von Sidi Bibi nach Fort Bou Jerif


Tag 47 - 02.03.2023 Donnerstag

Auf dem lauschigen Parkplatz hier in Sifi Ifni verlief die Nacht in Gesellschaft mit ein paar weiteren Womos ruhig und friedlich. Dafür steht schon früh am Morgen ein Mann bettelnd an unserer Tür. Er will was zum Rauchen. Ich muss ihn quasi verjagen, entsetzlich. Auffallend oft wurden wir in den paar Stunden seit gestern angebettelt oder man wollte uns etwas verkaufen, was ja an sich nichts Verwerfliches ist und das gute Recht, aber es verlief schon sehr penetrant und lästig, total ungewohnt für uns und so auch noch nicht erlebt in Marokko. Nimmt man dazu die Eindrücke von teils gar nicht offenem Verhalten und sehr distanzierter Freundlichkeit, frage ich mich, ob das aufs Konto „Tourismus“ geht oder hier einfach ein anderer Menschenschlag lebt, den wir bisher nicht kannten. Egal, Sidi Ifni wird für uns nicht passender, auch nach Versuch Nr. 2 nicht. So ist das eben gelegentlich. Aber die Wahlmöglichkeiten sind ja im Land so vielfältig. Jeder findet sein 1a-Plätzchen. Bevor es uns nun weiter spanisch vorkommt hier im ehemals Spanischen, suchen wir das Weite, oder besser: die Weite - nichtsahnend, dass man nix geschenkt bekommt.

Auf die N12 ist erstmal Verlass. Auf ihr schlängeln wir uns bei Kaiserwetter vorbei am Friedhof hinauf in bezaubernde Hügelwelt aus rostbraunem Fels und wie gärtnerisch angelegten Hangbepflanzungen aus Kakteen und Euphorbien, alle kompaktwüchsig, kugelig, als würden sie mehrfach im Jahr in diese Form gestutzt. Sehr grün ist es, dem Regen sei Dank. Schmale Flussbetten schieben sich mit mehr oder weniger viel Geröll zwischen den Berghängen hindurch. Nur gelegentlich sieht man Wassergumpen blitzen. Es ist wohl alles schon versickert. 

Irgendwann zeigen sich Ackerflächen in der ansonsten karger und trockener werdenden Landschaft. Pflanzlöcher sind vorbereitet. Hier werden bald, wie in der nahen Umgebung Richtung Sbouya, die wir in einer vorherigen Tour durchstreift haben, Opuntien gedeihen. Vermehrt wird das Auge aufgehalten von vereinzelt stehenden, alten weit ausladenden Arganien, hin und wieder eine Ansiedlung, Schäfer und Brunnen und immer wieder herrlichen Ansichten von den Höhen auf die sich dahin fächernden Bergmassive. 

Hinter dem Ort Meski, in dem wir mal die Frauenkooperative besucht haben und ich die beeindruckende Arbeit der Frauen mit und an der Arganfrucht sehr intensiv beobachten durfte, was man wirklich jeder Reisenden empfehlen kann, wird es schon bald sehr wüstenhaft. Aber die Straße ist in vielen Teilen neu gemacht, sie verläuft sogar komplett anders durch Felsgestein hindurch. Wir können ganz in Ruhe und sehr genussreich den Landstrich genießen. 

Dann aber, das Erwachen naht, immer wieder irgendwie ein Schock, so aus der hügeligen malerischen Landschaft kommend: die unglaubliche Ebene vor Guelmim. Man denkt an nichts Böses, und da liegt sie vor einem wie ein schäbiger, abgewetzt farbloser und nichtssagender Teppich aus dem Foyer eines abgehalfterten drittklassigen Hotels im Bahnhofsviertel. Tja, da muss man hindurch auf schnurgerader Straße, dankbar für jede Schule in landestypisch farbenfrohem Style, um dann nach Passieren des pompösen Stadtbogens in Guelmim die palmenbestandene Allee zu erreichen und aufzuatmen. Wir biegen aber im ersten Kreisverkehr auf 15 Uhr ab und entschwinden auf überbreiter Fahrbahn, vorbei an unzähligen Jugendlichen, die Schulende haben, durch ein weiteres Tor Richtung Irgendwo, tja jedenfalls in irgendeine Richtung ohne Ortsnamen. 

