französische Ardennen ~ Givet

07.06.2024 Freitag

Verhältnismäßig zeitig sind wir unterwegs nach der Nacht im schönen Nismes. Das Grenzstädtchen Givet, das im letzten Zipfel in Frankreich liegt, ist Ziel. Der SP liegt direkt an der Maas, denkbar, dass die wenigen Lücken an einem Freitag flott belegt sein könnten, ggf. von Rentnern, die da schon seit Wochenbeginn kleben ;-), so wirft man uns „vogelfreien“, nicht mehr in Lohn und Brot stehenden Campern das ja gerne schon mal vor in den so sozialen Netzwerken. Daher ist leicht Stress heute morgen, aber es läuft ja. Weit schweift der Blick über die Ardennen-Höhen. Ein schmuckes Dörfchen durchfahren wir, bevor es hinab ins Tal der Maas und damit gleich wieder nach Frankreich geht. 

Idylle zur Rechten, wo ein wunderschönes Schlösschen die Landschaft schmückt - Unbehagen zur Linken, wo ein massiger weißer Dunstkegel in nicht weiter Ferne senkrecht hinauf zum Himmel quillt. Und die Maas hüllt sich in Schweigen, strömt weit und breit und still in ihrem Flussbett gen Meer. Schräge glatte Schieferfelswände türmen sich auf, man kann erste Burgreste auf dem Höhenzug und bald darauf einen Kirchturm erkennen. Der Sonnenschein und das blitzblanke Wetter machen die Einfahrt in das Städtchen Givet zum Erlebnis. Einfach herrlich schwappt das französische Flair ungebremst in die offenen Fenster und macht richtig glücklich. 

Aber nun steigt die Spannung erstmal richtig, nachdem Wim beim Überfahren der Brücke und nach einem Blick übers linke Flussufer feststellt: „Ach du Schande, ist der voll!“. Rentner, was sonst, alles blockierende Rentner ;-). Gut beschildert rollen wir nach einer Abbiegung nach links in eine perfekte SP-Einfahrt. Super ordentlich angelegt ist der SP, Blick auf Kirchturm, auf die Maas, die Burg und das Städtchen. Und das, man glaubt es kaum, umsonst! Null! Und V+E ist möglich am Automat, Kosten muss ich noch ermitteln. Denn vordringlich ist das Entern einer Lücke, möglichst erste Reihe. In zweiter Reihe tut sich die ein oder andere auf, aber aber. Und tatsächlich ist doch eine einzige in Bestlage frei. Wow, Glück gehabt und rein mit uns. 

Das grenznah zu Belgien und im Herzen der Ardennen liegende Städtchen lockt, ganz klar. Früh am Tag ist es noch, also macht Wim die Räder klar. Das wollen wir uns doch jetzt mal ansehen, was man in Frankreich als „Plus Beaux Détours de France“ („schönster Umweg Frankreichs“) bezeichnet. Von der Maas-Brücke aus können wir die hoch oben auf einem Felsvorsprung errichtete Zitadelle bestaunen. Dies gilt für Wim umso mehr, denn schließlich gehörte Givet damals zu den spanischen Niederlanden und grenzte an das Königreich Frankreich und das bischöfliche Fürstentum Lüttich. Die imposante Burg Charlemont, die über das Tal ragt, wurde von Charles Quint im 16. Jahrhundert errichtet und im 17. Jahrhundert von Vauban befestigt. Unterhalb der Zitadelle steht der Siegesturm, der ehemalige Bergfried der Burg der Grafen der Marck, aus dem 14./15. Jahrhundert. Sie ist das Ergebnis der Eroberungen und Verträge von Ludwig XIV., der den Ehrgeiz hatte, das Maastal im Königreich Frankreich zu bewahren. Kirchen, enge Gassen, Türme, befestigte Tore und viele andere Denkmäler zeugen heute noch von der wichtigen Rolle, die diese Stadt vor mehreren Jahrhunderten spielte. Wir bahnen uns zunächst einen Weg durch die alten Gassen und die im Abbau befindlichen Marktstände, quatschen hier und da mit herum wuselnden Händlern, die alle freundlichst Platz machen. 

