01.06.2025 Sonntag
Das schöne Montalieu verlassen wir auf unserer Hauptroute, der D1075. Im Verlauf folgen wir der D1076, D1085, vor Grenoble der D3, dürfen in Grenoble ein Stück weit auf die A48/480, um uns dann für wenige Kilometer und sehr ehrfürchtig die Marschroute Napoleons vorzuknöpfen, die legendäre N85 „Route Napoléon“. Unterwegs wird es deutlich hügeliger, dann gebirgiger bis zum Hochgebirge. Viele Orte passieren wir, irgendwie erheblich mehr, als auf den Strecken zuvor. Und sie liegen sogar fotografiergünstig an meiner Seite, denn die Frontscheibe ist immer noch total eingesaut. Jede Menge Womos und Motorradkolonnen kommen uns entgegen, stramme Rennradfahrerwaden treten kräftig in Pedale, selbst auf schmaler Straße ist eine Spur für Radfahrer markiert. Da wird‘s manchmal eng.
Tief unter uns auf einem knapp 700 m hohen Col flimmert der Lac de Paladru wie ein türkisfarbener Edelstein, gefaßt in das Grau-grün der Wälder und Felsen, zu uns hinauf. Er zieht sich weit durch das Tal, bis wir ihn aus den Augen verlieren, weil uns unser Rüdiger von der Hauptroute ab auf die D12 durch entlegene Ecken lotst. Aber er liegt richtig, kaum zu glauben, denn um von weit Ost mautfrei nach Grenoble zu kommen, muss man die AB auf schmalem Landsträßchen und über hohle Gassen und entlang von Walnussplantagen, ähnlich Olivenhainen, umfahren. Etwas abenteuerlich das alles.
Aber flott geht es bald hinab mit an die 10 % Gefälle nach Grenoble vor mächtiger Bergkulisse mit schneebedecktem Massiv. Und hier blüht der Oleander. Ein Stück weit führt die Route am wilden Flussbett des Drac vorbei. Viel Wasser führt er nicht. Aber die Dimension des Flusslaufs ist in Ansätzen der in Marokko ähnlich und man ahnt, welche Wassermassen hier durchbrettern können. Wie das wohl zu Zeiten Napoleons war, als er hier entlang marschierte? Denn nun befahren wir seine Route, die N85.
In Jarrie fahren wir ab. Es sind nur noch wenige Kilometer bis zum Ziel, aber man weiß ja, wie sich in gebirgigen Lagen 3 km ziehen können. Auf „Basse-Jarrie“ folgt „Haute-Jarrie“, zwischen den kleinen Nestern flehe ich insgeheim, das Ziel möge passabel erreichbar sein, denn die Lage der Übernachtungsmöglichkeit ist wirklich extraordinaire, wie der Franzose sagen würde. Aber wer sagt‘s denn, es klappt, die erste Bergetappe im Sack, eng, aber passt. Und da, wo wir hin wollen, gibt‘s auch genügend Fläche und einen gigantisch schönen Blick auf das Château Bon Repos, das sich hoch oben über dem Tal präsentiert wie einem Märchen entsprungen.
In großer Schwüle und Hitze lassen wir uns nieder. Gewitter liegt in der Luft, die Freude über diesen tollen Fleck auf dem Plateau von Haute-Jarrie ist groß. Hier lässt sich doch hervorragend der Sonntagskaffee genießen. Und dazu, wie in Frankreich üblich, fein verpackte Leckerei im Karton, ein Eclair für jeden, ein zartkrümeliges, üppig mit Creme gefülltes Brandteiggebäck, das in Deutschland schnöde auch Liebesknochen, Kaffeestange oder Hasenpfote genannt wird. Eclair klingt eindeutig besser und mundet hervorragend.
Unterdessen braut sich am Himmel echt etwas zusammen. Blitze zucken an den Berghängen entlang, Donnergrollen ringsum. Die Burgkrähen, eindeutig Herren der Burg, verlassen ihre Positionen auf den höchsten Simsen und verziehen sich in Scharen in die umliegenden Wälder. Und dann kommt es aber, Drama Baby Drama!