Hinter der Gasanstalt wird eifrig gebaggert. Scheint so, als soll es mal eine Autobahn werden. Seltsam ist nur, was wir auch vorher schon gesehen haben, dass die Unterführungen immer sehr eng und niedrig angelegt werden. Also zwei LKW passen da nicht aneinander vorbei, geschweige denn ein Strohballen-Laster höhenmäßig hindurch. Ansonsten tut sich wenig, Sand häuft sich an, vor den Bergketten zur Rechten wirkt er hellgolden. Leuchtend grüne Ackerflächen zwischen sandigem Land und hin und wieder Grasflächen ziehen sich über die Ebene, bis zu einem sehr schön angelegten Dorf mit ausgesprochen extravaganten Wartebänken. Manchmal staunt man wirklich über die „Möblierung“ der Orte. 

Auf schmalem Sträßchen geht die Fahrt weiter. Ein Hinweisschild zeigt 26 km bis zu unserem heutigen Tagesziel an. Völlig entspannt gondeln wir dahin durchs Wüstenland. Man sieht aufgebrochene Erde, tief in den Spalten wird wohl Wasser fließen. Die Furchen werden breiter, schwere Gesteinsplatten fächern sich an den Rändern. Wir nähern uns einem Oued, und da sieht man es auch schon: das tiefe Wasserblau. Es steht nicht nur in einzelnen Gumpen, nein, das Wasser plätschert sehr stramm und zügig über die steinigen Ufer, bildet sogar kleine Wasserfälle. Man kann gar nicht genug Worte finden, um solch eine Natur zu beschreiben. Die Bilder im Kopf überschlagen sich, Gedanken an Chianga und Bazou, damals in diesem Oued Richtung Oase Ich kurz vor Albanien, traumhaft, märchenhaft, exotisch, biblisch. Gern darf diese Aufzählung erweitert werden. Unfassbar jedenfalls. Natürlich halten wir an, steigen aus, Chianga-Mäuschen liebt Wasserwaten, so faul sie auch manchmal ist, ganz die Mama, aber wenn‘s gilt, dann sind wir dabei, wir zwei, aber sowas von dabei. Also hinab ins Oued Ngita Sfa, das muss man betreten haben.

Wie an solchen Stellen üblich, setzt sofort ein Froschgequake in voller Lautstärke ein. Man beschwert sich. Wird aber bemerkt, dass wir uns nicht irritieren lassen vom bedrohlichen Frosch-Konzert, sieht man überall Gehüpfe ins Wasser. Man gibt auf und entschwindet mit einem Platsch ins Wasser. Frösche sind nicht die mutigsten Zeitgenossen, viel Palaver um nix. Und auch Chianga nimmt sofort ihre „5 Minuten“ und Anlauf zur Sause. 

Stunden könnte man in diesem gold-blauen Idyll im Sonnenschein verbringen. Wir haben echt Glück. Solche Orte setzen Gedanken frei, die nirgendwo anders aufkommen. 

Es muss aber weitergehen. Völlig ungenervt zieht uns das Asphaltband durch einsame Gegend, bis irgendwann der Abzweig zum Ziel auftaucht. „9 km bonne piste“ steht auf dem fein renovierten steinernen Kameraden. Na dann, lang, it‘s a long way. Wim und das Concördchen knöpfen sich nach kurzem Überlegen die 9 km vor. Aus erfahrenen und absolut zuverlässigen Kreisen war vorab die Auskunft eingeholt: holprig, aber problemlos. Die kann aber schon nach wenigen Metern nicht uneingeschränkt bestätigt werden. Ich übe schon mal wieder das beruhigende Atmen, Geburtsvorbereitung vor gefühlt 100 Jahren sei Dank. Wims Mine verdunkelt sich. Gut, keine Diskussion, birgt zu viel Explosionsgefahr, sobald möglich: wenden in 27 Zügen. Das wiederum kann erst möglich sein nach Querung eines recht tückischen Grabens, den Wim zunächst per Hand mit Steine stapeln und dann mit Klappspaten und Schotter schaufeln auffüttern muss. Muss ich erwähnen, wem er diesen Spaten am liebsten vor die Füße geschmissen hätte? Ich bleib schon mal auf Abstand, tue nur durch Sendung einiger Wortfetzen etwas für positive Motivation. Solche Zerreißproben führen bei uns allgemein zu produktivem Aktionismus. Da kann ich mich eigentlich auf das „Paar“ in uns verlassen. So auch jetzt. Das Concördchen schafft die hohle Gasse, sucht aber weiter vergeblich nach Wendemöglichkeit. Tja, das sieht oft sehr gut aus, auch auf den Fotos, aber … die Ränder sind so seicht, so schwammig, da kann man nicht drin rumwühlen im Rahmen eines Wendemanövers, wir jedenfalls nicht, und keineswegs ohne vorab den ADAC angerufen zu haben. So zuckeln wir in stoischer Langsamkeit Zentimenter um Zentimeter vorwärts in diesem Nirgendwo. Jede Schnecke würde uns auslachen. Und von einigen huschenden marokkanischen Hörnchen habe ich deutliches Gelächter gehört. Wim zum Glück nicht. Er beschließt, diese Nuss zu knacken. Ehrlicherweise bleibt uns auch gar nix anderes übrig. Wir müssen dadurch, könnten allenfalls in dem auf Google erkennbaren „Kreisverkehr“ direkt vorm Eingang unseres Ziels wenden und zurückfahren, was ja nun keinen Sinn machen würde. Dass dieser Kreisverkehr, den wir irgendwann nach ca. 2 Stunden erreichen, doch noch viel Sinn macht, ahnen wir jetzt nicht. 

