16.09.2025 Dienstag
Trotz widriger Wettervorhersage für heute und morgen starten wir gegen Mittag. Sage und schreibe 71 km beträgt die heutige Fahrstrecke bis zum ersten Zielort an der Mosel. Sehr ungewohnt sind für uns so kurze Reisen, entsprechend ungewohnt auch das Packen dafür, also was Klamotten angeht, und es wird folglich auch viel zu viel mitgenommen, denke ich so, als ich den hochvollen Wäschekorb aus dem Schlafzimmer die Treppe runter und ins Concördchen bugsiere. Mit der Auswahl könnten wir auch locker 4 Wochen unterwegs sein. Aber egal, nächstes Mal wird‘s besser. Bestimmt … und ich weiß jetzt schon, dass das sehr sehr fraglich ist. Haus verrammelt, Luken dicht, kurze Hubstützanlagen-Fehlermeldung, Schreck in Gliedern beim Anlassen des Ivecos, der sich aber nur kurz verschluckt hat, dann rollen wir ohne Alarm vom Hof. Es geht Richtung AB bei starker Bewölkung mit einzelnen Schauern. Aber aufreißende Wolkenlücken mit Himmelsblau lassen hoffen.
Von den Eifelhöhen hinab durch dichte Wälder, die sich schon mit einem Hauch Herbstbunt schmücken, kurbelt sich das Concördchen tief durch Schieferfels und bemooste waldige Schluchten runter ins Moseltal nach Cochem. Nur wenig können die bunten Fassaden in diesem suppig-grünen Wetter ausrichten, aber die aus Bruchstein gemauerten Häuser sind in jedem Licht wunderschön. Und Licht gibt‘s auch auf den vielzähligen und gut besetzten Außenterrassen der Straßencafes, die das Moselufer in Cochem säumen. Die vielen Lichterketten, die uns jetzt am frühen Nachmittag entgegen strahlen, scheinen den Herbst überspringen zu wollen, um einen sofort in die Adventszeit zu katapultieren. Schwupp geht’s über die Brücke hinüber ans andere Ufer und immer der Nase nach entlang der Mosel zur Rechten und schroffen steilen Rebenhängen zur Linken.
Nach nur 3 km naht unser Etappenziel Valwig. Am Ortsende hinter einer gepflegten Parkanlage biegen wir ab nach rechts zum Moselufer hin und rollen über den Fahrradweg in eine der freien Lücken zwischen andere Moselcamper. Hier ist nur Platz für wenige Womos, das wird an Wochenenden ganz sicher eng, sehr eng, da werden massenweise Womobilisten weiterziehen und weitersuchen müssen. Am Abend hier noch Platz zu ergattern dürfte illusorisch sein. Auch für länger als 8 m passen die Lücken nicht. Gut, wir haben heute Glück und richten uns ein. Die letzte Reise liegt ja nicht lange zurück, daher fügt sich jeder ohne Umstände sofort wieder ins Womoleben ein. Chianga, unser liebes altes Mädchen, erklimmt das Schlafzimmer, räkelt sich und fühlt sich pudelwohl. Sie kann mit ihren 10 Jahren immer noch elegant und leicht die Stufen in die Betten nehmen, wofür wir sehr dankbar sind. Aber unserem Bazou damals sah man auch bis zur letzten Minute nicht an, dass er von einem Tag zum anderen plötzlich sterbenskrank war. Er reist im Herzen immer mit. Unweigerlich und gut. Es war eine wahnsinnig wundervolle Zeit mit den beiden. Schwermütige Gedanken werfe ich passenderweise schnell auf eines der vorbeischiebenden Binnenschiffe, soll sich der Moseldampffahrtsschifferkapitain damit herumschlagen. Hier haben wir nämlich perfekten Blick auf La Mosella und auf das, was alles im Fluss ist. Und das ist jede Menge. Etliche Ausflugsschiffchen ziehen vorbei, Passagiere bevölkern die Decks, Banner locken mit Abendfahrten und Tanz. Abendvergnügen, was Flüssignahrung mit Prozenten anbelangt, ist auch hier an Land gesichert, denn hinter uns an der Straße ist ein großer Winzerbetrieb mit Brennerei angesiedelt, der in einem jederzeit zugänglichen Automat diverse Wässerchen bereithält.
