23.06.2025 Montag
Nach nur einer Nacht verlassen wir das Ufer der Saône und begeben uns auf die mautfreie Route Richtung Norden. In 120 km unterhalb Langres wollen wir einen kleinen CP an einem See anfahren. Es wird dann die vorletzte Etappe auf unserer Provence-Runde sein. Los geht’s. Bald begleiten uns Sonnenblumenfelder. Sie passen zur eher rauen Gegend und machen sicher tolle Bilder, wenn sie in voller Blüte stehen.
Ein Hinweisschild zu einer Abtei kommt uns gerade recht. Eine kleine Pause wäre passend. Die Abbaye de Cîteaux zieht sich als mächtiges Gebäude durch Wiesenland. Leider kann ich vom Parkplatz aus den Haupteingang nicht entdecken. Vermutlich hätten wir dafür, ohne 3 km latschen zu müssen, anders anfahren müssen. Aber die Église schaffe ich. Und die Tür ist offen. Der sehr zurückhaltend nüchterne und fast schmucklose Kirchenraum überrascht mich. Es dauert, ehe ich mich irgendwie wohlfühle. Die einheitliche Möblierung, die Schrankwände und Einbauschränke irritieren mich. Auffällig ist daher besonders die antike Marienstatue, die wie ein Fremdkörper im klaren Raum wirkt. Ich bin gespannt, welche Entstehungsgeschichte dahinter steckt und was die Hintergründe sind. Draußen jedenfalls kann ich mir anhand von vielen Infotafeln einiges erklären. Besonders ins Auge fällt der interessant gestaltete „Weg der Stille und der Erinnerung“, aber die Geschichte um die Lebensader, das winzige Flüsschen Centfons, das ich gerade überquere, finde ich noch spektakulärer. Gerne kann der Interessierte auf dem entsprechenden Foto nachlesen.
Nach der Schattenpause bei locker 40 Grad dürfen wir bald auf die AB, tatsächlich, mautfrei umrunden wir Dijon, froh, mal ein Stück nicht über Land zu müssen, aber was ist? Stau! Kaum einen Kilometer AB gefahren und zack Stau. Da es aber ohnehin nur ein Stück über AB ist, sind wir schnell wieder entstaut und hangeln uns über schmales Landsträßchen unserem Ziel entgegen. Die Bauern haben reichlich zu tun. Schwere Traktoren begegnen uns, die Felder wollen ihre Herren sehen, die Ernte muss rein, alles hängt davon ab, Wohl und Wehe der Menschen in den vielen kleinen Ortschaften, die an der Strecke liegen.
Irgendwann biegen wir von unserer Hauptroute ab und erreichen nach wenigen Metern nach einem kurzen Schwenk durch den Ort die Einfahrt zum CP. Klein ist er, hat eine Brasserie und einen Pool. Rezeptionszeit ist erst ab 16.30 Uhr, aber man kann sich einen Platz suchen und später anmelden. Wir wählen die bestmögliche schattige Lage, allzu viel Auswahl ist nicht, denn viele Nischen sind schon von Campern belegt. Aber wir werden zufrieden fündig und breiten uns aus. Hochgelobt im Netz wird das Essen im Restaurant, das, wie man schrieb, sogar von Einheimischen besucht wird. So im Nachhinein wundert das nicht, gibt es doch außer einer anderen Möglichkeit im Ort weit und breit nichts anderes. Egal, wir schreiten später zum Essen, und tatsächlich sind fast alle Tische belegt. Eine Gruppe Männer belagert ein paar Stehtische, sie kennen sich, sind garantiert Vereinsfreunde, die sich auf ein Bierchen treffen und später essen. Das von uns bestellte und servierte „Entrecote“ ist, kurz und knapp gesagt, grottenschlecht. Trotz Nachfrage, „medium“ oder oder kommt es durchgebraten an. Na ja, grundsätzlich kein Beinbruch, aber … sehnig, trocken, wie eine Schuhsohle, das ist schon ein Beinbruch. Dazu ein Messer, auf dem man reiten könnte, ein Salat, der nur aus ein paar Blättern, einer Tomatenscheibe und einem Klecks Joghurt besteht. Also wirklich miserabel. Die Fritten waren ok. Ich ärgere mich ziemlich, darf aber nichts sagen bzw. mich beschweren, Wim hasst so etwas. Aber hier wäre echt mal eine Ansage in Richtung Koch nötig gewesen. Evtl. sind die anderen Gerichte, wie z.B. Burger und Pizza, besser. Ich weiß es nicht, einen weiteren Versuch wollen wir auch nicht unternehmen.
