von Merzouga nach Aoufous


Tag 70 - 25.03.2023 Samstag

Ein etwas wehmütiger Tag steht an, aber auch einer, der Vorfreude schon am Morgen bringt. Heute verlassen wir die Wüste, traurig. Heute laufen wir bei der Familie Oumouloud in Aoufous ein, freudig. Ich kann nur betonen, dass es ein Segen war, uns doch für Merzouga entschieden zu haben. Die Eindrücke, die die Wüste in einem hinterlässt, sind wie Fußstapfen in ihrem gelb- und rotgoldenen Sand, sie verwehen zwar, aber dennoch weiß man, dass sie da waren und sind. Bietet Marokko auch so viel unvergleichlich Schönes, beeindruckend ist und bleibt die Sahara, ein „Eindruck“ in einem, ein tiefer, im wahrsten Sinne des Wortes. Heiß ist es auch heute wieder, aber eine Hitze, die gut erträglich ist, Chianga und wir hatten keine Probleme, auch dank segensreichem Schatten unseres Baumes, unter dem es sich erheblich besser lebte als unter der Markise. Und Fahrtwind beim Radeln kühlt auch herrlich. Einfach wundervoll. Mit besten Erinnerungen im Sack an phantastische Bilder der „Hohen Düne“ und ihren Ausläufern und der Erkenntnis, dass Merzouga immer wieder auf dem Routenplan stehen muss, schaufelt sich das Concördchen aus unserem Sandkasten heraus und an den Berberzelten vorbei. Wir zahlen, kassieren einen Rüffel, dass wir Wasser an der Dromedartränke hätten nehmen sollen, in der ein verdreckter Schlauch gammelt. Dieser Typ Gastgeber ist eigentlich fürchterlich. Absolut untypisch für Marokko, aber auch in jedem anderen Land eine Zumutung. Aber wir lieben sein Areal ohne Schnickschnack sehr, wenn er uns unsere Ruhe lässt, was der Fall war. Jedenfalls erreichen wir leicht kopfschüttelnd aber problemlos die Straße. 

Langsam können wir es angehen lassen, wir haben nur rund 80 km vor uns. Wir wählen statt der N13 durch Rissani die schönere Route über die R702, die am sehr touristischen Hassilabied entlang führt, wo sich am Dünenrand ein nobles Etablissement an das andere reiht. In der Folge bis Erfoud verläuft die leicht wellige Straße vorbei an zahlreichen Fossilienhändlern, soweit das Auge reicht ist Wüste. Manche Händler haben akurate Parkbuchten mit weiß getünchten Steinen auf ihrem flachen staubigen Land angelegt und weisen Womo-Plätze aus. Man kann in den Wüstenbergen herumkraxeln und sich im Fossilien-Suchen üben. Wird mal vorgemerkt. 

Hinter dem Friedhof vor der Stadt erreichen wir das Zentrum von Erfoud. Rechts am trockenen Flussbett des Ziz liegen steinbearbeitende Betriebe. Nun muss man sich da aber von allen nur denkbaren Vorstellungen eines „Betriebes“ verabschieden. Es ist eine extrem verstaubte und total von Schutt und Steinmehl überzogene und umgebene Barackenansammlung, zusammengeschustert aus Rohrgeflechten, Planen und Decken und allem, was irgendwie Halt, Sichtschutz und Schatten geben könnte. Unfassbar krasse Arbeitsbedingungen müssen dort herrschen. Da wurde ganz gewiss nicht nur die letzte Arbeitsschutzverordnung nicht umgesetzt. Sicher war es in Zeiten, in denen der Ziz Wasser führte, einfacher, Steinschneide- oder Schleifarbeiten erträglicher und verträglicher zu leisten. Aber es hat hier seit 3 Jahren nicht mehr geregnet, selbst in den vergangenen Wochen nicht, in denen ja teilweise anderenorts Massen von Regen gefallen sind. Wir müssen quer durch Erfoud, und kommen so in den Genuss der marokkanischen Lebendigkeit in einer Kleinstadt, wobei es, wohl angesichts Ramadan, ziemlich ruhig zugeht. Unmengen marokkanischer Männer befördern Familieneinkäufe auf Rädern, Mopeds, Karren, Eselsgespannen bis weit aus dem Zentrum hinaus in die umliegenden Ksare. 

