Insel Poel


23.04.2024 Mittwoch 

Tja, was soll man sagen?!?

Vorweggenommen: Spektakulär unspektakulär!

Ein Bilderbuch-Eiland, auf dem der Schiffsname Programm zu sein scheint.

Aus dem schmucken und begeisternd schönen Wismar ziehen wir hinaus und erreichen am frühen Mittag nach kurzer Fahrt von 15 km über den schmalen Breitling-Damm ein wundervolles Fleckchen Erde, die Insel Poel, die achtgrößte Insel der Republik, ein etwa 37 km² großes Eiland zwischen Salzhaff und Wohlenberger Wiek in der Wismarbucht. Seit 1997 ist die Insel als Erholungsort und seit 2005 als Seebad staatlich anerkannt. Der Poeler Luft wird sehr heilsame Wirkung nachgesagt bei Hauterkrankungen und Beschwerden bei z. B. Bronchitis. Das trifft sich gut, hat mich doch in der Anstalt ein heftiger Husten überfallen, der mir 3 Tage anwendungsfreie Isolationshaft bescherte und sich bis heute nicht gänzlich verabschiedet hat. Wim, natürlich auch leicht angesteckt, kann ebenfalls ein Durchblasen seiner Atemwege gebrauchen. Mal sehn also, was und welche Vorzüge uns das Inselchen zu bieten hat. Erwartungsfroh biegen wir, wie von unserem Rüdiger aufgetragen, an den angesteuerten Koordinaten von der baumbestandenen Hauptstraße nach links ab und nähern uns in abschüssigem Wiesenland einem blauen Tor. Dahinter liegt der „Forellenhof“, eine Fischräucherei mit Lokal an einem kleinen Jachthafen in der schmalen, 3 km langen Ostseebucht, die sich „Kirchsee“ nennt. Der betonierte Platz vorm Kai ist sehr geräumig, ein paar Womos stehen im seitlichen Teil. Die Aussicht über den „See“ ist toll, man hat den trutzigen Kirchturm und den Hafen vom Hauptort Kirchdorf voll im Blick. 

Wir melden uns im Lokal bei der sehr freundlichen Betreiberfamilie an. Ein richtig uriges Gasthaus ist das hier. Sehr liebevoll hat man es hergerichtet mit maritimem Deko-Kram, einem Leuchtturm und sogar einem antiken Schiffsteil mit Steuerrad. Osterhasen sitzen jahreszeitbedingt dazwischen und dürfen all die Schmuckstückchen bewundern, bevor sie wieder im Hasenstall bis zum nächsten Jahr verschwinden. Präzise gibt man uns Parkanweisung, mit den Eignern der Yachten muss man sich verständlicherweise arrangieren. Und wir haben sehr viel Glück, denn: „Wenn Sie sich beeilen, können Sie direkt am Kai parken, die fahren nämlich gleich weg!“. Perfekt, gern folgen wir dem Rat und stellen unsere Mini-Landyacht mittig an die Kaimauer, passend zu den Mini-Seeyachten im Mini-Hafen. Das wäre jetzt schon mal ein Fall von „besser geht nicht“. 

