09.06.2025 Pfingstmontag
Vom Tal auf die Höhe, und wieder ins Tal, und nochmal auf die Höhe, aber dann endgültig ins Tal. Das war unser morgendlicher Ritt nach Gordes, zur Abtei und zurück. In der Ebene, in der sich Weingüter aneinander reihen, atmen wir auf. Die paar Kilometer bis zum Zielort L‘Isle-sur-la-Sorgue sind schnell gefahren, und der CP rechts am Ortsanfang macht einen sehr guten Eindruck. Wir checken ein. Der junge Mann ruft schon sofort, dass er sich genau an meine Mail mit der Reservierungsanfrage erinnere, der Name, ja ja, Grimbergen, und er lacht sich halb schlapp, das Bier kenne er. Er glaubt mir, dass wir weder verwandt noch verschwägert sind mit dem Brauerei-Imperium und räumt gerne einen Rabatt aufgrund meiner ADAC-Karte ein, auf die er mich einfach so anspricht. Finde ich sehr toll. Unsere Parzelle ist auch sehr schön, groß und schattig, die Nachbarn aus dem Saarland sehr sympathisch, alles bestens.
Später streifen wir noch etwas herum um den Fluss Sorgue, einem Idyll, teilweise einem Dschungelfluss ähnlich, urwüchsig und wild. Das Wasser ist glasklar, sehr kühl, mit extrem schneller Fließgeschwindigkeit. Spätestens als ich die ersten blauen Libellen schwirren sehe, erinnere ich mich an das wildromantische Flusstal in Bosnien-Herzegowina, an dem wir auf der Rückreise aus der Türkei Stopp auf dem kleinen CP „Heaven in Nature“ gemacht haben. Solche Flusslandschaften sind kaum zu überbieten. Auch dort war die Libelle Tintenblau, gedanklich habe ich dazu schon etliche Kinderbücher geschrieben, zuhause. Dazu werde ich später mal in meinem eigenen Reisetagebuch nachschlagen, manchmal sehr hilfreich.
10.06.2025 Dienstag
Der eigentliche Grund unserer Station hier an der Sorgue ist, dass eine passable Radstrecke zur Fontaine de Vaucluse führen soll. Dort entspringt nämlich die Sorgue in eindrucksvoller Weise, und zwar aus einem „Quelltopf“, einer tiefen Höhle im Felsgestein der steil aufragenden Felswände. Es müssen wohl Unmengen Wasser hervorquellen, denn hier am CP, nur wenige Kilometer entfernt von der Quelle, werden viele Arme der Sorgue gespeist, viel Wasser führen sie und, wie gesagt, rast es nur so dahin. Eine unbändige Kraft muss dahinter stecken. Wir hoffen, dass ein erträgliches Maß an Kraft nötig ist, radelnd dem Ort näher zu kommen und machen uns gegen Mittag auf die Sättel, fertig, los. Maps und Komoot-App schlagen identische Radwege vor. Das erste, beinah unpassierbare Stück, das einspurig einem Trampelpfad ähnlich durch hohes Gras an Gewächshäusern vorbei zu bewältigen ist, macht nicht gerade Mut. Aber dann führt die Route über ein Landsträßchen, schlängelt sich dahin, über weite Strecken im Schatten waldreicher Gegend. Das tut Not, das Thermometer klettert bis 34 Grad. Wahnsinn. Unterm Helm sind‘s sicher locker 10 Grad mehr. Lavendelfelder liegen an der Route, schwere Tore sichern Areale. In einem blinzelt mir doch beim genauen Hinsehen der grasgrüne Entenschnabel entgegen. Aha, hier hat es also sein Nest, dieses quietschgrüne Spielmobil, das mir gestern nach dem Bentley entgegen geflogen kam. Ein Skulpturengarten mit weit offenem Tor vor pompösem Landsitz beschert uns eine schattige Pause, bevor es über ein Brückchen ans andere Flussufer geht. Hier werden schon die ersten Kanus zu Wasser gelassen, in der Folge an etlichen weiteren Stellen. Das scheint hier sehr beliebt zu sein. Aus einem Waldsträßchen kommend, führt uns der Weg plötzlich unter der wie aus dem Nichts auftauchenden „Pont-aqueduc de Galas“ hindurch. Dieses Aquädukt wurde im 19. Jahrhundert erbaut, um das Wasser aus dem Kanal von Carprentras zu leiten. Das Bauwerk ist 159 m lang, 24 m hoch und besteht aus 13 Bögen. Es ist das imposanteste Bauwerk des Kanals und sieht so tadellos aus, als sei es erst vor wenigen Jahren erbaut worden.
