Tangermünde


27.04.2025 Sonntag

Randvoll mit Poel’schem Inselglück sind die 200 km bis zum heutigen Tagesziel schnell abgerissen durch mehr oder weniger gefällige Landstriche, in denen sich vielfach mit dem Ausbau der Straßennetze beschäftigt wird. Störungsfrei geht es aber dahin, und das Zitronengelb der blühenden Rapsfelder, das uns immer wieder an das der saftig reifen sizilianischen Zitronen erinnert, bleibt uns erhalten bis zum nächsten Ziel. Und es bleibt adelig, es ist kein armes bescheidenes Fischernest, nein, es ist eine uns noch gänzlich unbekannte alte ehrwürdige Kaiser- und Hansestadt an der Elbe in der Altmark im Norden von Sachsen-Anhalt: Tangermünde. Und schwupp laufen wir auch schon an alten Stadtmauern hinunter in Richtung Landzunge mit Yachthafen, lassen den großzügigen, gut besuchten städtischen Parkplatz-SP rechts liegen. Da die Zufahrt zum Yachthafengelände über den Fluss Tanger hinweg nicht auszumachen ist, schreitet Wim die Örtlichkeit erstmal ab. Und ja, über die auf ersten Blick nicht wirklich als Brücke für Fahrzeuge, sondern eher nur für Fußgänger und Radfahrer, wahrgenommene, mit blauen Geländern gesäumte schmale Brückenspur müssen wir rüber, und das Concördchen passt. Wer sagt’s denn. Die Zufahrt geht weiter über einen schmalen Stich am Deich zu den Elbauen hin, führt dann durch ein Tor zum extrem ordentlichen Yachthafengelände. Vorab hatte ich Kontakt mit dem Hafenmeister, worum vor Anreise ausdrücklich gebeten wird. Er erwartet uns und weist uns freundlichst auf einer Wiese am Ufer einen phantastischen Platz zu. Wow, Skyline Tangermünde zur Linken, Elbe volle Fahrt voraus, Elbauen mit Elberadweg zur Rechten. Und das alles bei perfektem Licht und Himmelsblau. Wir stehen, und das mit freudiger Erwartung und Blick auf den 2019 zur schönsten Kleinstadt Deutschlands gewählten, erhaben daliegenden Ort mit eindrucksvoller über 1000jähriger Geschichte. 

Nach gemütlichem Kaffeepäuschen, und Sichtung etlicher gegenüber auf der Promenade flanierender, fast schon antiker Vehikel, zieht es uns hinaus. Der späte Nachmittag und das laue Lüftchen bieten sich quasi an für eine Runde über den Elberadweg. Chianga steigt mit Wonne wie immer in ihre Senfte, sobald Wim diese aufgerüstet hat. Sie liebt es einfach, kutschiert zu werden, so wie all unsere Hunde bisher. Und immer wieder fehlt Bazou, immer wieder ist er in unseren Erzählungen und Gedanken, ganz besonders, wenn wir auf Tour sind, wenn Weite ins Spiel kommt. So befeuern die weiten Wiesen der Flusslandschaft in den Auen der Elbe gerade unsere Erinnerungen. Er konnte sich gemeinsam mit Chianga so wahnsinnig begeistern für das Rennen im hohen Gras. Aber jetzt braucht es erstmal unsere volle Konzentration am Lenker auf der schmalen Holperspur über den Deich, sonst sausen wir noch den steilen Abhang hinab in die Fluten der Mündung des Tanger in die Elbe und erleben diese mehr als hautnah. Zwischen Steinskulpturen mir nicht bekannter Künstler, den blauen Flüssen und zart rosa blühender Grasnelken entsteigt unser Chianga-Mäuschen ihrem Hänger und schreitet gelassen sittsam die Umgebung ab, kleinere Freudenhüpfer sind drin und wenige rasante Kurven werden geschlagen. Fit war einmal, sie steht uns in nichts nach, auch das eint uns.

Anschließend nehmen wir ein Stück vom Elberadweg unter die Räder. Mit Teleobjektiv im Körbchen radeln wir rund 5 km bis zum Naturbeobachtungsturm Bölsdorfer Haken irgendwo an den Ufern der dahin mäandernden Elbe. Mehrere Stufen geht‘s hinauf in den hölzernen Turm, der oben auf der Aussichtsplattform mit aufschlussreichen Wasservogel-Schaubildern ausgestattet ist. Von den zahlreichen Arten scheinen aber im Moment etliche ausgeflogen. Nur wenige Grüppchen kann ich erspähen, arbeite mich ab an Reihern und Schwänen und einem riesigen Greifvogel und danke dem Himmel für Wim‘s unendliche Geduld. Aber allein der Ausblick von hier oben und die Stille lohnen sich. Auf der Rückfahrt weist mich ein netter Mitmensch auf Turmspitzen in der Ferne am anderen Ufer hin. Sie gehören zur gut erhaltenen Klosteranlage Jerichow. Ich lese später, dass das Kloster sehenswert sein soll und auch über Womo-Plätze verfügt. Etwas für die Merkliste … zu anderer Gelegenheit. Und unsere erste Nacht am Tanger, nicht IN Tanger ;-), bricht an. 

