von Aourir nach Sidi-Bibi


Tag 23 - 06.02.2023 Montag

Jetzt stehn wir doch sage und schreibe 5 Nächte in Aourir. Ich fasse es kaum. Ja, irgendwie fällt man in einen Trott, allerdings ist auch in den vergangenen Tagen derart viel Emotionales auf uns eingestürmt, dass wir scheinbar Erholung brauchten und wollten. Ja, es „menschelte“ schön. Ich mag es sehr, wenn man etwas seelentief unterwegs sein darf, wenn es einen bewegt … und gerade Reisen muss doch bewegen. Aber heute bewegen wir uns nun hier fort. Es muss entsorgt werden, es muss bezahlt werden, es muss Datenvolumen aufgetankt werden, es muss verabschiedet werden. Iris und Freddy packen auch auf. Wir sind uns ziemlich sicher, dass sich unsere Reifenspuren irgendwo in Marokko nochmal kreuzen werden. Solch ein Treffen vorbereitend, lassen wir noch unsere Damen Giny und Chianga frei, damit sie mal sehen können, was in den letzten Tagen so nach fremdem Ridgeback roch. Lady- und ganz Ridgeback-like stolziert man umeinander, nickt, grinst, freundlich distanziert. Fotosession lässt man über sich ergehen, genervt, lästig, gibt wirklich nicht alles. Dafür ist man aber beim gemeinsamen Pfötchengeben und Leckerchenschlingen äußerst motiviert bei der Sache und nimmt wunderschöne Sitzpositionen ein, so schön, dass es die Frauchen derart rührt, dass Ihnen um ein Haar Freudentränen entrinnen. Vielleicht auch, weil nun zwei Paare, die sich wie vom Himmel gefallen, allerdings von Engel Heidemarie himmlisch arrangiert, begegneten und wechselseitig ganz viel Sympathie füreinander entwickeln konnten. Klingt gestelzt, ich muss schmunzeln, nein, es war „unfucking fassbar nice“. Wir sehn uns! 

Nachdem wir uns auch noch von Gerlinde und Khalil verabschiedet haben, rollen wir raus aus der steinigen Senke und die Straße hinab nach Aourir Richtung Agadir auf der N1 am Meer entlang. Überall wird gebaut. Es war schon 2020 so und wundert fast schon, dass es überhaupt noch freie Flächen gibt. Edle Parks und Promenaden werden entstehen, schon Unmengen an Palmen und Gehölzen warten auf ihr Pflanzloch.

Den Hafen Agadir erreichen wir schnell und biegen nach perfekt angelegten und sehr variantenreichen Parkanlagen und Grünstreifen nach links ab auf die P1006 Richtung Bergwelt Amalou/Timsal. Dort irgendwo wollen wir an einer Gité landen und nächtigen. 

Die Strecke führt durch vornehme Vorstadt mit modernen mehrstöckigen Häusern und weiten Plätzen. Feine Cafés und Lokale sieht man, selbst der Marjane erstrahlt pickfein, fast schon unpersönlich. Wege und Straßen sind perfekt, Autos häufig solche der Mittel- und gern auch Oberklasse, Handkarren eindeutig in der Unterzahl. Menschen sitzen weniger auf Steinen, Bordsteinen und Mauern, sausen eher beschäftigt herum. Ein junger Mann kreuzt die Straße, hebt sein angeleintes kleines Hündchen auf den Arm, drückt und küsst es, ein schönes Bild. 

So abrupt, wie sich dieses moderne anonyme Bild einstellte, so endet es auch. Die gewohnten und von uns sehr geliebten fremdländischen Bilder tauchen wieder auf. Nicht nur der Straßenbelag macht darauf aufmerksam, nein, auch die Mädchengruppen in ihren weißen Schuluniformen, die Händler in ihren winzigen pingelig aufgeräumten Lädchen, die Fischhändler, die vor ihren Kisten mit silbrig glänzenden Fischleibern am Straßenrand sitzen und die freien leider vermüllten Flächen hinter der Bebauung, auf denen Pferde den Müllcontainer als Trog ansehen und sich gefräßig bedienen, während ein kleiner stämmiger Welpe äußerst selbstbewusst jedes Auto verbellt und seine Dominanz auslebt. Vielleicht ist es auch eher reiner Selbsterhaltungstrieb, etwas, was er ausgeprägt entwickeln muss, will er auch noch in 5 Jahren kräftig bellen. 