Ja, aber alles halb so wild, leichte Abkühlung bringt das Gewitter, aber kaum nennenswerten Regen. Die Krähen flattern wieder heran, durchforsten sichtlich begeistert den vor uns liegenden Acker nach Essbarem. Schnell können wir uns auch wieder nach draußen wagen, alles wieder aufbocken und genießen. Ein Spielkamerad für Chianga flitzt heran, hier werden übrigens viele Hunde spazieren geführt. Alle Hunde sind, wie die Menschen am Ende der Leinen, ausnahmslos freundlich.
Einen Rundgang um die Burg, die nicht bewohnt und wegen des eingestürzten Dachs dem Verfall preisgegeben ist, unternehmen wir und überlegen, wieviel Geld man in die Hand nehmen müsste, um so etwas Herrlichem wieder zu Glanz zu verhelfen. Ich fand nicht viel zur Geschichte des Schlosses, oder war es eine Burg, aber eine lustige Übersetzung irgendeiner France-voyages-Seite hilft ein wenig weiter:
„Diese Burg, die um 1450 erbaut und wahrscheinlich zu Beginn der Renaissance umgebaut wurde, dominiert das Tal von Jarrie und verleiht der Landschaft viel Charakter. Es ist in das ergänzende Inventar der historischen Denkmäler eingetragen. Trotz seines eingestürzten Daches sieht er mit seinen vier Ecktürmen und seinen Kiesel- und Schieferfassaden immer noch sehr gut aus. Seine gekneteten Fenster sind elegant von einem weißen Steinrahmen unterstrichen. Vom 16. bis zum 17. Jahrhundert gehörte das Schloss den Familien Armuet, Murinais und dann Costa de Beauregard. Es erlebte im 19. Jahrhundert eine schnelle Abfolge von Eigentumern, darunter Jules Jouvin. Seine Verschlechterung beschleunigte sich mit dem Einsturz seines Daches im Jahr 1917. Der ehemalige Hochburg sitzt auf den Resten einer schwangeren zwölften Jahrhundert, ebenfalls enthalten. Die Website stellt heute einen hohen rechteckigen Hauptgebäude umgeben von vier Ecktürmen und einer Kapelle aus dem 15. Jahrhundert im gotischen Stil. Seit den späten 1970er Jahren wird das Schloss von Bon Repos bis hin zum Catering gewidmet und Unterhaltung, begrüßen Besucher und Performance drinnen und draußen.“
So weit so gut. Außer Tatort, später Regen und mitternachtsblauem Blick ins Tal passiert heute nichts mehr. Die Räder atmen auf, haben sie auch mal einen verdienten Ruhetag.
Am Abend sende ich noch flott eine Mailanfrage an einen CP in Valensole, dem Herz der Provence, da der Platz wohl wunderschön liegt und man dort um unbedingte Voranfrage bittet. In den Netzwerken stöhnen etliche Mitcamper über Überfüllung der Provence. Bisher ist es uns sehr gut ergangen. Die Zahl der Womos, denen wir unterwegs begegnen, nimmt zwar stark zu, aber scheinbar haben wir Glück und finden bisher immer noch eine kaum besuchte stille Ecke.
02.06.2025 Montag
Nachts prasseln Schauer nieder. Einige Halbstarke, die irgendwo im Busch Party feierten, ziehen ziemlich still wieder heimwärts, so dass wir sehr ausgeruht den neuen Tag angehen können. Leider ist nichts mit „blauem Montag“, könnten wir Blau machen, heute wär‘s echt angebracht. Es bietet sich aber nur ein moosgrüner Montag. Sumpfiges Grün, dem Beckenboden eines Aquariums ähnlich, umgibt uns. Der Blick zum dramatisch von gräulichem Genebele umwobenen Gemäuer ist nicht so schön, die Berge verhangen, alles fordert aber auf, das Beste daraus zu machen. Die gefiederten Burgherren jedenfalls schwirren heran und beziehen ihre Posten. Wir verlassen selbigen über ziemlich seifig glitschigen Boden. Chianga wird erst irgendwo im besseren Geläuf aussteigen. Hellbeige Schlammpfoten und Abdrücke dieser muss sich der Innenbereich nicht einhandeln. Durch die kleinen Ortschaften ziehen wir wieder von rund 500 m nach unten ans Flussufer. An unseren tollen Übernachtungsplatz werden wir sicher noch oft denken, sind aber auch gespannt, was uns auf der N85 erwartet.