Entspannt läuft es nun weiter über die Landstraße am Flussufer entlang, wo immer wieder das schillernd grüne Flusswasser zu uns hoch blitzt und bunte Boote auf Steuermänner warten. Die langen Parkbereiche lassen ahnen, was hier gebacken ist, bzw. sein kann, denn es ist heute sehr wenig Betrieb, kaum Autos parken, wenige Besucher da. Wie das an Pfingsten war, ohje, nicht dran denken. Den kleinen Stich nach oben schaffen wir locker und finden uns auf einem Plätzchen vor der Mairie unter uralten hohen Platanen wieder. Hier rasten etliche Radfahrer jeglicher Leistungsstufe, die Restaurants und Cafés sind gut besucht, der Blick auf den Fluss einfach wundervoll.
Nach kurzer Pause lockt uns natürlich der Weg zum Quelltopf hin. Im Eifer folgen wir ein Stück der falschen Route, erwischen dann aber die richtige. An Mühlrädern vorbei, wovon es in dieser Region etwa 17 geben soll, die als Zeugen der Vergangenheit an die früher florierende Textilindustrie erinnern, können wir stückweise radeln, etliche Shops liegen am Weg.
Der Weg führt bald hinauf, wird sehr holprig, viel Wald umgibt uns, unterhalb bahnt sich ein schon breiter Fluss seinen Weg um riesige Felsbrocken mit Sprudeln, Strudeln und Schnellen in allen möglichen Grün- und Blautönen. Nur wenige Leute spazieren herum. Wie mag das am Wochenende gewesen sein. Auf diesem schmalen steinigen Pfad und dann Menschenprozessionen unterschiedlicher Geländegängigkeit, puh puh. Klar ist aber auch, dass jeder in den Genuss dieser Stelle kommen möchte und sich von der der Quelle nachgesagten Kraft überraschen lassen will. Es handelt sich schließlich um die stärkste Quelle Frankreichs und die fünftstärkste der Welt. Beachtlich. Den letzten wirklich stark ansteigenden Pfad aus einem Gemisch aus weißem Kalkstaub, bröckeligen Betonpuzzlestücken, Löchern und grauen Wackermännern knöpfe ich mir vor, während Wim und Hänger unterhalb warten. Keine Strecke, wenn man „Knie“ hat. Mein Rad zieht ja wahnsinnig durch, Gedanken an „besser schlecht gefahren als gut gegangen“ geben zusätzlich Auftrieb, und ich bewältige tatsächlich diese „Loch an Loch und hält doch“-Piste ohne Blessuren. Es ist doch nie zu spät, sich einer Herausforderung zu stellen … wenn‘s gut geht … so in meinem Alter. Stolz stehe ich nun da, aber ausgebremst, denn ein Tor verhindert den Zugang zum allerletzten Stückchen und damit den Blick in den wassergefüllten Abgrund des Quelltopfes. Na schöner Mist, werde ich ohne die ausstrahlende Kraft des Topfes wieder abschieben dürfen. Das war so nicht geplant. Gut daher, dass ich mir noch etwas Kraft aufgespart und nicht sämtlich beim Anstieg verballert habe. Akku hat erst einen Balken von 5 weg. Auf‘s Material ist Verlass. Ich begebe mich wieder „downhill“.
Im tieferen Tal kehren wir in einem der schönen Lokale am Fluss ein. Ein lekker Pilsje, ein Grimbergen, und ein „Quelltopf“ voll Eiscreme ist fällig. Und zum munteren bzw. sehr lauten Geplätschere der Sorgue lassen wir Zeit erstmal einfach nur den Bach runter laufen, ohne Klappern der Mühle, aber am rauschenden Bach.