Da das Portal der Kirche Saint-Hilaire offen scheint, gucken wir uns natürlich um, im Schichtbetrieb, Chianga und die Räder bleiben nie unbeaufsichtigt. Der Innenraum der Kirche ist freundlich hell. Eine Heilige Rita wird wohl besonders verehrt. Auffällig schön sind einige modern gestaltete Kirchenfenster. Sie leuchten wie Fackeln und erinnern an den Sankt-Martins-Umzüge in Kindertagen. Auch fallen wunderbar gearbeitete, mit Ornamenten reich verzierte Bodenplatten auf. Ob sie nun aus Keramik sind oder aus Eisen gefertigt wurden, kann ich nicht feststellen. Sie ähneln gusseisernen Takenplatten, mit denen man Kamine früher ausgestattete. Aus Eisen könnten sie ohne Weiteres sein, denn hier waren ehemals metallverarbeitende Industrieunternehmen am Werk, wovon am Ortseingang auch etliche Lost-places, stillliegende Fabrikgelände, zeugen. 

Hier kann es einem schon gefallen. Die kleine Stadt Givet präsentiert ihre wunderhübschen Hausfassaden im sonnigen Licht. Kaum eine gleicht der anderen. Hin und wieder lugt das Gemäuer der trutzigen Burg hervor oder es tun sich Plätzchen auf. Ein Platz liegt plötzlich großflächig vor uns. Rundum bestanden mit prächtigen alten mehrstöckigen Häusern, fein säuberlich gestutzten Bäumen und herrlichen Laternen haben die Gedenkstätten nochmal eine besondere Wirkung. 

Wir lassen uns treiben kreuz und quer durch die Sträßchen und kommen irgendwo am Ortsrand an einen See, vermutlich ein Arm der Maas. Schwäne genießen die Sonne, ein Maler könnte Farben und Licht sicher perfekt und romantisch einfangen. Meiner Kamera gelingt es auf andere Art. 

Irgendwann erreichen wir über ein Stück Landstraße hinter dem Hafen den Radweg am Maas-Ufer entlang. Häuser unterschiedlichster Arten liegen am Radweg. Aus den dichten Wäldern, die die Hügel am anderen Ufer überziehen, gucken hier und da verwunschene märchenhaft schöne Châteaus mit Erkern und Türmen. Straßen kann man dort keine erkennen. Es scheint, als könnten diese Anwesen nur angeflogen und nicht angefahren werden. Flach und gemütlich verläuft der Radweg. Teilweise ist er aber total beschissen, nicht was den Belag angeht, nein, was die Hinterlassenschaften der vielschnäbeligen Schwärme von Nilgänsen angeht. Das schöne Federvieh macht total viel Mist, richtet mit den großen Haufen eine Sauerei auf dem Weg an. Das wird den Anwohnern auch nicht besonders gefallen.  

Paar Meter vor Belgien endet der Radweg im Nichts bzw. im hohen grünen Gras. Wir drehen um und halten an einer Außenterrasse an. Eine kleine Stärkung ist fällig. Gäste jeden Alters, selbst sehr alte, die Geleit brauchen, speisen hier. Und zwar Fritten, was sonst. Gut gestärkt wechseln wir zum anderen Ufer der Maas, fahren ein Stück Landstraße, vorbei an der alten belgischen Zollstation, wieder rein nach Frankreich und stoppen an einer langen Mauer auf einer Anhöhe, um zu sehen, was sich dahinter verbirgt. Da staunen wir nicht schlecht: ein Friedhof, aber was für einer! Er zieht sich ziemlich steil hinab ins Tal der Maas und bietet hervorragende Aussicht. Uralte Grabstätten von Verstorbenen, derer aufgrund des Grabschmucks wohl immer noch gedacht wird, finden sich hier in bester Lage. Viele „letzte Grüße“, ganz unterschiedlich gestaltet, stehen auf den Gräbern. Ich finde es schön und rührend, zu sehen, wie die Erinnerungen an die Verstorbenen lebendig gehalten und das Gedenken an sie zelebriert werden und Gräber nicht, wie bei uns üblich, einfach irgendwann verschwinden müssen. 

