Walcheren - Vrouwenpolder > Domburg > Veere


17.10.2022 Montag

Ganze überschaubare 50 km trennen uns vom nächsten Ziel. Der Regen lässt nach und ist nach wenigen Kilometern nach Verlassen unseres schönen Fleckchens in Hansweert weg. Hoffnung besteht, dass es nun trocken bleibt. Über Landsträßchen, gesäumt von hohen alten Bäumen, die vom steifen Meereswind schief gedrückt dicht am Straßenrand stehen, bei deren Anblick man denkt, man sei besoffen, erreichen wir unser Ziel, einen Minicamping zwischen Vrouwenpolder und Domburg direkt am Natuurgebied Oranjezon.

Wir rollen langsam über Backsteinpflaster in die Einfahrt eines Bauernhofs hinein, werden von der Frau des Hauses freundlich begrüßt und wählen nach Begehung der drei gepflegten, aber leicht „schwammigen“ Campingwiesen, auf denen einige Camper und Ferienhäuschen stehen, doch lieber den gepflasterten Bereich. Hier stehen wir zwar nicht so grün, aber fest. Und der Blick auf das schöne alte Backsteingebäude mit dem wunderschön verzierten Dachabstand entschädigt für das fehlende Wiesengrün. 

Einen Blick werfe ich in die Waschhäuschen. Alles ist super ordentlich und freundlich ausstaffiert. Die liebevoll einfach dekorierten Ecken rund ums Haus verströmen ganz viel Ruhe und Heimeligkeit. Sie machen Lust auf Gemütlichkeit, Wärme und Am-Tisch-Sitzen …

… und auf die grünen Böhnchen, die in unserem Kühlschrank auf Verzehr warten. Eine für heute sehr passende Zubereitungsart fällt uns ein. In Verbindung mit dem von Wim um die Ecke entdeckten Bio-Hofladen, in dem er eine echt holländische Rookworst (lt. Etikett „geboren in: Nederland“) noch kurz vor Ladenschluss ergattern kann, wird eine köstliche Bohnensuppe geköchelt und verzehrt.

Eine kleine Abendrunde wartet schon mit den ersten Schönheiten der Gegend auf und macht viel Lust auf den morgigen Tag. Das Wetter soll angeblich gut werden. An uns liegt‘s nicht, wir haben die Teller leer gemacht. 

18.10.2022 Dienstag

Und wie gut das Wetter wird … sagenhaft gut! Die Welt strahlt. Die Mitcamper auf der Campingwiese ebenfalls, nachdem sie vom Bauer mit seinem Traktor aus der weichen Wiese gezogen wurden und frei, aber eingesaut, ihre Reise fortsetzen können. Wir starten in einen Tag am und mit Meer im lauem Wind und unter blitzeblauem Himmel, mehr geht nicht. Wir werden die Richtung ins Naturgebiet einschlagen, danach evtl. bis Domburg radeln. Mal sehn, wo wir verweilen. 

Ein paar Minuten vom Womo entfernt erreichen wir den Eingang in dieses 400 ha große Gebiet der Oranjezon aus Dünen, Gräsern, Sträuchern, Laub- und Nadelwald. Etliche Wanderrouten gibt es, man muss eine Eintrittskarte kaufen. Wir radeln auf einer ausgewiesenen Fietsroute im äußeren Bereich durch die herrliche Dünenlandschaft, die sich zwischen den Jahren 1200 und 1700 gebildet hat. Vom Meer aus geht der Halmbewuchs langsam über in Sträucher wie Weißdorn, Heckenrose und Brombeere, später in einen fast verwunschenen Laubwald. Mitten in diesem Gebiet liegt sogar ein Tannenwald. Alles hier bietet Lebensraum für eine reiche Flora und Fauna. Besonders ist, dass in der Oranjezon neben Rehen auch eine große Population Damhirsche lebt. Diese und eingesetzte Ponys sorgen dafür, dass das Gebiet offen bleibt und nicht total zuwuchert und so 125 verschiedenen Arten von Vögeln als Brutstätte, Überwinterungsstätte oder als Zwischenstopp auf ihrer Reise in den Süden dient. 