Schließlich verlassen wir das außergewöhnliche Fontaine de Vaucluse und radeln über eine andere Route nach kurzem Einkauf unterwegs und schon spät am Nachmittag zum CP zurück. Eine wunderbare Tour war das heute, trotz großer Hitze und knapp 28 km. Mal sehn, was uns der morgige Tag bringt. Falls wieder solche Hitze, legen wir mal einen Faulenzertag ein. Übrigens sehe ich am Abend auf irgendeiner Website den Hinweis: „Aufgrund einer ernsthaften Gefahr durch herabfallende Steine und Felsbrocken von den Klippen ist der Zugang zum Abgrund und zum Fuß der Klippe auf unbestimmte Zeit eingeschränkt.“ Gemeint ist der Zugang zum Quellentopf.
11.06.2025 Mittwoch
Nachts kühlt es wunderbar ab, richtig kühl sogar. Aber schnell kommt der Tag auf Touren, die Sonne knallt. Wim liebäugelt mit einer Kanufahrt. Und die macht er heute. Vom CP aus wird das geregelt, um kurz vor 10 wird er am Eingang abgeholt. Mit Kleinbus geht‘s dann nach Fontaine de Vaucluse an die Stelle des Flusses, an der wir gestern schon die vielen Kanus gesehen haben. Hier lässt man selbige samt Touris zu Wasser. Besonderheit ist, dass die Kanutour zurück erst an unserem CP endet und unterwegs Rutschen und Stromschnellen zu bewältigen sind. Man beachte, dass das Flusswasser, strömt es doch nur unweit aus tiefstem eisigen Felsengrund, Gletscherwassertemperatur hat. Jedenfalls ist Wim klatschnass aber in totaler Glückseligkeit nach 3 Stunden wieder zurück am Womo. Es war wohl eine phantastische Reise durch eine noch phantastischere Natur. Urwüchsig und ursprünglich ist die Flusslandschaft und man gleitet so dahin. Natürlich bis auf die Momente, wo Rutschen und Rampen einem das Kanu so richtig volllaufen lassen. Er hatte ein Einer-Kanu, man konnte auch Zweier fahren. Für die Tour hat er 23 € bezahlt, was wir sehr wenig finden, und hatte endlos Spaß und Freude. Absolut empfehlenswert. Selbst ein paar Fotos konnte er mit seinem Handy schießen, was mich natürlich sehr freut. Evtl. ergibt sich mal die Gelegenheit, dass Chianga und ich in ruhigeren Gewässern in See stechen. Mal sehn, was die Reise noch bringt.
Heute jedenfalls bringt sie nicht mehr viel. Wim lümmelt rum, Chianga ebenfalls, ich schreibe. Gegen Abend nehmen wir ein Bad im Fluss, Chianga findet noch Gesellschaft, und ich lauere den blauen Libellen auf, was aber mangels Masse nur bedingt erfolgreich ist, dafür erweisen sich Enten als sehr dankbare Fotomotive in der Abendsonne. Und dann ist Ruh’ über den Wipfeln und Gipfeln … bis es morgen heißt: früh raus, denn: Marché!
12.06.2025 Donnerstag
Nachts habe ich noch bezüglich der Libellen in meinem Reisetagebuch nachgeschlagen. Wie in Bosnien, versammeln sie sich auch hier im Laufe des Tages am Fluss, werden mehr und mehr, bevölkern Geäst und Steine im Flusslauf, Gräser und Büsche am Ufer, unwirklich, leuchtend, tintenblau strahlend, flattern auf und ab, vollführen Tänze und Kämpfe, ein einziges Spektakel, still wie alles hier am Fluss. Was ich vor ein paar Jahren dazu in Bosnien schrieb, gilt uneingeschränkt auch für diese Stelle hier in Frankreich: „Bei der „Libelle Tintenblau“ handelt es sich um „Calopteryx virgo“, die faszinierend schöne Blauflügel-Prachtlibelle. Mit einer Flügelspannweite von bis zu 7 cm und ihrer sehr auffälligen Flügelfärbung machen die Männchen schon viel her in der Hoffnung, den durchscheinend bräunlich bis kupferfarbigen Weibchen zu imponieren, wovon nur sehr wenige zugegen sind. Diese Libellenart hält sich nur an völlig intakten schnell fließenden, beschatteten und kalten Fließgewässern auf. Sie garantiert also ein naturgesundes Baden im Fluss, ist Teil dieses Idylls und macht irgendwie glücklich. Manchmal ist es eine Winzigkeit, die einem Stellplatz einen Hauch Einzigartigkeit verleiht.“.