08.06.2024 Samstag

Störungsfrei kommen wir durch die Nacht hier im Grenzland an der Maas. Rundum herrscht nicht das übliche Fertigmachen und Abreisen, nein, alles verhält sich schön ruhig. Die Sonne lacht vom blauen Himmel, was sich sehr gut trifft, da wir heute mit dem Rad flussaufwärts in die andere Richtung wollen. Im benachbarten Carrefour besorgt Wim aber zunächst mal Brot. Nachdem damit die Not aus dem Haus und der Frühstückshunger aus dem Bauch sind, können wir zufrieden losradeln. Doch schon an der nächsten Ecke, ich muss einen Ausparkenden passieren lassen, übersieht Wim, was ich nicht ahne, die Auffahrt auf die Voie Verte und tritt einfach auf der ansteigenden Landstraße in die Pedale, obwohl ich vorher zigmal erwähnt hatte, dass wir den Radweg am Maasufer entlang nehmen. Mein Gott, mein Gott. So folge ich dem Radweg, wundere mich zunehmend, warum ich nix von ihm und dem orangefarbenen Hänger sehe. Irgendwann ist klar, die 2 können nicht vor mir sein, dann hätte ich sie längst eingeholt. Seufzend kehre ich um, ahnend, was da wiedermal schiefgelaufen ist. Nachdem ich auch die Hauptstraße ab der fraglichen Stelle ein weites Stück befahren habe ohne jede Sichtung der beiden, kehre ich zum Womo zurück. Man kann ja nie wissen. Aber da sind sie nicht. Also wieder zurück. Und an irgendeiner Ecke wird mir dann freudig ein „Kannst Du mir sagen, wo Du jetzt warst?“ zugerufen. Klar, kann ich, aber will ich im Moment nicht. Ich will wortlos weiter, und zwar auf dem Radweg und am Maas-Ufer entlang, wo sonst! Gut, dass wir kein Tandem haben … oder anders: schade, dass wir kein Tandem haben, dann wäre das jetzt nicht passiert. Egal, der Ärger ist schnell verweht im frischen Fahrtwind. Es sind so die Momente, die Szenen einer Ehe, die es eigentlich nicht wert sind, Ärger zu machen, rum zu muffeln, und die Notbremse findet man eben nicht immer sofort. Aber stimmungsaufhellend ist rundum genügend. Die Landschaft ist herrlich, unaufgeregt fließt die Maas, Angler packen ihr Equipment aus, irgendwo werden Schafe geschoren und der Radweg ist (fast) nicht beschissen. Hier ist also das Umfeld nicht so stimmig für Nilgänse wie weiter flussabwärts in Belgien. Evtl. lieben sie Belgien mehr als Frankreich. 

Mit solchen Gedanken beschäftigt kommt das Örtchen Chooz in Sicht und damit die Möglichkeit, das Flussufer zu wechseln. Man muss hier schon etwas orientiert durch die Gegend flitzen, denn die Maas windet sich in abenteuerlichen Schleifen durch die Lande und Brücken gibt es wenige. Chooz sieht sehr hübsch aus. Die Menschen hier lieben ihre Häuschen, ihre Gärten und vor allem Blumen. Einfach schnuckelig alles, besonders die schmiedeeisernen Wäscheleinen am schmalen Maasufer. Da macht es doch Lust, frisch gewaschene Wäsche zum Flattern zu bringen. 

Hinter Chooz folgen wir der wenig befahrenen Landstraße zwischen zwei engen Maaskurven. Hier wird‘s leicht hügelig, wunderschöne Aussichten tun sich auf, bevor es wieder hinunter ins nächste Dörfchen Aubrives geht. Auch dieser Ort ist lohnenswert, begrüßt uns direkt mit seiner herrlichen Mairie, um die herum es lebendig zugeht, eine moslemische Gemeinde feiert wohl irgendetwas, viele Leute freuen sich zusammen, und wettermäßig haben sie ja viel Glück heute.

Hinter Aubrives muss wieder etwas gestiegen werden. Aber unser Ziel, das uns bei der Anreise nach Givet schon aufgefallen war, kommt schnell in Sicht und zeigt sich plötzlich im Grünen hinter einer Anhöhe: Hierges. Besser gesagt, man blickt auf die Überreste einer mittelalterlichen Burg, auf Türme und eine Burgmauer. Vom Örtchen, das sehenswert sein soll, erkennt man jetzt noch nichts. Sehr gespannt treten wir in die Pedale. Ja, es stimmt, was andere so darüber schreiben. Wir rumpeln kurz drauf über Kopfsteinpflaster durch eine Gasse, die gesäumt ist von alten Häusern. Märchenhaft schön wirkt alles, zack, und man ist in einem anderen Jahrhundert. Und zack ist man am Ortsende auch in Belgien. 