Beim Wetter geht aber noch was. Aber es ist trocken, wenn auch milchig und kalt um uns herum. Mütze und Schal sind in dieser Jahreszeit an der See unverzichtbar, vor allem, wenn man beim Radfahren nicht erfrieren will. Gut eingemummt schwingen wir uns auf die Räder. Der Hauptort ist dran, und dort zunächst die Inselkirche. Wie seinerzeit üblich - heute leider immer noch -, meint immer einer, sich das Land des anderen unter den Nagel reißen zu müssen. So um 1130 Heinrich der Löwe, der Mecklenburg, das bis dahin von einem Volksstamm der Slawen bewohnt war, zu erobern. Diese lebten damals noch in lockeren Stammesverbänden und waren den Heeren der deutschen Ritter hoffnungslos unterlegen. Im Jahr 1160 war die Eroberung der mecklenburgischen Lande weitgehend abgeschlossen, und Heinrich der Löwe begann, die Ländereien unter seinen Gefährten und Gönnern aufzuteilen. Besorgt um sein Seelenheil, welches durch die vielen Kriege, die Heinrich im Laufe seines Lebens führte, Schaden genommen hatte, übergab Heinrich der Löwe die Insel Poel mit all seinen Ländereien dem Bistum zu Lübeck. Die Mönche aus Lübeck nahmen dieses Geschenk freudig an und begannen, sich auf Poel ab dem Jahr 1165 anzusiedeln. Im Gefolge der Mönche kamen viele Bauern aus dem Niedersächsischen, um sich auf Poel eine neue Heimat zu schaffen. Die Bevölkerung wuchs, und es entstanden die ersten Dörfer. Das größte von ihnen war Kirchdorf. Hier fanden auch die Gottesdienste statt, damals noch unter freiem Himmel auf einer Wiese an der Kirchsee. Um 1200 beschloss das Bistum zu Lübeck den Bau einer Kirche. Dieser forderte den Poelern so einiges ab, und so mancher Bauer wird ganz unchristlich die Kirche verflucht haben. Um 1250 war die Poeler Kirche dann fertig, und ganz Mecklenburg feierte ihre feierliche Einweihung. Selbst aus Rom war ein päpstlicher Legat erschienen, um an diesem großen Tage dabei zu sein. So steht nun die Kirchdorfer Kirche als massiver Backsteinbau da, überragt von einem 47 m hohen Kirchturm, der auch vielen Seefahrern als Landmarke dient. Auffallend an ihm ist die achtseitige Kirchturmspitze, die im Volksmund, wegen ihrer Ähnlichkeit mit einer solchen, „Bischofsmütze“ genannt wird. Im Inneren ist die Kirche sehr schlicht gehalten. Prunk und Pomp anderer Gotteshäuser sucht man in der Poeler Kirche vergeblich, aber für Momente der Nachdenklichkeit ist Raum und Art mehr als ausreichend. Und der Anblick des Modells eines Schoners gibt Denkanstöße zur Genüge: „Herr segen uns dei Seefohrt, stüer uns dei Lewensfohrt, schenk uns dei Himmelfohrt."

Gut auf den Geschmack gekommen und mit geweckter Neugier schlagen wir durch Felder und Wiesen die Richtung zur Westküste nach Timmendorf ein. Hier liegt alles recht nah beieinander, und Radwege aller Arten scheinen ein perfektes Erkunden der Insel auf zwei Rädern zu ermöglichen. Üppige Osterdekorationen zieren die verstreut liegenden Häuser und Höfe, Pferde stehen friedlich auf ihren Koppeln, dem ein und anderen Fuhrwerk begegnen wir, das strahlende Gelb der dahin wogenden duftenden Rapsfelder macht glücklich, und es summt und brummt und zwitschert um uns herum. 

