von Oualidia nach Essaouira


Tag 15 - 29.01.2023 Sonntag

Blau wird es heute, sehr blau. Also machen wir Blau an diesem Sonntag. Noch ein Blick auf den winkenden Austern-Mann und das schöne Oualidia, und die R301 am Atlantik entlang geht’s an gen Süden Richtung Safi. Sehr ruhig ist es unterwegs. Man spürt, es ist auch in Marokko Sonntag. Noch gut in Erinnerung ist uns diese Strecke von unserer ersten Tour durch Marokko. Karawanen von LKW befuhren diese Route, die in grausigem Zustand war, und wir dazwischen. Heute wirkt alles verschlafen, der Sonntag also eine gute Wahl. 

Das wirklich ganz Besondere an dieser Strecke sind die quasi bis in den Atlantik hinein fallenden Felder. Man meint, man wolle die Meeresfluten herausfordern, da sich manche Scholle bis an die Brandung schiebt, wohl mit einem „Wage es nicht!“ in Richtung atlantischer Brecher. Jedenfalls erweckt die Draufsicht von der hoch gelegenen Straße den Eindruck, dass es da unten nicht viel Spielraum geben kann. Wie eine Patchwork-Decke überziehen die einzelnen, mit Abgrenzungen aus hohem Schilf voneinander getrennten Felder das sanft gewellte abschüssige Küstenland. Hier und da wird geackert oder gehütet, man geht angeln oder steht nur und blickt auf das Meer hinaus.

Einige Dörfer durchfahren wir. Auch dort sind sehr wenige Menschen unterwegs.  Wo irgendwie möglich, spielen Jungs Fußball. Häufig sehen wir Frauen, die große Platten auf ihren Köpfen tragen, vermutlich trägt man Essen zusammen, um irgendwo gemeinsam zu speisen. 

Zum Teil ist der Asphalt immer noch eine Katastrophe. Man kann die Straße fast nur einspurig nennen, denn die Seiten sind derart ausgefetzt, dass der verbleibende Rest bei Gegenverkehr zu eng und ein Ausweichen über den krassen Fransenrand unvermeidbar ist. Scheint der Belag mal besser, nein nein, denkste Puppe, dann schlägt er Wellen, die einen spätestens bei der vierten kriminell aufschaukeln. Also geht es nur im Schneckentempo dahin.

Nähe Safi wird die Küste schroffer, man blickt auf felsige Klippen. Größere Häuser fallen auf, mehr Geld ist im Spiel, aber auch im Gegensatz dazu ärmlichere Behausungen und sehr viel Müll. Kinderscharen lauern quasi an den Straßenrändern und betteln mal mehr mal weniger forsch und frech. Wir können manchmal kaum glauben, dass es wohl fruchten muss, einfach „Bonbon Stilo“ zu schreien. Denn hätten sie damit keinen Erfolg, würden sie es doch lassen. Oder haben wir da einen Denkfehler. 

Safi, das Herz der marokkanischen Phosphatindustrie, tut sich auf. Wir mögen diese Stadt nicht, diesen Abfallkübel Marokkos, der dem größten Teil der Bevölkerung nicht gut tut und für soziale Spannungen und Aufstände verantwortlich ist. Einer der wichtigsten marokkanischen Industriestandorte, in dem Geldquellen durch Phosphatverarbeitung nur so sprudeln, allerdings jenseits jeder Verteilungsgerechtigkeit, soll weiter massiv ausgebaut werden, obwohl Marokko bereits heute der größte Phosphat-Exporteur der Welt ist. Die Bewohner der Stadt, rund 300.000 Menschen, leiden schon jetzt unter extremer Umweltverschmutzung und hoher Arbeitslosigkeit. Selbst wenn sie Arbeit im riesigen Chemiekomplex oder Güterhafen haben, ist ihnen bewusst, dass sie keinen Anteil am hier produzierten Reichtum haben, sie keinerlei Arbeitsschutz genießen, oft schwer erkranken und früh sterben. Blickt man nach Vorbeifahren an den rauchenden Schloten der Industrieanlagen über das blaue Meer, in das die Abwässer unsichtbar abgeleitet werden, fragt man sich so einiges, und die Seifenblasen mit fetten Ernten auf atlantischen Feldern platzen mit lautem Knall. 