28.04.2025 Montag

Die Welt sieht gut aus. Wetter hervorragend, Parkplatz gegenüber an der Promenade unterhalb der wuchtigen Stadtmauern fast leer. Die gestrigen Massen an Sonntagsbesuchern in PKW und Bussen fehlen. Montag und Stadtkern gehören uns. Auf geht‘s. Hinter der Brücke über den Tanger halten wir uns rechts und folgen der langen breiten Promenade. Hier gerät man selbst auf dem Rad ins Schlendern. Langsam schleichen wir dahin und bewundern die vielen Bauten hinter den imposanten geschichtsträchtigen Mauern. Fliederbüsche blühen üppig, verströmen ihren Duft, die Zeit steht still, so still wie die Fluten der Elbe. 

Nun zäumen wir das Ganze von hinten auf, wie so oft und gerne. Über Kopfsteinpflaster, wie auf unserer ganzen Tour häufig üblich und in mal mehr mal weniger guter Ausführung, holpern wir vom Ufer hinauf und tauchen ab in die alten verwinkelten Fachwerk-Gassen und sofort um die erste Ecke am Gefängnisturm durchs Tor der erstmals im Jahre 1009 erwähnten Burg, im 14. Jahrhundert eine Zweitresidenz von Kaiser Karl IV.. Alles historisch Wissenswerte geben zahlreiche Infotafeln vor Ort her bzw. bei Interesse Beiträge im Netz. 

Hier oben erwartet uns die imposant erhabene Burg Tangermünde, eine mittelalterliche Festungsanlage mit einer reichen Geschichte und einem beeindruckenden Ausblick über die Elbe, ein wunderschön angelegter Park mit den Denkmälern von Kaiser Karl IV. und Kurfürst Friedrich I., ein herrlicher Wandelgang, einem Balkon ähnlich, auf der vollständig erhaltenen Stadtmauer. Turmfalken bevölkern den Kapitelturm, schwingen sich gleich zu mehreren durch die Lüfte und landen und verschwinden in Löchern im Backsteinbau. Mein Teleobjektiv - und ich - schaffen es nicht, sie richtig gut einzufangen, sie sind einfach zu rasante Flugkünstler und wechseln die Richtung in Bruchteilen von Sekunden. 

Die nächsten Gassen warten. Ein Giebel ist schmuckvoller als der andere, alles ein faszinierend schönes Ensemble aus beeindruckenden Backsteinbauten und Fachwerk. Und mittendrin erwartet uns etwas wirklich Sehenswertes. Wir erreichen einen malerischen Platz an der Kirche St. Stephan, umringt von herrlichen Giebelhäusern. Zentral plätschert ein blumengeschmückter Brunnen vor sich hin, der sogenannte „Stadtbrunnen“, von einer Bildhauerin im Jahr 2006 gestaltet. Rund um das Becken sind acht Bronzetafeln angebracht, auf denen Personen und Ereignisse aus der Geschichte Tangermündes dargestellt sind. Einladend schöne Lokale mit lustigen Namen, wie „Schlafstuben“, „Exempel Gaststube“ und „Kuhschwanz“, reihen sich rundum, schmale Terrassen mit wenigen Tischen sind bevölkert, man lässt es sich schmecken. Es sieht so gemütlich und beschaulich aus, und just in dem Moment wird ein Tisch am Brunnen frei. Passend, denn auch gerade in dem Moment stellt sich Durst ein bei uns. Also nix wie hin. Chianga bleibt im Hänger in Sichtweite, geparkt im Schatten der Kirche, denn es ist mit 25 Grad unglaublich warm geworden, in der Sonne schon viel zu heiß für sie. Wim lässt sich nicht lange bitten und freut sich auf ein dunkles Tangermünder Kuhschwanzbier, ich nehme eine Rhabarberschorle. 