Am Ortseingang Timmendorf Strand fahren wir an einem Womo-SP auf grüner Wiese vorbei. Gut besucht ist er, aber von der Lage her nicht zu vergleichen mit unserem Hafenplätzchen an der Kirchsee. Immer der Nase nach geht‘s geradeaus zum weithin sichtbaren Leuchtturm. Im kleinen Touristenort, in dem schon zu DDR-Zeiten viele Menschen ihre Ferien verbrachten, ist der Leuchtturm die Sehenswürdigkeit schlechthin. Seit 1871 ist er in Betrieb, um Schiffen das Ein- und Auslaufen zum Wismarer Hafen zu erleichtern. Denn ab Mitte des 19. Jahrhunderts nahm der Schiffsverkehr von und nach Wismar deutlich zu. So beschloss man im Wismarer Rat den Bau eines Leuchtturms am Strand von Timmendorf und begann 1865 mit den Arbeiten am Leuchtturm. Leider kam es zu einigen Unterbrechungen, denn das Geld war knapp und die Handwerker wurden nur schlecht bezahlt. Zwei Jahre ruhten die Arbeiten ganz, bis endlich 1871 der Bau des Timmendorfer Leuchtturms vollendet wurde, ein schlichter Bau im Stil der damaligen Zeit, aber doch eine Attraktion für die Poeler Bevölkerung, die bis dahin nur Ihre Fischerkaten und Scheunen kannte. Mit dem Turm und dem Funktionsgebäude am Turm entstand ein wichtiges Gebäude für den sicheren Schiffsverkehr in der Wismarer Bucht. Noch heute ist der Leuchtturm von Timmendorf in Betrieb und erfüllt wie damals seine Aufgabe, Schiffen den Weg in den Wismarer Hafen zu zeigen. Wir beobachten aus dem gerade frei gewordenen Strandkorb das Geschehen im Hafen, ein quietschorangenes Küstenwachenboot braust heran, parkt gekonnt mit blubberndem Motor ein. Umweht vom Backfischduft erliegen wir unserem Vorsatz, nur noch holländischen Backfisch zu verspeisen, und Wim besorgt zwei Brötchen. Und, wie könnte es anders sein, wieder nur gepresstes Paniermehl mit einem Hauch von Fisch im labberigen, zu wenig gebackenen Brötchen, das diesen Namen nicht verdient. Aber egal, der Platz im Korb ist schön, das Foto vom Fischbrötchen macht sich gut, der Spatz freut sich, Chianga ebenfalls, und wir treten die Rückreise an.

Über eine andere Route durch die Felder erreichen wir Kirchdorf, kaufen beim Inselbäcker Brot und kommen am Hafen vorbei und durch das „Schilfmeer“ über den hölzernen Steg wieder an unserem Liegeplatz am Forellenhof an. 

Das Wetter hat unterdessen aufgeklart, die Nachmittagssonne wärmt, das Himmelsblau lacht. Jetzt sieht man erst recht, welch schönes Fleckchen das hier ist. Beschaulichkeit, die ihresgleichen sucht.

Allmählich taucht das Abendlicht die See in silbernen Glanz. Ich liebe diese Stunde, und Erinnerungen an unsere etlichen Sommerferienwochen in Dänemark werden wach. Der Schwan im Schilf gegenüber sitzt treu und brav auf seinem Gelege, wird durch nichts gestört. Leichtes, näher kommendes Trommeln wird hörbar. Komisch. Und siehe da, eine Art Drachenboot zieht unter rhythmischem Paddeleinsatz vieler Paddler durchs Wasser und dreht mehrere Runden. Sie werden danach sicher eine Stärkung brauchen, so wie wir, nach diesem anstrengenden Reisetag, an dem jetzt der morgens in der Fischhalle Wismar gekaufte frische Seelachs dran glauben muss, den Wim vorbildlich brutzelt und zu einem Sellerie-Kartoffel-Stampf serviert. Köstlich.

Und was krönt dann noch unseren Tag, unseren ersten Tag auf dem Eiland? 

Ja, ein Sonnenuntergang der Extraklasse. 

24.04.2025 Donnerstag

What a day ! Blitzeblau begrüßt uns der Morgen. Frisch, auf die Außentemperaturen bezogen, und munter, was unsere Verfassung anbelangt, fassen wir die Erkundung der Ostküste ins Auge. Bei solch einem Wetter lässt sich hervorragend planen. Nachdem Wim die Räder parat gemacht hat und seine beiden Damen aufgesattelt sind, geht‘s ab ins zitronengelbe Rapsblütenland. Irgendwo schiebt sich ein LKW vor uns, ein Kamel mit Palme ziert die Heckfront und beflügelt Erinnerungen an Marokk. Vorwerk, einen kleinen Ort, vermutlich der Geburtsort des Thermomix, durchfahren wir bei kräftig kaltem Wind und kommen kurz darauf an den nordöstlichen Zipfel nach Gollwitz. In Gollwitz befand sich einst auch ein kleiner Hafen für die seit Jahrhunderten als Fischer arbeitende Dorfbevölkerung, aber auch für den Getreidehandel. Um den Marktzwang in der Hansestadt Wismar zu entgehen, verschifften die Adeligen seinerzeit ihr Getreide heimlich über Gollwitz. Die Stadtväter von Wismar wollten sich aber den Gewinn aus dem Getreidehandel nicht entgehen lassen, störten wo sie konnten und beschlagnahmten ganze Ladungen, woraufhin der Adel den eigenen Handel einstellte und dieser fortan wieder über holländische Kaufleute abgewickelt wurde. Heute lebt man hier hauptsächlich vom Tourismus.