Nach Wiedereinreise Frankreich und vergeblicher Suche nach einem Burgzugang begnügen wir uns mit dem Blick auf die hoch droben liegenden Burgruinen. Irgendwo darin soll auch ein im 16. Jahrhundert wieder aufgebautes Schlösschen mit im französischen und italienischen Landschaftsstil gestalteten Gärten liegen. Bedauerlicherweise finden wir keinen Hinweis auf Öffnungszeiten. Nirgendwo quälen sich wandernde Zeitgenossen, denen wir folgen könnten, nach oben, um das zu entdecken. Also bleibt uns leider leider nichts anderes übrig, als uns einfach mal zur Ruhe zu zwingen im sonnenbeschienenen Restaurant am Dorfplatz, das sehr gut besucht ist. Chianga wird im Schatten geparkt. Sie ist ein so duldsames liebes Tierchen, geht mit uns durch Dick und Dünn, eine kleine Prinzessin mit kleinen Ansprüchlichkeiten, die wir gerne bedienen, schließlich haben wir das alles ja mit ihr kultiviert ;-) und freuen uns tagtäglich über das Leben mit ihr. Im Halbschatten eines Sonnenschirms lassen wir uns an einem wackeligen Tisch in die Stühle fallen. Gut gelaunt wird um uns herum getafelt. Die Speisekarte ist nicht groß, aber das Begehrte steht ohnehin fest: Assiete de Charcuterie, quasi ein für die Region typischer Vesperteller, eine französische „Jause“, serviert nicht wie in den Alpen auf Holz, sondern stilsicher auf Schiefer. Als uns der emsige Kellner, der evtl. auch Chef ist, man weiß es nicht, begrüßt, fällt mir sofort Louis de Funés ein. Von der Gestalt her kommt es absolut hin, aber noch eher ist es seine Art, sich zwischen Stühlen und Gästen fortzubewegen. Es ist zu ulkig. Armeschwingend wie Kermit der Frosch und mit einer fröhlichen Hektik im Gesicht wirft er Brocken in Belgisch, Holländisch, Französisch und Deutsch in die Runde der Gäste, verliert aber offensichtlich ein wenig den Überblick, denn vermutlich seine Frau kommt mit unseren Gerichten angeflitzt, will sie gerade vor uns auftischen, jammert aber lauthals drauflos. Ihr Louis hat noch keine Tischsets vor uns drapiert. Das stört Madame gewaltig, und dem verleiht sie auch Ausdruck, lautstark. Geschwind Konzentration zusammenraffend mit leicht wirrem Blick packt sich Louis zwei Sets mit einer Hand, in der anderen Hand greift er zum Besteck, das uns auch noch fehlte. Gekonnt aus der Hüfte, als sei nix gewesen, jongliert er Sets und Besteck elegant durch die Reihen, bringt sie an unserem Tisch in passende Ordnung, jedenfalls so, dass Madame nun endlich unsere beiden bleischweren Schieferplatten mit Ardennen-Feinkost vor uns ablassen kann. So, dann mal ran an Speck und Wurstwaren und Terrinen-Masse. Klappt bei mir problemlos, bei Wim weniger gut, denn ihm wurden von Louis 2 Gabeln, dafür aber kein Messer serviert. Deswegen an den Tisch herbeigerufen, trollt er sich für einen Moment beschämt, aber dann doch wieder völlig Herr der Lage zum Besteckkasten und schleppt mit Gekichere und locker-flockigem Getue, aber sehr sympathisch, ein Messer an. Rundum lacht alles, und der allein speisende ältere belgische Motorradfahrer ruft ihm noch etwas nach im Sinne von „Das üben wir aber nochmal“. C‘est la vie. Alles fein, auf der schwarzen Platte vor uns, auf diesem Plätzchen im Sonnenschein, in der lockeren freundlichen Atmosphäre und mit Louis Full-Service - und nicht zu vergessen das Speisen mit dem wunderbaren französischen Besteck aus den Schmieden von Laguiole, nur echt mit der Cigalle, das ich mir immer schon mal zulegen wollte fürs schöne Tafeln zuhause. Aber wenn ich das schon getan hätte, wäre es ja jetzt pour le moment nichts Besonderes mehr, wie die Küche, in die Louis mich noch stolz bittet, seine Küche mit angrenzenden Speisezimmern, eine Melange aus Farben, Altertümchen und nostalgischer Gemütlichkeit, an der sich sicher schon viele Gesellschaften erfreut und vergnügt haben. Nachdem wir Chianga aus ihrem Anhänger befreit haben, damit sie sich ihr obligatorisches Häppchen am Tisch abholen kann, was sie niemals vergisst, treten wir den Rückweg an.