Traumhaft liegt Bou Jerif plötzlich da, wie eine Fata Morgana. Malerisch alles und wunderschön angelegt mit ganz viel Platz, für uns alleine. Wir parken. Fallenlassen angesagt. 

Ein schlitzohrig staunendes Eselchen zieht daher. Unglaublich süßes Viehchen. Entschlossen bettelt es, Wim greift zu altem Brot, wieder jemanden glücklich gemacht. Der Umgang mit Tieren macht doch immer wieder glücklich und beruhigt. Ich vermute, obwohl er mich unterwegs ganz sicher verflucht hat, dass der Reisedruck so langsam von ihm abfällt. Spätestens, als sich eine süße Hündin mit großem Gesäuge einfindet und ein weiteres Hündchen, die versorgt werden wollen, was natürlich geschieht. Da greift Wim sogar zur Kamera. Gutes Zeichen. 

Am späten Nachmittag kommt nun der Kreisverkehr nochmal ins Gespräch. Beim Hundespaziergang hat Wim eine Entdeckung gemacht. Ich sag da jetzt mal nix, Fotos gucken genügt. 

So erfüllt und irgendwie beseelt nehmen wir unser Abendessen im Restaurant ein. Schön hergerichtet ist es. Und es füllt sich bis auf den letzten Platz, nachdem sich zwei Gruppen auf Quads und in Allrad-Walzen im Hotel einquartiert haben. Das Concördchen fühlt sich nicht fehl am Platz, es macht sich hervorragend in dieser Kulisse, und wir sind froh und stolz, trotz Mühen und Herzrasen mit ihm bis hierher vorgedrungen zu sein. Das Leben ist eben kein Ponyhof … aber manchmal schon!

Tag 48 - 03.03.2023 Freitag

Dunkle dicke Wolken ziehen am Himmel. Hier im Regen wäre arg. Wir überlegen kurz, ob wir abreisen oder bleiben. Die Sonne drückt und schiebt währenddessen, strengt sich an, macht Mut, und wir bleiben. 

Mucksmäuschenstill ist es um uns herum, jetzt und in der Nacht. Nicht mal das Krümel-Häufchen-Bauen irgendwelcher Käfer, das Schlängeln einer Kobra oder Viper, die es hier zahlreich gibt, war zu hören, geschweige denn das Klappern eines Skorpions oder die Balzrufe eines kleinen Fenek, eines Wüstenfuchses. Auf Schlangen und ihre Bisse können wir aus baltischer Erfahrung gut verzichten, Skorpione lehnen wir auch ab. Und beim Fenek, ja bei so einem Fenek, da würden wir nicht nein sagen, aber sie sind extrem scheu und bevorzugen ohnehin nur menschenleeres Wüstenland. Und hier sammeln sich doch nach und nach Geländewagen mit und ohne Quad auf dem Hänger, also deutlich kein Lebensraum für Wüstenfüchse. Stattdessen schlurft das Eselchen wieder heran. Ein Blumenkohl mit reichlich Blättern dümpelt noch im Vorrat, aber der Esel tut sich schwer mit den handverlesenen Blättern, er mag wohl lieber Brot. Das hätten wir auch gerne, da es ausgegangen ist. Aber im Hotel gibt es keins mehr, dafür bringt uns der freundliche Kellner zwei Crepes, wie er sagt. Aber aus der Folie ausgepackt, entpuppen sich die Crepes als Msemen, was ein Glück. Lecker und warm und bestrichen mit Amlou köstlich und genüsslich verzehrt. Ein Mann mit Turban kommt mit forschem Schritt, grüßt freundlich, weist uns mit besorgtem Gesicht auf die nachtaktiven Schlangen hin, wir sollten schön aufpassen, auch auf Chianga, aber am Tag dank Allah, und er blickt zum Himmel, drohe keine Gefahr. Er lädt uns zum Tee ein, und er und sein Esel schieben wieder ab Richtung Zelt-/Lauben-Behausung in der Wildnis etwas oberhalb von uns. Ja, das ist kein Schafspferch, nein, da wird gewohnt und gelebt. Wahnsinn einfach. 