Und das wird sofort beim Einbiegen in den holprigen Weg zum Strand hin deutlich. Hier bevölkert schon eine Junge-Familien-Schar den kleinen Kiosk, die „Schmugglerbude“, die von Pommes bis Eis alles anbietet. Ein dicker riesiger Plüschelefant sitzt auf der Bank in der Sonne und schaut auf’s Meer. Dahin zieht es auch uns. Ein langer feiner Strand läuft rechts und links dahin. Sicher ist er sehr beliebt in Sommerzeiten, und unzählige Menschen hatten und haben hier Badespaß. Jetzt warten Strandkörbe erstmal still und reglos auf Besucher. Idylle pur, Bilder und Ansichten reif für Postkarten. Man kann schwärmen. 

Schwärmen werden wohl auch die vielschnäbligen gefiederten Kameradinnen und Kameraden, die uns gegenüber unweit im Meer in Schwärmen auf einer Landzunge abhängen oder auffliegen, jedenfalls einiges zu erledigen haben mit Futter- und Partnersuche, Federkleid- und Brutpflege. Mittlerweile haben sie Glück, ihr Bestand ist gesichert, denn die Gollwitzer sammeln nicht mehr wie vor Jahrhunderten körbeweise die Eier der Seevögel, und das Gebiet hat für sie wohl die Attraktivität der Vogeljagd verloren. Das 20 ha große Naturparadies, 1 km lang und zwischen 200 und knapp 500 m breit, bleibt mittlerweile geschützt den Vögeln vorbehalten. Denn die Insel war einfach zu klein, der Boden zu schlecht, um ihn einst landwirtschaftlich nutzen zu können. Nur so konnten sich auf Langenwerder überhaupt die vielen Seevogelarten ansiedeln. Um die Vögel zu schützen gründete sich schon Anfang des 20. Jahrhunderts ein Vogelschutzverein mit Namen "Jordsand". Durch die Arbeit des Vereins wurde im Jahre 1923 eine Verordnung erlassen, die das Betreten von Langenwerder während der Brutzeit der Seevögel unter Strafe stellte. Im Jahre 1937 wurde das Gebiet der Insel Langenwerder und umliegender Wasserflächen unter Naturschutz gestellt. Durch diese Schutzmaßnahmen konnte sich auf Langenwerder dieses Naturparadies entwickeln. Zehntausende Vögel brüten jedes Jahr hier, und nicht weniger nutzen Langenwerder als Raststätte auf ihrer langen Reise in ihre Sommer- oder Winterquartiere. Im warmen Winter 1926/1927 wurden auf Langenwerder sogar Flamingos beobachtet. Sturmmöwen, Lachmöwen, Silbermöwen, Küstenseeschwalben, Austernfischer, Höckerschwäne und viele andere Wasservogelarten leben hier. Lesen konnten wir, dass die Zahl der Sturmmöwen in der Kolonie sehr groß ist und andere Vogelarten von ihnen bedrängt werden. Sturmmöwen nämlich vergreifen sich gern an Gelegen und Brut anderer Vögel.

