von Dunes de Tinfou nach Timerzit


Tag 66 - 21.03.2023 Dienstag

Ja dann, im Frühtau zu Berge … vor 8 Uhr (unfassbar) kommt mir der Sonnenaufgang entgegen und vor die Linse. Wenig später ist die kleine Karawane aus unserem Biwak schon gestiefelt und gespornt und bereit, die Fahrgäste, die unweit aus einem Bus steigen, aufsatteln zu lassen. 

Unverrichteter Dinge kehren sie kurz darauf schon wieder zurück. Vermutlich war es nur eine - sorry - „Pinkelpause“, denn so flott, wie einige aus dem Bus aussteigen, so flott steigen sie auch wieder ein. Evtl. sind es auch Patienten, die im Einüben von Strategien zum Gegenwirken ihrer Dromedar-Phobie die verhaltenstherapeutische Maßnahme abrupt abbrechen und die von einer deutschen Krankenkasse bezuschusste Busreise in diesem Punkt nicht zu ihrer Genesung nutzen können. Jedenfalls geht den Berbern das Geschäft leider durch die Lappen. Enttäuschung am Morgen, bringt Kummer und Sorgen. Wir müssen also für Erheiterung sorgen. Und obwohl wir möglichst bald abfahren wollen, nimmt Wim ein Rad aus der Heckgarage. Wir hatten gestern darüber erzählt, und sie wollten es doch gerne mal sehen. Und los geht es auf eine kleine Probefahrt, von der Mohamed natürlich total begeistert zurückkehrt. Sein Vetter traut sich nicht so recht und lässt es besser, beschränkt sich darauf, das Rad nur festzuhalten und mir bei Verwirklichung meiner Idee behilflich zu sein, das Dromedar unser altes Brot aus dem Fahrradkörbchen fressen zu lassen, wovor das Tier auch Bammel hat, und ich es erst anlocken muss. Aber es klappt. Wir zwei verstehen uns.

Nun verlassen wir aber endlich die Stille an der Düne und die gute Gesellschaft und begeben uns auf die Rückfahrt erstmal bis Zagora. 

Dort nehmen wir die N12, auf der wir ca. 160 km vor uns haben. Nach einem kurzen Stück am Palmenhain des Wadi Draa entlang, führt die Route ziemlich eben durch steinige Wüste, begrenzt von vielschichtigen Bergmassiven, an deren Flanken helle Sandverwehungen liegen. Etliche Camps werben am Straßenrand, viele Dromedare schlendern herum. 

Auf über 900 m befahren wir einen Asphalt, der sehr oft zu wünschen übrig lässt, zwar keine sonderlich schmale Straße, aber dafür mit elenden Bodenwellen und tückischen Schlaglöchern, in denen man einen Bierkasten versenken könnte. Gut, passt man gut auf, was man muss, sieht man sie rechtzeitig, was aber rein gar nichts hilft, wenn das Loch rechts am Straßenrand klafft und Gegenverkehr kommt. Wir haben uns darauf verständigt, dass wir dann trotzdem Mittelstreifen überfahrend agieren, das Schlagloch umfahren, in der Hoffnung, der Gegenverkehr weicht auf seinen äußersten rechten Rand aus, vor Schreck oder was auch immer. Wie es dann im Fall des Falles aussieht, man weiß es nicht. Es sind so Gedanken zu Problemen, die es noch nicht gibt, die sich aber in dieser Weite unterwegs mal gut ausspinnen lassen, während sich rotbraune und fast schwarze Hammada abwechseln, und nur ganz vereinzelt grüne Felder oder Palmenanpflanzungen zu sehen sind. Überraschenderweise liegt immer mal wieder eine größere Wasserpfütze in der Wüstenlandschaft und schillert in der Sonne.

Irgendwann bietet uns vor Taghbalte ein Wegweiser zwei Routen an, wir nehmen die Richtung Ksar Ait Saadane und geraten nach Vorbeifahren an einer ruinösen, aber wunderschön gelegenen Kashba in zwei Horden von Jungs jeden Alters, die aus dem Nichts angerannt und angestolpert kommen, die Straße versperren wollen, sich auch bei Einsatz unseres Drucklufthorns und der Kamera nicht verdünnisieren, letztlich ein Stein fliegt und Wim sehr entschlossen mit viel Gas durchzieht. Es ist nichts passiert, aber extrem ärgerlich ist es dennoch. Ich bin so wütend. Ich könnte platzen. Weniger ist das Steinchen der Grund, mehr die Tatsache dass. 

Flach wie auf einem Teller geht es nun durch eine weite Wüste, ein Bild, das wir so auch noch nicht kannten. Es scheint manchmal zu sein wie mit einem Glättbrett abgezogener Lehm, oft auch sandig verweht, wobei sich die Sandwehen über die Straße legen, und das ziemlich hoch, so dass das Concördchen richtig ausgebremst wird. Einige Kolonnen Geländewagen begegnen uns und zahlreiche deutsche Wohn-LKWs mit langer Bühne hinten dran. Wir vermuten, darauf werden Cross-Motorräder transportiert, die in Merzouga abgeladen wurden und nun offroad unterwegs nach M‘hamid sind. 