24.06.2025 Dienstag
Erstaunlicherweise verlief der Verdauungsprozess der gestern zu uns genommenen Schuhsohle gut, der Magen nahm es nicht übel, wuchs scheinbar über sich hinaus, so dass wir nach guter Nacht unverkrampft in den neuen Tag starten können. Klingt frischer als es ist. Ich möchte nicht langweilen mit Temperaturangaben, aber sie liegen wieder sehr sehr hoch, Tendenz kletternd. Dennoch rüstet Wim zur Erkundungsfahrt per Rad, was mich sehr freut. Ich hasse das Hängen unter Markisen, ich krieg dann ‚nen Koller. In der Umgebung soll es ein Dorf geben, das für seine schönen Gärten berühmt sein soll. Ein Garten, erfreulicherweise mit Château, kann wohl immer besucht werden und, nicht üblich, ein Hund darf mit rein. Passt doch perfekt. Aber zunächst radeln wir am Staudamm des Sees entlang und durchqueren das kleine Dörfchen mit seinen schönen Häusern und Höfen.
Am dem CP gegenüberliegenden Ufer des Sees an einer kleinen Promenade mit Sandabschnitt halten wir an. An der einzigen Stelle, an der man näher vom CP aus in den See könnte, ist leider nur stinkender Schmodder. Hier mochte Chianga nicht ins Wasser. Der Wasserstand an der Staumauer zeigt auch, dass mehrere Meter Wasser fehlen, daher die Qualität wohl nicht die Frischeste sein kann. Jetzt aber an dieser Stelle sticht unser „Madämschen“ gerne in See, kühlt und pudert sich ab, bevor unsere Sightseeing-Tour weitergeht.
Wir durchqueren das Dorf Longeau mit seinen schönen großen Bauernhöfen und erreichen nach rund 11 km über ein kaum befahrenes Landsträßchen unser Zieldorf Cohons.
Am Dorfende nach kurzem Anstieg in der doch ziemlich hügeligen Gegend kommen wir an einer hohen Mauer mit großem Holzportal an und stehen schließlich am Hoftor zum dahinter liegenden Château mit Garten, dem Jardin de Silière. Tor verschlossen, alles dicht. Einem Zettel mit Telefonnummer ist zu entnehmen, dass Besichtigungen möglich sind, man soll kurz anrufen. Während ich die Nummer wähle und gleichzeitig quasi die Klingel „Garden“ betätige, höre ich auch schon ein Poltern am Tor. Es wird entriegelt und vor mir steht, mit Handy am Ohr, ein älterer hagerer grauhaariger Mann, der mich anstrahlt und sich fast schlapp lacht, dass wir uns nun telefonierenderweise gegenüberstehen. Wir legen auf. Er öffnet das schwere Tor, wir können passieren. Ich las, dass man Eintrittsgeld zahlen muss, er kassiert fast peinlich berührt 8 € pro Nase und drückt mir eine Folie in die Hand mit Lageplan, erklärt mir auch alles. Nebenbei lässt er zwei heransausende kleine Kätzchen nicht aus den Augen, die gehörten seiner Tochter, er müsse heute auf die beiden aufpassen, habe sie deswegen mit hierher gebracht. Die zwei sind sehr unternehmungslustig, junge verspielte Kätzchen eben, und hier gibt’s viel zu entdecken, es fragt sich, ob er die später wieder einfangen kann. Er hat auch Zweifel, lacht, winkt ab, und entlässt uns in die Gartenanlage.