Und nun wieder auf den Boden der Tatsachen und aufpacken mit Ziel Marché. Die Sonne gibt schon ordentlich Gas heute morgen, auch die Nacht war mit 18 Grad moppelig warm. Auf dem Rad spürt man die Hitze nicht so sehr, der Fahrtwind kühlt, obwohl wir angesichts eines recht mitgenommenen Radwegs nur langsam voran kommen. Aber bis zur Stadtmitte ist es nicht weit, immer geradeaus, und schon ziehen die ersten Scharen von Marktbesuchern in eine Richtung, wir hinterher. Aber auch hier im Marktgetümmel stellt sich heraus, dass ein Mitfließen mit Hänger nur nervig möglich sein wird, Chianga im Gedränge an der Leine ebenfalls für sie keine Freude ist. Also wird wieder unnötiges Gestresse vermieden dadurch, dass wir uns erstmal einen schattigen Platz am Wasser suchen. Das fällt hier nicht schwer, wir sind schließlich im Städtchen, das auch „Klein-Venedig der Provence“ genannt wird und von Flüsschen und Kanälen umgeben und durchzogen ist. Überall plätschert es, das Flusswasser sprudelt über Terrassen, strömt aus Brunnen und wird von den vielen Schaufelrädern bewegt. Die Menschen genießen sichtlich die Nähe zum Wasser, sitzen auf Mäuerchen, baden ihre Füße oder nutzen den Schatten der anliegenden Häuser. Zur Musik eines kleinen Kinderkarussells, das schon etliche Kinder erfreut, und zum Rauschen der Flüsse gesellt sich die Musik einer grauhaarigen Band, die mit vollem Equipment und voller Begeisterung in einem Pavillon am Plätzchen steht und die Musik ihrer Jugendzeit zum Besten gibt. Die alten Herren haben sichtlich Spaß, räumen ab, was man den Zuhörern, wozu wir nun auch gehören, ansieht. Wim und Chianga richten sich ein, warten meinen Marktbesuch ab.
Zu „The House of the Rising Sun“, der sich in die Lüfte und die nahen Gassen und zusätzlich als Ohrwurm in meine Gehörgänge schwingt, starte ich meinen „visite du marché“. Es geht natürlich wieder mit voller Breitseite los. Einstimmen unnötig, langsam Angehenlassen unmöglich.
Die Marktstandreihen ziehen sich durch die gepflasterten Gässchen, alles ist im Fluss, wenn nicht hier, wo dann, wo doch die Sorgue alles „umsorgt“.
Straßencafés füllen sich, so unterschiedliche Typen von Menschen sind unterwegs was Gestalt und Kleidung anbelangt, ob sie allein, mit Familie oder in Grüppchen unterwegs sind. Die Sportlichen hasten eher hindurch, lassen sich scheinbar nur widerwillig einfangen, wohingegen die Verspielteren in langen Flatterkleidern mit männlicher Begleitung unterm Strohhütchen die Langsamkeit eher zu schätzen wissen, den Genüssen erliegen und sich gegenseitig mit Leckereien füttern.
Die Vielfalt ist einfach überwältigend. Im Laufe meines Spaziergangs erkenne ich unschwer, warum das Örtchen bei Künstlern so beliebt ist. Zwischen Schaufelrädern, Streetart-Werken und kleinen Designerboutiquen ist L‘Isle-sur-la-Sorgue der ideale Ort, um die Seele baumeln zu lassen und Inspiration zu finden. Zahlreiche kleine Shops und Läden bieten ausgesuchte Artikel an, man ahnt, hier steht nichts zufällig in den Auslagen. Phantasievoll, bunt, leicht, spielerisch ist alles arrangiert. Und dazu Hülle und Fülle und alles was die Farbenwelt so hergibt. Ein Rausch - für jede Preisklasse.