Nach dem Teilstück der P1005, die hier auch locker 10.005 verdient hätte, das neben Blasen im kaum bis gar nicht mehr vorhandenen Asphalt auch die Frage aufwirft: „Wenden oder nicht wenden? Das ist hier die Frage!“, entschließt Wim sich doch zur Weiterfahrt. Es sind knapp 20 km, der Straßenzustand bessert sich eindeutig, die Schönheit der Landschaft lockt, wir packen es an. Und werden belohnt, wie häufig in Marokko. „Über sieben Brücken musst Du gehn …“ oder „Durch diese hohle Gasse wird er kommen“, er, der kleine Concorde. 

Postkartenansichten unter blauem Himmel, Temperaturen um die 25 Grad, die Beschaulichkeit der ziehenden Ziegen- und Schafherden unter altehrwürdigen Arganien, die felsigen endlos sich durch die Landschaft fräsenden trockenen Flussbetten, die langgezogenen Dörfer mit den bunten Würfelhäusern auf den luftigen Bergkuppen, hin und wieder ein Moped, ein Esel, alles Entspannung pur im Schneckentempo. 

Irgendwann verlassen wir die „Schnellstraße“, um etwas schmäler den Rest der Strecke zu erledigen. Hin und wieder hängt das Geäst der Arganien so tief in die Fahrspur hinein, dass wir uns drunter durch fummeln müssen. Alles verläuft aber ohne Stress oder Schaden. Nach einer schon stark abschüssigen Stelle mit passendem Anstieg sehen wir links die Gité liegen. Es ist ein ummauertes großes Grundstück. Ein französisches Paar lebt hier und gestattet Womo-Übernachtung. Wir parken vor der Mauer, und auf Klingeln kommt der freundliche Eigentümer. Er öffnet sein Tor. Aber, jetzt kommt das „Aber“: das Concördchen passt nicht rein, es ist zu breit, bzw. kann Wim es an dieser steilen engen Straße trotz mehrfachem Rangieren, oder besser Jonglieren, nicht wirklich vor dem Tor gerade positionieren, und zwar nötigerweise so, dass es um Haaresbreite genau hindurch passen würde ohne Spiegelverlust. Da vor dem Tor auch noch eine leichte Rampe angelegt ist und man deswegen mit Schmackes hinein müsste, streiken wir. Schade schade. Aber so ist das Leben. In diesem in Anfängen schon sehr schön angelegten Garten hätten wir gerne eine Nacht verbracht. 

Die Fahrt geht weiter. In einem Bogen werden wir uns wieder Agadir nähern. Ein feines Pausenplätzchen wird angesteuert, und tatsächlich halten Marokkaner an und fragen uns nach dem Weg. Tja, das Concördchen ist mittlerweile so staubig, dass man annehmen kann, wir haben jeden marokkanischen Winkel befahren. Vorbei an einer majestätisch drohnenden „Eco-Lodge“, deren Umfeld im Gegensatz zu dem der hinter uns liegenden kleinen Ansiedlungen ziemlich vermüllt ist, geht unsere Fahrt immer abwärts, einem trockenen Flussbett folgend.

Die letzten paar Kilometer vor Agadir zeigen die schwer verrottbaren menschlichen Hinterlassenschaften sehr deutlich die nahe Stadt an. Gruppen von jungen modern gekleideten Männern hocken am Straßenrand, vertieft in ihre Handys, mitten im Müll. Ihr Wunsch wird sein, so stellen wir uns vor, den Dörfern und einem Hirtendasein den Rücken zu kehren und in Agadir Arbeit zu finden oder wenigstens dort leben zu können, ohne Arbeit ginge auch. Kann man ihnen eine gewisse orientierungslose Perspektivlosigkeit verdenken? 

Schlagartig beginnen wieder tadellose Straßen, Gehsteige, Radwege, Einfamilienreihenhäuser mit schmuckvollen Fassaden und besonderen Details, bunte neue Gebäude, strahlend weiße Wohnblöcke. Agadir ist erreicht. Am südlichen Ring der Stadt zieht sich eine lange landestypische Einkaufsmeile, Unmengen PKW parken davor, parken für uns sehr schlecht, daher fahren wir auch dieses Mal weiter. 

Hinter der Vorstadt verlassen wir die N1 Richtung Takate und Küste. Um ein paar Dorfecken gequetscht, am Hühnerschild, an dem beim letzten Mal ein auf einem Eimer sitzendes kleines Mädchen scheu winkte, vorbei hangeln wir uns zum CP hin, der quasi auf freiem Feld unweit vom Atlantik liegt. Wir fahren diesen bewusst an, weil man hier die Gasflaschen auffüllen lassen kann. Er ist uns eigentlich auch noch in guter Erinnerung, weil er von der französischen Betreiberin sehr schön angelegt und gepflegt ist und sogar einen Pool hat. Man kann es hier aushalten.

