09.06.2025 Pfingstmontag
Die Frage meiner Schwester im Telefonat am Morgen, ob wir heute das Bergnest Gordes besuchen, verneine ich, und zwar sehr überzeugt, nichtsahnend, dass es sich anders ergeben würde, sehr viel anders. Durch die Ebene ziehen wir an großen Weingütern vorbei. Oh, hoch oben eine Ansiedlung, vermutlich Gordes. „Wim, guck mal.“ „Nein, ich muss mich auf die Straße konzentrieren.“ Und diese Aussage ist wahrhaft treffend, denn rechts abbiegend müssen wir zum Steigflug ansetzen. Hoch und höher kurbelt sich das Concördchen, legt sich waghalsig aber stabil zum Hang hin in Kurven, langsam, ganz langsam schnauft es den Berg hinauf. Es gibt auch keine andere Möglichkeit als die in Richtung Himmel. Leicht bremst uns ein Kreisverkehr aus, aus dem wir uns auf 12 Uhr rausmanövrieren, denn zum Ziel unserer Begierde geht es weiter hoch hinaus. Lieber Himmel, ich hab diese Baulichkeit im Tal liegend in Erinnerung. Vermutlich ist es aber ein zuwegloser Taleinschnitt und danach nichts, außer Fels. Solche Örtlichkeit lässt sich erfahrungsgemäß erst nach Erklimmen gewisser Höhenrücken anfahren. Schlecht überlegt, Frau Grimbergen. Nun muss ich büßen und den Klos im Hals, der sich Richtung Magen aufmacht, verdauen. Aktuell ist aber mein Geleit nötig, auch wenn Wim unser Freizeitfahrzeug perfekt jongliert, weiß ich doch genau, was in ihm vorgeht. Die Fahrt verläuft entsprechend still, sieht man vom mahlenden Motor des Iveco ab.
Die Aussichten auf das immer näher kommende Schwalbennest Gordes sind jedenfalls spektakulär und werden immer spektakulärer, atemberaubend auch der Blick auf Felsen, Wiesen und kleine Dörfer tief unten im Tal. Aussichtspunkte sind von staunenden Touristen belagert. Wim hat Arbeit, keinen davon, der an bessere Position springen oder radeln will, auf die Schippe zu nehmen. Wir kommen nur im Schneckentempo voran, so dass es reichlich Fotos von einem der schönsten Örtchen Frankreichs gibt, das sich uns auf 700 m auf einem Felsvorsprung der Monts de Vaucluse über dem Fluss Cavalon imposant und malerisch präsentiert.
Dankbar, vor dem Ortskern nach links abbiegen zu dürfen, atmen wir auf. Glücklicherweise sind wir dem Centre entkommen und können es umfahren. Aber hallo, jetzt wird‘s einspurig, Mäuerchen am Abgrund zur Linken, Sträßchen Schmalspur, Felsböschung zur Rechten. Die D177 fordert, und zwar direkt schon mal die Schluckmuskulatur. Beinah senkrecht unten im Tal erahnt man das Zielgemäuer und das davor liegende, zigfach schon gesehene Lavendelfeld wie ein grobgewebter Teppich aus dicker grünlicher Wolle. Schade, Teppich in Lavendelblau wäre jetzt natürlich der Renner. Aber man kann nicht alles haben, unser Concördchen als Renner hier hinab reicht für heute.
Und da liegt sie, die Abbaye Notre-Dame de Sénanque. Etliche Autos kurven schnöde suchend nach Parkmöglichkeit ringsum. Aussichtslos für uns, etwas zu finden, daher nur ein schneller Fotostopp. Man sagt, ab Mitte Juli stünde der Lavendel hier am 1148 gegründeten Zisterzienserkloster, das durch seine Einfachheit einen ganz besonderen Charme versprühe, in voller Blüte. Dieser Anblick bleibt uns verwehrt. Auch die minimalste Hoffnung, hier irgendwo eine Nacht im Gebüsch verbringen zu können, zerschellt, wir müssen wieder raus und rauf.
Den Eselspfad, den wir hinunter gerollt sind, müssen wir, da verständlicherweise Einbahnstraße, nicht wieder hinauf, sondern ziehen auf anderer Route durch die Traumlandschaft mit Kiefer- und Eichenwäldern wieder hinauf und über einen 600 m hohen Col hinweg. Hin und wieder fallen uns kegel- bzw. tonnenförmige fensterlose Steingebilde auf. Später lese ich, dass es sich dabei um sogenannte „Bories“ handelt, die aus aufgeschichteten Steinen ohne Mörtel errichtet wurden. Man nimmt an, dass diese im 17. und 18. Jahrhundert in der Provence erbaut und bis Anfang des 20. Jahrhunderts auch von Schafhirten als Behausung und Stallung genutzt wurden.
Berauscht von den Schönheiten der Natur, die alles wie wilde Gärten angelegt hat, findet die schwärmerische Blauäugigkeit ihr Ende beim Erreichen der ersten Trockenmauern in … na wo wohl ? … ja, Gordes. Und diesmal gibt es keine Umgehung, nein, Centre Ville, mittendurch. Auch das läuft glatt und bietet mehr oder weniger gute Einblicke über Mauern ganz besonderer Bauart auf verwunschene Hausgrundstücke, jedenfalls für mich, denn Wim ackert und windet sich über die Dorfgasse und hinab ins Tal.