von Haute-Jarrie nach Aubessagne

02.06.2025 Montag

Der kurze Abstecher ins Gebirge zum dachlosen Château liegt hinter uns und vor uns die „Route Napoléon“, ein Klassiker unter den Gebirgsstrecken. Sie gehört in Frankreich zu den sogenannten „Themenstraßen“ und zeichnet den Weg nach, den Napoléon Bonaparte im Jahr 1815 auf seiner triumphalen Rückkehr aus dem Exil auf der Insel Elba nutzte. Sieben Tage soll er marschiert sein von Süd nach Nord, ein Marsch, der als „Flug des Adlers“ in die Geschichte eingegangen ist. Die Route beginnt an der Cote d'Azur, führt über Grasse, Digne, Sisteron, Gap bis nach Grenoble und entspricht heute im Wesentlichen der N85. Den unteren Teil bis Grasse kennen wir bereits aus vielen Urlauben in Saint Tropez. Ab hier oben im Norden ist es Neuland für uns, und so fühlt es sich in der Magengegend auch an. Vertrauen wir auf die Power unserer kleinen Dampfwalze, die sie erstmal nicht unter Beweis stellen muss, da es am flach am Flussufer entlang geht. 

Das ändert sich recht flott, und zwar nicht langsam peu à peu, sondern directement. Kraxeln ist angesagt, aber wie. Hier zahlt sich aus, dass heute keine schwül-warme Witterung herrscht, sondern es die 17 Grad für unser Concördchen erträglicher machen. Selbstverständlich zieht es durch, keine Spur von Schlappmachen. Auch Wim hat nach kurzer Schnappatmung und Gedanken, wo ich ihn wohl wieder hinlocke, seine Fassung wieder, obwohl etliche Kilometer schweigend zugebracht wurden. Solche Risiken muss ich aber einfach eingehen, man muss für eine Beziehung etwas tun, Anreize setzen, für Kicks sorgen, jenseits der Reizwäsche. Insgeheim muss ich schon sehr lachen. 

Die Straße ist gut befahrbar. Wim lässt gelegentlich unsere Hintermänner passieren. Er mag kein Gedrängele von hinten, es ist entspannter für ihn. Tückisch wird es erst in den Ortschaften. Mein lieber Herr Gesangsverein, schmalste Gasse, Anstieg, enge Kurve, Zaudern wenig förderlich, beherzt hinauf und rum, und zack Terrassen, Blumenkübel, Zentrum, „Hotel de Ville“ auf 12 Uhr, volle Kraft voraus und wiederum ums Eck. Geschafft! Alle Besucher der Außengastronomie haben überlebt. 

Über weite Plateaus geht es, Haarnadelkurven häufen sich. Meist können wir sie perfekt anfahren, da wir zum Abhang hin reisen und die äußere Kurvenspur befahren dürfen, die innere sehr deutliche Spuren des Aufsetzens zeigt. Aber spektakulär was Fahren angeht ist wirklich nichts, da sind wir von Marokko andere Strecken gewöhnt. Aber das muss auch nicht sein. 

Belohnt werden wir im Verlauf mit gigantischen Ansichten auf schroffe Bergwelten, zwar häufig mit dekorativ umgelegten Nebelschwaden, aber äußerst reizvoll. Tiefste Schluchten tun sich auf, wilde Wasser donnern bergab, und immer schaut würdevoll ein steinerner Gipfel auf die Welt herab. 

Ich hoffe, dass ich einige schöne Eindrücke mit der Kamera bannen kann, und sich nicht alles im Grün-grau-Bereich abspielt. Und wirklich nach jedem Kilometer tut sich Neues auf. Auch mehrere Seen liegen unter uns, an denen man bestimmt herrliche Tage verbringen kann inmitten wilder Natur.

Unser Tagesziel haben wir bald erreicht. Knapp 70 km sind wir gefahren, brauchten dafür knapp 1 1/2 Stunde. Angehalten haben wir nicht, alles durchaus ok. Und mit erheblich besserem Gefühl in der Magengegend biegen wir in Aubessagne auf fast 1000 m Höhe von der N85 rechts ab auf den schmalen Pfad zum Kirchlein hin und platzieren uns auf dem kleinen Parkplatz vor selbigem. Schön, sehr schön das Wetter mittlerweile, superschön die Aussicht, wir bleiben, obwohl es erst früher Nachmittag ist. Aber für heute reicht‘s. 

Wim schaut sich noch im kleinen Ort um, steht aber leider vor geschlossener Boulangerie, die Mittagspause bis 16 Uhr macht und füllt später ein paar Kannen mit Quellwasser vom Trinkwasserbrunnen um die Ecke in unseren Tank. Da die Kirche verschlossen ist, beschränke ich mich auf den Friedhof, der, wie in fremden Ländern so oft, einen besonderen Zugang zu der Bevölkerung ermöglicht. Es ist erstaunlich, dass dieses kleine Nest solch große Grabstellen hat. Aber ich sehe, dass wohl ganze Großfamilien sich ein Grab teilen. Zusammen ist, was zusammen gehörte. Die vielen Gravurtafeln sprechen Bände. Sogar verstorbenen Kusinen wird damit gedacht. Aber ganz besonders interessant finde ich die Tafeln, auf denen ein Jäger, meist mit angelegtem Gewehr und Jagdhund bei Fuß dargestellt ist. Er findet sich auf sehr vielen Gräbern. Zunächst denke ich, einer der Verstorbenen ist Jäger gewesen, aber so viele können zu Lebzeiten nicht Jäger gewesen sein, vor allem auch noch immer mit identischer Figur auf der Tafel. Eine Figur einer Legende um Leben und Tod? Ein Heiliger im irdischen Jägergewand? Ich weiß es (noch) nicht. Nach Befragen des „www“ im Womo klärt es sich auf: Krieg, es hat mit Kriegen zu tun, traurig, was sonst, hätte ich auch drauf kommen können! Der Verstorbene war nämlich Soldat im „Bataillon de chasseurs à pied“, eines der vielen Jägerbataillone.

Und es bleibt spannend, sicher auch morgen auf unserer Weiterreise … direkt ins Herz der Provence. 

03.06.2025 Dienstag

Ein wenig heller ist es schon über uns, nicht mehr Grau in Grau. Nachts fiel Regen, jetzt scheint es trocken zu bleiben. Die Wettervorhersage lässt hoffen. Ich nehme an, die Sonne wird‘s heute schaffen und auf die 17 Grad jetzt gut 10 Grad draufschaufeln. Wir beschließen, ohne Frühstück loszufahren und im 15 km entfernten Intermarché erstmal einzukaufen. Gesagt getan, und wir ziehen raus aus dem kleinen Bergdörfchen.