von Essaouira nach Aourir


Tag 18 - 01.02.2023 Mittwoch

Sehr trüb und dunkel ist der Morgen. Scheint wohl doch, dass uns das stürmisch schlechtere Wetter, dass schon seit einigen Tagen den Süden beutelt, ereilt. Schade, denn die bevorstehende Route wird uns zum Teil spektakuläre Aussichten auf den Atlantik vor Augen führen. Da wäre Blau schon die angesagte Farbe. Aber wir wollen nicht jammern, bisher meint das Wetter es sehr gut mit uns, wenn man bedenkt, dass im Atlas und sogar ganz im Osten zu Algerien hin in der Oase Figuig Schnee gefallen ist. Wir erledigen V+E und verlassen den schönen ruhigen Platz über die 6 km lange Piste bis zur N1.

Sie führt uns zunächst zum großen Kreisverkehr in Essaouira. Pikobello zieht sich die damals noch im Bau befindliche Promenade am Meer entlang Richtung Hafen. Der Dünenparkplatz ist fast leer, nur ein paar PKW parken, Camping-Verbotsschilder sorgen dafür, dass hier keine Womos mehr stehen. Sehr sehr schade, ich erwähnte es. Wo Achmad und sein Dromedar mit lustigem Namen „Capucchino“ nun auf Touris warten, man weiß es nicht. Es war damals ein sehr beeindruckendes Bild, eine Karawane zwischen den Womos über den Asphalt ziehen zu sehen. Wir müssen noch Geld wechseln. Eine Bank wird angepeilt. Danach erledigen wir im Carrefour einen Einkauf. Das war‘s aber jetzt, raus hier unter den souverän distanzierten Blicken der am Stadtausgang positionierten sehr schmucken Polizisten. 

Auf passablem Sträßchen, das offenbar teilweise vierspurig ausgebaut wird, durchfahren wir einzelne Ortschaften. Das bietet immer wieder so gute Einblicke in das alltägliche Leben der Bevölkerung. Man kauft ein, man wartet auf Mitfahrgelegenheit oder den Bus, man schiebt Kinderwagen, man kommt aus der Schule, man repariert sein Auto, man trifft Freunde, man heizt die Grills, richtet Tajinen und Obstauslagen oder hängt einfach nur ab und rum. 

Bald ändert sich die Landschaft. Die Ausläufer des Atlas kündigen sich hügelig an, und alles wirkt geordneter. Auf rotbrauner Erde zwischen unzähligen Steinen, die Allah hat wachsen lassen, gedeihen in lockerer Anordnung knöcherne Arganien. Ziegen turnen drumherum oder direkt mittendrin im Geäst. Das frische Grün in den Kronen lockt und leuchtet, obwohl keine Sonne scheint. Große gemauerte Tafeln zeigen den Wechsel der Provinzen an. Auf kleineren, weiß getünchten Blöcken am Straßenrand wird einem die Entfernung zu größeren Städten angezeigt und viele Menschen bieten Honig und Öl an.

Vorbildlich präsentiert sich einer der nächsten Orte: Tamanar. Also diese Gemeinde muss den Wettbewerb „Unser Dorf soll schöner werden“ gewonnen haben. Es fällt sofort auf, dass hier alles gefegt ist, nichts rumliegt, kein Müll, nichts. Sogar am Ortsende hinter der Tankstelle, an der wir noch auffüllen, liegt nichts. Also eigentlich ein unfassbares Bild. Es geht, man sieht es, es geht also. Uns würde interessieren, was die Leute dazu bewegt hat, ihren Ort so müllfrei zu machen. Denn der König kann sich unmöglich hier zum Besuch angesagt haben. 

Nun wird geklettert. Hoch hinauf geht es. Auf dunklem, fast jungfräulich neuem Asphalt erklimmen wir die felsige Höhe immer am Mäuerchen entlang bis sich die wirklich atemberaubende Draufsicht auftut. Tief unter uns liegt hinter einem dünenreichen Küstenstreifen der Atlantik. Wirklich wunderschön. 