Dazu die große Freundlichkeit in den kleinen Läden. Verlässt man diese ohne Einkauf, wechselt man trotzdem immer ein paar nette Worte. Das fällt mir hier besonders auf, da ich ja meist „nur“ fotografiere, da können Händler auch ganz anders reagieren. Hier nicht, was sehr angenehm und wohltuend ist. Lediglich der Chef in der stark unterkühlten Confiserie macht einen ebensolchen Eindruck, verkniffen frostig verfolgt er mich mit seinen Blicken, die sich mir wie Eiszapfen in den Nacken schieben. Tut aber gut, diese - seine - Abkühlung. Und seine Werke sind einfach der Wahnsinn.
Genug für heute. Alles klebt am Leib. Wahnsinn einfach nur diese Hitze, 37 Grad wieder. Trotzdem müssen wir noch einen Schwenk zum Intermarché machen, Getränke müssen her, Papier de Toilette ist alle, da wird ohne Gedöns eine Ladung gekauft und fertig. Wenn ich da an den nicht mehr ganz jungen Vater denke, der sich mittags am Fluss mit Kinderwagen, seinen beiden Kindern, seiner Frau und der Oma neben uns klemmte, und mich vor allem an dessen Entschlussfreude erinnere, könnte ich jetzt noch einen Anfall kriegen. Er brachte nämlich seinen Lieben in Erinnerung, dass man ja noch ein Eis essen wolle. Wohin man denn solle? Also bei Google, wo er gerade „recherchiert“ habe, hätte die Eisdiele da gegenüber 4,5 Sterne, eine andere aber 4,8 Sterne. Er würde jetzt nochmal sicherheitshalber die Bewertungen lesen, bevor man entscheide. Einfach so eine wählen wolle er nicht. Sag mal, ist das noch normal? Kann ein gestandener Mann, ein Familienvater, das Risiko der Wahl einer Eisdiele nicht mehr ohne Google eingehen? Was ist das denn für ein Lappen? Wie will der denn mit einem wirklichen Problem des Lebens umgehen, falls Google dazu nicht genügend oder für ihn ungenügende Bewertungen ausspucken sollte. Kurz überlege ich, was nun passiert, wenn ich bezüglich des Klopapiers eine falsche Wahl getroffen haben sollte, was wenn es gerade zu diesem Produkt keine positiven Bewertungen geben sollte? Riskant, riskant, und mir wird heiß. Liegt aber nur daran, dass ich den runtergekühlten Supermarkt verlassen und bei meinem Wim angekommen bin. Der Tag endet dann am Womo in einer Art Wachkoma im eigenen Saft. Und es soll so bleiben, also derart heiß. Morgen müssen wir die Routenplanung überarbeiten. Der Tag endet dann im Wachkoma im eigenen Saft. Und es soll so bleiben, also derart heiß. Morgen müssen wir die Routenplanung überarbeiten.
13.06.2025 Freitag
Noch geht‘s. Noch kann man sich in Kleidung stecken. Aber schnell weicht die nur unmerklich vorhandene Morgenfrische und es darf gebrütet werden. Das gegen 10 Uhr beim Start auf dem Fahrradsattel, denn heute wollen wir uns noch unbedingt die „L‘Île aux Antiquites Brocante“ ansehen. Dazu sind wir hitzebedingt noch nicht gekommen, weswegen wir unseren Aufenthalt auf dem CP auch so ungewöhnlich ausgedehnt haben, was sich aber echt lohnt und Langeweile ohnehin nicht aufkommt. Und heute fällt uns erstmal auf, wie toll die Promenade am Ufer entlang zur Stadtmitte ist. Gestern am Markttag mussten wir unser Augenmerk auf den starken Verkehr richten, da ist uns das alles dadurch gegangen. In den kleinen Lokalen richten die Mitarbeiter schon alles her für die Gäste. An einem „regnet“ es aus der Dachrinne im Bogen in den Fluss, was sicher nochmal für besondere Frische sorgt. Auch Kunst am Fluss gibt es reichlich im Wechsel mit blühenden Oleanderbüschen.