Hinter Safi machen wir einen Stopp auf einem Parkplatz, der vermutlich zu einer Fabrik gehört. Wir stehen noch keine 5 Minuten, erscheint Security-Personal in Uniform im PickUp und informiert uns, dass das verboten sei. Ich erkläre, wir würden nur eine kurze Pause machen und sofort weiterfahren, was dann genehmigt wird. Ich las, dass z.B. Journalisten extreme Probleme haben, über Phosphat-Gewinnung zu recherchieren, sei es vor Ort oder bei den Konzernen direkt, dass man sehr sehr wachsam sei, dass nur ja nichts aufgenommen oder entdeckt werden könne. Hier lässt sich niemand in die Karten gucken, und selbst ein harmlos daher schleichendes Concördchen kann als feindliches Objekt angesehen werden. Ich muss aufpassen, nicht zu viel zu sagen, sonst werde ich weggesperrt. Aber Interessierte finden im Netz einiges zu diesem auch völkerrechtlich relevanten Thema. 

Wir lassen Safi hinter uns. Einen Lichtblick erhaschen wir. An einer Straßenecke führt ein Mann einen Hund an der Leine, ein ausgesprochen seltenes Bild. Er lässt den Hund sitzen, was der brav erledigt. Wir winken uns zu mit Daumen hoch. Die Straße führt zunächst dicht am Meer entlang, macht aber auch ein paar Schlenker ins Inland. Überall warten Menschen mit Gepäck am Straßenrand vermutlich auf einen Bus, der sie nach dem Wochenende bei den Familien wieder in die Stadt bringt. 

Wir folgen einem wirklich idyllischen Flussbett. Die Dörfer sind erbärmlich arm dran, gebeutelt von wohl kräftigem Regen, sind vermüllt, selbst Tankstellen fehlen, stattdessen gibt es einzelne Zapfsäulen. 

Wieder an der Küste versuchen wir, einen CP an der Plage Bhibeh zu erreichen. Die Anfahrt lässt sich zunächst gut an, aber die letzten Kilometer sind für uns unpassierbar. Es geht über sandige Piste, mehr noch, es scheint sich um Ausläufer von Lagunen zu handeln, also noch schwammiger als schwammig, für unser Concördchen, da die Schwimmhäute-Ausstattungsvariante aus der Extra-Liste fehlt, nicht machbar. Also wieder raus nach kurzem Schwenk an den Fischerbooten vorbei. 

Nächster Versuch: Dar El Bernicha. Tja, hochgelobte Freundlichkeit eilt diesem SP voraus, die sich vor unserem Eintreffen offensichtlich verflüchtigt hatte. Vor verschlossenem Tor stehen wir etwas ratlos. Knarrend wird es dann doch noch mit einem fragenden „reservez“ einen Spalt geöffnet und auf unser erstauntes „nein“ wieder geschlossen. Beim Einsteigen ins Womo erscheint ein leicht überfordert dreinblickendes älteres Paar und zeigt uns, wie man aus der Ecke wieder rausfinden kann. Das nehmen wir gerne an und begeben uns auf die 6 km lange Piste durch die Wälder um Essaouira herum zum CP Esprit Nature. 

Nicht weit, aber es zieht sich, sagt man in Köln gerne. Hier sagen sich Fuchs und Hase gute Nacht. Hier kann uns der Geist der Natur erscheinen. Er findet uns sicher, genau so wie wir auf dem sehr gepflegten Platz eine schöne Ecke unter den vielen freien Plätzen erwischen und stehen. Häppchentime! 

Tag 16 - 30.01.2023 Montag

Camping! Heute machen wir Camping, hier, wo der Pfeffer wächst. Wir legen fest, dass wir uns heute in keiner Hinsicht festlegen. Planlos soll der Tag verlaufen, was er erstaunlicherweise auch brav tut. Zum Campingtag gehört, dass der Körperpflege die Raumpflege folgt, dass der Bettenlüftungsmaßnahme die Nudelsalatvorbereitungsaktion und dem fotografisch botanischen Rundgang ein Spaziergang mit Schildkröte folgt. Klingt unaufgeregt, ist es auch. 

Selbst das Schreiben des Beitrags über den gestrigen Tag dauert gefühlt Stunden. Allerdings war „Safi“ auch schwere Kost. Wie kann man nur so trödeln. Und zwischengeschoben habe ich mal die Aufnahme eines Selfies. Meine Güte. Ich bin nicht geeignet als Influencerin. Meine Selbstdarstellung klappt schreibenderweise eindeutig besser. Und abends wird gegrillt! Wim ist schon ganz heiß drauf. 

Tag 17 - 31.01.2023 Dienstag

Wir legen einen weiteren Camping-Tag nach und bleiben noch. Heute ist es bedeckt, aber wärmer als gestern. Das Thermometer pendelt so um angenehme 22 Grad. Unverändert ist es sehr ruhig und friedlich hier. Man hört, dass man nichts hört. Gelegentlich meldet sich ein Esel, Bienen schwärmen und summen in den Büschen herum, Vögel zwitschern und jagen sich, mehr nicht. Chianga erwartet, dass ihr Diener die Senfte rüstet, damit Mylady in ihrer unermeßlichen Güte zusteigen kann. 