Schon bald kommen wir nach einem sandverwehten Gebiet an die Stelle, wo sich das palmenbestandene Tal des Ziz öffnet und ein begeisterndes Bild vor den rotbraunen Bergketten liefert. Über viele Kilometer zieht sich das Oasental nun Richtung Norden bis hinter Errachidia. Wir tauchen aber vor Aoufous an einem der ersten Abzweige nach links ab über das Flussbett des Ziz. Welch ein Bild! Vor Jahren floss hier Wasser, deutlich erkennbar als Fluss, in dem wir und die Hunde damals ausgiebig baden konnten. Jetzt absolute Trockenheit. Entsetzlich. Die Oasengärten sind dennoch vielfach beackert, und das Grün unter den Palmen wirkt fast trotzig und täuscht über einiges hinweg. 

Und um eine Kurve herum, und wir rollen auf den CP Hakkou der Familie Oumouloud. Wir haben beste Erinnerung an die lieben Menschen hier, die große Freude für das, was sie hier tun und den feinen Platz oberhalb ihrer Oasengärten, die sie seit Generationen bewirtschaften. Ein idyllischer Ort, eine unaufdringliche immer bemühte Familie, unterhält hier etwas, wo man sich fallenlassen kann. Gäste werden auf Wunsch freitags mit einem Couscous Menü an langer Tafel verwöhnt, man serviert Suppe, man musiziert, alles mit bestem Maß und dem Herz am rechten Fleck. Und hier muss man nicht „erstmal ankommen“, nein, man ist sofort da. Ahmad steht schon parat und begrüßt uns. Er erinnert sich sofort, auch an Bazou, da er direkt nach ihm fragt, wenn auch eher aus „Schiss“. Einige Womos stehen auf dem oberen Teil, wir können auf dem loseren Kies aber nach unten, das, was unser Arto niemals geschafft hätte, reißt das Concördchen fraglos ab. Rein mit uns in ein beschauliches Eckchen mit Oasen- und Palmkronenblick und vielschnäbligem Vogelgezwitscher, kurz verschnaufen, und ab mit uns zur Tea-Time und einem Erzählstündchen. Weiter passiert heute nichts mehr.

Tag 71 - 26.03.2023 Sonntag

Erstaunlich, wie gut es am Abend abkühlte, obwohl tagsüber sommerliche Hitze herrschte. Es war schon richtig „frisch“, würde Wim sagen, von daher wachen wir gut ausgeruht und nicht im eigenen Saft auf. Wim holt ein von der Familie frisch gebackenes Brot vom heißen Stein am Ofen ab, das hervorragend schmeckt und stärkt für die geplante Runde mit dem Rad nach dem allmorgendlichen Teetrinken auf dem Platz mit allen Campern, die möchten. Ein schönes Ritual. Zeitig machen wir uns auf die Räder und fahren nach rechts raus auf die einzige Straße, die parallel zum Fluss durch kleine Ansiedlungen, Dörfer und Oasen führt, während sich die N13 am anderen Flussufer erhöht an den Berghängen entlang schlängelt und man vom Womo aus einen tollen Blick auf das Tal hat. Jetzt aber bewegen wir uns mittendrin. 