Wir folgen der sich in die Ebene schlängelnden Straße. Wie schon im zurückliegenden Abschnitt der heutigen Route, begegnen uns sehr viele Womos, also im Verhältnis zu unserer ersten Tour hier entlang, wo wir kein einziges trafen. 

Und jetzt sehen wir voller Vorfreude Tamri auf uns zukommen. Das weite Tal, wie ausgegossen mit Bananenstauden gefüllt, liegt unterhalb der Straße, die bunten Würfelhäuser des Städtchens ziehen sich an den Hängen entlang. Wir freuen uns auf Bananenkauf aus dem Womo-Fenster heraus. Hier gedeihen vorzügliche kleine Bananen, einfach köstlich, die eng aneinander gedrängte Händler direkt an der Ortsdurchfahrt einem ins Auto reichen. Man muss aufpassen, dass einem keine Bananenstaude mitsamt Händler am Spiegel hängen bleibt. Aber was ist das? Was ist das für eine Weite? Was soll das? Tja, man hat die Händler zugunsten eines Parkstreifens für PKW zurückgedrängt. Nix mehr mit Fenster-Kauf. Hier fliegen einem keine Bananen mehr ins Auto. So ein Mist! Enttäuschung ist groß, hält sich auch eine ganze Zeit lang, da wir immer schon etliche verspeisten auf der weiteren Wegstrecke. Vor allem Bazou war da immer total engagiert, er liebte Bananen, wenn‘s schnell gehen musste, da unbeobachtet, auch mit Schale. Brechen liebgewonnene Traditionen weg, ist das einfach nicht schön.

Die Tamri-Pleite verdauend ziehen wir am Atlantik vorbei Richtung Surf-Paradies Taghazoute. Mit Camping-Verbot gekennzeichnete Bereiche werden ignorant von Womos bevölkert. Bevor Beach-boys und -girls bei Anblick der bunten Gemäuer sicher das Herz höher schlägt und unendliche Bretter-Lust geweckt wird, hart am Wind, passieren wir menschenunwürdige windzerzauste Verschläge am Straßenrand. Erbärmlich sind die Zustände. Ob Menschen so ständig leben müssen oder nur tagsüber, um ihre Meeresfrüchte am Straßenrand anzubieten, wissen wir nicht. Wir fahren vorbei. Betreten. Still. 

Nun kommen wir unserem Tagesziel nach 180 km schon sehr nah. In Aourir herrscht das übliche geschäftige Treiben. Immer wieder ist es faszinierend, in diesem Gewimmel zu stecken. Und immer wieder wundert es, alles ohne Schaden zu überstehen. Der Ort zieht sich lang in die Schlucht hinein, und am Ende geraten wir noch in eine Art Trödelmarkt. Am Straßenrand macht sich ein Mann für sein Gebet fertig. 

Und dann erreichen wir unser Lager für heute. Wir schlüpfen in die Einfahrt vom CP Aourir, melden uns an und treffen direkt auf die Besitzer, die wir seit einigen Jahren dank Facebook kennen. Gerlinde heißt uns freundlich willkommen, ihr Mann begleitet uns bei der Parzellensuche. Aber vorher überrascht uns eine weitere FB-Freundin. Heidemarie hat uns irgendwie kommen sehen und begrüßt uns ebenfalls begeistert. Wie herrlich, man kennt sich nur virtuell, und wenn man dann leibhaftig gegenüber steht, ist es exakt so harmonisch und toll wie „im Netz“. Na, da sind wir ja nun bestens aufgehoben auf dem ziemlich vollen, sehr gepflegten und schön angelegten Platz. Wir freuen uns auf ein paar Tage Camping. Auch das Wetter soll ab morgen wieder sonnig werden. Und jetzt Schluss für heute … und … Häppchentiiiiiiiiime ;-). 