Dem gestrigen Marktgeschehen gegenüber liegt das Portal zur Trödelinsel. Unscheinbar wirkt alles, öffnet sich aber zu einem Platz, der rundum mit Trödel jeden Ausmaßes und jeglicher Art bestückt ist. Dahinter reihen sich winzige Läden, quasi nur Zimmergröße, in denen die Händler sich mit Herumräumen und Abstauben beschäftigen oder schon in einer schattigen Ecke lümmeln und kaum auszumachen sind.
Flair, ja natürlich, davon wird hier reichlich versprüht, da kommen Gedanken ins Trudeln und Schwärmen. Wir fragen uns, aus welchen Besitztümern all das hier stammen mag und wo und ob all die großen schweren Kübel und Figuren aus Ton oder Metall jemals eine neue Wirkungsstätte finden können. Ich kann mir nur vorstellen, dass sich Provence-Verliebte hierher aufmachen, am besten mit Anhänger, und „greif hier mal hin, greif da mal hin“ alles Erdenkliche, was zu ihrem Landsitz passen und Bereiche schmücken könnte, verladen lassen.
Aber unterschätze niemals einen Flohmarktfan. Schließlich gilt L’Isle-sur-la-Sorgue definitiv als „the place to be“ für Anhänger von Antiquitäten, und das mittlerweile Europa weit. Und die Grenzen zwischen Trödel und Antiquität sind oft fließend.
Nach Herzenslust und unbehelligt können wir, also eher ich, Wim bleibt im Schatten, stöbern, den perfekten Krimskrams entdecken und unsere Einrichtung bzw. Veränderung in Vintage-Stil überdenken. Antiquitäten, so las ich, sind regelrecht in der DNA des Dorfes verankert. Hier auf der Antiquitäteninsel befinden sich etwa 40 Antiquitätenläden, ein weiteres „Village des Antiquaires“ (Dorf der Antiquitätenhändler) gibt es mit fast 70 Ausstellern. An Ostern und Mitte August finden große Antiquitätenmessen statt, an denen locker über 500 Händler ausstellen und die Tausende von Schnäppchenjäger aus Frankreich, aber auch aus dem Ausland anziehen. Also Entdeckungen en masse möglich.
Die erwarten uns quasi auch direkt um die Ecke. Ein schweres grünes Eisenportal, vorhin bei unserer Ankunft noch verschlossen, ist nun geöffnet und lässt Blicke auf ein herrschaftliches Anwesen und ein riesiges Kunstobjekt im Vorgarten zu. Ein Banner gibt Auskunft über eine Ausstellung. Nix wie rein. Eine junge Frau informiert uns perfekt und mit viel Freundlichkeit darüber, dass wir überall im ganzen Haus herumgehen können, auch im hinteren Garten, es gäbe viele Kunstwerke zu betrachten und der Eintritt sei frei. Prozedere wie immer: Wim und Chianga im Schatten, ich ziehe los, aber erst nachdem wir sehr ausgiebig das kunstvolle, in der Sonne gleißend strahlende Gebilde bestaunt und uns darüber Gedanken gemacht haben. Töpfe und Deckel … einzigartig und Spekulationen anregend peinlich exakt zusammengefügt zu einem überdimensionalen Stöckelschuh. Kunst soll anstoßen. Soll sie mir sagen, dass Topf + Deckel + Highheels perfekt zusammen passen? Oder will sie mir veranschaulichen, dass Frau Topf + Deckel mit Füßen treten und neue Wege gehen soll? Könnte es sein, dass viel Sehnsucht darin steckt? Dass Topf + Deckel zugunsten eines luxuriöseren Lebens aufgegeben werden sollen? Oder zeigt sie einfach nur, dass Frau beides macht? Und warum? Weil sie‘s kann. Wunderbar, ins positive Grübeln zu kommen.