Rund 8 km folgen wir nach ausgiebiger Vogelbeobachtung der überwiegend steilen Küste auf Wald- und Wiesenwegen, meist durch einen herrlich urwüchsigen Küstenwaldstreifen mit phantastischen Ausblicken auf die Ostsee. An einigen Stellen gelangt man zum Strand, was unser Chianga-Mäuschen sehr begrüßt. Dank der aktuell zu verabreichenden Schmerztabletten gegen ihre Arthrose-Schmerzen in der Vorderpfote kann unser altes Mädchen wieder lebendiger und froher unterwegs sein. So steht jetzt mal das von ihr so geschätzte Ganzkörperpudern im feinen weißen Ostseesand auf dem Programm. Sie genießt es immer und immer wieder ausgiebig mit Wonne und in vollen Zügen. Wenn‘s dem Hundekind nicht gut geht, dann … ohje jeder Hundemensch weiß, wovon ich spreche. Und geht es ihm dann gut, sieht man es überglücklich sausen, dann knallen in einem die Champagnerkorken. Und weniger hundefixierte Mitbürger dürfen die folgende Fotoserie gerne überspringen ;-) und sich wieder einklicken ab der gleich darauf folgenden Stelle, an der Chianga genüßlich in ihrer Senfte wieder Platz genommen hat. 

Unterwegs ragt plötzlich ein seltsames Gittergerippe hoch hinauf aus dem Gebüsch. Ich lese später, dass dieser eiserne Turm 1929 errichtet werden musste, da zum einen der Schiffsverkehr in der Wismarbucht stetig zunahm und zum anderen das Stromnetz damals noch für die Betreibung eines herkömmlichen Leuchtturms unzureichend war und man das Leuchtfeuer mittels Flüssiggasbrenner betreiben musste. Erst im Jahr 1953 errichtete man den uns kurz danach ins Auge fallenden Leuchtturm, eher ein Zweckbau aus Beton und Stahl, dem der Charme eines klassischen, majestätisch diensttuenden Leuchtturms fehlt. Aber er kann mit elektrischem Strom betrieben werden, was selbstredend kein Leuchtturmwärter überwacht, sondern unromantisch die Verkehrszentrale in Travemünde durch Fernkontrolle. Und weiter geht‘s mit uns und unserem Wald- und Seebaden Richtung Timmendorf. Auf halber Strecke erreichen wir die kleine Gemeinde Am Schwarzen Busch. Den Namen hat die Gemeinde von den Wäldchen und dem Gebüsch an der Küste. Es ist der letzte mit knorrigen Eichen, Sanddorn und anderem Buschwerk zusammenhängende Wald auf der Insel Poel. Einer Abholzung entging das Wäldchen in der Vergangenheit wohl nur, weil es als Landmarke für die Seefahrer diente. Vermutlich gehörte das Wäldchen zu einem Hof, dessen Besitzer Schwartz hieß. Nach dessen Namen könnte vermutlich „Am Schwarzen Busch“ als Name für die Gemeinde entstanden sein.

Irgendwo wenden wir uns nach links von der Küste ab durch Wiesen und Felder und holpern ein Stück weit bergauf über eine Rampe mit grobschlächtigen Betonplatten. Durchgerüttelt genießen wir einen Moment die tolle Rundumsicht vom höchsten Punkt der Insel, dem Kiekebarg (Kickelberg) auf 29 m. Anschließend können wir rollen lassen, hinab geht‘s nach Kirchdorf, wo wir dem alten Bäckerladen einen Besuch abstatten. Sehr überschaubar ist das Angebot. Ein kleines Brot gibt’s aber noch, und wir begeben uns zum Womo zurück. Hier muss der aus der Fischhalle Wismar stammende Räucherfisch dran glauben, der den allerbesten Eindruck hinterlässt, was das Brot nun ganz und gar nicht von sich behaupten kann. Am Abend startet Wim mit unserer kleinen Heißluftfriteuse, die auch schon hunderte Kilometer ungenutzt im Bauch des Concördchens mitfährt, den ersten Versuch. Und siehe da: Pommes gelingen - und die dazu gebratenen Frikandel ebenfalls … und holländische Kulinarik lässt grüßen. 