Wir nehmen die gleiche Route, mehr neue Eindrücke sind heute nicht nötig. Die Aussichten sind auch von der anderen Seite her wirklich toll, bei diesem Wetter auch fast keine Kunst und Chianga kann stückweise frei mitlaufen. Am Womo angekommen überlegen wir, mal Wasser zu fassen am Automat. Unser belgischer Nachbar erkennt die Lage und weist vorm Ausparken darauf hin, dass das Bezahlen mit Bankkarte nicht funktioniere, man müsse bei der Touristen-Info im Ort einen Jeton besorgen. Gut, etwas blöd, aber wir radeln hin, um zu hören, dass man diesen Jeton auf einem der beiden CPs bekommt. Also weiter. Und da haben wir Glück, 2 € = Jeton = 200 L Wasser. So können wir ohne Wassernot die nächsten Tage auf uns zukommen lassen. Was wird morgen sein? Fahren oder Bleiben? Heute noch unklar.  

09.06.2024 Sonntag

Wir bleiben. Das Wetter präsentiert sich wieder hervorragend. Der Plan, Namur anzusteuern, wird ad acta gelegt. Den heutigen Sonntag wollen wir nicht im Auto und mit Suche nach einem SP in der Stadt verbringen. Also holt Wim erstmal Brot. Zurück kommt er zwar mit Baguette, aber auch mit etwas im Karton. Ja sag mal! Wo hast Du die denn her? Überraschung! Zwei quadratische dünne blättrige Fladen! M’smen, so heißen sie. Ganz typisch für Marokko. Wir sind doch in Frankreich, nicht in Marokko! Auf dem Rückweg vom Bäcker hat Wim an der Kirche ein paar Marktstände entdeckt, und beim Erforschen, Lebensmittel aufspüren gehört zu Wims Lieblingsbeschäftigungen, trifft er doch tatsächlich auf einen Marokkaner, der hier Typisches anbietet, wie z. B. Couscous, Tajine, und eben diese Fladen, die wir oft in Marokko noch warm verzehrt haben. Man tunkt sie dort in Arganöl oder bestreicht sie mit Mandelmus oder Schmelzkäse, dann zuckersüßen Pfefferminztee dazu und ein wenig Straßenstaub … köstlich! So, nun liegen sie hier in unserem Concördchen, in stillem Gedenken an das von uns sehr geliebte Marokko, in Einigkeit mit französischem Baguette, deutscher selbst gemachter Mirabellenmarmelade und belgischem Schinken. Sie müssen warten bis nachmittags, da wir uns vordringlich um die hoch sensiblen Croissants kümmern müssen. Die M’smen sind robuster, vertragen Liegezeiten. Also immer schön der Reihe nach.

Dann schwärmen wir aus. Der marokkanische Händler packt gerade zusammen. Wir quatschen eine ganze Zeit miteinander. Wie wir es kennen, so freundlich und spaßig ist es auch hier tausende Kilometer von Marokko entfernt. Wir erzählen von unseren Reisen, der Schönheit des Landes. Er erzählt stolz, er komme aus Agadir. Wir erinnern uns, dass uns etliche Marokkaner erzählt haben, Verwandte lebten in Belgien. Ja, das versteht sich gut vor dem Hintergrund, dass in der Wallonie Französisch gesprochen wird, also von Marokkanern schon mal keine Sprachhürde genommen werden muss. Um die Ecke vom SP war uns irgendeine islamische Gebetsstätte aufgefallen. Vermutlich hat der Händler hier auch einen guten Kundenstamm für seine Gerichte. Wir kaufen ihm jedenfalls eine Ladung Couscous ab, handeln mit ihm, wie es sich gebührt, 2 € weniger als er verlangt, er lacht als ich sage „le pris de Maroc“ und freut sich sehr mit Hand aufs Herz über mein „Inshallah. Schön, ein Zufall mit viel Wärme. 