Wir radeln nämlich heute ein wenig herum durch die fast endlos wirkenden Argan- und Kiefernwälder rund um Essaouira. Die Stadt kennen wir schon. Wir hätten aber dennoch gerne einen weiteren Besuch abgestattet, aber für Womos ist es nicht mehr möglich, sich ganz nah heran zu machen. Der ehemals erlaubte PP am Strand ist geschlossen, der CP ohnehin, und die umliegenden CP liegen so ungünstig weit weg und an der Überlandstraße, die mit Rad und Hänger für 10 oder 15 km unmöglich befahren werden kann. Da die Stadt auch komplett von Katzen beherrscht wird, wollen wir Chianga - und natürlich uns - es nicht zumuten, ohne Anhänger nur mit Leine völlig gestresst durch Gassen und Hafen zu pirschen. Das ist dann keine Freude. Aber dennoch raten wir unseren interessierten Mitreisenden dringend den Besuch der phantastisch schönen Stadt (siehe auch Menüpunkt „Marokko 2017 > Essaouira“), ein Erlebnis der Extraklasse, vorausgesetzt, man hat einen Katzen gegenüber gechillten Hund an der Leine. Es ist schade, mit Hänger nicht hin zu kommen. Das wäre absolut unproblematisch gewesen, da konnten die Katzen sogar direkt durchs Netz in die Hänger gucken und weder Bazou noch Chianga gaben einen Ton von sich. Stattdessen geht es jetzt über die Waschbrettpiste in die Richtung, wo ein Turm einer Moschee rausguckt. Ein paar Mauern und Tore halten irgendwie Behausungen zusammen, die sich um eine kleine Moschee scharen. Bewohner sehen wir nicht. 

Ein Mann auf Esel begegnet uns auf der Weiterfahrt, er strahlt und grüßt, ein süßer Hund schleicht mit leicht ängstlichem Blick schnurgerade am Straßenrand an uns vorbei. Es sind überwiegend wirklich schöne Hunde mit sehr lieben Gesichtern. Sie haben nichts Aggressives an sich, beanspruchen nichts und lassen sich mit einer Handbewegung verscheuchen, wenn‘s denn mal überhaupt sein muss. Wenn ich da an die Hunderudel in der Türkei denke, du lieber Himmel, wenn da 50 kg und mehr mit eindeutig territorialer Ansprüchlichkeit im Blick auf uns zukamen, da wurde uns aber mehrfach schlecht. Da war nix mit verscheuchen. Bei solch auftauchenden Gesellen, die völlig angstfrei aus dem Nichts kommend deinem Auto bellend und zähnefletschend nachrennen, bist Du überglücklich, nicht mit Rad und Hänger unterwegs zu sein und gibst einfach nur Gas, nur Gas! Hier aber möchtest Du die Hunde einfach nur behüten, und etliche Tränen sind unterwegs schon geflossen und etliche Hundemahlzeiten „to go“ wurden schon aus dem Womo rausgereicht. Ja, ist das freie wilde Leben auch toll für Hunde, so beruhigt das uns bei weitem nicht immer, zumal der irgendwie mehr gewordene Müll die Vermehrung der Hunde beflügelt. Alles greift ineinander. 

Wir stoßen auf die N1 und eine angrenzende Frauen-Kooperative, die Arganöl herstellt und vertreibt. Ein kleiner Laden, schön aufgeräumt, hat einiges zu bieten. Der Boden liegt dekorativ voller Schalen. 2 Gläschen Öl mit Mandelmus kaufen wir und eine kleine Flasche Arganöl. Das wird später sofort mit Brot probiert.

Der Rückweg beschert uns noch eine kreuzende Schafherde und ein paar sehr scheue Dromedare im Gebüsch. Sie galoppieren richtig tief rein in den Wald, als sie unsere Räder hören. Sehr ungewöhnlich. Apropos „Galopp“ … was hätte Bazou einen Spaß gehabt hier auf der schnurgeraden sandigen Piste, da hätte er wieder um den Titel „Galopper des Jahres“ gekämpft. Er konnte sowas von rennen, die Freude voll im Gesicht. Chianga hingegen reitet nur im Damensattel, selten flegelhaft enthemmt, eigentlich eher nie, was auch viele Vorzüge hat. 

Mal sehn, wohin morgen geritten wird. Jetzt erstmal tunken wir genüsslich Brotstückchen ins Arganöl-Mandelmus und hören den Bienen zu, die im Busch von einem gelben Blütchen zum nächsten schwirren.