Tag 19 - 02.02.2023 Donnerstag

Und der Himmel strahlt. Rundum herrscht schon emsige Geschäftigkeit. Wie üblich, sind viele mit Fertigmachen zur Abreise beschäftigt. Es ist schon ein größerer Wechsel deutlich. Nachmittags füllt sich fast jede Lücke, morgens leert es sich. Wir machen langsam, in jeder Hinsicht, ein Schwätzchen hier, ein Schwätzchen da, wie das so ist auf einem CP. Lustige liebe Menschen sind hier „stationiert“, halten sich aus unterschiedlichen Gründen schon mehrere Wochen hier auf. Der CP bietet aber auch alles, was man dazu braucht, man kann sich hier fallen lassen und wohlfühlen. Wir klinken uns ein, dümpeln herum, Homeoffice mit frischer Ananas und dem letzten Hüttenkäse aus dem Vorrat, etwas Radeln, Grillen, Feierabend.

Ein Mann kommt um die Ecke, eine Ridgeback-Hündin an der Leine. Na sowas! Wie üblich führt das natürlich zu großem „Hallo“ und einem regen Austausch. Es fallen Namen von Hunden und Züchtern, die uns allen was sagen. Die Welt ist klein, auch die der Ridgeback-Liebhaber. Hier werden wir sicher noch die ein oder andere Gelegenheit zum Plauschen finden. Wir erfahren, dass das Frauchen gerade unterwegs ist und im Tierheim unweit vom CP sehr engagiert und tatkräftig und fachkundig unterstützt. Es sind wohl jede Menge Hunde untergebracht im von einer Australierin gegründeten Tierheim, vornehmlich solche, die körperlich verletzt sind. Es gibt wohl sehr sehr schlimmes Leid. Morgen werden wir dort vorbeifahren. Wird hart. 

Und abends flattert über FB eine Nachricht rein: Schüssel-Einweihung in der Nachbarschaft. Das ist so klasse, auch die Schüssel. Khalil, der Maler, hat der schnöden SAT-Schüssel unserer Nachbarn mit einem heimischen Motiv, der Marksburg, zu einem Kunstobjekt verholfen. Aber der besondere Clou am Flair ist, dass der Mitcamper vom Rhein eine Beleuchtung angebracht hat. Jetzt erstrahlt das Kunstwerk und leuchtet über den ganzen Platz. Ihr Womo werden sie im Dunkeln nicht mehr verfehlen, hier wird einem heimgeleuchtet. Sehr schön. Mit Schnäpschen und Häppchen feiern wir den sehr effektvollen Auftritt der Schüssel. 

Tag 20 - 03.02.2023 Freitag

Summertime. Überall in den Reihen steht man zusammen. Hunde, zum Gassigang bereit, müssen warten, weil Herrchen oder Frauchen sich immer wieder gern aufhalten lässt und plaudert. Gesichter lachen sich an, Hände begrüßen sich, man klopft sich auf Schultern, umarmt sich herzlich, man hat Spaß, alles in kleineren aber auch größeren Runden, mit mehr oder weniger Gestikulieren, je nachdem in welcher Sprache z.B. ein Deutscher einem Franzosen antworten will. Man spürt viel Harmonie, entspannte Lockerheit, man fühlt sich wohl auf diesem Plätzchen hier in der Schlucht von Aourir. Na ja, ein paar stieselige Zeitgenossen muss es auch geben, sonst würde der Frohsinn ja gar nicht so sehr auffallen. Und zwischen allem wuselt Khalil mit seinem leicht verträumt-verklärten Blick eines Künstlers, mit Farbpalette und Pinsel herum und beginnt neue Werke auf irgendwelchen Blechen oder vollendet gerade seine schmückende Marokko-Szene seitlich auf einem Kastenwagen. Ich bin sicher, er liebt jede einzelne Ziege, die er mit behutsamen, aber zielsicher gekonnten Strichen in einer alten verknöcherten Arganie herum klettern lässt. Es begeistert schon, ihm zuzuschauen. Glücklich schätzen darf sich der, der liebt was er tut. Das scheint bei ihm der Fall zu sein. Er hat entsetzlich schlechte Zähne, also das, was noch davon übrig ist, trägt eine Kappe über seinem zusammengeknoteten Haar, und beeindruckt trotz allem mit dieser orientalischen Aura, dieser Spur von Perspektiven eröffnender weiser Weltanschauung und besonderen Betrachtungsweise von Dingen. Man klebt an ihm und seinen Werken in dieser herrlichen Landschaft hier. Eine Erfahrung. 