Frauen sitzen in Hauseingängen und schattigen Plätzen zusammen, meist gekleidet in für die Region typischen schwarzen Tüchern mit knallbunten Stickereien und Bordüren. Scharenweise stromern Kinder herum, ganze Fußballmannschaften von kleinen Jungs stürmen aus dem Unterholz der Oasen und aus den Hüttchen und Häuschen am anderen Straßenrand zu den Berghängen hin und fallen wie reife Äpfel aus verästelten Bäumen. Dabei sieht man nur 10 Häuser, und manchmal bin ich froh, auf eine Gruppe verschämt guckender und kichernder Mädchen zu stoßen, die dankbar ein paar Worte mit mir wechseln. Das tun sie besonders gerne, wenn ein Austausch mit ihren Müttern nicht möglich ist, sie dann helfend mit Französisch einspringen können. Ich genieße die Momente, in denen die Mädchen spüren, dass ihr Dolmetschen gelingt, und auch den stolzen anerkennenden Blick der Mütter darüber. 

Auf Eseln wird einiges transportiert und aus den Oasen nach Hause geschleppt. Die Palmenhaine sind über weite Strecke Opfer von Trockenheit und Bränden geworden und scheinen sich aber, wenn auch stark angekokelt, zu erholen. Vor den Hauseingängen liegen häufig Stapel von Lehmziegeln, es sieht total ordentlich aus, nichts liegt herum, fein gekehrt ist alles, extrem anders als auf der „Hauptstraße“ durch das Örtchen, die schmal ist und man sich fragt, wie so etwas sein kann. Fragen kommen auch auf, als eine Gruppe Jungs Steine auf Wim und den Hänger wirft. Fragen ergeben sich auch, als mich mitten im Dorf eine Gruppe Jungs quasi „stellen“ will, ich aber entschlossen weiterfahre und sie sich dann zu zweit an meinen Gepäckträger hängen. Mein Name ist seit heute mittag „Stilo“. Was um Himmels willen hat die Kinder dazu gebracht, so zu sein. Der Umweg über ein Gespräch oder nur ein „bonjour“ wird schon nicht mehr unternommen, man fordert sofort. Ich werfe den Kindern nichts vor, ich bin couragiert genug, vom Rad zu steigen und da zu stehen und auch mal zu schimpfen, sie rennen ohnehin sofort weg. Aber es ist ein Thema, ein wirklich andrängendes, was unter Reisenden einen Austausch erfordert, dies auch vor dem Hintergrund, dass uns das Fordern erheblich eindeutiger, unverblümter und massiver vorkommt als in der Zeit vor Corona. 

Nichtsdestotrotz ist es ein herrlicher Ausflug, der uns nach einer rumpeligen Ortsdurchfahrt auf die Höhe der N13 führt. Hier ist Autobahn, man kann laufen lassen, auch den Blick über die wunderschöne Flussoasenlandschaft des Ziz. Ausgesprochen viele Womos begegnen uns, fast nur Deutsche. 

In Aoufous werfen wir einen Blick in die abschüssigen malerischen Gassen und steuern den kleinen Souk an. Kartoffeln und Orangen müssen sein. Wir schieben durch die wirklich extrem holprigen Gänge zum Erstaunen der Marktleute, machen uns dann mit der Beute und einem Kilo Erdbeeren für 11 DH auf den Weg zum Womo und lümmeln herum. Morgen werden wir in jedem Fall noch bleiben. 

Tag 72 - 27.03.2023 Montag

„Sex Sells“ .. eine Phrase, aber mal sehn, wem diese Geschichte aus unserem Reisetagebuch gefällt. Also im Genre „Erotik“ habe ich mich bislang, zumindest schreibenderweise, nicht hervorgetan. Aber nun drängt sich dieses Thema quasi auf, fällt mir in den Schoß sozusagen, als Ahmad uns am Morgen frisches Brot bringt und außerdem noch eine Art lange holzige Schote dabei hat. Er überreicht sie uns mit wertschätzendem verheißungsvollen Blick, scheint eine Kostbarkeit zu sein. Wir sollen mal dran riechen, ein wunderbarer Duft, wir könnten sie ins Womo legen, der Duft würde alles erfüllen. Brav halten wir uns die hölzerne bräunlich-grün schimmernde Hülse, die sich samtig anfühlt, innen leicht feucht, unter die Nase. Ja, so ein wenig erinnert sie auf Anhieb an Bali, etwas blumig, etwas nach feuchtem Holz, etwas erdig, hintenrum vanillig. Und dieser Geruch waberte schon bei unserer Ankunft irgendwie auf dem Platz herum, zuordnen konnten wir ihn nicht. Zuordnen konnten wir auch den Zustand der hohen Palme nicht, die in unserem Blickfeld steht. Aber das soll sich nun schlagartig aufklären. 