Wir verlassen dann unsere rollende Bude und wollen zu der in der Nähe liegende Ruine des Forts radeln, die unserer Bleibe hier den Namen gab. Fort Bou Jerif, ein Überwachungsposten, damals unter französischem Protektorat im Jahr 1935 errichtet, diente als Festungsanlage an diesem wohl strategisch wichtigen Ort. Es gibt wenig, was man darüber nachlesen kann, außer dass das Fort zunächst von Reitern besetzt wurde, später jedoch durch eine Gruppe von Kamelreitern, da diese viel besser an die Wüstenumgebung der Region angepasst waren. Das kann man aber laut sagen. Denn hier ist Wüste, Wüste sogar mit Totenkopf. Und ohne jede Vorstellung von diesem Fort liegt es plötzlich vor uns. Wahnsinn was sich so nach einer Kuppe alles auftun kann. Und direkt anfahrbar ist die weitläufige Ruinenlandschaft auch. 

Und oben angekommen ist Staunen angesagt über dieses riesige Areal in dieser gigantischen Landschaft. Besonders faszinierend sind die Durchblicke, die das restliche Gemäuer bietet in seinen vielen Gängen und Räumen. Wir schlendern eine ganze Zeit herum, sehr achtsam, denn viele Schlangen sollen hier leben. Sie lümmeln zwar tagsüber meist im Gemäuer herum, aber wenn man sie aufschreckt, was dann. Chianga bleibt auch aus diesem Grund mal schön im Anhänger. Das Vergnügen gönnen wir ihr nicht. 

Sie darf weiter unten nach Verlassen der Fort-Ruine aussteigen und über den sandigen Wüstenboden der Oasenlandschaft den Fluss und seine Ufer erkunden. Das macht sie ohnehin so gerne. Und jetzt auch wieder ausgiebig inklusive gründlichem Abpudern im Sand, was scheinbar in mir die Sehnsucht nach ebensolchem Abpudern weckt. Denn der nächste kleine sandige Anstieg gehört mir. Tückischerweise lauert eine gemeine schmierseifige Schlickschicht, vom Wind paniert mit leichtem Flugsand. Nach altem Bergsteiger-Gesetz „Drei Punkte am Fels“ starte ich die Bezwingung, verkenne dabei, dass meine Füße nicht in hochalpinem und noch hochpreisigerem Schuhwerk stecken, sondern in dünnsohligen Wohlfühllatschen mit Barfuß-Feeling-Ausstattung in Weite H. Und das rächt sich. Sofort. Schon beim ersten Schritt macht es unüberhörbar „glitsch“, und in ockergelben Schmodder drückt sich meine linke Körperhälfte. Dank meiner sehr guten Körperspannung kann ich verhindern, dass sich auch noch die rechte Hälfte einsaut. Glück gehabt. Chianga-Mäuschen ist sofort sehr besorgt zur Stelle, sieht sie mich doch eher selten aushäusig rumliegen. Wim nutzt den Moment dazu, diesen besagten Moment, wie er auf Befragen versichert, ausschließlich für die Nachwelt fotografisch festzuhalten. Und dieses Foto geht mit „on air“, ich am Boden, erbitte Mitleid. 

Anschließend schleppe ich mich noch durch das Palmenwäldchen auf das ehemalige Aussichtspodest mit Badeparadies. Wundervolle Ansichten lassen die „Prellungen“ des gefallenen Mädchens schnell vergessen, bevor es zurück geht.

Und mehr als eine verdreckte Hose ist ohnehin nicht zu beklagen, denn das Heimwärtsradeln verläuft ohne Qualen, so wie der Rest des Tages, den ich zum Welpenschmusen nutze und den Wim mit leckerem Blumenkohl und Bratwürstchen abrundet. Die Teller sind geputzt, der Napf geleckt, der kleinen Hündin hat‘s geschmeckt. Beste Voraussetzungen für bestes Wetter morgen.