Eine weitere Erfahrung wird uns der heutige Tag bringen. Es wird hart. Extrem. Über die liebe FB-Freundin Heidemarie sind wir ja in Kontakt gekommen mit Iris und Freddy, nicht nur, weil auch sie mit ihrem Liebchen Ginny, einer Ridgeback-Hündin unterwegs sind und hier auf dem CP stehen, sondern weil sich Iris als Ärztin sehr tatkräftig einsetzt in der Tierauffangstelle bzw. eher Krankenstation unweit vom CP. Sie hat dort schon mehrfach wochenlang „Dienst“ geschoben, Hunde und Katzen, Pferde und Esel medizinisch versorgt, versucht, das entsetzliche Leid der meist durch Unfälle geschundenen Tiere zu lindern und zu heilen. 

Wer als Hundemensch südliche Länder bereist, dem bleiben natürlich desolate Zustände und Lebensumstände rund um das Hundewohl nicht verborgen. Aber hautnah und geballt erlebt haben wir es bisher nicht, ehrlicherweise muss ich sagen, wir haben uns auch noch nie im Ausland in ein solches Heim gewagt. Aber jetzt ist das anders, und jetzt ist es auch gar keine Frage zwischen Wim und mir, da will nicht die eine, und der andere will nicht. Nein, einhellig und zweifelsfrei werden wir heute die Auffangstation besuchen. Wir radeln los. Es sind nur 3 km Richtung Aourir. Dort, wo die Häuser beginnen, stehen links ein paar Eselchen, dort ist die Station, ins Leben gerufen von einer australischen und einer französischen jungen Frau. 

Vor der eigentlichen Einfahrt stehen aufgetürmt etliche Hundeboxen im Schatten. Alle sind belegt. Ein paar Hunde liegen angeleint davor. Es ist still. Traurige Augen in erbärmlichen Körpern. Jede Motivation, ein hundetypisches Signal der Freude zu senden, erstorben, Kraft nur noch zum Atmen vorhanden. Wir schlucken. 

In der Einfahrt liegt regungslos ein Eselchen auf Stroh. Es ist aber ein Fohlen, wie wir später erfahren. Und es lebt. Zunächst denken wir, es ist tot, und man habe es wohl hierher gebracht, um es zu verfüttern und fragen uns mit Entsetzen, wer es wohl ausnehmen wird. Ich schreibe das deswegen, um zu verdeutlichen, wie krass schlimmste Zustände die Hirnleistung beeinflussen und den klaren Blick vernebeln. Aber glücklicherweise wird uns Aufatmen geschenkt. Denn das Fohlen ist auf dem Weg der Besserung. Es wurde quasi sterbenskrank abgegeben, hatte aber wohl nur eine Kolik, und seit heute geht es aufwärts. Es hebt auch plötzlich den Kopf, setzt sich etwas auf, es wird es schaffen zurück ins Leben. 