Jetzt muss aber das kommende abendliche Couscous verdient werden. Wir strampeln uns heute mal ab am Ufer des Flüsschens La Houille, die am SP in die Maas mündet. Das Tal der La Houille wird als sehr verwunschen beschrieben. Und? Stimmt! Sehr ursprünglich plätschert das Flüsschen neben dem guten Radweg und windet sich durch Wiesen und Wälder. Überall summt, brummt und zwitschert es. Chianga bekommt natürlich ihre Badepause, bevor wir zum Örtchen Fromelennes abbiegen.

In diesem ebenfalls sehr hübschen Örtchen gibt es einen weiteren SP. Den hatte ich rausgefischt für den Fall, dass in Givet alles besetzt sein sollte. Gut beschildert ist er, und hoch hinauf geht es. Am Friedhof erreichen wir ihn. Perfekt auch wieder alles hergerichtet, echt vom Feinsten, und mit absoluter Top-Aussicht hinüber nach Givet ins Tal der Maas. Und das kostenlos! Ein paar Holländer parken dort. Sie sind begeistert von den Möglichkeiten, im „Gebirge“ zu wandern und zu klettern. Ich drehe noch eine Runde über den Friedhof, der ebenso wie der in Givet angelegt ist. 

Abwärts geht es wieder zum Radweg Richtung Flohimont durch lauschige herrliche Natur. An der belgischen Grenze, die unweigerlich wieder auftaucht, passieren wir eine traumhaft schöne Mühle. Irgendwo vor dem Dorf Landrichamps kehren wir um und radeln die gleiche Strecke zurück, auf der lt. Hinweisschildern auch eine „Route Porsche“ stattfindet. Aber mit Rad klappt es auch tadellos. Ein paar Schnappschüsse später sind wir wieder von einem tollen Ausflug zurück am Womo.

Auffällig war, dass unterwegs in ganz vielen Häusern gelbe Plakate mit der Aufschrift „non à l‘incinérateur“ in den Fenstern hängen. Zunächst vermuten wir, es habe politische Hintergründe, wegen der Europawahl z. B.. Aber es ist Ausdruck eines Protestes gegen eine Verbrennungsanlage, die hier in der Nähe geplant ist. Ja, eigentlich reichen ja schon die beiden monströsen Fischmäuler des Atomkraftwerks, die man in Givet zwar nicht sieht, die aber dennoch um die Ecke liegen und deren Gelände und das der Häuser der Bediensteten hermetisch abgeriegelt ist mit einer Polizeistation quasi als Rezeption. Kein Wunder, dass die Bevölkerung sich hier in diesen idyllischen Flusstälern gegen ein weiteres qualmendes Monster zu wehren versucht. Und wehrhaft sind sie seit jeher, die Menschen in den Ardennen, man denke an das Wildschein, das nicht umsonst Wappentier ist und sich kurioserweise schon mal im Kreisverkehr vor der Kraftwerkssiedlung breitgemacht hat.

Während es sich Nachbars Hündchen in ihren Reisesesseln gut gehen lassen, genießen wir unsere M‘semen. Scheint die Sonne wie jetzt dazu und findet sich irgendwo in den Kühlschranktiefen evtl. noch ein französischer Ziegenkäse mit Kräutern, der sich willig auf die Teigquadrate streichen lässt, dann kann man selbige beim Aufblättern beobachten, bevor man sie verschlingt. Übrigens sind marokkanische Dattel-Tomaten, aus Deutschland eingeführt, ganz köstlich dazu. Gelb wie die Plakate und köstlich wie M’semen ist auch das Couscous am Abend, schön lecker gefärbt mit Gewürzen aus der orientalischen Märchenwelt Marokkos, wenn auch nicht so schön angerichtet. Aber egal, what a day!