Nachdem ein kräftiger Schauer niedergeprasselt ist, scheint es wieder heiter zu werden. Mein kniemäßig angeschlagener Wim entlädt hoffnungsfroh die Räder. Ich werde Wim entlasten, indem Chiangas Senfte an mein Rad geschnallt wird. Die Damen ziehen gemeinsam los, wobei „ziehen“ eher mich betrifft. Bei lauem Lüftchen und blauem Himmel fädeln wir uns ein in die lange Schlange der auf dem vor unserer Haustür verlaufenden Radweg fortwährend sausenden Best-Ager auf ihren Elektromotor betriebenen Höllenmaschinen. Wir folgen dem perfekten Asphaltband unterhalb der Hauptstraße direkt am Moselufer entlang. Es geht Richtung Beilstein, knapp 6 km, also ein Klacks. Zur Rechten am anderen Ufer liegt malerisch der Ort Ernst, die rausgeputzten Dörfchen Bruttig und Fankel durchfahren wir auf unserer Seite. Hier sehen wir auch einen fast leeren Womo-SP direkt am Ufer, allerdings ist hier der Blick auf die Mosel durch starkes Gebüsch verstellt, also etwas unattraktiv. Nach dem großen Bogen der Mosel folgt eine lange Gerade, vorbei an einem Mosel-Kraftwerk mit Schleusenanlage. Und am Ende dieser beeindruckenden Moselschleife liegt am Ausgang eines engen Bachtals, eingebettet zwischen Weinbergen und Moseltal, einer der schönsten Orte an der Mosel: Beilstein, von Moselkennern auch "Dornröschen der Mosel" genannt.
Lediglich zwei schmale Parkstreifen am Straßenrand sind für PKW vorgesehen. Es empfiehlt sich daher, das Dornröschen nicht mit Womo anzufahren, sondern lieber per Rad. Schon die ersten Ansichten des Örtchens sind zauberhaft. Märchen fallen einem ein, das Fachwerkstädtchen könnte ohne Weiteres einem Märchen der Grimm-Brüder entspringen. Die hoch oben gelegene Burg, so las ich, muss im 17. Jahrhundert auch noch wie ein Märchenschloss mit Zinnen, Türmen und Türmchen ausgesehen haben. Wir parken unsere Räder, Chianga entsteigt, und wir starten zur fußläufigen Erkundung der romantischen Gassen mit ihren Winkeln und heimeligen Fachwerkgemäuern, die sogar schon als Filmkulisse dienten.
Den Anstieg über die Klostertreppe steil hinauf zum Karmeliterkloster verkneifen wir uns, beschränken uns auf das Schlendern über Kopfsteinpflaster des Moselfleckens, der aufgrund von Gräberfunden bereits um 800 n.Chr. besiedelt war. Heute, so erzählt uns eine junge Edelstein-Händlerin, wird der alte Kern nicht mehr dauerhaft von Einheimischen bewohnt, diese hätten sich ins Oberdorf verzogen. Der historische Kern sei voll in Touristenhand, alles Ferienwohnungen und Hotels, vereinzelt auch Unterkünfte für Saisonarbeiter. Ich frage mich, ob diese mistige AFD-Schmiererei auf einem Altertümchen, die eigentlich kein Foto verdient hat, aus der Dose eines Touristen stammt. Letztlich aber auch egal, ich bete echt, dass wir niemals eine Fahrt in dieses Blau unternehmen müssen. Stattdessen treten wir den Heimweg an und verlassen den Bilderbuchort, bahnen uns den Weg durch wartende Passagierschlangen an der Schiffsanlegestelle und radeln genüsslich - ohne Blau - die gut 6 km zurück zum Womo.
17.09.2025 Mittwoch
Der Wetterfrosch unkt, heute soll‘s dumpf-feucht werden. Abwarten - und Kaffee trinken. Und die dichte Wolkendecke wechselt tatsächlich von dunkel- zu hellgrau. Es bleibt trocken und wir nicht in der Bude. Wim nebst Knie wagen eine Tour bis Cochem. Es sind zwar nur 4 km, aber mal sehen, ob das Knie mitspielt, da es ihn gestern schon sehr gequält hat. Im Dörfchen Valwig stehen Trecker bereit, die haben in dieser Jahreszeit genügend zu tun. Vielfach hört man sie knattern. Wieder erwartet uns ein gepflegter hubbelfreier Radweg an der Mosel entlang. Schnell kommt Cochem in Sicht, unübersehbar hoch droben thront die prächtige Burg, deren Herrscher sich am Ausblick auf das Moseltal gewiss nie sattsehen konnten, es sei denn, Kriegsplanung und -führung hinderten sie daran.
Am kleinen Hafenbecken stoppt Wim. Knie erlaubt keine Weiterfahrt, was uns natürlich sehr leid tut. Aber besser ist es, zu kühlen und Ruhe zu bewahren. Ist schon zäh so ein Heilungsprozess mit unschönen Rückschlägen. Aber es hilft kein Jammern. Ich radle alleine weiter, besorge im Rewe ein paar Dinge. Statt am Rad der Zeit zu drehen und mir Cochem, mit knapp 5000 Einwohnern die kleinste Kreisstadt Deutschlands, im Inneren anzuschauen, drehe ich lieber am Rad meines Rads, fahre am Anleger mit einigen Flusskreuzfahrtschiffen und Scharen von Gästen vorbei, überquere die Mosel und folge am anderen Ufer der sehr schönen Promenade mit Radweg entlang schmucker Hausfassaden, uralter Stadtmauern und Türmen aus Bruchsteinen.