Wir stehen rum, bzw. Wim, von dem ich das gar nicht annahm, wagt sich weiter nach hinten durch, da wo eine große Hundemeute am Gatter steht und einige separat angeleint liegen. Ich stehe erstmal nur da, erstarrt, sehe zwar etwas, und sehe es auch nicht, ein wahnsinniger Gestank wabert herum, Hunderte Hunde scheinen zu bellen, Tausende Fliegen zu geiern. Eine junge Frau kommt fröhlich auf mich zu, begrüßt mich, bückt sich dann und nimmt ein in Decken gehülltes Häufchen Elend aus einem Körbchen raus, drückt es mir in die Arme. Ein trotz allem Gestank wahrnehmbarer Geruch nach Welpe steigt mir in die Nase und knipst meine mütterlichen Lebensgeister sofort an. Oh mein Gott! Ein sandfarbenes Spitzmäuschen mit schwarzer Maske kuschelt sich reglos sehr zart an mich. Bernsteinaugen gucken aus dem gesenkten Kopf ins Leere. Lange Beinchen mit beigen Krallen baumeln unter der Decke heraus. Es lässt sich drücken, streicheln, bleibt aber unglaublich reglos und ruhig. Nach einer gefühlt ewigen Zeit hebt es seinen schmalen wunderhübschen Kopf und schnüffelt mein Gesicht ab. So sitzen wir beide lange auf einem Sims in der Sonne, einen Moment auf der Sonnenseite des Lebens, ich flüstere ihr in ihre Schlappöhrchen, sie reagiert mit gelegentlichem Heben ihres spitzen Schnäuzchens zu meinem Gesicht hin und erstaunten Blicken aus ihren sanften Augen. Wim ist vertieft in Gespräche mit Iris, die mit Medikamenten und Verbandsmaterial unterwegs zu ihren Patienten ist und eigentlich überall gleichzeitig versorgen und behandeln müsste. Der Anblick des langbeinigen Geschöpfs in meinem Arm und das immer deutlicher werdende Realisieren der Zustände und Schicksale allein nur der paar Hunde hier im Einfahrtsbereich und der an die 300 Tiere irgendwo im und am Haus, lässt irgendwann alles in uns aufbrechen. Wim weint, ich weine, unvermeidlich. Ich weine das ganze an mir kauernde Tierchen nass, das, wie ich jetzt erfahre, an den Hinterläufen gelähmt ist, wohl von einem Auto angefahren wurde. Diese gerade vielleicht mal 4 Monate alte Schönheit wird niemals ihrer Art eines Karawanenhundes entsprechend als stolze, elegante, staubfarbene Hündin ihre Pfoten in den Wüstensand setzen können. Bilder all unserer Hunde kommen vor meine Augen, unvergessliche Situationen, große Dankbarkeit für durchweg gesunde Hunde, entsetzliches Mitgefühl und Leid für diese geschundenen Kreaturen. Eigentlich alles unbeschreiblich. 

Unfähig, auch nur ein einziges Foto der Station zu machen, sitze ich da. Ich will dieses Elend nicht fotografisch festhalten. Der Stolz der vielen Hunde dort verbietet es. Ich muss und will mich beschreibenderweise dadurch machen. Bedenken, dass Fotos nur konsumiert werden, sind zu groß, am geschriebenen Wort ist der, der sich einlassen möchte, weniger rasch vorbei. 

Und eigentlich möchten wir weniger das große Elend vor Augen führen, vielmehr soll die aufkommende Freude darüber, dass Menschen solche Vorhaben umsetzen, sich endlos einsetzen, selbstlos handeln, Gutes tun und tatkräftig helfen, im Vordergrund meiner Schilderungen stehen. Denn zum einen geht es natürlich um das Wohlergehen der Kreatur. Das steht an erster Stelle. Aber als äußerst wichtiger Nebeneffekt muss gesehen werden, dass sich etliche junge marokkanische Burschen als Helfer engagiert einbringen. Sie wohnen zum Teil dort, erhalten ein kleines Taschengeld, haben Gemeinschaft und Perspektive, hängen nicht arbeitslos herum, tun Gutes und kommen in den für diese Verhältnisse hier ungewöhnlichen und einmaligen Genuss, am eigenen Leib zu erleben, was Tiere, speziell Hunde, an Liebe zu geben haben. Sie sind die besten Botschafter nach außen hin. Sie berichten von ihrer Arbeit, die sehr wertgeschätzt wird. Sie verdeutlichen, dass man stolz darauf sein kann, einer Kreatur zu helfen, sie zu achten und zu schützen. Es wird sie ein ganzes Leben lang prägen. Das kann alles nur im Sinne Allahs sein. 