An einem der Abzweige biegen wir zum Strand ab, bleiben aber nur kurz, weil wir die Räder nur entfernt abstellen können. Aber beim nächsten gelingt es besser. Ein grandioser Ausblick ist das immer wieder, dieser Blick auf das Meer und den weiten breiten Strand in Holland ist umwerfend. 

Viele Menschen genießen den tollen Tag. Viele Hunde ebenso. Interessant ist das Beobachten der verschiedenen „Lebensgemeinschaften“ und natürlich das Studium der Hunderassen. Während der schicke hochbeinige Briard sein wallendes pechschwarzes Fell zunächst noch gesittet zur Schau stellt unter den stolzen Augen seiner Besitzer, sich dann aber völlig enthemmt in einem Priel suhlt und anschließend im Sand pudert, springt ein energisch-spaßiger Jack Russell seinem älteren Herrchen, Ersthundbesitzer, bis an die Schulter, um Herrchen zu veranlassen, doch endlich wieder das Bällchen zu werfen. Er mobbt vom Feinsten, übersieht dabei, dass drei Musketiere in hellsandfarben wie aus einer Flinte geschossen von oben herab die Dünen runter donnern Richtung Brandung und ihn und sein Herrchen dabei fast umnieten. Da muss irgendwo ein „Geil Alter, lass laufen“ ertönt sein, was wir überhört haben. Die geballte Ladung Golden Retriever trollt sich jedenfalls übers ganze Gesicht strahlend im Sand, wetzt ungebremst der Brandung entgegen und sticht ohne das Tempo zu reduzieren in See. Viel später erkennt man, ja, doch, sie werden schon begleitet. 

Von solch losgelassenem Hundeglück träumt die junge Frau, quasi halb so schwer wie die wunderschöne Kangal-Hündin, an deren Halsband sie hängt, um das Schlimmste zu vermeiden, als sie den mit Maulkorb gesicherten Pinscher am Dünenaufgang passieren muss, weil dessen Herrchen ignorant amüsiert doch tatsächlich in Richtung der Kangal-Hündin marschiert nach dem Motto: „Liebchen, der Papa zeigt Dir mal, wie Leinenführigkeit geht!“. 

Unbeeindruckt von diesen Szenen wird weit unten am Strand ein Paar von ihren beiden Beagle vorgeführt, da sie nämlich über weite Strecke nur rufend hinter ihren Bengeln herrennen müssen und sicher schon beim vorvorvorherigen Aufgang zu ihrem geparkten Auto zurück wollten, nur leider die Knaben mit den im Sonnenschein aufblitzenden weißen Schwanzspitzen anderes vorhaben. 

Unmengen halbhoher Water-Spaniels und Labradoodles wuseln herum, pflügen den Strand durch, werden mit Missachtung von 2 bis in die Haarspitzen abgerichteten Belgischen Schäferhunden gestraft, rotten sich zusammen mit ein paar daher gelaufenen Border Collies und überfallen quasi einen beleibten behäbigen Labrador in Schoko-Braun, vermutlich auch mit Schokoladenfüllung, der dank eines aus dem Nichts dazwischen springenden getigerten Boxers abrupt völlig uninteressant wird und somit gerade noch so überlebt und sich sofort erschöpft in den Sand fallen lässt und keine Pfote mehr vor die andere setzen will zum Leidwesen seines Frauchens.

Die Gruppe, die sich gerade auf der Terrasse des Strandlokals niederlässt und ihre 7 völlig unterschiedlichen Hündchen unter dem Tisch „ablegt“, freut sich ihres Lebens und spendet der Frau am Nebentisch, deren auf dicke Hose machender Zwergspitz sich in seiner Ruhe gestört fühlt und unablässig bellt und knurrt, einige Worte des Trostes und Bedauerns. Aber die Spitz-Mutter legt keinen Wert auf Zuspruch, äußert keifend in einer Tonlage höher als ihr Spitz ihren Unmut darüber, warum man sich nun ausgerechnet ihren Nebentisch ausgesucht habe. Tja … das Leben kann so hart und gemein sein, da nutzt auch das beste Blau nix. 

