unseren Augen zum Äußersten in der Hitze des Tages. 

Der Hirte hütet seine Schafherde zwischen den Olivenbäumen, leise dreht der Beregner seine Runden und der Mond schweigt still. Schmetterlinge sieht man kaum, der Wind trägt immer mal den starken Duft von Orangenblüten herüber, sehr förderlich bei der Verarbeitung der doch sehr erkenntnisreichen Erfahrungen der letzten Tage und Kilometer. Steckt man drin, hier in Marokko, fließt man mit, braucht dann aber immer mal ein oder zwei Tage zum Einordnen, Begreifen und Verdauen all der Bilder. 

Auch das Bild der wunderhübschen kleinen Hündin gilt es zu verdauen. Wieder aus dem Nichts kommend gesellt sie sich zu uns, abwartend, beobachtend, liebenswert, zärtlich und dankbar für jede Streicheleinheit, die sie in vollen Zügen genießt. Die kleine Beldi-Dame ist unfassbar süß, tut exakt das, was Chianga auch tut, die beiden beobachten sich eigentlich nicht, nehmen aber zu 100 % alles voneinander wahr. Sie humpelt leicht, hat wohl irgendeine Verletzung am Vorderbein. Sie scheint aktuell nicht mehr zu säugen, aber irgendwo in den Wiesen schlendert noch ein Winzling, der sich aber überhaupt nicht dazu traut. Ich könnte heulen … über vieles. 

Ich schreibe etwas herum, sichte, sortiere und sichere Fotos, stundenlang, und Wim dreht eine Runde durch den Ort in 7 km Entfernung. Eine Tüte Gemüse ist wieder mal fällig, Brot und Wasser, aber Filtertüten sind leider auch hier nicht zu finden, da hilft uns unser Gastgeber weiter, was sehr freundlich ist, er brüht nämlich auch noch „old school“ seinen Kaffee auf. Außerdem müssen mal Besen und Putztücher geschwungen werden, dringend nötig, sonst schließt uns das Gesundheitsamt unsere Kiste. Man kann ja auch nicht immer nur faulenzen … und den Blümchen beim Wiegen im Wind zuschauen und auf den Sonnenuntergang warten.