Ein junger Mann im weißen TShirt mit „Doglove“-Aufdruck beugt sich über eine schwer atmende, ausgezehrte Hündin mit sehr schütterem Fell, die an die Hauswand gedrückt mit dem Tod ringt. Er misst Fieber. Er hebt sie danach sehr behutsam auf, legt sie auf eine Decke in einen Hundekorb, streichelt sie liebevoll. Mein „Good Job“ und mein Streicheln über seinen Arm beantwortet er mit einem strahlenden Lächeln und einem Dankeschön. Wir haben gewonnen heute. Wir alle. Auch die Hündin, denn sie wird in Liebe über die Regenbogenbrücke gehen. 

Unser Aufruf von Herzen an alle Mitcamper, die in der Gegend unterwegs sind:

Jede kleine Spende hilft, jeder Dirham heilt, jede Decke, jedes Handtuch, jede Leine, jeder Korb, jede Matte, jegliches Pflegemittel, jedes Medikament, jede Mullbinde, jedes Verbandszeug, jedes Futter, jeder Napf, alles hilft und heilt. 

Auf dem Weg zum CP Aourir kommt man an der Haustür der Station vorbei. Einfach anhalten, einfach abgeben. 

Es wäre doch gelacht, wenn da nicht der ein oder andere etwas erübrigen könnte. 

Nicht nur die Tiere danken es, auch die helfenden Jungs wären begeistert, und die beiden Initiatorinnen sowieso. 

Es hätte also Ultra-Doppel-Vielfach-Wirkung. 

<3  macht doch mit  <3

Tag 21 - 04.02.2023 Samstag

Wieder Summertime. Eigentlich kein Wetter für ein Vollbad. Aber Samstag, Samstag ist Badetag, und wir werden uns heute eins einlaufen lassen. Höchste Zeit, mal wieder zu baden, nämlich im quirligen marokkanischen Einkaufsgewusel. Und dafür ist das Städtchen Aourir bestens geeignet. Es bietet an langer Straße alles, was man braucht, lässt tief blicken und macht einfach viel Spaß. Aber zunächst führt ja der Weg vorbei an der Tierstation. Wir kramen also aus den Tiefen des Concördchens noch paar nicht dringend benötigte Leinen raus, finden ein paar Kauknochen und Leckerchen. Zu blöd, dass wir nach dem Tod von Bazou so vieles, was man für Hunde für alle Fälle der Fälle mitschleppt, aber nie brauchte, zu Hause aus dem Womo aussortiert haben. Manchmal schleppt man doch jede Menge unnützen Kram mit, räumt ihn dann aus in einem Ordnungsschaffensanfall, und schwupp ist Bedarf da. Geht doch häufig so. Aber mit paar Sachen radeln wir nun zur Station. Die kleine Sahara-Prinzessin liegt mit zwei piepsenden Winzlingen in einer Box. Ein junger Mann gibt sie mir raus auf den Arm. Und sie ist heute viel lebendiger, neugieriger, schnüffelt, reagiert auf Ansprache, zuckt mit ihrem Schwänzchen, knabbert an meinem Finger, legt ihre Pfote auf meinen Arm. Sie hat sich innerhalb des einen Tages seit ihrer Abgabe hier sichtlich erholt. Alles um uns herum bellt. Das Tütchen mit den Kaustangen ist flott verteilt, Ruhe kehrt ein. Ja, wenn man bellt gibt‘s Leckerchen, nicht die perfekte Art im Umgang mit Hunden, aber Besuch darf das. Wir müssen weiter. Ich lege das langbeinige Bündelchen Hund wieder zurück in die Box, etwas schwierig, weil die beiden Winzlinge natürlich versuchen, sich sofort durch den Spalt zu quetschen. Sie sind sicher erst 3, 4 Wochen alt, aber schon sehr selbstbewusst. So bleiben sie auch vorne am Gitter und strecken Pfoten und Näschen durchs Gestänge mit Dauerpiepen. Plötzlich schnappt sich die Prinzessin einen der Zwerge am Nacken, dreht ihn um, wartet einen Moment, lässt ihn wieder los, und der Kleine trollt sich in die Ecke der Box, sein Kollege gleich mit, so sitzen sie gemeinsam hintereinander an der Seite, gucken leicht betreten und geben keinen Ton mehr von sich. Prinzessin streckt ihren Vorderlauf aus, versperrt damit zusätzlich den Weg zum Gitter, so, als ob sie mutiert zu „Fräulein Rottenmeyer“ und sagen will: „Sendepause für Euch, bis hierher und nicht weiter!“. Nun ist sie ja quasi selber noch ein Welpe, aber schon so weit, dass sie den Kleineren beibringen kann, was sich gehört und was nicht und genau weiß, dass sie Ressourcen für sich sichern muss. Sehr beeindruckend diese Lektion „Ursache und Wirkung“. 