Der im Jahr 1661 auf 3 ha Land vom Landschaftsarchitekten André de Nôtre, der auch die Gärten von Versailles gestaltete, angelegte „Jardin Silière“ erstreckt sich hinter einem ansehnlichen Anwesen, das 1659 von einem Magistrat aus Langres erbaut und später zum „Schloss von Cohons“ ernannt wurde. Der Garten, der vielfach ausgezeichnet wurde, zuletzt 2017, präsentiert sich wie ein typischer „Jardin à la francaise“, symmetrisch mit „Jets d’eau“ (Springbrunnen). Man hebt als Pluspunkte und besondere Vorzüge hervor, dass das Gebäude die Grenze zur Hügellandschaft bilde und Heckenschnitte, Bodenbearbeitung, Doppelallee und Hainbuchen den Gartenraum besonders strukturieren. Nun denn, so auf Anhieb erscheint er uns nicht sonderlich auszeichnungswürdig. Allerdings muss man sagen, dass die Buchsumrandungen der Beete besonders lausig aussehen, zum einen, da nicht ordentlich geschnitten, und zum anderen, weil dieser vor Jahren aus Asien eingeschleppte Buchsbaumschädling stellenweise ganze Arbeit geleistet hat. Üppig zeigt sich hingegen das sprießende Kraut, der nächste Feind feiner Beete. Der ältere hagere Mann erklärt uns entschuldigend, obwohl natürlich nicht darauf angesprochen, dass er komplett allein für die Gartenpflege zuständig sei, was bei mir und natürlich besonders bei Wim größte Anerkennung, aber auch Unverständnis hervorruft. Es wäre sehr viel, klagt er, es sei kaum zu schaffen. Ja, bewohnt würde das Schloss auch, er winkt ab und zeigt zum Himmel, die Herrschaften seien wie so oft verreist. Wir könnten bleiben solange wir wollten, er verschwindet wieder in den Schatten und um die beiden Kätzchen zu suchen.
Dann schauen wir uns mal um. Das geschieht zunächst ziemlich lustlos, da die Hitze sehr lähmt. Durch eine Fensterscheibe des eher schlichten Herrenhauses erhoffe ich mir einen Blick in die Schlossgemächer, entdecke aber nur eine Reihe Marmeladengläser. Wer hier wohl Marmelade einkocht? Und woraus? Evtl. Gelee aus Rosenwasser, denn in den Beeten erblühen die Röschen schön vor sich hin, von Obstbäumen weit und breit nichts zu sehen. Ein kreisrunder großer Teich mit Springbrunnen, umgrenzt von kurz geschnittenem Rasen, verleitet Chianga um ein Haar, ein Bad zu nehmen. Aber das muss jetzt nicht sein. Wir nehmen die Geradeausrichtung, leicht ansteigend und schön schattig durch die vielen Alleebäume, und kommen zum zweiten Teich in einem wie ein Ornament gemauerten schönen Becken, flankiert von zwei Statuen. Der hohe Wasserstrahl platscht kräftig auf die mit Entengrütze total überzogene Wasserfläche. Über einen geschotterten Weg geht es weiter hinauf zum nächsten, ebenfalls im Schatten liegenden Springbrunnen, der sich in ein kleines bemoostes steinernes Becken ergießt und von einem Steinwall im Halbkreis umfasst wird. Hier ist es sehr angenehm, und wir sitzen eine ganze Zeit auf alten schweren Steinbänken und denken darüber nach, wer hier wohl schon alles gesessen haben mag, stumm beobachtet von einem gebildhauerten Jüngling, einem Hund und einem Löwen.