Und das setzt sich fort. Die Fotos geben nur einen Ausschnitt wieder. Etliche Werke sprechen Bände. Besonders tiefgehend bedrückend fand ich den aus Rasierklingen aus Edelstahl zusammengesetzten Rollstuhl. Aber auch der „Stuhlkreis“, in dem ein Stuhl frei ist, stößt uns mächtig an. Dagegen wirkt ein Objekt der phantastischen Künstlerin Niki de Saint Phalle richtig heiter. Allerdings müsste ich über den Sinn etwas nachlesen, denn hintenrum gesellt sich bei ihren Werken oftmals die Schwere hinzu.
Das Haus an sich ist schon herrlich mit wunderschönem Treppenhaus, aber der Garten eine Wucht, nicht riesig, aber durch viele verschiedene Ecken und Gestaltungen, bestückt mit Kunst, wirkt er weitläufig.
Besonders fasziniert mich die afrikanische Frau, die mit Seelenruhe, so viel Fassung und Würde in ihrem wunderschönen Gesicht, erträgt, einfach erträgt, ein Schicksal aushält und erträgt, das ich mir nicht im Ansatz vorstellen kann und niemandem wünsche. Vielleicht finde ich später im Netz irgendwelche Beschreibungen, die ich mir übersetzen kann. Und natürlich plätschert ein Arm der allgegenwärtigen Sorgue vorbei und verleiht dem Ganzen totale Entspanntheit. Und so verlassen wir diese Hallen hier, angeregt-entspannt, aber durch große Hitze wie aufgequollen.
Wir steuern die Kirche an, lassen uns vor dem Besuch aber zunächst auf dem Kirchplatz in einem Lokal fallen, verspeisen eine leckere „Plate de jour“, mit 12 € echt nicht teuer und beobachten die Menschen ringsum, was gelegentlich ja viel Spaß macht.
Beim Betreten des Kirchenraums der Église Notre-Dame-des-Anges staunen wir sehr. Das eindrucksvolle Gebäude mit seiner strengen Fassade lässt nicht auf die reiche Innenausstattung schließen. Wir hätten eher Schlichtes erwartet, werden überrollt von großen Gemälden, Statuen, Wandverzierungen, geschnitzten Holzarbeiten und einem außergewöhnlichen Altaraufsatz von, wie ich las, 15 m Höhe und 222 Engelfiguren, die Maria in den Himmel begleiten. Die Orgel, ungewöhnlich im Altarraum angebracht, stammt aus dem 15. Jahrhundert und steht unter Denkmalschutz. Witzig - und ja auch irgendwie für unsere Regionen klar - ist das Schildchen, dass Hunde nicht mit hinein dürfen, an England denken wir, wo in den Kathedralen oft sogar ein Wassernapf für Hunde bereit stand.
Sehr bereichert von den unterschiedlichen Eindrücken lassen wir uns mal radelnd, mal schiebend einfach durch die Gassen des ehemaligen Fischerdörfchens laufen.
Überall bietet sich so Vielfältiges und Kurioses, meist sehr ansprechend und außergewöhnlich präsentiert. Es macht richtig Spaß, sich überall die Nase plattzudrücken und etwas von der Lebensart aufzusaugen und mitzunehmen.
Irgendwann radeln wir vorbei an den ellenlangen Restaurants am Kanal der überall rauschenden Sorgue wieder zurück zum Womo. Und der Plan für die weitere Route steht: Avignon fällt absolut weg. Heute schoß das Thermometer hier auf 38 Grad, für Avignon ist ähnliches gemeldet für die nächsten 6 Tage. Nein danke, es wird verschoben und ein Ziel nördlicher angesteuert in der Hoffnung auf moderatere Hitze.
14.06.2025 Samstag
Eine schöne Zeit liegt hinter uns in diesem entzückenden Städtchen. Gerade mal einen Ausschnitt haben wir kennengelernt. Ein Wiederholungsbesuch kann ohne Weiteres eingeplant werden. Der junge Mann in der Rezeption ist immer noch bemüht und wirklich freundlich bei der Verabschiedung, bei dem CP gibt‘s also rein gar nichts zu meckern, und wir ziehen mit den letzten Bildern hinaus zu neuen Zielen.