Zu uns ist es im Moment auch gemein, denn es katapultiert Erinnerungen an all unsere bisherigen geliebten Hunde, die sich schon hier mit uns am Strand zu allen Jahreszeiten vergnügt haben, hervor. Wehmut wird mit jedem Wellenschlag in uns angespült und aufgewühlt wie der Sand der Brandung. Irgendwie fliegt auch Sand in die Augen, sie tränen. Wie gerne hätten Arthus, Dayo und Bazou, die vor dem geistigen Auge hinter dem Tränenschleier auftauchen, die Kangal-Hündin angebaggert, sich unter die Musketiere gemengt, wären mit den pfeilschnellen Jack Russells um die Wette gerannt und hätten den stattlichen braunbärartigen Labrador mal kurz respektvoll inspiziert. Und unsere Zimtschnecke XL, unsere Chianga, hingegen widmet sich dem ein oder anderen Gesellen gnädig, aber nur kurz, zieht es ansonsten vor, Herrin der Lage zu bleiben und die Aussicht zu genießen. Wir sind glücklich, dass wir zusammen sind, ein Glück, das die Beagle-Eltern noch nicht haben, denn die Sause ist immer noch im Gange, erschwert dadurch, dass nun auch noch der gestromte Boxer motiviert neue Impulse setzt, die große Begeisterung bei den Beagles weckt und die Halter in ein uninteressantes Nichts versinken lässt.

Nach diesem Ritt durch die Vergangenheit an den Stränden der traurig-schönen Erinnerungen radeln wir ins mondäne Hier und Jetzt ins Getriebe des Örtchens Domburg, mittendrin. So viele Leute sind unterwegs. Kaum ein Stuhl der Außengastronomie ist frei. Und das, obwohl die Ferien in NRW vorbei sind. Nicht auszumalen, was hier gebacken ist in der Hochsaison, da muss aber eine Appeltaart nach der anderen wie am Fließband aufgetischt werden. 

Wir entscheiden uns, da ja bekanntlich das Glück der Erde, auf dem Sattel der Räder liegt, noch ein Stück weiter zu radeln bis Westkapelle und dort ein Fischlokal heimzusuchen. Mit einer sehr langen Radtour erarbeitet man sich quasi die Lizenz zum Futtern. Und über den hohen Deich, der von vielen Tagesgästen im Womo bevölkert wird (Übernachten bei hohen Strafen verboten) reißen wir die weiteren 8 km ab. Es ist wie immer Vergnügen total, diese Bilder bei diesem Wetter aufzusaugen. 

Auch in Westkapelle herrscht reger Betrieb, aber in „unserem“ Fischladen etwas abseits ist es ruhig. Während riesige Schwärme von schwarzen Vögeln über uns kreisen, bestellen wir einen kalorienarmen Salatteller. Man muss auch mal vernünftig sein … und das Unvernünftige einfach hinter dem Salat verstecken.

Die Rückfahrt wird bis auf einen kurzen Stopp am Jumbo Supermarkt in Oostkapelle, die holländischen „gevulde koek“ waren ausgegangen, zügig erledigt. Und der Abend kann kommen …

19.10.2022 Mittwoch

Ein windiger Tag zeichnet sich ab. Aber das Wetter bleibt schön, sonnig und frisch. Ganz langsam und gemütlich kommen wir in die Gänge. Gegen Mittag nehmen wir das Städtchen Veere ins Visier, knappe 9 km entfernt. Vor Jahren haben wir es zwar schon mal besucht, aber der Besuch kann getrost wiederholt werden. Durch das Dörfchen Vrouwenpolder geht die Strecke, biegt dann nach rechts ab und führt am Veerse Meer entlang, das bald kräftig blau mit weißen Wellenhäubchen durch die Schilfgürtel blitzt. Die Deichschafe grasen vor sich hin, und viele Radfahrer sind mit uns unterwegs. Schnell erreichen wir den ersten Hafen der Stadt und kurz darauf die hinter einem Kanal hoch aufragende wunderhübsche Windmühle, die Korenmolen „De Koe“, eine Kornmühle von 1909, ein Postkartenmotiv. 