Unterdessen kommen vier Männer mit einer Box, in der eine kleine Katze kauert, in den Hof. Die Katze sei paralysiert, erzählt mir der eine, ein Unfall, sie kämen aus Guelmim, seien Freunde, und die Katze gehöre zum Haus und ihrer Familie. Ja sag mal … wir staunen nicht schlecht. Einer öffnet die Box und holt ein völlig apathisch guckendes Katzenkind heraus. Sie haben ihm eine Windel angezogen, auch ein ganzes Paket Windeln noch dabei. Jetzt liegt Guelmim ja nicht direkt um die Ecke, und vier Männer mit Sorgen um ihre Katze findet man in Marokko gewiss auch nicht an jeder Ecke. Sie fotografieren ihre Katze, auch die Hunde um sie herum, sind glücklich, hier Hilfe zu finden für ihr armes Kätzchen, dessen Hinterleib nur noch leblos herum baumelt. Schlimm, einfach schlimm. 

Etwas erleichtert aber natürlich auch sehr unglücklich fahren wir ab hinab ins Tal nach Aourir. Quasi geht‘s die ganze Zeit bergab, gut, man muss ja dann die 6 km wieder rauf, aber, mal vorweg genommen, die Ebikes schaffen das spielend selbst mit Hundeanhänger. Wie üblich, wird uns von überall her signalisiert, dass man willkommen ist. Die Männer winken und rufen, die Kinder grinsen, die Frauen grüßen. Mädchen in Schuluniformen halten Schwätzchen, Jungs spielen Fußball und jubeln aus vollem Herzen, wenn man ihnen nur „Maroc Football“ mit „Daumen hoch“ zuruft. Einfach herrlich. Und alles im Vorbeiradeln. 

Zwischen Gemüsehändlern, riesigen Fleischstücken an Haken, brutzelnden Tajinen, Heu- und Strohballen, Fischlieferanten und Karren voller Erdnüsse oder Erdbeeren fließen wir mit im Gedränge, das reichlich dekorierte Polizisten im vornehmen, lichtgrauen Zwirn sehr gut im Auge haben. Viele komplett verhüllte Frauen fallen auf, viele Männer in traditionellen langen Gewändern. Wir kaufen ein paar Brote, 1 Kilo Erdbeeren für 1,40 €, eine Tüte Apfelsinen, lecker gebackenen Fisch an einer „heißen Theke“. Und treten in die Pedale und den Heimweg an. Unterwegs gönnen wir uns einen wirklich köstlichen Kaffee auf einer kleinen schönen Terrasse. 

Am Womo zurück stellt sich die Frage: Wie soll das nur mit den Erdbeeren weitergehen? Ein Leben in der Tüte ist nix für die. Freiheit für die Erdbeeren! Weg mit den Tüten! Und da wir heute Badetag haben, darf schon mal ein Teil der Beeren baden. In Weißwein. Leicht gezuckert. Gerührt, nicht geschüttelt. Und eine köstliche Erdbeer-Bowle versüßt uns den sonnigen Nachmittag, und passt, man hält es nicht für möglich, auch wunderbar zu gebackenem Fisch, korrespondiert bestens, auch farblich. 

