von Foum Zguid nach Zagora


Tag 63 - 18.03.2023 Samstag

Nichtsahnend, dass uns der heutige Abend erheblich anders gestaltet wird, als der gestrige, packen wir zusammen und knöpfen uns bereits um kurz nach 10 Uhr die 130 km nach Zagora auf der N12 vor, das allerdings erst nach herzlicher Verabschiedung mit Umarmung und Küsschen von Rachid. Er hat es verdient. Wir folgen dem vertrockneten Palmenstreifen am Flussbett entlang, das sich aber zum nächsten Dorf hin etwas bessert und bestellte Oasengärtchen in Sattgrün zeigt. Ja, sobald Wasser zusammen wirken kann mit menschlicher Hände Arbeit, dann sprießt es. 

Hinter dem viel gepriesenen Hotel Bab Rimal mit Pool, das einen SP anbietet in Gestalt eines ummauerten staubigen Parkplatzes, und in der Gegend eindeutig Rachids Platz erheblich empfehlenswerter ist, da idyllischer, beginnt das große Nichts. Zunächst breiten sich ein paar Ackerflächen mit Getreide aus, dann wird es einsam, das Auge sucht, findet einen Baum, auch mal zwei, findet eine gemauerte Behausung, findet hier und da ein weißes, hingeducktes Nomadenzelt, sieht einen entgegen kommenden Verkehrsteilnehmer und plötzlich auch mal gut und gerne 20 Stück! Eine Reisegruppe, wage mal zu sagen, eine geführte. Ich erwähnte es ganz sicher schon mehrfach, dass ich allen Menschen, egal welchen Alters, eine ungeführte Tour gönne und ans Herz legen will, nicht „möchte“, sondern will! Verstehe ich auch alle Hintergründe einer gewünschten Führung, so tut es mir so leid für jeden, der nicht in den Genuss der Entdeckungen auf eigene Faust kommt, seine Grenzen mal so ein wenig auslotet und sich in Unplanbarem neu erlebt. Aber anders Thema, ganz ganz anderes Thema. 

Zurück zur Strecke. Denn Aufmerksamkeit ist hier gefordert. Ganze 2 Minuten, nachdem ich bei Sichtung des „Kamel“-Schilds rummosere, bald wären dann auch mal bitteschön wieder Dromedare fällig, latschen doch ein paar Gesellen komplett über die Straße. Die Sicht ist schlecht, muss man sagen, es ist sehr heiß, Dunst liegt in der Luft, aber auch Sand weht reichlich, alles trüb um uns herum. Nur schemenhaft erkennt man sie zunächst. Recht gelassen schlurfen sie mit ihren wiegenden Schritten über den Asphalt, laufen sogar eine Zeit direkt vor dem Womo her, erschrecken dann aber doch und laufen, ja traben richtig die Böschung runter ins sandige Land, das sich hier und da schon ziemlich über den Asphalt zieht. 

Irgendwann sieht man Baumschulen für junge Palmen, Ackerflächen werden bearbeitet, möglicherweise wachsen Artischocken, genau kann ich es nicht erkennen, Bewässerungsmaterial wird befördert und verlegt, die ackernden Menschen winken uns zu.

Wir nähern uns Zagora. Die Einfahrt ins eigentlich moderne Städtchen ist grausig. Der riesige Platz, auf dem sonntags der wirklich sehr schöne lebendige Souk stattfindet, liegt abgehalftert da, ein Friedhof für Marktstände, nur Gerippe, als sei ein Sturm darüber hinweg gefegt. Menschen suchen zwischen Gestänge und Gelumpe nach Brauchbarem, schnappen sich das ein oder andere. Morgen wird hier anderes Leben herrschen. Wir werden, wenn alles glatt läuft, den Markt morgen nochmal besuchen, und durchfahren jetzt ein paar Straßenzüge bis zum heutigen Ziel.