Im größeren Ort Ksar Ait Saadane ist Markt. Auffällig sind wieder die riesigen Haufen Kleidung. Wir haben es schon häufig jetzt gesehen. Man glaubt kaum, welche Massen an Klamotten sich überall auf den Märkten auftürmen. Wir haben entschlossen, keine Kleidung mehr nach Marokko mitzunehmen. Wir haben das Gefühl, dass sie auch weniger gefragt sind, denn Fragen bzw. Anbetteln nach Handys oder Tablets häufen sich. Alles ein Thema, das leider offensichtlich verstärkt zum Reisen in Marokko dazu gehört, über das wir nachdenken müssen, um eine Lösung für uns zu finden. 

Vor Alnif legen wir eine Pause ein. Eine große Tankstelle mit Restaurant und sogar Schwimmbad und Spielplatz bietet auch Lavage an. Das Concördchen wird für 100 DH per Hand gewaschen, auch auf dem Dach, wir verzehren eine Portion Pommes und knöpfen uns anschließend mit blitzsauberem Womo die restlichen Kilometer bis zum Tagesziel vor. 

„Chez Addi“ liegt an der Straße und bietet einen großen Parkplatz zum Übernachten. Er wohnt mit seiner Familie direkt daneben. Obligatorisch ist wohl der Verzehr einer Mahlzeit, die seine Frau Fatima zubereitet. Er bietet sie an, und wir bestellen eine Tajine für abends, als er sofort, wir stehen noch kaum, mit einem Tischchen ankommt und uns darauf Tee serviert. Es gesellt sich ein älterer sehr kluger Mann dazu, der, so denke ich, in allen Sprachen der Welt etwas zu selbiger zu sagen hätte. Kaum ist er weg, kredenzt uns Addi ein Schälchen mit Honig. Das Abräumen nutzt seine Frau, sich vorzustellen samt zwei Töchtern, wobei sie insgesamt 8 Kinder haben. Ich ringe schon etwas nach Luft, wollte eigentlich in Ruhe mein Tagebuch fortführen, gelingt dann auch, aber nur kurz, weil Addis Vater erscheint und sich vorstellt. Die Eltern leben mit im Haus. Konversation gelingt kaum, da wir seine Sprache nicht sprechen, beschränkt sich also nur auf Lächeln und Nicken. Mein gütiger Gesichtsausdruck kann dann bald dem konzentrierten weichen, nachdem Addis Vater sich verabschiedet hat. Ich vertiefe mich in mein Geschreibsel, und Wim verabschiedet sich zur Gassi-Runde. Das nutzt Addi, um mir seine kleine Tochter und deren Sprachkenntnisse vorzustellen, was süß und lustig ist, mich aber zunehmend knapper werden lässt. Das Mädchen will wieder weg, was ein Glück, Addi geht und Fatima kommt. Sie möchte gerne meine Nummer für whatsapp. Was um Himmels Willen sollen wir uns schreiben. Ich versuche, ihr Facebook ans Herz zu legen, scheitere aber bei dem Versuch, ihren Namen zu erfahren, da ihr Handy nur Arabisch hergibt und sie mich nicht versteht. Da schreitet Addi ein, schafft irgendwie, seinen Namen für mich lesbar anzeigen zu lassen, so dass ich in Gottes Namen die Freundschaftsanfrage an ihn senden kann. Ich atme auf. Nein, im Augenblick möchte ich nicht sein Haus sehen. Es ist so ganz und gar nicht meine Art, etwas so abzulehnen, wenn einem anderen daran gelegen ist, aber ich habe das Gefühl, ich muss die Notbremse ziehen. Und nein, auch ein Foto von Addi an seinem Schild vorne an der Straße möchte ich im Moment nicht machen. Aber meine Güte, ja, gib es schon her, Dein Gästebuch, ich schreibe etwas Schönes hinein. Und ich fülle fast eine ganze Seite mit Nettigkeiten und Schönem, es ist ja auch grundsätzlich schön hier. Nur sollte man vielleicht ein wenig „unfreundlicher“ und ein wenig verschlossener als Gast auftreten, ich weiß nicht, jedenfalls ist es uns im Moment zu viel des Guten, im wahrsten Sinne des Wortes. Und die Tajine, die er zum Womo bringt, ist lecker, Addi schneidet uns sogar das Brot in Stücke und bleibt wie unser persönlicher Butler am Tisch stehen und warnt mehrmals vor dem sehr heißen Inhalt der Tajine. Puuuh … die Sonne geht unter. Wir müssen leider rein, ins Womo, verschwinden. Bonsoir. A demain …