25.04.2025 Freitag

Gestern waren alle Teller aufgegessen, wie geleckt, keine Reste. Was soll sich also heute am Wetter ändern? Nichts! Es bleibt strahlend blau. Wie leicht kann ein Leben sein, wenn man sich nur Gedanken darüber machen muss, in welche Richtung man radeln will. Die Wahl fällt auf den Südwesten der Insel, quasi unserem SP gegenüber. Dem Naturschutzgebiet „Fauler See Rustwerder“ wollen wir nahe kommen. 

Also verlassen wir Kirchdorf nach links raus und gelangen schnell an die ersten sumpfigen Gebiete, die aber leider nur spärlich von Federvieh belagert sind. Sehr ländlich und beschaulich wird es auf dem Weg hin Richtung Brandenhusen. Friedlich grasen wollige Schafe, bei denen man kaum erkennen kann, wo vorne und wo hinten ist, auf den salzigen Landzungen. Verstreut liegen einzelne Ferienhäuser, zum Teil sehr versteckt im Schilf, fernab jeder Hektik. Einen holprigen Weg zum Ufer hin rollen wir hinab. Ein Tor hindert an der Weiterfahrt, mehr noch, ein Schild warnt: „Weide nicht betreten! Lebensgefahr! Vorsicht! Freilaufender Bulle!“ Also, obschon mein Rad mit Daumengas sofort rasante Fahrt aufnimmt, will ich das mit einem Bullen im Rücken nicht überreizen. Im Zweifel kennt der Bulle das Gelände besser, kann seine 4x4-Hufe effizienter einsetzen als ich mein Daumengas. Also umkehren in einem Zug und die Fahrt fortsetzen ins ungefährlichere Terrain, das auch nicht auf sich warten lässt. 

Eingebettet in Rapsgelb und Grasgrün, überspannt von Himmelsblau mit leichten weißen Einflockungen, liegt plötzlich um eine der nächsten Ecken das ehemalige Gutshaus Brandenhusen einer Familie Schütt vor uns, das sich von 1344 bis Anfang des 19. Jahrhunderts im Besitz des Heiligen-Geist-Hospitals Lübeck befand. Die Nachkommen der Familie Schütt wurden nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs durch die sowjetische Besatzungsmacht enteignet und vertrieben, viele Flüchtlings- und Vertriebenenfamilien, vor allem aus Ostpreußen, auf dem damaligen Gutshof mit 108 Hektar einquartiert. Sie erhielten Wohnungen im sogenannten "Herrenhaus" sowie Land, das im Rahmen der Bodenreform aus der Enteignung des Gutsbesitzers stammte, auch die Stall- und Scheunengebäude wurden unter ihnen aufgeteilt. Im Zuge der Kollektivierung der Landwirtschaft wurde dieses Gebiet in einer LPG (Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft) zusammengefasst, der Dieselgenerator fiel erst zu Beginn der 1950er Jahre weg und Brandenhusen wurde an das öffentliche Stromnetz angeschlossen. Nach dem Ende der DDR bemühten sich die Nachkommen um das alte Gutshaus. Sie erwarben das verfallene Gebäude, ließen es fast gänzlich abreißen und errichteten in Anlehnung an den alten Stil ein modernes Haus mit Ferienwohnungen. Angrenzend zum Seeufer hin liegt eine große Wiese, vermutlich nicht grundlos verbietet ein Verkehrsschild die Durchfahrt auch für Womos. Räder dürfen passieren, und wir können den Sitzplatz am Wasser anfahren. 

Und das bedeutet - Achtung für Nicht-Hunde-Verrückte! - Badespaß für Chianga. Dem Wasserwaten gehört ja neben dem Sandpudern ihre ganze Leidenschaft. 