Jetzt noch einen kleinen Anstieg, und wir erreichen eine königliche Büste, dahinter ein verschlossenes Tor. Möglicherweise geht das Areal noch weiter, allerdings hat die Natur in diesem Teil alles im Griff. Chianga hat genug zu tun, Schnüffelarbeit lässt sie sehr interessiert dabei sein. Überall plätschert es sachte vor sich hin. Die Brunnen werden gespeist von vielen Quellen im Ort. Ich las, es soll über 100 Quellen geben. Ab hier oben wird das Wasser sehr naturnah geleitet und begleitet einen hinab über den äußeren Weg, der sich „die romantische Promenade“ nennt. Und das ist nun wirklich romantisch. Im 19. Jahrhundert waren romantische Spaziergänge sehr angesagt. Eine Kaskade aus Kalkstein kam daher gerade passend. Über etliche dick bemooste Stufen purzelt das Wasser hinab und hat im Laufe der vielen Jahre kleine Wannen ausgewaschen. Schön ist es, den Schatten zu genießen und dem Plätschern und den Geräuschen des Waldes zu lauschen. Riesige, zum Teil an die 200 Jahre alte Baumriesen stehen hier, sie scheinen in den Himmel zu ragen.
Auch an zwei Grabstätten kommen wir vorbei, eines einer 1806 geborenen Jenny Bertrand, jung gestorben mit 15 Jahren, über die ich leider im Netz nichts finden kann. Und dann sind wir auch schon wieder unten und werden vom Gärtner empfangen. Nach einem kleinen Plausch öffnet er uns wieder das Tor und wir ziehen von dannen.
Kurz verfransen wir uns im Ort, verpassen den Abzweig, den wir auf jeden Fall für eine andere Route zurück nehmen wollen, erwischen ihn dank maps dann doch noch und strampeln los. Es steigt ganz schön auf dem Landsträßchen ohne Markierungen, aber auch ohne Verkehr, führt über eine Ebene und dann in sattem Sinkflug irgendwohin nach unten. Es riecht nach Teer, es ist so heiß, dass der Straßenbelag schmilzt und ausdünstet. Zur Abmilderung hat man Split darauf gestreut. Ich muss nicht erwähnen, dass das Betätigen der Bremse bei solchen abschüssigen Etappen wohl überlegt sein will. Jedenfalls brettern wir unten irgendwo auf ein Haus auf 12 Uhr zu, an dem uns das unübersehbar angebrachte Radwegschild sofort nach rechts abbiegen und über eine Brücke sausen lässt, um kurz darauf wieder scharf rechts auf den Weg unserer Begierde zu kommen: den Radweg am „Canal Entre Champagne et Bourgogne“. Am Kanal, der zu den drei wichtigsten Wasserstraßen durch Zentralfrankreich gehört, führt über die ganze Länge von 224 km ein Treidelweg entlang. Wir radeln davon gerade mal 10 km ab. Aber es ist ganz herrlich. Man passiert zum einen jede Menge kleine Schleusen, auf einem Teilstück zwischen Langres und Maxilly 43 Stück, und ist zum anderen umgeben von wunderbarer ursprünglicher Natur.
Zunächst radeln wir rechtsseitig an Wiesen und Feldern vorbei, irgendwann nach Querung einer Brücke dann an der linken Seite, oft unterhalb von Sonnenblumenfeldern oder im Schatten kleinerer Wäldchen. Irgendwo entdecke ich tatsächlich Nutrias im Ufergestrüpp. Bei Sichten der Fotos bin ich aber nicht mehr sicher, denn das schwimmende Tierchen könnte auch ein Otter sein, aber Google verschafft Klarheit. Die weißen Barthaare verraten zweifelsfrei, dass es sich um Nutrias handelt.
An der nächsten Brücke setzen wir wieder über und kommen im Örtchen von unserem CP an, können der Barbetreiberin, die schließen will, noch ein Bier abschwatzen, radeln zum CP zurück und stimmen uns auf den Abend und die morgige Weiterreise ein.
25.06.2025 Mittwoch
Da wir schon bei Ankunft bezahlt haben, können wir den kleinen CP ruck zuck am Morgen verlassen und die Straße ums Eck herum nehmen, die uns zunächst über den großflächigen See, der ein Staubecken ist, aber am linksseitigen Ufer in ein Biotop ausläuft und auf dem sich viele Wasservögel tummeln, führt. Es gäbe sicher noch einiges hier zu entdecken, aber die Heimat lockt.