Das ungeplante Ziel ist, wie könnte es anders sein, eine Werkstatt. Seit einigen Tagen macht das Concördchen von der Achse her ein Geräusch, ein Klopfen, und zwar immer dann, wenn die Belastung eher auf der vorderen Achse liegt, wenn es vorne eintaucht und runter geht. Vor Beginn der Reise auf Herz und Nieren für sehr viel Geld in der IVECO-Fachwerkstatt durchgecheckt, stehen wir nun da, sind unsicher, ob dieses „Klopfen“ nun bedenklich ist oder nicht. Es lässt Wim keine Ruhe. Deswegen wird auch Zagora angefahren und nicht die geplante Einsamkeit Richtung Hoher Atlas. Ali Nassir heißt der Mann für alle Fälle in Zagora. Er genießt allerbesten Ruf, besonders für 4x4 Vehikel, nimmt aber auch unser Concördchen dran, obwohl es statt bis 4x4 nur bis 3x2 zählen kann. Dank Facebook konnte ich das gestern mit Ali klären, wir sollen anrollen. Gesagt, getan, da stehn wir nun in der Schrauber-Gasse. Optisch einer Boxengasse ähnlich, so mit Schwarz-Weiß-Karo und bunt und Aufklebern zu Hunderten, parken rundum schwerste Allrad-Dampfwalzen, mehr oder weniger gut „in shape“, aber voll im Style. Das Concördchen wirkt dazwischen irgendwie „overdressed“, so, als kommst Du in langer Abendrobe, und stellst fest: Du bist die Einzige. Egal, jedenfalls bemerkt Ali uns sofort. Wir werden auf den Randstreifen gelotst, der gerade im Bau ist im Zuge einer weitläufigen Promenade und von einem Straßenarbeiter beackert wird. Staubig und heiß ist es, Wüste eben. Dem Arbeiter passt unser Parken nicht sonderlich, Ali ist für unser Empfinden ebenfalls sehr zugeknöpft, sehr untypisch für Marokkaner, aber wir kennen ihn ja nicht. Jedenfalls besprechen wir die Problematik. Und kurz darauf werfen sich die Mitarbeiter in den Staub auf ein Brett unter unser Womo und katapultieren es wie eine echte, diese andere Concorde eben, in eine „Wind-Nord-Ost-Startbahn03“-Position, aus der heraus ohne Weiteres die Turbine angeschmissen und ein Startvorgang eingeleitet werden könnte. Schnell erkennen sie, mittlerweile zu Viert unten drunter, dass die Manschetten um die Kugellager des Lenkgestänges (Fachmänner mögen mir meine unqualifizierte Diagnose verzeihen) gerissen und bröckelig sind. Dadurch haben die Stangen mehr „Spiel“ und „klopfen“ an. Gut, der Ausbau beginnt, Total-OP, Gestänge auf den Schraubstock, alles gangbar machen, tatsächlich passende Manschetten organisieren, wieder einbauen. Probefahrt: klopft immer noch. Versuch 2 erfordert ein Tiefergehen. Also wird alles wieder aufgebockt und sich tiefer vorgearbeitet. Auch diese Suche führt, wie die nächste Probefahrt zeigt, nicht zum Erfolg. Beharrlich bleibt das Klopfen, wenn auch in leicht anderer Tonart. Es folgen zwei weitere Eingriffe, zwei weitere Probefahrten. Und nach 21 Uhr ist erstmal Schluss für heute. Morgen wolle man sehen, ob es mit der Aufhängung der Bälge zusammenhängen könnte. Gut, mit diesem Hoffnungsschimmer und geübt in Demut verbringen wir trotz allem einen guten Abend auf der Gasse, beobachten das abendliche und nächtliche Treiben, aber nicht sehr lange, denn wir sind wie erschlagen, die Büchse Bier wirkt, und wir fallen in die Kojen wie zwei Motorblöcke, um im Thema zu bleiben. 