Währenddessen schauen wir uns die Speisekarte an. Es ist eher ein ganzes Heft, weit mehr als eine Karte. Wortverliebte wie meinereiner haben wahre Freude daran. Alles Aufzulesende ist so ulkig und besonders ge- und beschrieben, zeugt von großer Kreativität, Einfallsreichtum und Lebensfreude. Mehrmals müssen wir laut lachen, viele Male schmunzeln. Schon das ist ein Erlebnis, dieses Schmökern in dem Schulheftchen. Diese Form wurde bewusst gewählt, weil man das historische Häuschen, an der Ecke Lehrerstraße, als Schule mit unzähligen zusammengetragenen Altertümchen bestückt hat. Gern darf ich mir alles, auch die Stiege hinauf im Obergeschoss, anschauen. Welch ein Erlebnis tut sich da auf in diesem Schnuckelhäuschen. Und in etlichen Räumen kann man speisen, Tische sind schon reserviert, das ist sicher sehr witzig, was mir auch gleich zwei Männer, die an einer alten Schulbank speisen, bestätigen. Meine Frage, ob sie nachsitzen müssten, bejahen sie, heben ihr Kuhschwanzbierglas und versichern, das sei aber nicht so schlimm, man hielte die Strafe mannhaft aus. Spaßige Örtlichkeiten ermöglichen witzige Begegnungen. Wim, der sich unterdessen wundert, wo ich so lange bleibe, dreht aufgrund meiner Erzählungen ebenfalls eine Runde durchs Haus und kommt ebenfalls amüsiert und begeistert zurück. Nach dieser Hausbesichtigung ist uns nach etwas Leckerem. Wir wählen „Tafellappen mit Kreidestaub“. Und ich muss sagen, sehr sehr ordentlich, fluffig, staubig, lecker und ein ordentlicher Lappen. Gut gewickelt und gewrungen wandert er zusammen mit dem Apfelmus in den Schlund.

Unterdessen landet hoch oben auf einem der großartigen Stadttürme ein treuer Gast der Stadt in seinem Nest, ein Storch. Er zupft und richtet das Geflecht aus Ästen und Zweiglein und präsentiert sich vor blauem Himmel. Unbeeindruckt davon verharren ein paar gurrende Tauben und die Brut der Turmfalken, wie wohl von Mama-Falke befohlen, reglos und brav im Nest in einer Ritze im uralten Backsteingemäuer.

Gut gestärkt werfen wir noch einen Blick in die Kirche St. Stephan, ein im 15. Jahrhundert in der Blütezeit der Hanse zur sogenannten gotischen Hallenkirche umgebautes Gotteshaus. Die große Besonderheit ist die Scherer-Orgel, die zu den zehn wertvollsten historischen Orgeln Europas gehört. 

Auf der Weiterfahrt durch die historische Altstadt mit ihren engen Gassen, prächtigen Bürgerhäusern und malerischen Plätzen passieren wir das architektonische Prunkstück der Zeit schlechthin: das Rathaus im Stil der norddeutschen Backsteingotik. Ein Prachtbau der Tangermünder Bürger, die in der Blüte, als die Stadt über lange Zeit Mitglied im Hansebund war, zu mächtigen Geschäftsleuten aufstiegen, und so die baulichen Schätze zusammentragen konnten, allen voran das Rathaus. Glück hatten damals viele, aber manchen war das Glück auch nicht hold. Daran erinnert eine Bronzefigur am Rathaus, die Grete Minde darstellt. Ein übles Geschick ereilte sie, aber die ganze Wahrheit ihres Schicksals hat sie auf ewig mit ins Grab genommen.

Während ich mit Gedanken an Liebe und Wahrhaftigkeit über Kopfsteinpflaster holpere, lässt sich auf einem der nächsten Türme ein liebestoller Storchenmann zum Äußersten reizen und begattet mit weit ausgebreiteten Schwingen seine Liebste. Frühlingsgefühle, wenn nicht jetzt, wann dann. Auf dass dem Städtchen Tangermünde ihre Störche erhalten bleiben!

Nach weiteren Gassen mit herrlichen, gut erhaltenen und bedeutsamen Zeitzeugen der Geschichte aus Backstein in allen möglichen Höhen und Varianten mit geschnitzten Portalen und Schmuckarbeiten schlagen wir den Weg zum Yachthafen ein und erfreuen uns später noch an einem Kotelett mit Blumenkohl. Und dann wird’s Nacht im Hafen. Das war Tangermünde, dem wir morgen den Rücken kehren und weiterziehen wollen.

29.04.2025 Dienstag

Und täglich grüßt das Murmeltier, oder besser: Und täglich fliegt was am Himmel. Heute sind es ein Reiher vor der Nase und riesige Vögel mit großer Spannweite, evtl. Fischadler, die ihre Kreise über uns früh am morgen ziehen. Die Silhouette kann ich bannen, während Wim den Torschlüssel im Postkasten des Hafenmeisters einwirft. Dann nimmt das Concördchen Fahrt auf, raus aus dem Hafen, rauf auf den Deichweg und rüber übers Brücklein mit den blauen Geländern. Schön war‘s, echt schön. Aber wie das so ist bei dem fahrenden Volk, es muss rollen. Und es rollt. Vorbei an den letzten bunten Tangermünde-Häuschen aus alten und neuen Baujahren steuern wir eine Tankstelle an, damit das nächste Ziel (unter neuem Menüpunkt) auch erreicht werden kann.