Heidemarie hat unterdessen zum Abschiedsumtrunk am Abend eingeladen. Nach über 40 Tagen wollen sie langsam heimwärts ziehen. Sie hätten noch so viele angebrochene Flaschen an Bord, die müssten weg. Ja, Abschied fällt den beiden richtig schwer. Mit einer kleinen Häppchen-Platte finden wir uns dann brav um 18 Uhr ein. Eine sehr lustige Runde ist da zusammen. Wir haben viel Spaß, singen sogar, albern herum … etwas Galgenhumor ist mit dabei, denn wer will schon schöne Plätzchen verlassen. Aber das Leben eines Womobilisten und einer Womobilistin muss weitergehn, artgerechter Haltung entsprechend, liegt in der Natur der Sache. Und ein Jahr ist schnell vorbei und damit die nächste Winterreise in den Startlöchern. Bleiben wir gesund und munter, wobei ich an Letzterem keine Zweifel habe. Gute Reise, Ihr Lieben! 

Tag 22 - 05.02.2023 Sonntag

Wim konnte Heidemarie und Günther noch winken, früh sind sie abgezogen. Wir machen ganz gemächlich. Viele Fragen im Netz beantworte ich hinsichtlich des Aufrufs nach Unterstützung der Tierstation. Wir freuen uns sehr über die Rückmeldungen der Mitcamper. Und wenn etwas bewegt werden kann, wäre das sehr sehr toll! 

Aufgeregt erscheint ein Marokkaner, feurig unterwegs wie die Farbe seines TShirts, mit ebenso strahlend rot belegten Törtchen auf großen Tabletts. Er offeriert sie uns in bestem Deutsch, hektisch, als habe er „heiße Ware“ unterm Mantel zu verhökern mit Polizei im Nacken. Er will für 10 Stück 100 DH haben. Während wir nachdenken, dass 10 zu viele sind und welche wir nehmen wollen, wird er noch hektischer und weist mit fliegenden Armen und Händen darauf hin, dass seine Kunden warten, er müsse weiter. Ehe sein Blutdruck nun weiter in bedenkliche Höhe schnellt, kaufen wir ihm 5 für 50 DH ab. Blitzschnell sagt er „Teller“, ich reagiere, er packt drauf, und wie aus der Pistole geschossen ist er wieder verschwunden mit seiner Ware. So etwas haben wir auch noch nicht erlebt. Mit Sprachkenntnissen in Deutsch hat er sich wohl auch deutsche Hektik angeeignet, ungewohnt und so gar nicht Marokko-like. :-) 

Da Iris heute ihren Patenhund Monroe am Womo hat, gehen wir gerne auf einen Sprung vorbei. Außerdem ist noch ein Kleiner dabei, der ebenfalls eine Patenfamilie hier auf dem CP hat. Liebe schöne Hunde die beiden. Natürlich sind Hunde generell und im Besonderen das Gesprächsthema. Nur beiläufig wird darüber gesprochen, wer wann wohin weiterreist. 

Am Nachmittag besucht uns ein Paar, erfahrene Marokko-Reisende, sie haben den Aufruf in FB gelesen. Wir tauschen uns aus, ich gebe die Infos zu der Krankenstation und hoffe, sie zielführend gewonnen zu haben. Das wäre wunderbar. 

Und da Rot so herrlich im Sonnenschein schimmert, bereiten wir eine Sangria vor. Apfelsinen haben wir ja. Und jetzt muss ich enden, da Wim vernehmen lässt: „Jetzt könntest Du uns mal ein Gläschen eingießen!“ Morgen ziehen wir weiter, höchste Zeit. 

Aber dann ertönt noch das vielstimmige Gurgeln des Dromedar-Chors, der allabendlich durch das trockene Flussbett und an den Berghängen am CP vorbei zieht. Es ist immer wieder toll, diese gechillten Tiere dahin wanken zu sehen. Von gechillt ist der junge Harlekin-Dackel unserer französischen Nachbarn noch weit entfernt. Er guckt immer mal wieder um die Ecke und fordert Chianga zum Spielchen raus. Zu lustig.