Und wesentlicher Teil der Lösung ist eine kleine süße Köstlichkeit, die Dattel. Hat sich schon mal jemand darüber Gedanken gemacht, wie die kleinen süßen Datteln „gemacht“ werden? Na? In welchen heißen Nächten sie gemacht werden? Wann Papa Palme zu Mama Palme rüber macht? Na? Uns Unwissenden ist bisher verborgen geblieben, dass es männliche und weibliche Palmen gibt. Schaut man aber so in die Runde, unschwer in einer Palmenoase, dann lassen sich leicht die verschiedenen Geschlechter erkennen. Während sich Vater Palme schopflos hoch aufgereckt präsentiert, schamlos seine Schoten zur Schau stellt bis sie aufplatzen, lässt die Palmenmama unweit daneben im Kreise ihrer Freundinnen bereitwillig ihre formschön gebogenen, im Sonnenlicht glänzenden Wedel locker und unverkrampft ohne einen Anflug von Migräne lockend über das Oasengrün schwingen. Es hätte einem auffallen müssen, in all den Jahren unter Palmen, dass da Erotik im Spiel ist, zumal ein gelegentliches Seufzen unüberhörbar war. Aber jetzt gehen die Pferde mit mir durch. „Bild aus meinem Kopf!“ 

Denn ganz so kommt es nicht zu Tumulten im Oasengrün. Ganz so einfach käme Vater Palme nicht zwischen die Wedel seiner Holden. So braucht es einen Helfer, wie man so landläufig sagen würde, einen, der dem Papa auf die Mama hilft. Das schafft offenbar kein allgemein dafür zuständiges Insekt, daher muss eine andere Variante her in Gestalt eines sympathischen Mannes, der gerade dabei ist, seine Arbeit zu verrichten, damit im Oktober, so lange dauert die Tragezeit des Palmen-Weibchens, die kleinen Datteln geboren werden können. Dieser Mann begibt sich mit einer Art Sichel in die Krone der männlichen Palme, haut ihr eiskalt die Schoten weg, entnimmt wachsweiße Büschel, quasi die Samenstränge (der Biologe möge Nachsicht walten lassen), die nach Aufplatzen der Schote herausquellen und pflückt einzelne Stängelchen heraus.

Nun besteigt er die weibliche Palme. Zwischen ihren Wedeln strecken sich ebenfalls langstielige Bündel im Bogen nach unten. Sie sind allerdings länger und gelblich in der Farbe. Der Mann stutzt zunächst mit seiner Sichel die vielen gefährlich langen Stacheln an den unteren Rändern der Wedel. Dann steckt er das zuvor vom Männchen entnommene wachsweiße Stängelchen mitten in das goldgelbe Bündel des Weibchens und bindet es locker zusammen. Punkt. Das war‘s. Befruchtung erledigt. 

Ein Lächeln liegt über dem Palmenhain … und das im Ramadan, das muss man sich mal vorstellen, wo doch jede sexuelle Handlung verboten ist … eigentlich. Aber vielleicht ist es damit wie mit der Gnawa-Musik, wie die Musiker uns augenzwinkernd erklärten: Musik machen ist Arbeit - und Arbeit ist natürlich im Ramadan erlaubt. Wir jedenfalls genießen die glückliche Stimmung, die über der Oase liegt, beobachten Zaungäste und den Schwarm dieser obercoolen weißen gefiederten Typen, der Ibisse, die ich so ulkig finde. Heute noch, morgen ziehen wir weiter.