Wir ziehen weiter vom Süd- zum Westufer der Insel und einigen Vogelbeobachtungsstellen. Irgendwo hinter dem Naturschutzgebiet blitzt uns weißer Sandstrand entgegen. Von hier aus hat man einen tollen Blick hinüber zur Weißen Wiek, der Ferienanlage mit Hafen, den wir von Boltenhagen aus fast täglich besucht haben. Mit Teleobjektiv kann ich das Gegenüber bannen, wenn auch nur schemenhaft, ebenfalls die Skyline von Wismar mit ihren Kirchtürmen und dem riesigen Dampfer vor der Halle im Hafen. Unzählige blendend weiße Schwäne schaukeln in den Wellen, Boote und Schiffe ziehen vorbei, zwei Angler, hüfthoch im Wasser, haben Glück, Spaziergänger machen sich auf den Weg am Strand entlang. Es ist still, warm, herrlich. 

Auch wenn wir länger verweilen möchten, mahnt doch die Uhr zur Weiterfahrt. Wir wählen den Weg direkt an der nun folgenden Steilküste Richtung Timmendorf zwischen dem schmalen Küstenwaldstreifen und Feldern, drehen bei feinstem Sonnenschein nochmal eine Runde um Leuchtturm und Hafen und stoppen in Wangern am Fischladen. Heute ist der Fisch ausverkauft, aber morgen ab 10 Uhr ist wieder was zu haben. Das merken wir uns vor und radeln zurück zum Womo. 

Hier ist was gebacken, wenn auch kein Fisch, so aber ein Schwein, ein Kotelett, paniert, Salatbeilage und dazu ein berauschend schöner Sonnenuntergang.

26.04.2025 Samstag

Der Fischladen! Er bestimmt heute unsere Tagesplanung. In Erwartung eines fetten Fangs schieben wir frühzeitig ab nach Wangern. Der frühe Vogel fängt den Wurm bzw. den Fisch. Tolles Wetter beschert uns die Insel wieder. Die Temperaturen klettern. Von im unteren Bereich liegenden einstelligen Werten in Boltenhagen bis um die 20 Grad jetzt ist bisher alles dabei. Aber blau ist es immer in den vergangenen Wochen, bis auf wenige Stündchen zwischendurch. Regen fehlt, es sei zu trocken, sagen die Wettermänner im TV. Ja, auch hier ist das deutlich, aber ehrlich, wenn’s trocken ist, ist Reisen einfach schöner, so mal ganz egoistisch betrachtet und ohne über den Tellerrand zu gucken. Das Dörfchen Kirchdorf strahlt in der Morgensonne, und die rund 5 km bis zum Fischladen sind unter Vogelgezwitscher und übervoll blühenden Obstbäumen mit Blick auf die Ostsee schnell zurückgelegt. Die Fischwarenfachverkäuferin präsentiert uns den Fang in ihrer bescheidenen Auslage. Unsere Wahl fällt auf einen stämmigen Saibling, ein größeres Stück Filet vom Kabeljau, eine goldene, geschmeidig-ölig glänzende geräucherte Makrele und eine gute Handvoll Ostseekrabben, ungepult. Am Haus könnte man auch in der kleinen farbenfrohen Ecke mit gemütlich arrangierten Strandkörben sofort etwas verzehren vom Räucherfisch. Wir können uns aber zurückhalten, unsere Verfressenheit zügeln und sehen zu, dass unser Fisch schleunigst seine nächste Station in unserem Kühlschrank erreicht. 