Tag 64 - 19.03.2023 Sonntag

Abwarten und Tee trinken. Schon gegen 9 sind die ersten Mechaniker wieder da. Es wird gekehrt, wie so oft, es wird die Ordnung der Arbeitsgeräte usw., die ohnehin herrscht, nochmal gerichtet. Und das Concördchen wird erneut vorgeknöpft. Es geht ihm zwar nicht an die Gurgel, aber an die Bälge. Liegend über Stunden hantieren etliche Mechaniker herum, prüfen jedes Schräubchen, besprechen sich, geben einfach nicht auf. Unterdessen harren die außerordentlich brave Chianga und ich mal in der Sonne, mal im Schatten, verfolgen das Treiben auf der Gasse. Wim, der meist in der Nähe der Motorhaube ist, da immer mal gelenkt oder Luft ab- oder eingelassen werden muss, holt irgendwann eine ganze Tüte Teilchen in einer Patisserie für die Handwerker und uns. Sie freuen sich darüber, greifen zu, aber machen unermüdlich weiter, nur unterbrochen von einer kurzen Gebets- und Mittagspause, in der alle aus einer Schüssel zulangen. 

Wir ahnen, dass es heute wohl eine weitere Gassen-Nacht für uns geben wird, denn es dämmert schon und „Land in Sicht“ zeichnet sich nicht ab. Auch die letzte Probefahrt für heute verläuft leider nicht ohne „Klopfgeräusche“. Manchmal denke ich, irgendwo in den Tiefen des Doppelbodens hat sich eine bis dato versteckt gehaltene Büchse Erbsensuppe gelöst und rumpelt herum. Aber Wim verspricht zum 1000sten Male, dass da nichts ist, nix, rein gar nix. Die Frage an ihn hat mittlerweile hohes Reizpotenzial, und ich muss mir ernsthaft überlegen, ob und wann ich sie nochmal stellen soll. Passend wäre sie, so als Erstmaßnahme, wenn Wims Blutdruck sehr niedrig wäre, anderenfalls eher nicht. Erfreulich verlaufen aber schöne Begegnungen mit anderen deutschen Kunden der Werkstatt: ein Paar mit gerissenem Keilriemen, dem noch weitere Baustellen folgen, und ein Mann, der von Marrakech kommend Probleme mit der Bremsanlage seiner Enduro hat. Lustig können wir uns austauschen und die Zeit vertreiben. Erwähnt werden muss auf jeden Fall noch „Lawrence von Arabien“, wie ich ihn getauft habe. Zunächst stilecht und verwegen im Wüsten-Ralley-Outfit, später lang gewandet, schleicht der kleine marokkanische Mann in Werkstatt und Gasse herum, wirkt wie der Patron persönlich, hat alles im Blick, sorgt hier und da, bringt mir Tee, kehrt immer mal wieder, putzt seine Sonnenbrille, rutscht meinen Stuhl zurecht, wickelt seinen ellenlangen Schal, grüßt jeden auf der Gasse, ein Mann von Welt. Er erzählt mir später, sein Vater habe eine Ausstellung von gesammelten Meteoriten-Steinen aus dem Weltall, zeigt mir Fotos auf seinem Handy. Ich staune, gespielt, was er hoffentlich nicht merkt. Denn er ist von Anfang an hier, evtl. ein Verwandter oder einer, der Wüstentouren anbietet, ich weiß es nicht, jedenfalls behandelt er uns spätestens ab Tag 2 wie engste Verwandte. 

Und auch dieser Tag geht vorbei, der Abend kommt, die beleuchteten Kutschen drehen ihre Runden, Trauben von Frauen in wehenden Tüchern, oft mit auf den Rücken gebundenen Kleinkindern, schweben schwadronierend durch die Gassen, umgeben von großen Kinderscharen. Handkarren mit Süßigkeiten, Nüssen und Kirmeskram werden von hier nach da geschoben. Gegenüber versucht die Polizei, ein Handgemenge um ein gelbes Petit Taxi herum zu lösen, was äußerst lautstark über die Bühne geht und einer letztlich abgeführt wird. Wir haben quasi ein ganz besonderes TV-Programm vor der Nase, zu dem uns zwei junge Männer irgendwann zwei kleine Tajine mit der bestellten Kefta mit Ei durchs Fenster reichen. Ja, hier geht der Pizza-Blitz noch zu Fuß. Wechselgeld wollen sie morgen bringen, wenn sie das Geschirr abholen. Na, da sind wir aber mal gespannt. „Morgen“ ist hier manchmal ein sehr dehnbarer Begriff.