Irgendwann nach dem Ortsausgang Cochem wird es ruhiger, man könnte meinen, ich sei die einzige Radfahrerin weit und breit. Aber auf der parallel laufenden Straße ist was gebacken. Ja, auch uns ist nicht verborgen geblieben, dass es Unmengen von Freizeitfahrzeugen gibt. Ja, und man könnte aktuell annehmen, dass all diese gerade an der Mosel unterwegs sind. Unglaublich, welche Menge sich hier durch die Gegend wälzt. Eine Flut. Ich hatte vor ein paar Tagen in einem Gasthaus in einem Dörfchen hoch oben auf den Eifel-Hunsrück-Höhen angefragt, ob man im Dorf irgendwo für die Zeit eines Restaurantbesuchs mit dem Womo parken könne, da über Google Maps nichts zu entdecken war. Bedauernd verneinte der Wirt, das ginge nicht, wäre unmöglich und verboten. Sobald ein Womo in irgendeiner Straße parke, würde immer ein Anwohner blitzartig den Bürgermeister und die Polizei anrufen und der Ärger wäre groß. Also musste ein Speisen für uns ausfallen, schade, denn es wäre anläßlich Wims Geburtstag schön gewesen. Finden wir eben etwas anderes. Entspannt radle ich über den auch an diesem Moselufer tadellosen Radweg Richtung Ernst. Von hier aus hat man einen herrlichen Blick auf Valwig, das an der Sonnenseite an den Steilhängen des Herrenbergs liegt, und auf die Reihe der friedlich parkenden Womos. Wim hat mich schon entdeckt, wir winken uns über die Mosel hinweg zu. Hinter dem schönen Örtchen Ernst mit feiner langer Promenade entlang der engen Moselschleife, wo diverse Düfte nach Weinkeller, Bratensoße, Kaffee und Kuchen lockend an meiner Nase entlang ziehen, nehme ich vor Bruttig die Brücke hinüber ans andere Ufer und radle unserem SP entgegen, wo sich mittlerweile eine große Schwester des Concördchens, eine Charisma mit netter Besatzung, neben uns gesellt hat.
Am Abend drehe ich noch eine Runde durch Valwig. Es ist unspektakulär, aber gemütlich-beschaulich und eben ein typisches Winzerdorf mit lauschigen Winkeln und Ecken. Hier an der ruhigeren Moselseite in sonniger Südlage mit mildem Klima herrschen beste Voraussetzungen für hervorragende Weine. So begegne ich etlichen kleinen Traktoren und Weinbauern. In Begleitung eines miauenden Kätzchen erklimme ich den Pfarrkirchenhügel, ansonsten herrscht Stille. Da das Kirchenportal verschlossen ist, klettere ich noch etwas um einen Weinberg. Einfach irre, dass sich auf diesen schottrig-glatten Steilhängen überhaupt ein Mensch halten kann, und dann noch arbeiten, wahnsinnig.
Auch typisch für die Moseldörfer liegen Rathaus und Kirche in der Ortsmitte und schmale Gassen führen senkrecht zum Fluss. Zahlreiche Häuser aus dem 15. bis 19 Jh. prägen das historische Ortsbild von Valwig, das erstmals im Jahre 866 urkundlich erwähnt wird. Im Ort selbst fanden sich in einem Haus die Reste eines römischen Wohnhauses und sogar einer römischen Badeanlage, so konnte ich lesen.
Entdeckungen ergeben sich doch immer, aber leider für mich hier und heute nicht, was den Moselapollo anbelangt. Manch einer kennt ihn evtl. nur unter seinem wissenschaftlichen Namen „Parnassius apollo vinningensis“. Spaß beiseite, mir sagte der "Star" unter den Schmetterlingen der Moselregion bisher nichts, obwohl er berühmt ist bei Naturfreunden, Hobby- und Tierfotografen aus der gesamten Bundesrepublik, die es auf ihn abgesehen haben. Der wunderschöne Apollofalter steht unter strengem Schutz - fotografieren ist jedoch erlaubt. Und hier auf dem Apolloweg in Valwig soll dies angeblich auch hervorragend glücken. Allerdings nur von Ende Mai bis Mitte Juli. Ich bin eindeutig zu spät, um diesem sehr seltenen, wunderschönen Tagfalter zu begegnen und mich von seinem eleganten Flug hier im letzten Paradies des Falters in den Weinbergen und an den Waldrändern des Moseltals zwischen Koblenz und Trier verzaubern zu lassen. Ein Foto im Netz wird sich klauen lassen …
dazu entschließe ich mich während ich an unserem SP vorbei bis Cochem radle und ein wenig die abendliche Stimmung am Fluss einfange. Dann ist Schluss für heute, für mich und für die Passagiere der vorbei schippernden Flusskreuzfahrtschiffe, die in Scharen in Cochem nach Landgang wieder aufgeladen wurden und nun beim Abendessen an gedeckten Tischen sitzen und den nächsten Ort anpeilen. So wie wir morgen.