Schneller als gedacht kommt der Nachmittag, den wir damit verbringen, ausgiebig die Aussicht auf die Kirchsee, das meist unter zwei Meter tiefe Flachgewässer, zu genießen. Nur die bis zum Hafen von Kirchdorf verlaufende Fahrrinne ist tiefer. Durch den Erhalt der Fahrrinne wird der Zugang der Kirchsee zur Wismarer Bucht und damit zum Meer gesichert, er würde sonst verlanden. Und dies war auch der Grund, warum deutsche Siedler hier ein Dorf gründeten, urkundlich erwähnt das erste Mal mit der Einweihung seiner Kirche im Jahr 1163. Mit Fischfang, Handel und etwas Landwirtschaft verdienten sich die ersten Kirchdorfer ihr Brot, heute bestimmt der Tourismus natürlich den Pulsschlag in Kirchdorf. Auch die Adligen zog es schon im 16. Jahrhundert auf die Insel Poel, deren Name sich angeblich von dem Gott der Germanen Phol ableitet. Die adeligen Besucher schätzten vor allem den Wildreichtum der Insel. Damals gab es noch genügend Waldflächen für Reh, Hirsch und Schwarzkittel, und auch der Reichtum an Wasservögeln war legendär. Deswegen besuchten die hohen Herrschaften aus Schwerin regelmäßig die Insel Poel zur Jagd. Um aber nach der Jagd nicht wieder gleich den beschwerlichen Weg nach Schwerin antreten zu müssen, ließ irgendein Herzog Johann Albrecht der Wasweißichwievielte um 1565 herum südlich der Kirche ein Jagdschloss im italienischen Stil ähnlich dem Schweriner Schloss, an das heute nur noch ein Schlosswall erinnert, errichten. So konnte er direkt vom Wismarer Hafen aus sein Schloss anlaufen. Oft wird der Herzog sein Schloss, das eher ein Schlösschen mit wenigen Räumen und sehr schlichter Ausstattung gewesen sein soll und nicht beheizt werden konnte, nicht besucht haben, denn Anfang 1600 setzte bereits der Verfall ein. Fenster wurden zerschlagen, Bretter vergammelten und durch das Dach drang Regen ein. Die Inselbewohner halfen wohl kräftig mit, war der Schlossaufseher weg, nahm man das eine und andere gute Stück vom Poeler Schloss mit auf seinen Hof. Man musste damals als armer Fischer sehen wo man bleibt. 

Klein ist die Insel, reich die Geschichte, und groß mittlerweile unser Appetit. Während ich mich mit der Zubereitung von Kräuterquark beschäftige, macht Wim unseren kleinen „schnellen Brüter“, einen Holzkohlegrill, den wir sehr schätzen und der für uns perfekt geeignet ist, parat. Bald qualmt es auf der Hafenkante. Mit Petersilie und Zitrone gefüllt, fein mit Fischgewürz vorbehandelt, wandert unser Saibling, der Böse, hinter Gitter und auf die Glut. 15 Minuten später entscheidet Wim: „Der Saibling ist auf‘m Punkt, wir können essen!“. Und er, der Saibling, mundet vorzüglich zusammen mit Salat, Pellkartoffeln und Kräuterquark. Ein Genuss. Der Abend kann kommen auf diesem wundervollen Stückchen Erde. 

27.04.2025 Sonntag

Heute heißt es Abschied nehmen. Aber nicht ohne ein kräftiges Sonntagsfrühstück mit Ei. Allerdings diesmal nicht wie zu Hause mit gekochtem Ei, nein, mit Spiegelei, maritim aufgepeppt zum Sternespiegelei. Wim pult nämlich die Krabben, brät sie kurz, schlägt die Eier drauf, dazu frische Brötchen vom Inselbäcker, und die Welt ist in Ordnung. Abschiede muss man sich versüßen, dann fallen sie leichter. Nach mehrmaligem Verlängern unserer Stehtage brechen wir nach V+E auf, verabschieden uns von unseren sehr herzlichen Gastgebern und rollen Richtung Fährdorf und Breitling-Damm. Fährdorf, das älteste Dorf auf der Insel, wurde bereits 1247 in einer Urkunde erwähnt. Seinen Namen hat Fährdorf nach seiner Funktion als Standort des Fährmanns. Denn bis zum Aufschütten des Damms im Jahr 1760 war die Insel Poel nur über die Fähre nach Fährdorf zu erreichen. Teil des Dammes waren damals zwei Brücken, von denen eine jede Nacht aufgezogen wurde. Der Breitling-Damm in seiner heutigen Form existiert seit 1927, und er hält bis heute, wir sind drüber, und nach ein paar langen Blicken hinüber nach Wismar hat uns das Festland wieder. Überschaubare 200 km stehen nun auf der To-do-Liste bis zum nächsten Zielort >>> im nächsten Menüpunkt aufzulesen, und es bleibt überraschend.