Wie schon vermutet, ist er voll, randvoll. Allerdings dürfen wir auf einem Parkstreifen an der Rezeption die Nacht über stehen bleiben und ggf. morgen früh umziehen. Und welch ein Wunder: Günther und Heidemarie sind die direkten Nachbarn. Auch sie wollen Gas bunkern und bleiben paar Tage. Schön. Bevor es in Wüsteneinöden geht, sind paar gesellige weitere Tage nicht übel. 

Tag 24 - 07.02.2023 Dienstag

Mit Sonnenschein und schönem lauen Lüftchen ist direkt morgens nichts. Bewölkt zeigt sich der Himmel, aber die Betreiberin, die schon früh bei uns anklopft und uns eine freie Parzelle anbietet, versichert, dass es nicht regnen wird. Bei Anmeldung gestern konnte ich mitbekommen, wie eine junge Angestellte ihr ins Ohr flüsterte „L‘Allemagne“, woraufhin wir vor der Rezeption stehen durften. Seltsam, aber für uns nun vorteilhaft, weil sie uns zu einer schönen riesigen Parzelle begleitet. Hier sind wir in einem deutschen Eck, was nicht unbedingt gewollt, aber letztlich auch nicht schlimm ist. Ohnehin bleiben wir maximal 2 Nächte, Gas fassen und mal zum Atlantik radeln, sofern das Wetter sich bessert. 

Und das tut es. Sonnig, warm, wir radeln, nicht sehr weit, schnurgerade, und der Atlantik breitet sich aus. Sehr gut ist uns dieser Blick in Erinnerung geblieben. Hier standen wir 2018 mit unserem Arto, und Bazou, Chianga und wir konnten uns einen ganzen Nachmittag mit einem Rudel junger Strandhunde amüsieren. Ein unvergessliches Erlebnis. Und eines der Hündchen legte sich später genau vor unser Womo, blockierte quasi die Straße, ich musste es sogar verjagen. Tränen flossen damals. 

Und wir sind noch kaum da, umringen uns wieder einige Hunde. Völlig ohne eine Spur von Aggression begrüßen sie uns, ein schmaler Rüde schmeißt sich sofort auf den Rücken, blinzelt, wedelt mit seinem Schwänzchen, signalisiert: „Ich bin völlig ungefährlich, und Streicheln ginge jederzeit!“ Wir schlendern etwas herum, drehen im Sand eine Runde mit den Rädern, deren dicke Reifen sich wiedermal bestens bewähren. 

Man glaubt es kaum, aber unterhalb der Klippen, oder besser gesagt in den Klippen, leben Fischer. Abenteuerliche Behausungen ziehen sich über- und nebeneinander, ein Anbau vom Anbau, offene und notdürftig geschlossene Hütten und gemauerte Häuschen mit Materialien jeder Art türmen sich farbenfroh auf- und umeinander. Man könnte meinen, es handelt sich um eine Hippie-Happy-Künstler-Aussteiger-Hausbesetzer-Freigeister-Siedlung in Bestlage mit Meerblick, aber nein, hier haben hart arbeitende Menschen ihre Unterkunft, häufig wohl fernab jeder Romantik. 

Auf dem Heimweg läuft Chianga noch etwas nebenher am Rad. Sie ist nicht sehr ausdauernd, da war Bazou schon erheblich ambitionierter. Aber Chianga liebt ja ihre Senfte, so kann sie eben immer wieder einsteigen, wenn es ihr zu viel wird. Deutlich ist ein Geruch nach Schafen oder Dromedaren wahrnehmbar. Aber leider können wir kein einziges Tier ausmachen. Abendstimmung und ziehende Schafherden machen immer ein so wohliges Gefühl. Und eine Kamelherde wäre der Renner. 

Aber schöne Stimmung kommt doch am Spätnachmittag noch auf. Heidemarie und Günther besuchen uns. Und sie bringen ein Fläschchen mit, ein Gläschen, und Strümpfchen, alles selbst gekocht und gestrickt. Also wir sind … von den Socken, das kann man so jetzt nicht mehr behaupten. Jedenfalls freuen wir uns sehr, genehmigen uns ein Gläschen Sangria und verquatschen den Rest des Tages. Und morgen ist Weiterreise angesagt.