Und dann holpern wir über die gepflasterten Gassen der historischen Stadt Veere mit ihrem heimeligen und bestaunenswerten Gemisch aus holländischen Backsteinhäuschen und den sogenannten Schottenhäusern mit ihren prachtvollen Renaissancegiebeln, die an den einstigen Wohlstand der Stadt aus dem Tuch- und Wollhandel mit England und Schottland um das Jahr 1440 herum erinnern, auf den kleinen Jachthafen zu. Viele Schiffe bewegen sich vor der fast märchenhaften Häuserkulisse sachte auf dem blau glitzernden Wasserbecken, Masten ragen wie Mikado-Stäbchen in den Himmel. 

Hinter dem Jachthafen beginnt das Biotop rund um den alten Festungswall der fast komplett von Wasser umschlossenen Stadt. Perfekt restaurierte Kanonen deuten hin auf große Wehrhaftigkeit. Ja, wo Reichtum und Macht sind, sind Kriege nicht weit. Jedenfalls nutzt Chianga die Möglichkeit, ihrer Fahrradsenfte zu entsteigen und sich eine Runde die Pfoten zu vertreten im satten Grün mit Meerblick. Von hier aus hat man auch einen herrlichen Blick auf die Hafenhäuser.

Eines der charakteristischen Gebäude der im 12. Jahrhundert entstandenen Stadt ist die aus dem 14. Jahrhundert stammende Grote Kerk mit einer imposanten Größe, die im Laufe der Zeit auch als Hospital und Armenhaus genutzt wurde und unübersehbar verdeutlicht, welch wohlhabende und machtvolle Handelsstadt Veere einst gewesen sein muss. 

Vor dem sehr schönen historischen Rathaus erwischen wir einen Sonnenplatz und begehen im Überschwang den Fehler, uns an touristisch stark frequentierter Stelle einen Pfannkuchen zu bestellen. Na ja, hätte es geregnet, hätten wir uns nicht auf die nassen Fahrradsättel setzen wollen, mit diesem leichenblassen Lappen hätte man die Feuchtigkeit aufsaugen können. Fernab jeder Buttrigkeit fehlte ihm alles, einfach wie ein ödes Schwammtuch. Irgendwie eine Frechheit, einem so etwas Fades als „Pfannkuchen“ zu servieren. Schade. 

Das Leben ist kein Zuckerschlecken, aber doch irgendwie, trotz dieser Pfannkuchen-Pleite heute, wenn man radelnd Veere erobert. Es könnte einem schlechter ergehen.

Auch in der Nachmittagssonne macht die Kornmühle eine tadellose Figur, als wir auf der Rückfahrt an ihr vorbei radeln. Ist man einige Tage in Holland, legt man schnell Kilometer per Rad zurück, es ist so normal hier, man „schwimmt“ mit, und ein Weg von 9 km ist ein Klacks. So sind wir schnell wieder in Vrouwenpolder angelangt, passieren das Örtchen und erreichen unser Womo. 

20.10.2022 Donnerstag

Heute steht die Weiterreise an. Wir wollen zwei Halbinselzipfel weiter hoppen. Erwähnt werden muss allerdings nochmal, ehe wir es vergessen, die unglaublich schöne, riesige, bestausgestattete Waschscheune, in der zig geräumige Duschen bereitstehen, Waschplätze offen und separat, Spültische vom Feinsten, und sogar Familienduschkabinen mit 2 Duschköpfen. Einfach toll! Und das sag ich, obwohl ich zu 99 % und fast ausnahmslos unser Bad im Concördchen nutze. Und dann verschwinden wir …